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Dresdner Journal : 08.08.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189608082
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18960808
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18960808
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- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Dresdner Journal
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Jahr
1896
-
Monat
1896-08
- Tag 1896-08-08
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Monat
1896-08
-
Jahr
1896
- Titel
- Dresdner Journal : 08.08.1896
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Kür Dresden vierlelzShrlich r Mart bO Pf, bei den Kaiser- lich deutschen Poftanstalten vieneliShrlichli Mark; außer halb de« Deutschen Reiche« Poft- und Stcmpelzuschlaa. Einzelne Nummern: 10 Ps. Grschetne». Täglich mit Au-nahme der Sonn- und Feiertage abend« Smispr.-Anschlub:Rr.1S»ä. AnküntziAungSgebühren: Für den Raum einer gespal tenen Zeile kleiner Schult SO Ps Unler „Eingesandt" die Zeile bo Ps Bei Tabellen- und Ziffernsatz entsprechender Ausschlag. Herausgeber: LSnigliche Expedition de« Dresdner Journals Dresden, Zwingerstr 20. Fernspr Anschluß: Nr >»85. ^F183. Sonnabend, den 8. August, abends. 180«. Nichtamtlicher Leit. Kapitän Lothaire ist vorgestern vom obersten Gerichtshöfe des KongostaateS zu Brüssel freigesprochen worden. Dieses Urteil wird niemanden überraschen, der die Verhandlungen genau verfolgt und aus denselben ersehen hat, wie alle bei diesem eigenartigen Gerichtsverfahren beteiligten Per sonen — Richter und Verteidiger, und sogar der die Anklage vertretende Staatsanwalt — ihre Überzeug ung von der Unschuld Lothaires noch vor Abschluß der Verhandlungen offen zur Schau getragen haben. Dahingegen hat der Verlauf des Gerichtsver fahrens selbst überall große Verwunderung erregt. Bei Durchsicht der zunächst nur lückenhaften und größtenteils nur den Eindruck einzelner Gerichts- cpisoden wiederspiegelnden Zeitungsberichte hat man sich kopfschüttelnd gefragt, ob diese Berichte denn that- sächlich auf Wahrheit beruhten, und, wenn dies der Fall sei, was die den Kongostaat in Brüssel ver tretende Gerichtsbehörde eigentlich mit der Aufführung dieser richterlichen Komödie bezwecke. Erst die jetzt eingetroffenen belgischen Blätter, die umfangreiche Gerichtsreferate enthalten, werfen einiges Licht auf die rätselhafte Gebarung der belgisch kongostaat lichen Frau Justitia. Es scheint danach, daß die bis herigen Berichte tendenziös einseitig gemacht waren, daß es sich nicht bloß um eine Glorifizierung des nationalen Helden Lothaire handelt, sondern in der Hauptsache um einen Prozeß, dessen Ergebnis es beweisen sollte, daß der Kongostaat die ihm von Europa übertragene Kulturmilsion im Innern des schwarzen Erdteiles nicht allein gegen die eingeborenen und dort seßhaften Gegner der europäischen Gesittung, gegen die feind lichen Negerstämme und arabischen Sklavenhalter, sondern auch gegen deren weiße Beschützer, die Eng länder und Deutschen, durchzuführen hat. Von dieser für uns Deutsche beachtenswerten Seite dieses kongo staatlichen Gerichtsaktes vermag man sich am besten aus den Verhandlungen der zweiten Gerichtssitzung überzeugen. Der berichterstattende Rat (le conseiNer rapporteur) Sam Wiener brachte hier mehrere Schrift stücke zur Verlesung, deren Inhalt darthun sollte, daß die deutschen Kolonialbehörden den Aufstand der Araber im Luluagebiete eifrig unterstützt hätten, indem sie den Bestimmungen der Brüsseler Akte entgegen den Eingeborenen Waffen und Pulver verkauften. Baron Dhanis, der frühere Gouverneur in Boma, berichtet, daß der berüchtigte Rumeliza seine Banden auf demschem Gebiete angeworben und ausgerüstet habe, und daß alle aufständischen Stämme, die er zu be kämpfen hatte, mit deutschen Gewehren und Schieß bedarf versehen waren. Auch der belgische Konsul in Sansibar weiß zu melden, daß Stokes seit langen Jahren Waffen und Pulver mit Vorwissen der deut schen Behörden nach dem Innern Afrikas befördert, und daß er diese „Warcnartikel" von deutschen Lieferanten bezogen habe. Zur Erklärung dafür ist in einem dieser Berichte angeführt, daß seit der Unter drückung des Araberaufstandes im Osten des Kongo staates kein Elfenbein mehr in das deutsche Gebiet eingeführt wurde, und man deutscherseits sich für diesen Ausfall an Zolleinnahmen durch erhöhten Absatz der Cchießwaffen und des Pulvers entschädigen wollte. Hr. Fleury, der damals in Sansibar den Kongostaat zu vertreten hatte, behauptet, daß Stokes eine Zeit lang als Agent in den Diensten der deutschen Handels gesellschaften gestanden und ihnen große Bestellungen und Kaufaufträge aus dein Innern Afrikas ver mittelt habe. Da der Verkauf von Waffen und Pulver im deutschen Ostafrika ein Monopol der Kolonialregierung sei, so hätten die deutschen Kolonialbehörden wissen müssen, daß sie den Brüsseler Akten zuwiderhandelten, indem sie diese Warenartikel an Leute auslieferten, die direkte Geschäftsverbindungen mit den arabischen Sklavenjägern unterhielten. Stokes hätte im übrigen diese seine Handelszwecke sogar gegen die ausdrücklichen Verbote der englischen Kolonialämter am Ugandasee verfolgt und gedroht, daß er seine „Eroberungszüge" nach dem Elfenbein am oberen Nil, wenn es nicht anders ginge, an der Spitze eines von ihm unter den Eingeborenen angeworbenen Heeres durchführen würde, und follte er auch dabei genötigt sein, seinen Behörden den Krieg zu erklären. Nach dieser, eigentlich an die Adresse der deut schen Kolonialbehörden gerichteten Anklageschrift konnte der „Angeklagte" Lothaire freilich „ruhig und klar" seine „glänzende Verte.digungsrede" halten, deren Hauptinhalt in den nachstehenden Sätzen wieder- gegeben ist. Er habe in Bangala in regelmäßiger Weise als Richter den Schwur geleistet, und sei dem nach befugt gewesen, nach seiner freien Auffassung der Thatsachen zu handeln und zu richten. Er habe Stokes nicht als einen Händler, sondern als einen mit bewaffneter Truppe tus Land durchziehenden Rüuberhüuptling durch den Lieutenant Henry ver haften und auf Grund eines von ihm selbst unter Zuziehung dieses Offiziers als Zeugen und des vr. Michaux als Dolmetscher durchzeführtcn Prozesses, dessen Bericht er selbst während ter „Verhandlung" verfaßt und nachträglich ergänzt habe, zum Tode ver urteilt und an dem so „rechtskräftig" Verurteilten auch sofort die Todesstrafe vollführen lassen. Er be rief sich auf Zeugenaussagen, um darzuthun, daß er nach Vollstreckung des Urteils die Leiche des gehäng ten Siokes in würdiger Weise — unter Trommel- schlog und mit Fanfaren (!!) hätte beerdigen lassen. Gegenüber den „Glanzleistungen" der Verteidigung sind die in der eigentlichen Anklageschrift enthaltenen, aber von niemandem vertretenen Angaben über die Unverfänglichkeit der Handelsmission des gehängten Stokes und über die „Mängel" des gegen ihn skrnpel los durchgeführten „Kriegsprozcsses" nicht zur Geltung gekommen. Die englischen Zeugenaussagen wurden als vom nationalen Patriotismus diktiert außer acht gelassen und der Staatsanwalt Hymann selbst, der übrigens als Assessor im Bureau des Verteidigers vou Lothaire beschäftigt ist, hat, ohne Widerspruch zu finden, hervorgehoben, daß, selbst wenn in der Haltung Lothaires dem Stokes gegenüber irgend ein juristischer Fehler liege und wenn auch Stokes das Opfer eines Gerichtsirrtums geworden fei, der Kapitän dennoch nicht schuldig sei, denn er habe als ehrlicher Mensch gehandelt, wie es das Gewissen ihm diktierte. In Belgien ist der Freispruch mit allgemeinem Beifall ausgenommen worden, aber vielleicht werden alle diese belgischen Bewunderer des Verfahrens von Lothaire und der gerichtlichen Beurteilung desselben in der Folge über diesen merkwürdigen Gerichtsakt weniger entzückt sein, wenn sie eikannt haben, welch ungünstigen Eindruck einzelne Phasen der Verhand lung außerhalb Belgiens, insonderheit in Deutschland und England, gemacht haben, auf deren moralische und wohl auch materielle Unterstützung der in seinem Bestände arg bedrohte Kongostaat angewiesen ist. Wie sich die politischen Kreise in Deutschland zu der Sache stellen, dafür giebt folgende Auslassung der „Post" einen guten Anhalt: „Man mag über den Fall Lothaire Stokes und über die Freisprechung des ersteren denken wie man will, so wird man doch mit der größten Entschieden heit die Unterstellungen zurückweisen müssen, welPe dessen Verteidiger sich Deutschland gegenüber zn schulden kommen ließ. Man mag der Verteidigung noch so weiten Spielraum einräumen und auch in dem vorliegenden Falle, wo der Ausgang von vornherein festgestanden zu haben scheint und die Gerichtsverhand lung mehr die Bedeutung einer äußeren Form hatte, diese Regel gelten lassen. Aber lediglich pro colo- rancka causa eine jeder thatsüchlichen Unterlage ent behrende Verdächtigung gegen die deutsche Kolonial verwaltung erheben, als ob sie mit den Feinden des Kvngostaates unter einer Decke gesteckt habe, über schreitet auch die weiteste der der Verteidigung ge zogenen Grenzen. Behauptungen wie die, daß der Verkauf von Pulver und Blei die einzige Einnahme quelle der deutschen Kolonie sei, und die Andeutung, als ob einer der vou Lothaire bekämpften Araber häuptlinge den Schutz und die Unterstützung der deutschen Verwaltung genossen habe, richten sich von selbst. Der unbefangene Beurteiler gewinnt daraus den Eindruck, als ob dem Verteidiger die Sache seines Klienten in Wirklichkeit keineswegs zweifelsfrei erschienen sei, und als ob er, um deren Schwäche zu verdecken und die Aufmerksamkeit von dieser selbst abzu lenken, sich jene Angriffe auf die deutsche Verwaltung ge leistet habe. Natürlich wird man dni Kongostaat und seine Regierung nicht für die Äußerungen des V r teidigers verantwortlich machen können, so sehr sich dieser auch zugleich als Anwalt der Interessen des Kongostaates aufwarf. Aber das darf als sicher an genommen werden, daß den Interessen des Kongo staates und dem freundnachbarlichen Verhältnis des selben zu unseren ostafrikanischen Besitzungen durch nichts weniger gedient wird, als durch solche als reine Verdächtigungen zu charakterisierende Anschuldigungen unserer Kolonialverwaltung. Wie man in den Busch ruft, hallt cs unwillkürlich aus demselben zurück Das hätte Hr. Graux sich gefälligst selbst sagen können, selbst wenn ihn seine frühere Stellung als Minister nicht über die Bedeutung der Mahl der richtigen Worte belehrt haben sollte. Der Eindruck der Frei sprcchung Lothaires wird rechtlich durch die gegen Deutschland gerichteten Angriffe nicht gebessert." ist es naheliegend, den Ausbruch von Unruhen, der i» verschiedenen Provinzstädten erfolgte, auf Machi Nationen cubanischer Agenten zurückzuführen. Dent mag nun sein wie ihm wolle, jedenfalls liegen auch in den Zuständen Spaniens selber genug Anlässe zur Unzufriedenheit. Die Konzentrierung der gesamten Energie der Staatsregierung auf die Be wältiguug des cubanischen Aufstandes hat in den übrigen Ressorts einen Stillstand zu Wege gebracht, der die materiellen Interessen der Bevölkerung auf das empfindlichste schädigt. Während auf der einen Seite die Anforderungen an den Säckel der Steuer zahler ins Ungemessene steigen, geschieht auf der anderen Seite aus Mangel an Mitteln nichts zur angemessenen Entwickelung der Erwerbsverhältnisse. Daß im Gefolge einer solchen Politik Notstand und Erbitterung einhergeheu muß, ist klar. Die Zahl derjenigen Elemente mehrt sich in bedenklicher Weise, die da meinen, bei einem Umsturz der Verhältnisse nur gewinnen zu können. Auf der anderen Seite hat die Regierung, ebenfalls dem übermächtigen Drucke der Verhältnisse gehorsamend, das Land von den besten und zuverlässigsten Verteidigern der bestehenden Ord nung, den regulären Elitetruppen, entblößt. Diese, selber mangelhaft verpflegt und schlecht oder gar nicht gelöhnt, stehen gegen die Insurgenten im Felde, und daheim, wo man längst die Wahrheit über das Los der nach Cuba bestimmten Truppen erfahren hat, wächst das Widerstreben der wehrpflichtigen Mann schäften, dem Rufe zu den Fahnen zu folgen, bis zn Akten der offenen Widersetzlichkeit Alle in letzter Zeit aus Spanien gemeldeten Ruhestörungen haben ihren Ursprung in der Abneigung der Bevölkerung gegen die Lasten der Wehrpflicht und des Steuerdrlicks. Das sind bedenkliche Vorzeichen für einen Staat, der im Innern mit den starken Parteiströmungen der Republikaner und Karlisten, nach außen aber mit der Thatsache eines unbezwungenen Ausstandes und der Möglichkeit ernster internationaler Konflikte zu rechnen hat. Knruhen in Spanien. („B P.N/ ) Die Andeutungen des Telegraphen über in einzelnen spanischen Städten vorgekommcnc Ruhestörungen bestätigen nur, was ohnehin schon seit geraumer Zeit in der Luft lag, nämlich das Vor handensein von Gärnngskeimen, welche, wenn sie nicht alsbald und gründlich neutralisiert weiden, durch ihre Entwickelung Spanien in eine gefährliche Krise treiben könnten. Der einmütige Elan, der die Nation bei Ausbruch des cubanischen Aufstandes allen inneren Parteihader vergessen ließ, konnte nicht von Bestand sein, zumal die Hoffnung auf einen erfolgreichen Feld zug, der die Insel von den Aufständischen rein fegen sollte, sich bald als eine arge Täuschung herausstellte. Das Volk war wohl zu Opfern bereit, allein es wollte auch Erfolge sehen, und da nun bereits das zweite Jahr zur Hälfte verstrichen ist, ohne daß es der Re gierung gelungen wäre, trotz schonungsloser Inanspruch nahme der Hilfsmittel des Landes die cubanische Frage zu lösen, da im Gegenteil die spanische Politik immer tiefer in eine Sackgasse gerät, an deren letztem Ende ein Konflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika lauert, so ist die Enttäuschung eine all gemeine und tiefgehende, deren Rückschlag sich in dem intensiven Wachstum der parlamentarischen wie außer parlamentarischen Opposition gegen das Kabinett Canovas del Castillo Luft macht. Da jede innere Verwickelung des Mutterlandes einer indirekten Schwächung seiner cubanischen Aktion gleichkommt, so Ta-es-eschichte. Dresden, 8. August. Zur Feier des Geburts tages Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Georg, Herzogs zu Sachsen, fand bei Ihren Königl. Majestäten heute nachmittag um 4 Uhr im Lust schlosse zu Pillnitz Königl. Familientafel statt, an welcher Ihre Kaiser!, und Königl. Hoheiten die Frau Erzherzogin Otto von Österreich mit Höchst ihrem ältesten Sohn, dem Erzherzog Karl, sowie Ihre Königl. Hoheiten der Prinz Georg, der Prinz Friedrich August, der Prinz und die Frau Prinzessin Johann Georg, der Prinz Max, der Prinz Albert und die Prinzessin Mathilde teil nahmen. Die Damen und Herren der Hofstaaten vereinigten sich zu gleicher Zeit zur Marschallstafel. Ihre Majestäten der König und die Königin gedenken Allerhöchstsich morgen, Sonntag, nachmittags l Uhr 3 Minuten mit Sonderzug von Bahnhof Niedersedlitz aus nach Rehefeld zu begeben. Die An kunft auf Bahnstation Hermsdorf Rehefeld erfolgt nachmittags 3 Uhr 32 Minuten. Von dort verfügen Sich Ihre Majestäten zu Wagen nach dem Königl. Jagdhause Rehefeld, um daselbst bis auf weiteres Aufenthalt zn nehmen. Dresden, 8. August Hr. Polizeipräsident Le Mai st re hat einen mchrwöchentlichen Erholungs urlaub angetreten. Kunst und Wissenschaft. Zur Psychologie des Kindes. Aus den Vorträgen, die in der Allgemeinen Sitzung des Psychologenkongresses in München gehalten worden sind, heben wir noch den von Prof. W Preyer über die Psychologie des Kindes hervor. Wir folgen dabei einem kurz zusammenfassenden Berichte der „Tgl. Rdsch ", in dem es heißt: Preyer bedauert, daß die genetische Methode der psychologischen Forschung in Deutschland so wenig Ver treter gesunden hat Psychologische Vorgänge sind am neu geborenen Kinde noch verhältnismäßig einfach und gut zu übersehen, später sind sie schwerer in ihre Einzelbestand teile auszulösen Das Problem der Beseejung des Kindes ist nicht durch Versuche zu lösen; sie sind aber dazu auch nicht erforderlich, vielmehr kommt eS zu nächst aus die reine Beobachtung an Welche Art von Beobachtungen sind nun, zunächst am Neugeborenen, dann am ein-, zwei-, dreijährigen Kinde zu machen, um die wissenschaftliche Erkenntnis der Seelenentwickelung zu fördern" Zuerst ist auf sämtliche Muskelbewegungen zu achten: die Bewegungen der Gliedmaßen, der GesichtS- muikeln, des Kopfe» und des Rumpfe« sind die einzig psychogenetisch wertvollen, wenn nicht überhaupt die ein zigen objektiven Merkmale beginnender psychischer Vorgänge sowohl vor wie nach der Geburt. Natürlich ist eS schwer, in der wechselvollen Unruhe de» kleinen Kinde» Gesetz mäßigkeiten zu finden, namentlich soll man sich hüten, den Bewegungen „Ursachen" unterzulegen, rin Verfahren mittel» dessen dir Ammrn manchmal verblüffrnde Wirkungen er zielen und zeigen wollen, wie klug da» Kind schon ist E» kommt nur darauf an, Naturthatsachen zu sammeln und ,die in ihnen zusammengefaßten Erscheinungen al» von einandrr abhängig zu erkennen Bringt man die unklaren Begriffe „Ursache" und „Wirkung" in die Beoachtung hinein, so verdirbt man die Brauchbarkeit der Beobachtung sofort Die sogenannte Ursächlichkeit geht ja doch nie über die Erkenntnis der Abhängigkeit der in Zeit und Raum wahrgenommenen Gegenstände von einander hinaus. Man hat sich deshalb auf eine beschreibende Seelen entwickelungsgeschichte zu beschränken Die Muskelbeweg ungen (impulsive, reflektorische, instinktive, mimische, gestiku- latorischc, überlegte, letztere beim Neugeborenen noch nicht vorhanden) sind die sicheren objektiven Kennzeichen der seelischen Vorgänge. Ein vortreffliches Mittel zur Er forschung und wissenschaftlichen Ausnutzung dieser Beweg ungen wäre die in neuerer Zeit so vollkommen ausgebildete Schnellphotographie Es wäre eine verhältnismäßig leichte und lohnende Arbeit, Sammlungen von Momentaufnahmen kleiner Kinder in allen möglichen Haltungen, Stellungen, Lagen in verschiedenen Ländern anzulegen, die Physiogno mien neugeborener Neger mit denen junger Schimpansen zu vergleichen, die veränderte z B viereckige Mundsorm bei gewissen Anfängen des Schreiens, ebenso wie die ersten An fänge des Lächelns, den ersten Ausdruck de» Erstaunens und hundert andere psychogenetisch wichtige, aber kurz dauernde Muskelbewegungen auf da» Glas zu bannen und damit die Möglichkeit zu schaffen, einerseits die Übereinstimmung der Kinder aller Völker in Bezug auf gewiße mimische Funktionen, anderseits die Verfchicdenheit des Au» ruckes eines geistigen Zustandes bei demselben Individuum, je nach dem Alter, festzustellen. Das wäre eine würdige Aufgabe für unsere Liebhaberphotographen, von denen es wohl bald in jeder Familie einen giebt Alles Seelische ist eben nur durch Bewegungen erkennbar (Gesten, Mimik, Sprechen, Schreiben, Handlungen) Je sorgfältiger man diese objektiven Erscheinungen geistigen Geschehen« zufammen- stellt und vergleicht, um fo eher wird man die ihnen ent- fprechenden geistigen Vorgänge selbst von einander sondern und verstehen lernen. Dazu eignct sich der erwachsens Kulturmensch nicht, weil er einen mehr oder weniger großen Teil seiner Natürlichkeit verloren hat, der ganz junge Säugling dagegen heuchelt nicht, beherrscht sich nicht, schämt sich nicht, verstellt sich nicht einen Augenblick, selbst wenn alle seine Ahnen Schauspieler waren. Sowie der Unter sucher auf die erste Lüge bei dem der Muttersprache noch nicht einmal mächtigen Kinde stößt, verliert die weitere Untersuchung mit einem Male ihre Anziehungskraft. Das Kind tritt fremd in die Welt und muß lernen, sich ihr anzupaffen In keinem Lebensalter findet diese Anpassung so schnell und folgerichtig statt wie im ersten, das kleine Kind muß sich förmlich die Welt erobern, und das mit noch nicht ausgebildeten Sinnen. Da« Neugeborene hat keinen Raumsinn, keinen Zeitsinn, ist seelenblind, seelen taub, raumblind, zeitblind, man vermag kaum Worte ge nug zu finden, um diesen eigentümlichen „seelenlosen" Zustand genügend zu kennzeichnen Trotz alledem lernt e« in einem Jahre so viel mehr, als irgend ein Tier, daß eS später allen im Streit um die günstigsten Lebens bedingungen und im Kampfe um die Weltherrschaft über legen ist Die Entfaltung erblicher Anlagen, die persön liche Aneignung nützlicher Eigenschaften beruht eben auf dieser ganz erstaunlichen AnpaffungSsähigkeit des kleinen Kindes Alle Kinder verfahren erst nach einer langen Probezeit und einem langen Wettstreit der Ideen logisch, und fahren fort, ihre SinneSeindrücke falsch zu deuten und die sonderbarsten Irrtümer zu begehen, so lange sie nicht von anderen beeinflußt werden Die allgemeinen Gesetze de« menschlichen Denken« siegen aber schließlich, weil sie dieselben sind, wie die der objektiven Welt und allein die Anpassung an diese ermöglichen. Die Psychologie de« kleinen Kinde« verspricht noch manche Aufklärung strittiger Thatsachen; sie allein ist im stände, ^en vollen Beweis zu erbringen für die Unab hängigkeit der Entwicklung de« Verstände» von der Er werbung der Sprache Der alte Satz: „Ohne Sprache kein Verstand" ist falsch Ferner beweist die Psychologie des Kindes nichts für das Vorhandensein angeborener Ideen Das Kind hat in den ersten Jahren unter keinen Umständen eine deutliche Vorstellung von dem, was man Ichbewußtsein, Jchgefühl und Selbstbewußtsein nennt, das sind Begriffe, die erst durch lange Erfahrung, Ausbildung verschiedener Gedächtnisbilder, besonders auch durch die Erduldung von Schmerz, erworben wurden 88 General der Infanterie v. Scherff hat kürzlich ein neues Heft seiner „Kriegslehren" (Nr. 4, Eernicrung von Rietz und Noisseville) herausgegeben, in welchem der Versuch des geistvollen Verfassers, den Entschluß Ba za in es, sich an Metz festzuklammern, politisch zu motivieren, besondere Aufmerksamkeit verdient Dieser Versuch ist ihm, wie in einem Aussatz von Major Scheibert in der „Kreuz-Ztg " betont wird, sicherlich dahin gelungen, daß bei dem Leser mit der Wahrscheinlichkeit der Darstellung auch die Neigung wächst, die Maßnahmen des Marschalls einer durchaus verständigen Überlegung zuzuschreiben. Die Darlegungen v. Scherffs sind in kurzem dahin zusammenzufassen, daß Bazaine al« Vertrauensmann des Kaisers Napoleon vollständig in dessen politische Ziele eingeweiht, diefe zu seinem Eigentume gemacht hatte Weit davon entfernt, den gewaltigen Onkel nachahmend, Kriege zu führen, um Europa umzugestalten, begnügte Napoleon lll. sich mit kleinen politischen Erfolgen (1854 und 1859 sind Beispiele), und mit dem großen Vorteile, durch seine Siege den Ruhm seiner Herrscherzeit und damit seine Dynastie immer fester zu begründen Da« preußische Prestige von Sadowa und da« eben erfolgte PlebiScit machten es ihm zu einer doppelten Pflicht, durch einen erfolgreichen Krieg neue Ruhmesblätter in die Geschichte seiner Familie emzufügen So wenig die Vernichtung Preußens des Kaisers Endziel war, so wenig konnte er darnach Verlangen tragen, den Krieg in Frankreich bi«
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