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Mozart schrieb für den Alltag, für das Leben Noch heute gibt es Menschen, die der Meinung sind, ein Komponist schreibe seine Werke nur in Stunden der „Erleuchtung“ und „Offenbarung“, in Stunden, die man nicht erzwingen könne. Wenn der Meister dann von der Muse geküßt wird, denke er weder an seine Umwelt noch an den praktischen Zweck und lebendigen Sinn der Werke, an denen er gleichsam „außer sich“, in einer anderen, höheren Welt oder im Trancezustand arbeitet. Jene Musikphantasten lehnen es ab, von einem Komponisten ein Auftragswerk zu verlangen, das auf Bestellung angefertigt werden muß, oft sogar in kürzester Zeit, so daß dem armen Meister so gut wie gar keine Zeit bleibt, auf den Kuß der Muse, auf die Stunden der Erleuchtung und Offenbarung zu warten. Zugegeben, in unserer Gegenwart werden Auftragswerke oft in lächerlich kurzer Zeit verlangt und dem Künstler bleibt wenig Sammlung, sich gedanklich auf das zu Schreibende vorzubereiten (auch dieses produktive Faulsein gehört zur Arbeit des Künstlers!), aber es ist noch immer so gewesen, daß ein wirklicher Künstler auch in kürzester Frist ein Auftragswerk fertigzustellen vermag, das dann alle Merkmale eines wahrhaften Kunstwerkes aufweist. Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart sind dafür bezeichnende Beispiele, ihre Auftragswerke, die sich als echte Kunstwerke über die Jahrhunderte hinweg lebendig erhalten haben, sind die eindeutigen Beweise. Betrachten wir als eines dieser Beispiele Mozarts „Serenata notturna D-Dur (KV 239)“. Die Serenade ist eine der verbreitetsten und beliebtesten Formen innerhalb der Musik des 18. Jahrhunderts. Der Begriff der Serenade ist vielgestaltig, man ver steht darunter im gleichen Maße die Formen des Divertimento, der Kassation (italienisch: cassare = verabschieden) und des Notturno. Zu Mozarts Zeiten ver stand man darunter Abendmusiken, Unterhaltungswerke, Ständchen, wobei auch das Thema des Abschieds (siehe Kassation) aufklang. Inhaltlich finden wir in diesen Ständchenmusiken den Ton leichter Unterhaltung ebenso wie das Gefühl mensch licher Zuneigung, Verehrung, der Wehmut und der Trauer. Doch werden die schmerzlichen Züge der Serenaden zumeist durch ein „Lächeln unter Tränen“ ge mildert und verklärt. Ganz besonders Mozarts Serenaden sind erfüllt von einer echten, befreienden Heiterkeit im Sinne des „Glasperlenspiels“ von Hermann Hesse. Die Serenade als Sammelform ist mehrsätzig, in der Hauptsache instrumental be setzt, die einzelnen Sätze sind wenig polyphon gearbeitet, es werden nur wenig Mit wirkende verlangt. Notturno heißt Nachtstück. Wörtlich übersetzt ist die Serenata notturna eine kleine Nachtmusik. Aus dem Notturno entwickelte sich im Französischen das Nocturne, das vor allem als Bezeichnung für ein stimmungsvolles, in der Form freies Klavierstück verwendet wurde (Chopin, Rachmaninow). Die Wurzeln der Serenade reichen zurück zur Suite, zur Sonate und zum Konzert. Das Menuett ist zwischen diesen Formen so etwas wie ein Verbindungsglied, es spielt auch noch in der Serenadenmusik eine bedeutsame Rolle. Die Serenata notturna in D (KV 239) verlangt zwei Orchester: Das erste besteht aus zwei Soloviolinen, einer Bratsche und einem Kontrabaß und ist dem zweiten gegen übergestellt, das sich aus dem normalen Streichkörper zusammensetzt (erste und zweite Geige, Bratsche und Cello). Überaus reizvoll verwendet Mozart in diesem zweiten Orchester die Pauken.