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890 Tage-zefchichte. Wochenschau. JmDeutfchen Reiche ertönen aus verschiedene« Gegenden Klage« über eine anhaltend: Geschäftsstille, aber auch Klagen darüber, daß vielfach em pfindlicher Mangel nicht nur an Kleingeld sondern an Geld überhaupt herrsche. Besonders aber wird au» Preußen und hier wieder vorzugsweise aus der Reichs Hauptstadt Berlin recht bitter über GeschäftSsttlle und Geldklemme geklagt. So schreibt eine der neusten Nummern der „Berl. Börsen-Zeit." wörtlich: „Während unser Finanz minister den Rest der fünf Milliarden von Frankreich einstreicht, sieht eS in Berlin ans, als ob wir eben Milliarden zu zahlen gehabt hätten. Die Börse stein beinahe auf dem Kopfe, die Waaren Geschäfte liegen absolut brach, dir theuren Restaurant», welche im vorigen und theilwrise im laufenden Jahre hier eröffnet worden sind, stehe« leer, und ein Theil der Ballgesellschaft ist damit beschäftigt, ganz im Stille« -ch aufzulöse». Mit Reid blicken heute viele Gesellschaften, welche in der Gründungsperiode das Glück gehabt haben, einen Theil ihrer Aktien abzusetzen, auf die Kolleginnen, welche diese» Glück nicht gehabt haben und eS daher gegenwärtig leicht finden, zu liqutdiren. Angesichts der allgemeinen ge schäftlichen Misere klingt eS wie Ironie, daß nun bald 900 Millionen Mark Gold in unseren Münzen seien. Wo sind die Milliarden, wo find die Millionen ? Heiliger Camphausen, erbarm: Dich! Du nimmst uns die Silbergulden, gicb uns wenigstens Zehnmarkstück: dafür wieder. Mit wie viel tausend Segeln find wir im Sommer 187l in den Ocean gesegelt, und wie erbärmlich ist das Boot, welch:S jetzt im Hafen lungert. Auch der Diöconto-Gesellschaft, der vor Jahresfrist hochgepriesenen finanziellen Weltmacht, wird jetzt das Fell über die Ohren gezogen, wie emem ganz gewöhnlichen Gründerknaben." Also klagt die „B. B.-Zttt.", die doch sonst nicht gern in „Schwarz" färbt. Je nun, den Hrren Gründern, die vor Jahresfrist wie toll in'S Z-ug gingen, nur um in kurzer Zeit „viel Geld zu machen" kann so eine bittere Lektion auch gar nichts schaden, wenn nur nicht so viele Tausende und aber Tausende darunter leiden müßten, die dem Gründerunwesen st ts fern blieben. Es ist nun aber einmal der Lauf der Welt, daß »er Unschuldige mit dem Schuldigen leide» muß. — Di- seit Langem erwartete evangelische Kirchenordnung für die alten Provin zen Preußens ist endlich veröffentlicht worden und wird demnächst in Kraft treten. Ein« außerordentliche General-Synode, aus 150 Mitgliedern bestehend, wird den Oberkirchenrath bei der Ausführung der neuen Ktrchenordnung unter stütz:«. Die neue Kirchmordnung befriedigt aber keine Partei. Der freisinnigen Partei ist sie zu engherzig, indem sie den Gemeinden zu wenig Rech.'e einräumt, und cer KreuzzeitungSpartei lst sie viel zu freisinnig, und so wird diese neue, so lang schon gewünschte und erhoffte Kirchenordnung wieder zu vielfachen inneren Streit und Zwist Veranlassung geben. — Viele preußische Zeitungen klagen in den jüngste» Tage» bitter, daß fort und fort so äußerst wenig für die Volks schulen und Universitäten geschehe. Die preußischen Universitäten, behaupten preuß. Blätter, gingen leider! einem rapiden Verfall entgegen, weil eS an hin reichenden Geldmitteln für die Gehalte der Professoren fehle und für die Volks schulen seien fast gar keine Aussichten vorhanden, daß besser für die Lehrer ge sorgt werde. Der Mtlilärstaat, klage» selbst preußische Blätter, di: sonst nicht im Gerüche der „Relchöftindlichkeit" stehen, der Militärstaat überwuchere leider! t» Preußen Alles, so daß sür die Zwecke der Jugendbildung, der Wissenschaft und der geistigen Cultur kaum die dürftigsten Brosamen gesammelt werden könnten, die von dem Tische des MilliardenstaueS fallen, während für neue Versuche auf dem Gebiete der militärisch n Erfindungen jederzeit Millionen bereit zur Verfügung lägen. — Gegen die Ultramontanen und widerspenstigen Bischöfe beharrt die preußische Regierung auf dem von ihr eingeschlagenen Weg. Auch der Fürstbischof von Brerlau, llr. Förster, wird binnen Kurzem sich vor den G richten wegen Ungehorsams gegen die StaatSzesetz: zu verantworten haben. Ei» mtercssinies Schreiben LedochowSki'S machr wiederum die Rande durch die deutschen Blätter. In demselben wird rundweg erklärt, daß der Streit zwischen dem Staate und den Bischöfe» nur durch die Entscheidung des apostolische» Stuhles geschlichtet werden könne. Und einem solchen unverschämten V-rlangen gegenüber hat man eine Weile auf Nachgiebigkeit der wldcrhaarigen Bischöfe gehofft! Mut-lweile häufen sich die Geldstrafe», welche der Posener Erzbischof verwirkt, zu einer sehr «.kirchlichen Summe. — Di« neusten Zeitungen bringen die Rachricht, daß die italienischen und deutschen Diplomaten eifrig daran ar beiten, den Deutschen Kaiser dahin zu veimögen, daß er im nächsten Monat Ociobcr eine Reise nach — Nom unternehme, um am Hofe Victor Emanuels «im» Gegenbesuch zu machen. Victor Emanuel ist am 17. September glücklich in Wien ringet!off n. Der Empfang Seiten des Kaisers und der kaiserl. Familie war ei» äußerst herzlicher, aber auch die Begrüßung der Bevölkerung von Wien ließ nicht.' zu wünsche» übrig. Man ehu in Wnn in Victor Emanuel nicht nur den Gast deö kaiserlich:« Hofes, sondern auch den Gegner deö —' Vatikans und der finstern Ultramouanm. Freilich, die Ultramontanen in Wien und im Kaiser,laat sind außer sich, über den warmen und theilweise begeisterten Empfang, der dem König von Italien in Wien zu thul geworden ist. — Recht traurig ficht S in Ungarn aus. Im Laufe dieses SommerS sind in Ungarn über 104,000 Mersch.» von der Cholera hmgerafft worden, und jetzt, wo sich die Wüte, dec bösen Cholera bedeuund gemindert hat, treten andere bösartige Krank heiten auf. Aber nun pocht auch bereits ein anderer furchtbarer Feind der M-nschheit an die Pforten Ungarns, eine allgemeine — Hungerönoth, denn wegen der großen Hitze und anhaltenden Dürre im verflossenen Sommer (achtig volle Tage hat «S tn sehr vielen Gegenden keinen Tropfen geregnet!) hat das sonst so reiche Ungar» eine vollständige Mißernte gehabt. Hülfe schreibt man dem „Pesti Raplo", kann nur der Reichstag bieten im Wege eines großen Dar- lchens. Und zwar müßten auch die Besitzer kleiner Grundstücke von einigen Joch dieser Hilfe theilhaftig werden, denn wenn diese ihr Befitzchum verkaufe» sollten, so kommen fie a» den Bettelstab. UebrigcnS haben die Felder ihre» Werth in Folge dcS Geldmangels fast ganz verloren; i» K.S Dezfiva wurden 13 Joch (ein Joch — 2j preußische Morgen) Ackerfeld eisten Ranges und ein Grund im Orte sür 71 fl. 1 kr., in Sz.-KöveSd 56 Joch guten Feldes um 106 fl. versteigert. BtS zum Zusammentritte deö Reichstages sollten wenigstens die Steuercrekutionen, die das Volk deS letzten Kissens berauben, ststirt werden. Der Obergespan des grnanntcn KomltateS hat bereits diesbezüglich bet dem ungarischen Minister Schutte gechan, aber ohne Erfolg!! In Frankreich liegen sich die edlen Seelen, die am 24. Mai den um Frankreich so hoch verdienten Thiers in so unnodler und schändlicher Weise bei Sei:« geschoben haben, einander arg rn dea Hamen. Die Gewalt an sich- zu reißen und hinter den Couliffen Kabalen zu schmieden, dazu hatten die selbst, süchtigen H uler Glück und Geschick; aber Frankreich auf den Bahnen der Ord nung und der Freiheit weirer zu führen, dazu fehlen ihnen sowohl Berständniß als Geschick. Die Harmonie des Ministeriums, bekanntlich zusamm-ngesetzt au» Legitimisten und Bonapartisten, ist in die vollständigste Disharmonie übergegangen. Jeder der heuchlerischen Kabalenfabrtkanten heult aus einer andern Tonart. Die Bonapartisten wissen nunmehr, daß sie von den reactionären Legitimisten gründ lich über den Löffel barbiert sind und zeigen den Legitimisten wüthend die Zähne, während die Legitimisten bereits klar erkennen, (wenn sie eS auch nicht öffentlich zugestehen,» daß fie mit ihrem starrköpfigen, urreactionären Chambord schließlich einen gewaltigen Sch ffbruch erleiden werden. Festgefahren Haden sie sich längst, und der allgemeine Widerwille der französischen Nation gegen den Grasen Cham bord ist ja in ganz Europa bekannt. In Spanien scheinen sich die Dinge wirklich entschieden zum Bessern zu neigen, und Castelar setzt seine ganze Manneskraft ein, um endlich wenigsten- einige Ordnung zu schaffe». England, die große Welt- und Seemacht, hat nach den neuesten Nach richten einmal alle Hände voll mit sich selbst zu thun und eS gewinnt ganz den Anschein, als wäre der einst so hell glänzende Stern Englands im r ischen Rie dersinken begriffen. So ist jetzt England in einen Krieg mit den Aschanti'S, einem wilden Volksstamm an dec westasrikanischen Goldküste verwickelt uns hat gleich zum Anfang einige tüchtige Schlappen bekommen, so daß über Hals und Kopf nur Regimenter dahm abgeschickt werden müssen. Aber auch in Indien erwachsen England ernste Sorge». Die Zwiste zwischen den massenhaften kleinen Landpäch tern und ihren habsüchtigen Grundherren, sowie manche aus dem Besteuerungs system Heranwachsende Schwierigkeiten sind im Steigen begriff«. Auch rege» sich mehrere fanatisch: Serien in feindseliger Weise. Nach einem TimeS-Tele- gramm ist eS mit einer derselben, den aufständischen Moßla-Fanatikern, zu einem blutigen Scharmützel gekommen, bei welch:m es Todte und Verwundete gegeben hat. Deutfchlemst. Be rlin, 20. September. Die „Spen. Ztg." thrilt mit, daß die landesherrliche: Anerkennung Reinkens all katholischer Bischof erfolgte. Die königliche Anerken nungsurkunde wird ihm unmittelbar nach dec Vereidigung eingehändigt werven. Berlin. Ueber die Absichten der Regierung, bezüglich des Gesetzes über die Civilehe schreibt man der „Boss. Ztg.": In Kreisen, die mit dem ReichS- kanzlcramte Fühlung haben, bezeichnet man als eine der Hauptvorlagen, womit der Reichstag sich in sei er nächsten Session zu beschäftigen haben wirs, eine« die Einführung der Cwilehr betreffenden Gesetzentwurf. Der Reichs kahler so wohl als der CulmSminister sollen sich direkt hierfür ausgesprochen habe^, wäh rend von beide» Staatsmännern eine Garantie für die Sanktion des Kaisers, der bekanntlich aus religiöse« Bwenk.n nicht für ein obligatorisches Cwilehe- gefttz ist, nicht gegeben werden konnte. Man befücchiet übrigens, daß o>- Mehr zahl der Vertreter der Bundesregierungen einem Gesetzentwürfe, betreff nd die Einführung der obligatorisch » Civilehe ihre Zustimmung nicht geben würde. Doch hofft man, daß die Preußisch: Regierung, obgleich sie der Einführung der obligatorischen Civilehe auf dem Wege der Landes,;csetz ;eSuug den Vorzug gebe, allen ihren Einfluß geltend machen würde, eine solche Vorlage im BunseSrathe durchzabringen. Die Einführung der Civilehe — argumentirt man — ergebe sich aber als eine Folge der von der Preußischen Regierung in kirchlich-politischer Hinsicht getroffenen Anordnungen ganz von selbst, so daß ihre Nicheeinführung sogar die Bedeutung d-S RückgängigmachenS solcher Anordnungen hält-:. Es liege auf der Hans, daß bei der gegenwärtigen Lage der Gesetzgebung, wo in dem weitaus größten Theile deS Preußischen Staates die Geistlichen als Civtl- standSb-amre fungiren uns die Kirchenbücher mit öffentlichem Glauben führe», die in nächster Zeit unzweifelhaft eintretende Verfügung der Amtssperre über die Bischöfe eine tiefgreifende Verwirrung in die CivilstandSangrlegenheiten bringen müsse. Kassel, 20. Sept. Die „Hessischen Blätter" mclden, daß die Hessische« Agnaten definitiv von Preußen abgefunden seien. Der Prinz Friedrich habe die Annectio» anerkannt, auf seine politisch.» Rechte und Vas HauSvermöge« verzichtet und sich nur d.e Schlösser Fulda, Han^u, Wckh lmödas und Philipps - ruhe, sowie einen Theil deS Mobiliars Vorbehalten. Die Preußisch Regierung habe sich dagegen zur Zahlung einer jährlichen Apanage von 202,000 Thalern nach dem Tode des Kurfürsten verpflichtet. Dem Landgrafen von Hessen-Phi- lippSthal sei der Beitritt zu der Vereinbarung gegen eine Jahresrents von 36,000 Thlr. offen gelassen. — Derselben Quell: zufolge sind die von dem Konsistorium den renitenten Geistlichen auferlegten Geldstrafen von kunem der selben entrechtet wor.sn und ist deshalb gegen die M.tropolitane Bümar und Hoffmann, sowie gegen die Pfarrer Bohne, Schember, Witzel, Saul, Dietrich und Schilling die Beitreibung dcS Betrages im Wege der Er cuttos verfügt worden. Achnlich wie früher die b richtigten ZinS-Coupons der Märkisch-Posener Eisenbahn, welche »ich: eingelöst werden, ciccultten gegenwärtig Divideiw.nscheine der gar nicht zur Vollendung gelangten Breslau Warschauer Bahn, die cinm Nennwert!» von 10 Thlrn. haben sollen. Das Papier ist aber ganz w rthloS, und wir unterlassen deshalb nicht, unsere Leser vor der Annahme d.Sselben. Oesterreich. Wien. ES ist, als beginne die Anwesenheit des KömgS von Italien in Wien bereits ihr: Wirkung allerorts zu üben und zwar eine beruhigende Wirkung. Wo wir auch Hinsehen und hinhören mögen, mir begegnen dem ein stimmigen Urtheil, daß dieser Gang Viktor'S gen Norden eine der stärksten Frie- dcnöbürgschaften ist, welche die europäischen Fürsten und Völker haben erlangen können. Nur im Lager der Klerikalen lind der Legitimisten ist Trauer und tiefer Schmerz, aber dort tröstet man sich damit, daß nur in unserer Z:it der Wunder ein solch unglaubliches, nahezu unmögliches Ereigniß, wie die An kunft deS Königs von Italien in Wie», hat zur Wahrheit werden könne». Bon diesem Wundcrzeichcn ist mit um so größerer Befriedigung Act zu neh men, al» eS dem Vergessen, der Versöhnung seine Dienste leiht. Und welche TrosteSworte werde» st- den Trauernden spenden, wenn sich das Gerücht, wel che- auch heute namentlich tn Rom allgemein verbreitet iss, verwirklichen, wenn Kaiser Wilhelm sich nach Italien begeben und wenn der Helbenzreiö von dem italienischen Volke herzlich warm empfangen würde. Oesterreichs vielgeprüfter Kaiser zeigt, daß auf ihn der Ausspruch keine Anwendung findet, er habe nichts gelernt und nichts vergessen. Kaiser Fran, Josef steht als Repräsentant einer neuen Aera da, gerade wie Victor Emanuel und Kaiser Wilhelm auch; und sie stehen einem gemeinsamen Feinde, dem KlerikaliümuS gegenüber. Ge meinsam ist dieser Feind, denn e» geht Deutschland u .s Italien gar viel an, wenn, um uns der Worte der „Dany News" zu bediene», in Fiankretch vt-