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5^6 Ti§gsÄgefchlchLe. von Uneinig en dem Präsidenten Deutschland. Berlin, 7. Juni. Der Schah von Persien hat sich bei seiner gestrigen Anwesenheit im Reichstage die hohe Bedeutung der Versammlung verdeutlichen lassen und, in ehrender Anerkennung des deutschen Parlaments, dem Präsidenten Simson das Großkrcuz des Sonnen- und Löwenordens verliehen. Nachdem der Schah den Reichstag verlassen, besuchte er die Fürstin Bismarck und ver abschiedete sich sodann bei dem Reichskanzler im auswärtigen Amte. Berlin, 6. Juni. Wie dem „Hamb. Corr." von hier geschrieben wird, werden die Regierungen Vorschlägen, das Staatenpapiergeld im Betrage von 69 Millionen Thalern zu ersetzen durch 40 Millionen Thaler Reichspapiergeld. Dieses letztere soll in AppointS von 5 Mark an und aufwärts auögegebe» wer den. Um denjenigen Staaten, welche durch Einziehung des partikulären Papier geldes ihre finanziellen Interessen m hervorragendem Maße beschädigt sehen wür den, den Uebergang zu erleichtern, soll die Betheiligung dieser Staaten (nament lich Baiernö und SachsenS) an den Vortheilen der Reichöpapiergeld-Emisston erst aümälich auf denjenigen Betrag reducirt werden, welcher ihnen nach ihrer Bevölkerungsziffer zukommt, während ihnen provisorisch kraecipn» nach demsel ben Princip gewährt werken, welches im Norddeutschen Bunde bei Unificirung der Post und des Wechselstempels befolgt wurde. Das Schlußresultat, welches allerdings erst nach einigen Jahren einlritt, wird demgemäß Preußens relativen Antheil an dem Benefiz aus der Papiergeldwirthschast wesentlich erhöhen. Selten wohl dürfte eineMsetzeSvorlage eine so allgemeine Entrüstung her vorgerufen Haden, wie jene, welche dem BundeSrathe seitens der preußischen Regierung über daö ReichSpreßgesetz unterbreitet worden ist. Und in der That könnte eö fast wie eine Verhöhnung erscheinen, wenn dem Reichstage, nachdem man dem Volke bereits den Mund im weiteste« Sinne des Wortes wässern ge macht hat, ein solches Elaborat zur Debatte gestellt würde. Von mancher Seite war man schon im hohe» Grade ungehalten über das, was in Bezug auf die Verschärfung der Verantwortlichkeit deS zeichnenden RedacteurS eines Blattes verlautet hatte; das ist inzwischen Kinderspiel im Vergleich mit dem Paragra phen 20, der Vie Presse der polizeilichen und staatSanwaltlichen Willkür in ei nem Maße preisgibt, wie sie in einem europäischen Staate unserer Zeit fast beispiellos dasteht, und wogegen das bisherige Preßgesetz in Preußen die Milde selbst ist. Kein Wunder also, daß die ganze preußische Presse, welcher Farbe sie immer angchören möge, über dieses drakonische Machwerk fast etnmüthig dm Stab bricht und meint, um diesen Preis seien die finanziellen Erleichterungen, welche der Entwurf gewährt, denn doch zu theuer erkauft. Wir denken indes sen, daß der BundcSrath selber der Ansicht sein wird, ein solches Preßgesetz nicht vor dem Reichstag bringen zu dürfen, und daß auch Fürst Bismarck, die Unmöglichkeit einer solchen Vorlage einsehend, seinen ganzen Einfluß aufbicten wird, den aus der Initiative deS Reichstags hervorgegangenen Entwurf zur Gel tung zu bringen. Solingen, 4. Juni. Von hier meldet «an zur Beurtheilung der dor tigen industriellen Zukunft die wenig erfreuliche Thatsache, daß der hohen Ar beitslöhne wegen die deutschen Stahlwaart» ihren Markt verlieren und eine Schließung der betreffenden Fabriken bevorsteht. Englische Häuser offeriren franco Dresden einen DutzendpreiS von 1 Thlr. 22 Sgr., während in Solingen und Wald die Arbeiter dafür 1 Thaler 26 Sgr. beziehen. Weimar, 7. Juni. In Folge eines gestern Abend niedergegangcnen Wolkenbruche hat auf der Thüringer Bahn bei HauSdorf (zwischen hier und .Apolda) eine Beschädigung des dortigen Hobe» Dammes stattgefunden. Der Betrieb auf der beschädigte» Strecke ist gehemmt und find Passagiere umzu- stetge» genöthigt. Magdeburg, 7. Juni, Vormittag- S Uhr 15 Minuten. Im DirectionS- gebäude der Magdeburg Leipziger Eisenbahn auf dem Fürstenwall, in welchem Artigkeit und natürlicher Anstand gebieten eS, in unserer heuigen Wochen- ,,schau den gekrönten Häuptern, Prinzen und hohen Herrschaften den Vortritt vor der Besprechung der wichtigsten politischen und mchtpolitischen Ereignissen der verflossenen Woche zu lassen. Wie stelS so sind nämlich auch in diesem Jahre Vie schönen Sommermonate diejenigen Monate, in welchen die hohen Häupter und Herrschaften groß- Ausflüge in die weite Welt machen, die Bäder besuchen oder einander Besuch- abstatten. Mit den „schönen Sommermonaten" ist eS aber freilich für dieses Jah: bis jetzt sehr mißlich, ja jämmerlich bestellt, denn wer am vorgen Sonntag d. 8. Juni nicht einen künstl. Heizapparat im Magen angelegt, oder die Stunden hinter dem warmen Ofen zugebracht hat, der konnte ganz getrost wieder zum Pelz- greifen. Hat Berlin am 8. Juni auch so eine niedrige Temperatur gehabt, wie wir im Erzgebirge (früh H5 Uhr -kaum 3 Grad Wärme!), so wird sich freilich der Schah von Persien, der am 31. Mai von Petersburg aus in Berlin eingctroffen ist, von dem europäischen Klima keinen sonderlich schmeichelhaften Begriff machen. Die StaatSkleider deS Schah sollen allerdings von den herrlichsten und seltensten Edelsteinen strotzen; allein seine Edelsteine werden ihn nicht vor d.m Eindruck der äußerst rauhen Witterung schützen. Die milde, ja heiße Lust Persienö wird der Schah jedcn- , falls sch: schmerzlich vermissen. Doch wird er auf ferner Reift an die europä ischen Höfe viel, shr viel sehen, wovon dem guten Mann in seinem Persien nichts geträumt hat. Hauptsächlich wird das Militärwesen, werden die Fcst- paraden großen Einbruch auf ihn gemacht haben, wenn er sonst em Militär freund und Militärvcrständiger ist. — Am 1. Juni traf der Kaiser von Ruß land mit seinem Großfürst-Thronsolgcr und dessen Gemahlin und dem Großfürst Wladimir in Wien ein. Der Kaiser von Oesterreich war den hohen Herr schaften eine Streck- entgegen gereist. Da aber der russische StaatSkanzler Fürst Gort schak off auch mit in Wien eingeiroffen ist, so vermuthen di- politischen Kannengießer, eS würden jetzt in Wien wichtige Verhandlungen wegen der „orientalischen Frage" stattfinden, ja man will bereits wissen, daß eS dabei auf Herstellung der vollen Souveränität der türkischen Vasallenstaat-» abgrsehm sein soll. Ob diesen Vermuthungcn etwas Wahres zu Grunde liegt, wissen wir natürlich nicht. Eine große H-crschau hat während der Anwesenheit deS russischen Kaisers in der Nähr von Wien stattgefundcn, und wurden dam 58 Bataillone, 18 EskadronS und 88 Geschütze bei und in Wien vereinigt. Der . Kaiser von Oesterreich führte persönlich das Kommando. Wenden wir uns nun von den gekrönten Häuptern zu den wichtigsten Vorgängen in unserm deutschen Mesche, so muß zuerst erwähnt werden, daß dis Todcö- müdigkeit und das Berlinsattsein bei den Mitgliedern deS deutschen Reichs tages immer mehr um sich greift. Sowohl am 4. als am 5. Juni war die Reichsversammlung nicht beschlußfähig. So waren bei Beginn der Sitzung am 4. Juni nicht ganz, sage und schreibe fünfzig (!!) Abgeordnete anwesend, und doch wurde unbeanstandet über daS KriegSleistungSgesctz abgestimmt, welches mit „großer Majorität" angenommen wurde, ebenso über daS Gesetz betreffend die Bezeichnung der Kauffahrteischiffe. Erst als man zur Abstimmung über taS Gesetz betreffs der Civilehe und der Civilstandöregister schreiten wollte, verlangte ein'Schwarz er, Herr Kettelcr (Paderborn), dre Auszählung, bei welcher sich, wie bekannt, trotzdem die Abgeordneten aus allen Ecken und Enden herbrtgc- rufen worden waren, eine Anwesenheit von 131 Mitgliedern, also 61 unter de. , beschlußfähigen Zahl ergab. Ganz ähnlich ging eS am folgenden Tag, d. 5. Juni. Nachdem man mit Dampf den Additional-Postvertrag mit Schweden in erster und zweiter Lesung angenommen und die Uebersicht über die ordent lichen Einnahmen und Ausgaben des deutschen Reiches i. I. 1872 in erster Berathung an die RechnungScommisston verwiesen hatte, nahm man endlich die Auszählung des HauseS vor. Und was war daS Ergebniß? DaS Haus war abermals— beschlußun fähig! Und doch hatte man vorher —Beschlüsse gefaßt! Ob dadurch die Reichsversammlung an Ansehen im deutschen Reiche gewinnt, und ob die Gesetze, die so in der Hast und Eile von einer kleinen Anzahl ReichSooten berachen und angenommen werden an Werth gewinnen, das möge jeder Leser selbst beurcheilen. Ein gesunder Zustand ist solch' eine Er- Heinung ganz sicher nicht. —Der neue Preßgesetzentwurf, dervor wenig Tagen dem Reichsralhs zug-gangen ist und der auch noch vor dem Schluß deS Reichstages durchcerachm werden soll, wird in den Zeitungen säst aller Farben durchaus — nicht günstig beurtheilt, sondern ganz im Gegentheil- mitunter sehr hart mitgenommen, obwohl die Caution und Stempelsteuer in Wegfall kommen sollen. Nun wir m unserem Sachsen hatten niemals eine Stempelsteuer für die Zeitungen und die Camion ist in unserem Sachsen schon vor mehrer« Jahren aufgehoben. Also kann für unS in Sachsen das neue Preßgesetz (wenn eS Notabene Annahme von Seiten deS Reichstages findet) keine Erleichterung sondern jedenfalls nur das Gegentheil bringen. — Der Stern der Herren Nationalliberalen scheint wirklich im Brrbl'ichen und Niedersinken begriffen zu sein. So schreiben die neunen Zeitungen ausPösneck: „In der Versammlung des hie sigen Städtischen Vereins stand dieser Tage die ReichStagSwahl auf der Tagesord nung. Richt Einer der 4 oder 5 Redner, die das Wort ergriffen, erklärte sich für die Wiederwahl unseres seitherige» Deputirten LaSker: alle sprachen sich, zum Oeftcren unter lauten Beifallöbezeugungen, mißbilligend über die Nationalllberalen ,tm Reichstage aus, als einer unzuverlässigen Partei, die deS Volkes Wohl keineswegs, wie man zu erwarten berechtigt sei, im Auge habe, und die in letzter Stunde sich jederzeit dc« Gouvernement nachgiebig erweise." Auch für . „unseren Braun", den großen FreiheitSmann von 1848, der aber, wie Tausende seines Gleichen, eS so trefflich verstanden hat, seine Fahne zur rechten Zeit nach demWin- de zu drehen, stehen die Actim in seinem Wahlkreise Gera tief unter Pari. Die Ultra montanen im deutschen Reichefangenan ihr Haupt stolzer und trotzigerzu erheben, seit dem ,n Frankreich die Jesuitenpartei durch die Wahl Mac Mahon'S zum Präsidenten und durch das neue Ministerium so mächtige- Oberwasser erhallen hat. Sämmt- ltche Erzbischöfe und Bischöfe in Preußen haben bekanntlich schon vor Wochen dem CultuSministerium erklärt, daß sie zur Aus- und Durchftihrung der vier neuen Kirchengefttze ihre Mitwirkung versage» müßten, und jetzt, nachdem durch den Umschwung in Frankreich die Ultramontanen so hoch zu Roß fitzen, werden sich die Ultramontanen in Deutschland um so widerhaariger zeigen. Aus Frankreich melden die neuste» Zeitungen bereits von Uneinig keiten zwischen den einzelnen Ministern, und auch zwischen dem Präsidenten und seinem Ministerium. ES geht also sehr bald in ErMung, was wir be reits vor vierzehn Tagen vorausgesagt. DaS neue Ministerium wollte in einer seiner ersten Berathungen den Präsidenten Mac Mahon ausschließen. Mac Mahon hat aber auf diese Zumuthung sehr entschieden geantwortet, daß er Alles wiss-n müsse, was im Ministerrathe vorgehe. Diese Erklärung soll oem ersten Minister Broglie und dessen College» einen sehr starken UnzufriedenheitS-Schnupfen zugezogen haben. Die Minister der verschiedenen politischen Parteien sollen auch bereiiS unter sich im Streite liegen. Namentlich wird aber bitter geklagt, daß die Bonapartisten in ihrer Ueberhebung und Anmaßung bereits keine Grenzen kennen. Ihre Unverschämtheit soll unerträglich sein. Sie sehen sich b-rcitS als Herren der Situation an. — Die fromme Eugenie soll heimlich in Paris ein getroffen sein. Ob's auf Wahrheit beruht, ist noch nicht klar gestellt; doch glaubhaft ist eS. — Der Prinz Napoleon (Vlonblon) ist aber richtig in Paris eingctroffen uns soll bereits seine Würde als General zurück verlangt hab ».— Bischöfe und Geistlichkeit wühlen bereits nach Herzenslust für den Papst und die Wiedererlangung ftiner weltlichen Herrschaft. Italien ist durch den plötzlichen Umschwung der Dinge in Frankreich bcrcüv in zwei Parteien gethnll. Die ultramontanc Partei hält nnt einem Male zu Frankreich, arbeitet für Frankreich und hoffe von Frankreich für ihre finstern Pläne, während die andere Partei sich jetzt von Frankreich nichts Gute- versteht, und meint: eS sei Zeit, daS Pulver trocken und die Schiff- bereit zu haltet». In Spanien sollen die Karlisten in den letztem Tagen bedeutende Fort schritte gemacht und Waffen direkt auö Frankreich erhalten haben. Letzteres soll uns nicht Wunder nehmen, denn nunmehr wird dir Jesuitenpartei in Frankreich die karlistischen Banden nach Möglichkeit unterstützen. Alles zur größern Ehre GotteS, wie eie frommen Jesuiten zu sprechen pHegen. V Sonnabend der Stadtgemeinde Reustädtel gehörigen Wiese soll z V Ani, «Vormittags n Uhr (6348-48) an Ott und Stelle an den Meistbietenden verpachtet werden. Der Ttadteath zu Neustädtel. Speck, Brgrm.