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Freitag, den 28. November dieses Jahres. Zwönitz, am 7. November 1873. Tage-geschichte. Wo ch e n s ch a u. Frankreich hat auch in der verflossenen Woche die Blicke von halb Europa auf sich gezogen. Der mit so viel Aufwand von Mühe, Geld, Jntri- guen aller Art, von Lügen und elender Rückwärtscrei von den Legitimisten und Fufionistcn rastlos betriebene Plan auö einem Grafen Ehambord einen König Heinrich V. zu kneten, ist gründlich in den Brunne» gefallen. Hier triffl das alte deutsche Sprüchwort: „Lie haben die Rechnung ohne den Wirth gemacht" fast wörtlich ein, denn Graf Chambord war eS und nur er, der mit einem Male, als eö nach der Meinung der Herren KönigSmacher MeS in der schön ste» und besten Ordnung war, erklärte: „Ich thu' nicht mit, wie ihr wollt, len» ich mache vorher keine Zugeständnisse; ich verzichte nicht auf die weiße Fahne; ich erkenne die dreifarbige Fahne, dieses blutgetränkte Gewächs der Re volution nicht an! Emmerer ich bin euer „Angestammter", oder ich bin eS nicht. Bi» ich aber der „Von Gottes Gnaden Angestammte", so bin ich euer König äo facto, und mit dem handelt, markt und feilscht man vorher nicht. Ich, wie ihr selbst sagt, legitimer König von Frankreich, würde mich ernie drigen, würde mich „gemein" mache», wen« ich der Nation vorher Versprechun gen und Zugeständnisse machen, wenn ich den mir von Gott und Rechtswegen zustehenden Thron durch Markten und Feilschen an mich bringe« wollte. Ihr habt einfach zu gewärtigen, was ich gewähren will und werde." — Also sorachChambord in der Hauptsache in seinem berühmten Briefe vom 27. October. Und man kann übrigens über Chawbord denken, was man will, so viel muß man ihm lassen und zugcstehe«: er mit seinen Ansichten und Auffassungen vom legitimen KömgLthum, denkt, spricht und was die große Hauptsache ist — handelt weit corrcctcr, weit logischer als die frommen KönigSmacher in Frank reich fammt und sonders. Er handelt cons.quent und verläugnct selbst um eines Thrones willen seine Grundsätze nicht. Und daö will in unserer laren Zeit wahrlich viel bedeuten, während bei seinen Anbetern und Verehrern von Con- stquenz und Ehrlichkeit auch keine Spur zu finden ist. Sie haben nur ihren Vortheil im Auge; Chambord hält fest an seinem Prtncip. Weil aber die Legitimisten und Fustoniste» dafür kein Verständniß haben, so dehnten sich, als ihnen Chambord'ö Absagebrief vor Augen kam, ihre Gesichter ellenlang, ihr Herzschlag stockte und im Gehirn wirbelte eS. Bestürzung und Zerknirschung herrschte in allen Kreisen der KönigSmacher, während die Republikaner jubelten und aufjauchzten. Toch die Lgitimiste» und Fufionisten bewährten sich als echte — Schau spieler, den» als am 5. November die Nationalversammlung in Versailles wieder zusammentral, mußte der Marschall-Präsident eine salbungsvolle Bot schaft vorlesen, in der auch nicht mit einer Silbe erwähnt wurde, welche riesen- mäßige Niederlage daS Ministerium und die KönigSmacher durch ihren kleinen Abgott Chambord erlitten haben, in der auch kein Wörtchen von dem Plane, den seit Monaten die Regierung und ihre frommen, erzrcaetionären Anhänger verfolgt haben, gesagt wurde. Und Alles ignorirend, waS diese Clique bis jetzt am Vaterland durch ihre schamlose Rückwärtserei und dem Verkehr mit dem Grafe» Chambord gesündigt verlas nach dem Bortrag der Botschaft der Prä sident Buffet einen vom altersschwachen Abg. Changarnier und den sämmttichcn Fractivncn der Rechten gestellten Antrag: die Gewalten deö Marschalls Mac Mahon auf — zehn Jahre! zu veüäkgern. Zur Prüfung dieses Antrags, der mit großer Majorität für „dringl ch" erklärr wurde, wird eine besondere Commission gewählt werden. Bereits am 7. November schritten zwölf Bureaur der Nattonalversammlung zur Wahl für diese Commission. Tue Rechte brachte eS bet dieser Wahl nur auf sieden Mitglieder, während die Linke fünf Mit glieder durchbrachte. Drei Bureaur verschoben die Wahl auf den 8. November und di- Wahl in diesen drei Bureaur wird ganz wahrscheinlich die Zahl der Mitglieder der Lipke» vermehren. Träte der letztere Fall ein, so wäre das un strittig ein tödtlicher Streich für daS Ministerium Broglie und eS dürfte ge trost an seinen Rücktritt denken. Und der Rücktritt dieses Ministeriums wäre unstreitig die allergrößte Wohlthat, die jetzt Frankreich zu Theil werden könnte. —- WaS bezweckt aber die reactionäre Rechte mit ihrem Anträge, tue Gewalten Mac Mahons auf,10 Jahre zu verlängern? Nichts anderes, als Zeit zu gewinnen zur Durchführung ihrer erzreactionären Pläne. Daß aber die Rechte durch diesen Antrag wieder ganz inkonsequent handelt, scheint sie gar nicht zu fühlen. Seit Monaten eiferte und heulmeicrte sie in allen Tonarten: Frankreich muß unter allen Umständen aus dem „Provisorium" heraus, und nur aus diesem Grunde arbeite« wir für den Grafen Chambord, und jetzt, nachdem der Plan mit Chambord vollständig gescheitert ist, beantragt dieselbe Clique so fort ein neues — Provisorium, und zwar auf zehn Jahre! Wahrlich, eine saubere Gesellschaft! Die Kämpfe in der Nationalversammlung werden nun aber erst recht beginne», zumal sich die Linke und das linke Centrum täglich fester verbinden. In der Umgebung ThierS' und unter den Mitgliedern der gegenwärtige» Linken geht man angeblich mit folgendem Programm um: 1. Ver längerung der Gewalten des Marschalls Mac Mahon; 2. ein Mißtrauens votum gegen daS Ministerium Broglie; 3. sofortige Verhandlung über die con- stttutionelle» Vorlage» des Herr» Dufaure; 4. Bestimmung eines Termins für di« Auflösung der Nationalversammlung, etwa im März oder April 1874, ffo- bald nur daS Budget für dieses Jahr festgestellt wäre. Wenn Mac Mahon dieses Programm nicht annähme, würde man, da eS nun einmal ein Militär sei« muß, den Admiral Pothuau, einen intimen Freund ThierS', als Can- Lidaten für die Präsidentschaft aufstelle». In Spanien scheint auch ein Castelar die unsauber» Geister nicht ban ne» und bewältigen zu können. Durch die Jahre lange Mißwirthschaft ist eben Alles auö Rand und Band. Die neuste» Nachrichten melden zwar wieder, daß die Karltste» in Katalonien in mehrern Treffen geschlagen wurden; allein eS sind das immer bloS vorübergehende Vortheile, die von wenig Einfluß st»d. Daö Elend im Großen dauert fort. Aus der Schweiz wird gemeldet, daß die Verwaltung der Stadt Genf nun endlich weiß, wie sie die große Erbschaft deS Herzogs Karl von Braun schweig, die genau 18j Mill. Fr. beträgt, am besten und vortheilhaftesten ver- »rMndet. Die Verwendung soll aber also geschehen: 1., die Tilgung der staWchen Schuld von beiläufig 7 Millionen; 2) den Bau eines Theaters, der «ine Million verschlingen wird; 3) Schulhausbauten von ungefähr demselben (12058- 95) Papsdorf. Äerrag; 4) Demolirung alter Standquartiere^für-ungefähr 2 Millionen; 5) HerstÄung neuer Standquartier« für 3 Millionen. 6) Aenverungen im Jnsel- quartier, resp. theilweise Demolirung desselben. Ferner sollen bedacht werden: die Todtenäcker, das Schlachthaus, daS Stadthaus, (d. h., eö soll ein neu-S Mu- nizipalhauS errichtet werden) die Museen, Bibliotheken, Promenaden, die St. Peterökirche. Endlich will man di- Munizipalangestellte» besser bezahle». Dann wird daS Herzogliche Monument nach gefallenen Aeußerunge» 1 bis 2 Millionen verschlinge». Di- ganze Verwendung beliefe sich in Summa auf 19 Millionen. Natürlich würde das nicht alles auf einmal verwirklicht und bat Kapital in zwischen Zinse» tragen. Aus dem Deutschen Reiche brachte die verflossene Woche die Kunde, daß daö dreijährige Mandat der Reichstagsabgeordnete» mit dem 2. März 1874 erlischt. Da »un nach einer Miltheilung deS ReichSkan-leramteS für den Zu- sammentritt deS nächsten Reichstages ein früherer Zeitpunkt gewählt werde» wird, so soll die Anfertigung der Wählerlisten in de» Gemeinden ungesäumt vorgenommen werde», sodaß deren Auslegung bis spätestens gegen Ende Novem ber erfolgen kann. — Die Auswanderung aus dem deutschen Reiche wächst leider l von Jahr zu Jahr. So hat jetzt die Regierung der Vereinigten Staate» von Nordamerika die statistischen Einwanderungstabellen für daS Jahr vom 1. Juli b ö zum 30. Juni 1873 veröffentlicht, und daraus erhellt, daß währen» dieses Jahres 149,671 Einwandrer von Deutschland kamen und zwar 8362 mehr wie im vorhergehenden Jahre. Und aus Mecklenburg meldeten die Zeitungen in der verflossenen Woche, daß am vorge» 22. und 25. Ociober allein von Hamburg ab 1021 Auswanderer aus Mecklenburg befördert wurden, wäh rend in den letzten drei Wochen mehr als 3000 Auswanderer Mecklenburg Adieu! gesagt habe». Von gesunden Zuständen gibt dieser AuSwandcrangöstrom doch gewiß kein Zeugniß. DaS Ergebnis der preußischen Abgcordneten-Wahlen wirkt selbstverständlich wegen deS Zuwachses, den die klerikale Partei erhalten — sie ist von 62 auf 85 gestiegen — äußerst unangenehm auf die Anti-Klerikalen, wcßhüd sie die ergötzlichste» melancholischen Betrachtungen anstelle». So schreibt der schwäbische Merkur: „Der Sprung von 62 auf 85 Klerikale ist ein sehr bcttächtlicher; nimmt man dazu die 17 Polen und sonst einige widerstrebende El-mutte, so er gibt sich, daß ein ganzes Viertel der preuß. Abg.-Kammer einer reichsf-lud- liche» Richtung folgt. Immerhin bleibt eine große antiklerikale Mehrb tt. Für die ReichStagSwahlen, die nach allgemeinem Wahlrecht erfolgen, wL.^nd die preuß. Abg.-Wahlen auf Grund einer Vermögensabstufung vorgenommen werden, ist die jetzige Wahl in Preußen eine gewichtige Lehre. Dm, bet de» Wahlen deS allgemeinen Wahlrechts hat der schwarze Agitator auf dcm Lande einen »och leichteren Boden, als bei den ZensuSwahlea." In Baiern wurde am 4. November der Landtag durch den Prinze» Luitpold eröffnet. Ganz Bayern ist gespannt auf sein Wirken, weil fiL :n »er zweiten Kammer zwei fast ganz gleich starke, aber einander widerstrebend- Par teien gegenüber stehen, die sogenannte patriotische und die (national-) liberale. In Oesterreich wurde der ReichSrath, dessen Mitgl. das eiste Mal aus dicecten Wahlen hervorgegangcn sind, durch den Küfer mit einer sehr schwunghaften Thronrede eröffnet. Da die Wahle», nach sehr heißem Wahl kampfe, ganz zu Gunsten der svgcna»nten Bcrfaffungöparlei ausgefallen sind, denn von 350 Mitgl. gehören ganz unbedingt 231 Abgg. der Verfass: ngSparlct an, so hofft Ö sterreich deS Gmen sehr viel, von dem Wirken dieses Reichstages. Zuvörderst soll er der großen G-ldcalamität im Kaiserstaate abhelfe«. Wird eS thm gelingen? — Am 2. November erfolgt- der Schluß der großen Weltaus stellung. DaS Deficit bei diesem großen Friedenswerke beträgt aber leider! dreizehn Millionen Gulden! trotzdem der Besuch während der gan-en Aus stellung etwas über 7. Mill. Personen betrug. AuS England brachten die neusten Zeitungen die unerhörte Nachricht, daß die Bank von England den Diskont von acht auf neunProceat ei höhl hat. Ein lautsprechender Beweis wie äußerst knapp eS auf dem Geldmarkt auösicht. DLAtfchlaRk. Berlin, 7. Nov. Die ,,N. A. Z." enthält heute folgende osficiöse Note: Die „Germania" beharrt in der Bestärkung der schwindelhaften Vorstellung, welche eine der verkehrten Voraussetzungen des päpstlichen Schreibens vom 7. Au gust bildet, als Se. Majestät mit den Maßregeln Seiner Minister nicht einver standen sei. Hierin liegt eine Beleidigung Sr. Majestät, von der allerdings zweifelhaft sein mag, ob sie für den Strafrichter greifbar genug ist, die aber jedenfalls de» totalen Mangel an, Ehrerbietung documenNrt, welcher diesen Leu ten eigen ist. Der „Germania" und ihren hohe» Patronen kann nicht unbe kannt sein, daß Se. Majestät Allerhöchst selbst direkt de» Brief des Papstes so wohl empfangen wie beantwortet hat. Die „Vosstsche Zeitung" erfährt aus guter Quelle, daß der Minister des Innern, Graf Eulenburg, seine jetzige Stellung mit einer diplomatischen zu ver tauschen wünsche. Die Veranlassung seien neuere Zerwürfnisse mit Vrsmarck, Herr von Blanckcnburg wird hier erwartet. Sein Intimus Wagener kürzte seine« Aufenthalt in der Schweiz ab und eilte ihm nach Berlin voraus, München, 8. November. In der heutige» Sitzung der Kammer der Ab geordnete» folgt die Berathung deS Antrags der Abg. Her, und Völk, dahin gehend, daß die StaatSregierung ihren Bevollmächtigte» im Bundeörathe an weise, dem Antrag- deö Reichstagsabgeordneten Laöker, betreffend die Ausdehnung der Zuständigkeit deS Reichstages auf daS gesammte bürgerliche Recht, im Bunveö- rathe zuzustimmen. Der Abg. Hanck beantragt, diesen Antrag alö Initiativan trag im Sinne deS Gesetzes von 1848 zu behandel» gleichbedeutend mit der Hinausschiebung der Angelegenheit). Nachdem der Abg Völk die bisherige RückfichtSnahme de« Reiches auf Bayern betont und die Abgg. Mavquardsen und v. Schlör gegen, die Abgg. Ruland und Schüttinger für den Antrag Hanck gesprochen, wird derselbe bei namentlicher Abstimmung mit 77 gegen 74 Stim men verworfen. München, 6. November. Wie die „A. Z." ersählt, hat Sc. Majestät der Deutsche Kaiser dem Professor vr v. Döllinger, anläßlich seines 50jährigen Jubiläums als Professor, durch den hiesigen Gesandte» den rothen Adlerorde» zweiter Klaffe mit dem Stern überreichen lassen. Auö Apolda wird gemldet: Eine größere Anzahl der bedeutendsten hiesigen Fabrikanten hat in einer Versammlung beschlossen, vom 1. Januar 1875 L054 Jahrmarkt iu Zwönitz Daö Feilbieten von Spirituosen ist verbotet». ' Der S t a d t r a t h.