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722 TageSgefchichte. Dle Börfenkrifis »end die Höhe des Arbeitslohns. Die Eocialisten werden bekanntlich nicht müde, daS „herzlose, räuberische und schmarotzernde" Capital als die Ursache aller socialen Gebrechen und der Verderbniß der Welt zu denunciren. Mit dem Wachsen der CapitalSmacht, so declamiren ste unaufhörlich, wüchse nur die Aussaugung der Arbeit, derZukanstS- staat müsse hie Lohnlclaveret und die Fesseln der faullenzenden CapitalSmacht brechen, denn nur durch die Ausrottung derselben würde der Ausbeutung der besitzlosen Klaffe ein Ende gemacht. DaS Capital sei einmal und bleibe der Hauptfeind des ArbeiterthumS. Sehen wir uns einmal die Vorgänge näher an, dle wir seit etwa Jahres frist auf dem wlrthschaftltchen Gebiete durchlebt haben, uns wir werden zuge stehen müssen, daß die Lehre von dem „sohlledern-n und kieselherzigrn" Erbfeinde der Arbeiter eine leere Phantasie ist und mit der Wirklichkeit in directestemWider- spruche sich befindet. ' Nach Beendigung des französischen Krieges und nicht wenig begünstigt durch die Aussicht auf die französischen Milliarden, HUte sich der EpeculationS- getst bei uns in einem Grade entfaltet, wie man dies früher kau« beobachtet hatte. Da» Capital entwickelte eine erstaunliche Regsamkeit. In alle« Zweigen deS Handels und der Industrie wurden neue Unternchnungen begonnen, alte wurden erweitert, kombinirt oser in genossnschaftlich: Formen umgewandelt. Man baute Eisenbahnen, Seehäfen, Pferdebahnen, Fabriken, man legte neue Straßen, ganze Stadttheile, Villencoloaien u. dgl. an. ES wurden allein so viel Eisen- bahn-Concesstonen verliehen, daß alle Maschinen- und Wazenbau-Anstalten Deutschlands nicht im Stande gewesen wä--en, innerhild zehn Jahren den er forderlichen Bedarf an Betriebs-Material fertig zu stellen. Tagtäglich wurden neue Aktien-Gesellschaften errichtet, in den Zeitungen nahmen die Prospekte und Gründungs-Anzeigen kein Ende, die Kapitalisten schwammen ir Seligkeit und ihr Einfluß schien stündlich zu wachsen. Wie sah eS nun inzwischen mit dem Arbeitslohn aus? Nach der Theorie der Eocialisten mußte derselbe heruntergehen, und die Lage der Arbeiter sich verschlimmern,' denn die Ausbeutung der Letzteren mußte ja progressiv zun.hmen mit dem Anwachsen deS Kapitals und seiner Macht. In Wirklichkeit ist jedoch das Gegentheil eingetreten. Die Arbeitslöhne -gingen rapide in die Höh-, ste stiegen- im Laufe eines einzigen JahreS fast um daS Doppelte ihres früheren Standes, und die Lage der arbeitenden Klassen hat sich ganz wesentlich verbessert. Die Nachfrage nach Arbeitskräften dehnte sich immer mehr und mehr aus und überholte um ein Bedeutendes das Angebot. Und nicht bloß der Lohn stieg ohne Unterlaß, sondern auch die Arbeitszeit ver minderte sich und die Ansprüche der Arbeitnehmer vermehrten sich derartig, daß nunmehr die Arbeitgeber nicht aushörten, über die Tyrannei der Arbeit eben so laute Klagen zu erheben, als dies vorher Seitens der Eocialisten i» Bezug auf die.Tyrannei deS Kapitals geschehen war. Da kam der große Börsenkrach und richt te gewaltige Verheerungen an in den Reihen deS „sohlledernen" Kapitals. Die Course schrumpften zusammen wie Caoatschouc und täglich gingen Millionen verloren. Die Macht deö Kapitals war lendenlahm geworden, und selbst die obersten Börsenmatadore ließen die Flügel häagm. Mit den Gründungen war es vorbei, und man verlor in wenigen Tagen mehrmals man vorher in Wochen gewonnen hatte. Von der Börse, die nun einmal, so b.klagenSwerih eS auch sein mag, in dem wirthschaftlichen Organismus der Magen ist, von wo auö den Kanälen deS Handels und der Industrie die ernährenden Säfte zugeführt werden — von der Börse übertrug sich die Flauheit und CirculatjonSstockung auf die gejammte Handels- und CapitalSwelt. Die Production wurde eingeschränkt, daS Vr- tiauen war erschüttert und der SpeculatwnSgeist gebrech-n. Nach der Lehre der Eocialisten hätte j tzt daS goldene Zeitalter für die Arbeiter beginnen müssen. Allein statt dessen hat sich ihre Situation verschlimn-rt. In wenigen Wochen trat ci» Lohnrückschlag von 25 bis 30 Pkt. ein, und trotz aller Agitationen, trotz der Strik-freiheit mußte ein Theil der vortheilhaften Positionen, die sich die Arbeit r mühsam erkämpft hatten, nach und nach wieder geräumt werden. Wir constatiren dies ru ht etwa aus Schadenfreude, undv.rmözm uns nicht für daö Gründerthum zu begeistern. Wir sind von j.h r für einen auskömm lich n Erwerb der Arbeiter e ngetrekn und w:rden dieö auch in Zukunft «Hun. DaS Gedeih.n der Gesammlheu und die Entwickelung der Kultur sind dadurch bedingt, daß die Arbeit r, die einen so erheblichen Procentsatz der Bevölkerung bilden, einen ausreichenden Unterhalt firden. Wir haben vielmehr nur an der Hand unwiderleglicher Thatsachen zeigen wollen, daß dis Stichwörter d-rSocia- kisten nichts find als hohle Phrasen, und daß Capital und Arbeit — weit ent fernt, Erbfeinds zu sein — im beiderseitigen Interesse auf ihre gegenseitige Freundschaft angewiesen find. Deutschland. Stuttgart, 2. August. Dem „Staa.'Sanz. f. Württemberg" wird aus Rosenfeld" 3 t. Juli, folgender Unglücksfall mitgetheilt: „ES war uns auf heute die Besatzung der Burg Hohenzollern, 112 Mann stark, die in ihre Gar nison Freiburg zurückkehrte, tn Quartier angesagt, zu deren freundlichem Em pfange Alles bereit war, der aber ein trauriger werden sollte. Denn eine Vier telstunde von hier und noch in der Stadt wurden viele von der drückenden Hitze niedergeworfen. Einige erholten sich wieder, aber 8 erlagen." Der Bericht erstatter fügt hinzu: „Dem Commandtrenden kann kein Vorwurf gemacht wer den, da er nach einstimmigem Zeugniß der Soldaten ihnen den Marsch auf jede Weise zu erleichtern gesucht hat." Posen, 1. August. Die Börsenkatastrophe, die vor drei Monaten in Wien zum Ausbruch kam, hat durch ihre immer weiter greifenden Nachwirkungen, wie bekannt, auch de« Geldmarkt ti-.f erschütt rt. Die Verheerungen, die sie in der hiesigen Finanzwelt angerichtet hat, sind erst seit einigen Wochen in größerm Umfange hervorgctreten und weiden aller Voraussicht nach noch weitere Dimensi onen annehmen. Zwei größere polnische Bankgeschäfte, die sich vorzugsweise mit Börsenspekulationen beschäftigt hatten, sind ihrer Speculationöwutb bereits zum Opfer gefallen. Zwei andere Bankgeschäfte von noch größerm Umfange, von denen das eins auf Aetien gegründet ist, sind in der Liquidation begriffen. Auch sie hatten beide der Börsenspekulation sich hinaegeben, und nicht bloS ihre Thetlnehmer, resp. Direktoren und AufsichtSräth-, sondern auch Hunderte von Privatpersonen, die sich durch Actimzeichnuna oder Deposita betheillgt hatten, haben ihr V rmögen ganz oder zum großen Theile verloren. Zu den AufstchtS- räthm der dem Konkurs verfallenen Aktienbank gehören mehrere unsrer reichsten Kaufleute und Kapitalisten, die den Verlust ihres ganzm Vermögens zu bekla gen haben. Einer dieser unglücklichen Spekulanten, der fein mühsam erworbene» Vermögen von 200,000 Thlr. einaebüßt hat, ist vom Wahnsinn rrfaßt worden und befindet sich in drr Jrrenanstallt. Weit zahlreicher sind die Bankrotte kauf männischer Firmrn und einzelner Privatpersonen, welche der Börsenspekulation hier zum Opf-r gefallen find. Von jüdischen Kapitalisten allein sinn mindesten» 150 finanziell rmmrt. Viele davon beabsichtigen, nach Amerika auSzuwandern. Von christliche« Kapitalisten kenne ich selbst mehrere, die ei« Vermögen von 50,000—100,000 Thlr. besaßen und heute am Bettelstäbe sind. Frankreich. Paris, 1. August. In Epinal, das von de» deutschen Truppe» a« Dienstag geräumt worden ist, herrschte seitdem große Erregung. Di- Behörde» suchten nämlich auf alle mögliche Weife die thierisiischen und republikanische« Demonstrationen zu verhindern. Besonder» groß war die Erregung gestern. E» Huß nämlich, daß ein Jäger-Bataillon eintreffen würde, und die ganze Stadt strömte nach dem Eisenbahnhof, um die Truppen zu empfangen. Die Männer trugen Fahnen, die Frauen und Mädchen Blumensträuße, die sie den Soldaten über reichen wollten, und der Maire und die Gemeinderäths befanden sich unter der Menge. Als der Zug eintraf, befanden sich die Soldaten nicht da'in. Die Enttäuschung der Menge war groß. Der Maire gab nun, nm dieselbe zu be ruhigen, dw Musikbande de» Befehl, patriotisch.- Märsch: aufzuspielen. Der Präfekt wollte diese» nicht dulden; man hörte aber nicht auf ihu und die Menge durchzog, mit der Mustkbande an der Spitze, dis Straßen der Stadt. Die Er regung nahm zu, als man nun erfuhr, daß der Maire, welchen der Präfekt grob behandelt, weil er sich zur Eisenbahn begeben hatte, seine Entlassung ge fordert, und eS wäre wahrscheinlich zu tollen Scenen gekommen, wenn die Be hörde, die wohl eingesehm, daß sie zu weit gegangen, sich nicht dazu cnt 'chloffeir hätte, dsn Bewohnern zu wissen zu thun, daß die Truppen in der Nacht ankom men würden. Die halbe Stadt wartete nun an ver Eisenbahn, nn) als das Jäger-Bataillon endlich eintraf, wurde -S mit größt-r Begeisterung ausgenommen und dis HochS auf ThierS und die Republik wollten gar kein Enos nehme». Nicht so klug wie der Präfect in Epinal betrug sich der Unter-Präfect in Raon l'Etaps. Derselbe wollte schlechterdings keine Kundgebungen zu Gunsten von ThierS dulde« und machte selbst in Begleitung eines Gendarmerie-Osficier» die Runde durch den Ort. Die Sache wäre ihm aber beinahe sehr schlecht be kommen, denn alS er eine „Vive ThierS!" rufende Gruppe aus einander sprengen wollte, erhielt er eine tüchtige Tracht Prügel und der Gendarmerie-Osficier wurde zu Boden geworfen. In Toul herrschte gestern auch großer Jubei. Die Be hörden ließen dort die Leute frei gewähren. Gleich nach dem Abmarsch der Deutschen sandte man eine von 800 P-rson n unterzeichnete Avreffc an ThierS. Dieselbe lautet: „Toul, 31. Juli, 7 Uhr Morgens. Herr Deputirter l Wir würden undankbar sei», wenn wir Ihnen heute nicht sagen wollten, di- Stadt Toul ist frei; möge Ihr Patriotismus während langer Jahre noch den Eindruck unserer Dankbarkeit und unserer ganzen Ergebenheit empfangen." Paris, 4. August. Die „Correspondance universelle" bespricht die Be ziehungen Frankreichs zu Spanien. Der anscheinend officiöse Artikel hebt dle strenge Neutralität hervor, welche Frankreich sowohl gegenüber de» Carliste», als auch den südspanischen Insurgenten beobachtet und ferner beobachten werde. Dir Madrider Regierung sei von Frankreich nicht anerkannt; man unterhalte nur osficiöse Beziehungen und gute Nachbarschaft. Im Innern hätten vie Kon suln bei einem Angriffe oder einem Bombardement die französischen Landeöange- hörigen nach den Grundsätzen deS Völkerrechts zu schützen. Jnsurgentenschiffm gegenüber sei ein Einschreiten nur dann geboten, wen« außerhalb der spanischen Gewässer auf offener See ein Conflicr mit fronröstschen Handelsschiffen entstehe; Veranlassung dazu liege nicht vor. Diese Nichtinterventisnöpolttik harmonire mit der auswärtigen Politik Frankreichs überhaupt. Italien. In Italien plauderte der Papst etwas über einen Nachfolger aus. Er soll den Cardinal Caterini dazu ersehen haben. Caterini'S Beichtvater ist Pater Beck;, der Jesuitengeneral — mehr braucht man nicht zu wissen. Wohin der KatholiciSmuS steuert, ist ja leider nur zu ersichtlich uüd wird nirgend mit mehr Betrübniß empfunden, wie bei den wahrhaft üommen Katholiken, denen ihre Religion nicht jesuitisches Parteimanöver, sondern Herzenssache ist. Rom, 31. Juli. Der ehrwürdig: Einsiedler auf Caprera scheint von der Hitz: der HundStagr stark angegriffen zu sein. Körperlich mag sich der alte Herr vielleicht noch ganz wohl befinden, aber von seiner GemütHS- und Verstan- dcsverfassung li gn äußerst bedenkliche Symptome , in Form von zwei Briefen vor. Der eine ders lben ist an die Freunde aus der Opposition deS Parlaments, der zweite an den Busenfreund und Waffenbruder Vizzoni gerichtet. In beiden Sendschreiben weiden die alten unbewiesenen R d nSarten dcS General mit un geheuer viel Galle und Geifer aufgetischt. Etwas Neues erfahren wir daraus weder über Italien noch über den Briefsteller selbst, eS wäre denn das Eine, daß cö ihn, wie Jehova vor der Süwflut, reut, Italien gemacht zu haben, weil eS in gar so schlechte Hände gerath.-n ist. Indessen mag der edle General sich t'östen: so wichtig, wie er sich einbildet, -ist sein Antheil an d m großen Werke nicht. Er war daö Werkzeug in d.r Hand eines höheren Geistes, und schließlich wäre Italien auch ohne ihn fertig g worden. Indessen, ein bißchen Intelligenz steht einem menschlichen Werkzeuge durchaus nicht übel, namentlich auch etwas staatsmännischer Verstand einem solchen, daS sich in politischen An gelegenheiten hat brauchen lassen. Dem biederen General würde es demgemäß wohl zu Statten kommen, wmn er sich entschließen könnte — die Dinte zu halten. Spanien. Madrid, 2. August. In der heutigen Sitzung der Corteö wurde ein Gesetzentwurf über die Trennung der Kirch: vom Staat und eine Vorlage über die Requisition von Pferden t» dm baskische» Provinzen und dem Militairdi- strict von Burgos eingebracht. Die Regierung machte Mittheilung von mehreren ihr zugegangenen Telegrammen, wonach der „Vigilante" an Spant n zurückge- gebcn ist uns die Nachricht von dem Vorgehen der Commandtrenden der frem den Geschwader vor Malaga bestätigt wird. Die letzteren haben darnach nicht bloS das von de» Jnsurgent.nschiffen beabsichtigte Lombardem nt von Malaga verhindert und dieselben veranlaßt, sich nach Carthagma zurückzubegeben, sondern auch zur Sicherung der AuSfiihrung dieser Weisung Contreras > lö Geißel bi» nach geschehener Rückkehr der Jnsurgmtmschiffe zurückbehalt n. DaS Vorgehen der fremde» Kriegsschiffe und die Inhaftnahme von Contreras ist in Folge einer vorgängigen Verständigung unter dm Commandanten de» Deutschen, Englischen und französischen Geschwaders erfolgt. Während im Süden Spanten» der revolutionäre Krampf tn halb schreck- lichm, halb lächerlichen Zuckung«« fortdauert, krabbelt t« Nordm va» carltsit-