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Tagesgeschichte. Zur gegenwärtigen Lage und Stimmung in Oesterreich. Daß Lfsterretch seit einigen Moraten langsam wieder in reaktionäre Bah nen einlenkt, d. h. den Ultramontanrn und der Jesuitenpartei wieder größeren Einfluß gestattet als vor Jahresfrist, ist nicht zu verkennen. Der Unterricht-- Minister v. Stremayr machte vor Monaten die ersten Versuche, um zu prüfen, wie eine rückläufige Bewegung auf die öffentliche Meinung einwtrken und von ihr ausgenommen werden würde. Er führte die obligaten ReligionSübungen in den Schulen wieder ei» und befahl den Lehrern denselben wieder, wie früher, beizuwohne». Diese Verordnung wurde von der freisinnigen Parket höhst miß fällig ausgenommen. «IS aber ein Schulinspector offen auftrat und nachwieS, daß diese Anordnung des UnterrichtSministerS gegen da- Schulgesetz verstoße, so wurde dieser Schulinspector gemaßregelt und, wenn wir nicht irren, vom Amte su-pendirt. Durch dies« Maßregelung steigerte sich aber da- Mißfallen der freifi»»tgen Partei zu einem Sturm de-Unwillen- gegen den Unterricht-Minister, die unabhängigen Blätter sprachen sich Wochen hindurch ganz entschieden und kräftig gegen da- Gebühren de- Minister- v. Gtremayer au- und nur dem Ein greifen deS Ministers des Innern gelang eS, seinen allzuhitzigen College« im Unterrichtsministerium zur Einstellung seiner Maßregelungen gegen jede freie M-tnung-Lußerung liberaler Schulmänner und Lehrerau-schüffe zu bewegen. Doch die obligaten ReligionSübungen in den Schulen und die gezwungene Theil - nähme der Lehrer an denselben blieben bestehen; der Unterricht-Minister war nicht zu bewegen, diese Anordnung wieder zurück zu nehmen. Die ganze freifinnige Partei lebt abr der festen Ueberzeugung, daß der Kardinal und Erzbischof Rauscher, der seit einigen Monaten wieder einen sehr mächtigen Einfluß nach oben,, gewonnen hat, Urheber dieser Maßregel war, und daß der Erzbischof seit längerer Zeit schon alles aufbiete, damit die Volksschule wieder ganz der Kirche überliefert werde. Außerdem tritt seit Monaten der ganze höhere Klerus in Oesterreich wie der wert kecker, unbeugsamer und intoleranter auf, wie vor ein und zwei Jah ren, und Kardinal Rauscher scheint der Führer zu sein. So läßt er in seinem Letborgan, dem Wiener „Volksfreund" gegen Preußen aus Anlaß deS dortigen KirchenconflicteS die herausforderndste Sprache führen, läßt von einem „prote stantischen Papste in Berlin" sprechen :c. rc. Besonders aber macht eö in den verfassungöfreundlichen und fortschrittlichen Kreisen einm sehr unangenehmen Eindruck und stimmt wirklich bitter, daß die Regierung so gar lange mit dem Auflösungsdekret des alten ReichSratheS und dem Wahlausschreiben für den ReichSrath zurückhält, da diese Verzögerung nur der klerikalen Partei zugut kommt, die für die neuen Wahlen in außerordent licher Weise thätig ist. Wenn die Regierung dadurch die ungünstige Wirkung der Stremayr'schen Erlasse auf die ReichStagöwahlen etwas abzuschwächen hofft, so wird sich diese Berechnung als falsch erweisen, da gerade bei der jetzigen Polin,chm und finanziellen Dürre die Mißstimmung darüber täglich wächst, auch durch die Lehrer wach erhalt » wird, welche namentlich in Wien und Deutsch-Böhmen in ihrem Kampfe gegen die klerikale Bevormundung eine immer größere Energie entfallen. Während aber die leitenden Schulmänner in Wien sich zu diesem Behme mit den Radikalen verbündet und dadurch ihre Sache gefährdet haben, hat man m Deutsch-Böhmen den bessern und sichern Weg eingeschlagen, die religiöse Frage so ernst und würdig ass möglich zu behandeln, statt für ,,kon- fcsfionslose Schulen" nur für ehrliche „konfessionelle Simultanschulen" einzu« treten, und hat damit die Sympathien der Majorität der Bevölkerung gewonnen. Noch darf nicht unerwähnt bleiben, daß von den Ultramontanen alles auf geboten wird, alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um möglichst viel Abge ordnete ihrer Farbe und Partei in den neuen ReichSrath zu bringen. Und daß die Regterung mit Ausschreiben der Wahlen, wie schon oben erwähnt, so lange zögert, gilt eben der fortschrittlichen Partei als sicheres Zeichen, Laß wirklich eine reaktionäre Strömung vorherrscht. Man meint, die Regierung will durch dieses Hinausschieben der Neuwahlen den Ultramontanen mehr Zut zu ihren Agitationen gönnen. Bon dem Ergebniß der Neuwahlen zum ReichSrath hängt eS übrigens ab, ob die jetzige reaktionäre Strömung in eine förmliche ReactionSperiode Umschlä gen, oder ob die reaktionäre Strömung wieder zurückgestaut und die FortschrittS- Miei dennoch den Sieg behalten wird. Fallen die Neuwahlen für die V.r- fassüngSpartei günstig aus, so kann wieder alles gut werden. Erlangen aber im neuen ReichSrath die Ultramomanen du ch den Zutritt der Tschechen die Majoruät, dann dürfte auch der Herzenswunsch beider Parteien erfüllt und die Verfassung auf verfassungsmäßigen Weg — beseitigt werden. Die Tschechen wollen nämlich erst zuwarten, w.lcheS Ergebniß die Neuwahlen liefern werden. Neigt sich das Zünglein auf Seite der Ultramontanen, so wollen die Tschechen endlich den ReichSrath beschicken, siegt die Fortschrittspartei, so wollen sie auch diese- Mal wieder sich vom ReichSrath fern halten. Bemerken müsse» wir aber zum Schluß noch, daß der einzige und wahre Grund, weshalb sich die Ultramontanen und die Jesuitenpartei seit Monaten in Oesterreich wieder so mächtig rühren und so kräftig nach rückwärts drängen, sicher nur darin zu suchen ist, daß in'Frankreich die Jesuitenpartei seit den 24. Mai leider Golt! vollständig oben auf ist. Dadurch ist auch den Ultramonta nen in Oesterreich der Muth wieder mächtig gewachsen, um so mehr, da sie, was mit voller Gewißheit anzunehmen ist, von Frankreich aus möglichst ange feuert und aufgemuntert werden. Daß aber die Ultramontanen und Jesuiten große, große ZukunflSpläne schmieden, das ist sicher. Zur Ausführung werden aber diese finstern Pläne zum Glück der Menschheit hoffentllch doch nicht kommen. Deutschland. Berlin, 1. Sept. Fürst BiSmarck ist gestern Abends hier angelangt l er ist unpäßlich und war deshalb heute bei de: Grundsteinlegung zum neuen Cadettenhause nicht anwesend. Berlin, 2. Sept. Die heutige Festfeier wurde bei wahrem Kaiserwetter Morgens um 8 Uhr durch das Blasen deS Chorals „Allein Golt in der Höhe sei Ehr'!" von der Kuppel deS königlichen Schlosses eröffnet. Die Stadt ist mit Bannern und Fahnen festlich geschmückt. Die Straßen und Plätze vom Schlosse bis zum KöntgSplatze find von dichtgedrängten Menschenmaffen besetzt. Die Truppe» des GardekorpS und Deputationen einzelner Armeecorps rückten von 8; Uhr an mit klingendem Spiele nach dem Königsplatze. Eben um 10; Uhr begibt stch der Kaiser, umgeben von dem Kronprinzen, sämmtlichen Prinzen des königlichen Hause- und fremden Fürstlichkeiten, gefolgt von de» General- keldmarschällen, sämmtlichen csmmandirenden Generalen und der übrigen, nicht in Front stehenden Generalität, unter den Jubelrufen der Bevölkerung zu Pferd« nach de« Königsplatze. Die Kaiserin, die Königin Wittw-, di« Kronprinrefsin und die übrigen Prinzesstnnm deS königlichen Haust- mit ihre» Hofstaaten folge« die Linden entlang in feierlicher Auffahrt. Schlag 10 Uhr rückte da- GardecorpS auf die östliche undw-stliche Seite deS KönigSplatzcS und stellte stch dort in je drei Treffen auf. Die Artillerie war batterienweise durch die FrtedenSallee bis zum Brandenburger Thor aufpostkrt. Die Armeedeputationen, an deren Spitze bei der Feier selbst stch die co««an- birendcn Generale stellten, waren rechts und links zwischen dem Kais r-Pavillon und dem GiegeSdenkmal ausgestellt. In der Mitte befand stch das Podium für den Domchor und die Geistlichkeit. Der Kaiser, mit militärischen Ehren und Hurrahrufen empfangen, nah« im Pavillon Platz. Die Tambours schlugen, die Trompeter bliese» zum Gebet: der Domchor sang zwei Verse eines Kirchenliedes. Feldpropst Thielen hielt die Weiherede und schloß mit einem Gebet, worauf die Tambour- abschlugm und die Trompeter abbüesen. Der Minister-Präsident Graf v. Roo» erbat und der Kaiser ertheilte de« Befehl zur Enthüllung. Die Hülle fiel und alle Mustkchöre intonirten die preußische Volkshymne. Die Artillerie löste 101 Schüsse und all.- Glocke« läuteten; der Domchor schloß die Feier mit z vei Versen des Liedes „Nu« danket Alle Gott". Der Kaiser durchschritt mit dem Kronprinzen, den Prinzen, Fürsten, Ge neral-Feldmarschälle», commandirenden Generalen und glänzender Suite die aus gestellten Treffe», »ahm dann in der SiegeS-Allee die Parade sämmtlicher Trup pen ab. Der Kronprinz, Prinz Friedrich Karl, Wrangel, Moltke und Roon führte» ihre Feldmarschallstäbe. Die Prinzen Wilhelm und Heinrich traten nach dem Schluffe der Feier in ihre Stelle im ersten Garde-Regiment ein. Fürst BiSmarck war in dem Gefolge deS Kaisers. Der Kaiser wurde überall von stürmischen Zurufen begrüßt. Bischof Kött von Fulda ist bei Herm Ekrejschowsky in die Schule ge gangen. Um der Gefahr zu entgehen, daß ihm die von gerichtSweaen zuerkannte Geldstrafe gepfändet werde, hat er über seine Habe verfügt. Würdig ist die Manipulation des Kirchenfürsten gerade nicht. Herr Kött wird also, um den Schein dcö Märtyrerthumö zu erlangen, die 400 Thaler drei Monate lang absttzen. Oesterreich. Wien, 1. September. Die Hierhrrkunft deS Königs Victor Emanuel steht heute wol außer Zweifel. Der „Volksfreund" zeigt stch dem ihm unlieb same Ereignisse gegenüber rcstgnirt. Asien kindischen Trotz beiseite lassend, spricht er von dem künftigen Gaste unseres Hofes als von dem „König« von Italien". Das „Vaterland" schimpft und droht ohnmächtig. Der Pester Lloyd gibt zu der Reise folg nden öfficiöse» Kommentar: „Dem Besuche des König- von Italien in Wien wird, wie uns mitgetheilt wird, in diplomatischen Kreisen mit großer Spannung entgegengesehen. Je deutlicher die ultramontane Richtuna der französischen Poluik zu Tage tritt, desto größeres Gewicht legt man auf die Befestigung der guten Beziehungen zwischen Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Italien, und man erblickt in dem Besuche, den der König von Italien in Berlin und Wien abstatten wird, eine werthvolls Garantie für die ungetrübte Aufrechterhaltung dieser Beziehungen." FranSeeich. Paris, 31. August. Der öfficiöse Franeais enthält folgende wichtige Erklärung: Die Times kündigt an, daß „die konservative monarchische Partei die Ab sicht hat, aus ihrer Mitte einen Ausschuß zu wählen, uin die von der Regierung niedergelegtcn konstitutionellen Gesetz ntwürfe zu prüfen und sie mit den Ansich ten der conftivatioen Partei in Einklang zu bringen. DaS R sultat dieser Prü fung wird den Mitgliedern der Majorität bei der Rückkehr der Kammer vorge legt werden, damit sie im Stande sind, in ihren Privat-Versammlungen und eh: sie in öffentlicher Sitzung vorkommen, über diese Entwürfe zu discatiren". Die Mittheilungen der Times sind in der Hauptsache richtig. Die politischen Männer, welche in der Versammlung das Vertrauen ihrer Kollegen besitzen und so zu sagen die Oberleitung der konservativen parlamentarischen Partei in der Hand haben, sind entschlossen, das Verhalten festzustellen, welches die Deputaten dieser 'Partei zu beobachten haben, wenn nach den Ferien die konstitutionellen Gesetzentwürfe zur Sprache kommen. Man fühlt die ganze Wichtigkeit einer solchen DiScussion und will, daß alle Gruppen der konservativen Partei stch im voraus verständigt und asie nothwendigen Erklärungen ausgewechselt habe». Und so wird die Frage Betreffs der RegisrungSfo m in voller Eintracht gelöst werden können. Aber wenn einerseits die politische» Führer der konservativen Partei schon jetzt entschloss n sind, auf diese Weise vorzugehen, so sind sie ande rerseits der Ansicht, daß cS für die DiScussion dieser Probleme, die voa einem Augenblick zum andern eine andere Gestalt annehmen können, zu früh ist. Wenn nicht Ereignisse eintreten, die heute vorauszusehen unmöglich ist, so werden die DiScussionen, von welchen die Times spricht, erst in ven letzten Wochen der Ferien Statt finden. Diese Note beweist, daß die Nachricht n vollständig begrün det sind, d-nen zufolge die Fusion bis jetzt nur geringe Fortschritte macht und ein großer Theil der Royalisten nicht waghalsig genug ist, um stch an der Wie derherstellung der alten Monarchie zu betheiligen. Die Stimmung in der Pro vinz wird tagtäglich erbitterter, und die Bevollmächtigten lassen stch keineswegs - durch das gewaltsame Auftreten der Behörden einschüchtern. Am 29. gab in Bordeaux der Generalrath zu Ehren der republikanischen Deputation und Jour nalisten einen „Punsch". Aus den bei dieser Gelegenheit gepflogenen Gesprächen ging hervor, so theilt die „Gironde" mit, 1) daß alle Schattirungm der demo kratischen Meinung ihre Zwistigkeiten vergessen haben, um fest und unaufhörlich zusammen zu halten; 2) daß alle Theil- deS Gironde-DepartementS entschlossen sind, energisch und in Masse für das allgemeine Stimmrecht einzutreten, durch Niemanden die National-Souverainetät usurpiren zu lassen und die bestehenden republikanischen Institutionen aufrecht zu erhalten, und 3) daß der Plan der Royalisten, die legitime Monarchie wieder herzustellen, auf dem Lande sowohl wie in den Städten auf allgemeinen Widerwillen stößt. Die Stimmung in dm übrigen Departements ist ungefähr die nämliche, wie in der Gironde, und man muß stch auch, wenn erst einmal die Räumung eine vollendete Thatsache ist, auf großartige Kundgebungen gegen die royalistischen Plane gefaßt machen. Diesel ben werd«» theilweise die Form von Adressen an Mac Mahon erhalten, in wel chen man ihm sagen wird, daß das Land auf sein Ehrenwort rechnet, um die bestehende» Institutionen aufrecht zu erhalten und das Land vor der Rückk-Hr zur feudalen Monarchie zu bewahren. Paris, 2. September. Ein hervorragendes Mitglied deS Ministerium- soll in einer Peivaiunterredung geäußert haben, daß im Schooße deS Ministeri um- we>zig Hoffnung auf die Restauration Heinrich'- V, vorhanden wäre, da