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Deß Mpvkie vonEhiSlehurst. Jm>Zeitalter deS Dampfe- und der Telegraphie arbeitet auch der Griffel der, Geschichte mit größerer Schnelligkeit, al- früher. Kaum iß einer der Ac- teure von der Weltvühne für immer abgetreten, so ist da- Todtengericht beendet und da- Urtheil im Großen und Ganzen unwiderruflich gesprochen. Sicherlich wird die Zukunft manche, bis jetzt noch unbekannten Thatsachen und einzelne bis dato verborgenen Fäden aus dem Leben deS Todt« von ChiSlehurst aufdecken, allein in dem Gefammtbilde, das schon die Gegenwart über ihn gewonnen, wird etwas Wesentliches nicht geändert werden. ES ist da- zweite Mal, daß ein Sprößling jener corfischen Advokaten-Famille, die un serem ganzen Jahrhundert die Signatur aufgedrückt, als ein Verbannter auf fremder Erde unter den Verwünschungen feiner Zeitgenossen zur ewigen Ruhe eingegangen ist. Ungewöhnlich wie ihre geistigen Anlagen und ihre verbreche rische Disposition find auch ihre Schicksale und ihr Lebenslauf gewesen. Aus niederen Anfängen haben ste sich zur höchsten Macht und zu einem entscheiden den Einfluß emporgearbeitet; ihr Wort war bestimmend für daö LooS von Millionen, an ihren Namen knüpfen sich fast alle wichtigeren Veränderungen, die sich in unserem Welttheile vollzogen haben, und unaufhörliche Kriege be zeichnen ihre Spur. So lange einer der beiden Napoleons den französischen Thron inne hatte, war der Friede geächtet und der Tempel des Janus nicht «ehr geschlossen. Ihr maßloser Ehrgeiz und ihre unersättliche Herrschbsgierde steckten an allen Ecken und Enden die Welt in Flammen, und immer wieder war cS vorzugsweise das deutsche Volk, welches nicht allein die Menschheit von diesen Unholden befreite, sondern auch im Kampfe mit ihnen sich stählte, verjüngte und zu einer erweiterten Machtfülle erhob. Im Guten und Bösen überragen die beiden corfischen Abenteurer in ei nem solchen Grade das Maß normaler Naturen, daß es verkehrt wäre, fie mit der gewöhnlichen, spießbürgerlichen Elle messen zu wollen. Man würde damit ihr Wesen nicht ergründen und eine unzulängliche Vorstellung von ihnen ge winnen. Sie waren eben geschichtliche Persönlichkeiten, Werkzeuge der Vorsehung, dazu auSersehen, die Pläne der Letzteren in Vollzug zu setzen. An Feldhermtalent und schöpferischem Geist hinter dem ersten Napoleon weit zurückstehend, hatte der Neffe im Uebrigen alle Familien-Traditioncn und Familien Eigenschaften geerbt, die ihn zu hohem Glanze erhoben und demnächst i«S Verderben gestürzt haben. Seine Lieblingsidee, die Revision der Karle von Europa, ist noch vor sei nem Tode zur Ausführung gebracht worden, aber freilich in einem anderen Sinne, als der Verstorbene eS beabsichtigt hatte. Rußlands Weltherrschafts gelüste sind gebrochen, der Bielstaaterei Italiens ist ein Ende gemacht, daS Haupt deS geeinten italienischen-Volkes thront in Rom neben dem kindisch gewordenen päpstlichen Greise, der seine müßige Zeit mit Verfluchungen und mit der Fabrikation neuer Dogmen verbringt. Oesterreich hat seinen Schwerpunkt in sich selbst gefunden und lastet nicht mehr, einem Alp vergleichbar, auf dem staatlich zerklüfteten Deutschland ; der Schläfer im Kyffhäuser ist wieder erwacht, alle deutschen Stämme haben sich brüderlich zusammengeschloffen und um den in früherem Glanze entstandenen, germanischen Kaiserthron geschaart. Freilich sind die Dinge großentheils anders gekommen, als der Gefangene von WilhelmShöhe eS gewollt hatte. Er hatte Geister gerufen, die mächtiger waren, als er, und die er nicht mehr zu bannen vermochte. Während er den Trugbildern seiner überreizten Phantasie nachjagte und seine selbstsüchtigen und dynastischen Pläne zu fördern vermeinte, mußte er, so sehr er auch hinterdrein sich dagegen sperrte, die Zwecke vollbringen und die Wege wandeln, die der Weltengeist sich vorgesetzt hatte. Während der Napoleonide, von rücksichtslosem Eigennutz durchdrungen, nur darauf bedacht war, seinen Kaiserthron zu befesti gen und seinem Sohne die Herrschaft Frankreichs zu sichern, mußte er, wider Willen das Glück der Völker aufbauen und freiheitliche Institutionen begründen helfen. In Allem, was seit 25 Jahren auf unserem Erdtheil Bedeutendes ge schehen isi, hat der Flüchtling von Hamm seine Hand im Spiele gehabt, nnd wer sein Wirken und seinen Einfluß nicht zu würdigen weiß, für den ist die Geschichte der letzten Jahrzehnte nicht verständlich. Fürsten und Könige haben, um die Gunst des einstmaligen Carbonari gebuhlt, und in den Tagen seines ZenitheS genügte ein Stirnerunzeln, um ganz Europa in Bangigkeit zu ver setzen; und doch endete er, verbannt und geächtet, sein wechselvolles märchen haftes Leben auf Englands Erde beschließend, daö ihn — den Flüchtling — gastlich bei sich ausgenommen hatte. An dem Geiste der Freiheit, an der Kraft der nationalen Bewegung und der Macht liberaler Ideen waren alle seine Pläne und Jntriguen gescheitert. - Ein edleö Volk ist zur Dankbarkeit und zum Verzeihen geneigt. Seit den Tagen von Sedan hat sich unser Haß verflüchtigt, und das Mitgefühl mit einer gefallenen Größe hat sich geltend gemacht. Frankreich, woselbst er sein Conto schlimm belastet hatte, mag seine Rechnung mit ihm selbst ausgleichen. Gläubiger und Schuldner waren dort einander Werth. ES liegt viel Wahres in dem Ausspruch, daß jedes Volk diejenige Regierung hat, die es verdient. Wir Deutsche werden dessen eingedenk bleiben, daß er in den staatsrechtlichen Anschauungen eine neue Epoche angebahnt, und daß er, wenn auch wider seinen Willen, die deutsche Einheit hat vollenden helfen, welcher sein größerer Ohm gleichfalls gegen seinen Willen bereits die Wege gebahnt hatte. Deutschland. Berlin, 11. Jan. Die „D. R. C." schreibt: Ueber die kürzlich von baierschen und preußischen Blättern gebrachte Unterredung deS KöniS v. Bai ern mu der Gemeindevertretung von Füssen erhalten wir aus München, und zwar aus bestuntcrrichteter Quelle folgende nähere Details: Der König hatte bekanntlich einer Deputation aus Füssen seine Unzufriedenheit über die dem „preußischen Kronprinzen" erwiesenen Aufmerksamkeiten ausgesprochen. Der Bürgermeister, der mit mehreren Gemeindevertretern sofort nach der ungnädigen Audienz, die Worte deS Königs aufzeichnete, bemerkt, daß der König ganz be sonders über das AuSbängen der neupreußischen Fahnen, irritirt gewesen sei. Er (der König) habe un Laufe der Unterredung, die etwa 15 Minuten ge dauert haben mag, sich an den Gemeindevertreter H . . . . wendend geäußert: Man kann nicht ein guter Baier und ein guter Preuße zugleich fein. Eines oder das Andere! — Gut bairisch sein, schließe allerdings nicht aus, gut deutsch zu denken und zu fühlen, das habe ich und das hat mein ganzes Volk bewiesen. Der deutsche Kaiser hat dies auch wiederholt anerkannt und mir auch persönlich herzlichst gedankt. Meine Truppen haben unter allen deutschen Soldaten die «eisten Auszeichnung« vom Kais« Wilhelm erhalt«. Wollt« Sie, meine Herr«, Ihre deutsche nationale Gesinnung öffentlich bezeugen, wa rum hab« Sie nicht neben unsere LandeSfarben die altehrwürdige deutsche Fahne auSgehängt, die seit Jahrhundert« ein Symbol der Einheit und Frei heit des GesammtvaterlandeS ist, warum den« neue preußische Kahn«, die i« Nord« volle Berechtigung haben, die im Süd« aber immer al- Demonstra tion gedeutet werden müssen — der König soll ausdrücklich bemerkt haben, und das ist der richtigste Moment der Unterredung — „er wünsche lebhaft, daß feine Worte weiter erzählt und in weitest« Kreis« bekamt werd«." Er wolle keinen Zweifel über seine Gesinnung lassen und wer loyaler Baier sei, würde die Worte seines Königs zu beherzigen wissen. Berlin, 12. Januar. „Zur inne« Geschichte der preußisch« Krisis" bringt die „Könische Zeitung" einen länger« Artikel, angeblich „aus guter Quelle", der sich kurz so zusammenfaff« läßt: LiSmarck wollte eine Reform des Herrenhauses, die ihm wichtiger schien, als die bloße Durchführung der Kreisordnung. Die Mehrheit deS CabinetS war gegen ihn: Roon ging mit ihm. Bismarck wollte sich nicht länger «ajorifir« lassen, legte daher das Prä sidium nieder. Dieses konnte nun keiner der Minister erhalten, die ihn majo- ristrt hatten (sonst hätte Bismarck auch nicht Minister deS Auswärtigen bleiben kömen), sondern nur Roon, der in jener Frage auch sonst Bismarcks Ansichten getheilt. Eine rückschrittliche Tendenz sei dieser Wendung vollkommen stemd. (Letzteres haben wir von vornherein angenommen, und ebenso daß Fürst Bismarck eine wirkliche Reform des Herrenhauses gewünscht hat. DaS Uebrige aber, was hier, — angeblich zur „Aufklärung", — mitgetheilt wird, wurde den Sachverhalt erst recht unklar machen. Denn gerade wenn Roon m jenen Fragen mit BiSmarck ging, so hätte Letzterer ebenso gut Ministerpräsident bleib« können, als Ersterer es geworden ist. Daß der Eine dieser Staatsmänner bei gleicher Ueberzeugung dieser mehr vorgeben sollte, als der Andere — das ist doch wohl nicht anzunehmm!) Frankreich. Paris, 9. Jan. Wie die „Pattie" versichert, wird der Prozeß Ba- -zaine erst nach der „Befreiung deS Territoriums" vor das Kriegsgericht kom men. Hohe politische Beweggründe sollen die Regierung bestimmt hab«, bis dahin zu warten. In Folge dessen ist das HauS, welches Bazaine als Ge- fängniß dient, auf weitere sechs Monate gemiethet worden. Paris, 12. Jan. Bei seiner heutigen Unterredung mit den Delegirten der Rechten hat der Präsident der Republik, der „Agence HavaS" zufolge, sich bemüht, nachzuweisen, daß seine Politik den Verhältnissen m Italien gegenüber vollständig unverändert sei; von mehreren Mitgliedern der Recht« wäre indeß gleichwohl eine zweite Unterredung mit dem Präsidenten der Republik für noth wendig erachtet worden und würde deshalb von ihnen morgen die Vertagung der Interpellation BelcastelS beantragt werd«. Nach dem „Soir" habe der Präsident bet der fraglichen Unterredung vor Allem die conservative Republik betont, welche die dem heiligen Stuhle schuldigen Rücksichten zu respectiren wisse, gleichwohl aber gute Beziehungen mit dem Königreich Italien aufrecht erhalten wolle. Einer Mittheilung deS „PayS" zufolge haben 52 Marschälle und Gene rale die Erlaubniß nachgesucht, dem Begräbnisse in ChiSlehurst beiwohnen zu dürfen, die Regierung habe aber nur dmjenigen activen Ofsicieren dieselbe er- theilt, welche Adjutanten deS Kaisers gewesen find. Wie ofssciöse Blätter ver sichern, hätte eine große Anzahl als Bonapartist« bekannter hoher Officiere, gestern und heute ihre Katt« auf der Präsidentschaft abgegebm. — Nach Brie fen aus ChiSlehurst beabsichtigt die Kaiserin Eugenie allen Souveränen An zeige von dem Ableben deS Kaisers und der Thronbesteigung Napoleons I V. und von ihrer Uebernahme der Regentschaft zugehen zu lassen. — Herr deRL- musat ist wiederhergestellt. Marschall Bazaine bedenklich erkrankt. — Der Präsident der Republik ist bei seiner heutigen Ankunft auf dem Pariser Bahn hofe mit groß« Ovationen empfangen und von der Menge mit dm Ruf«: „ES lebe ThierS! Es lebe die Republik l" begrüßt worden. Paris, 11. Jan. Heute kamen die Gebete, welche in der Kirche Saint Etienne Du Mont seit neun Tagen an die heilige Genovefa gerichtet wurd«, zum Abschluß. Von 9 bis 11 Uhr waren stille Mess« gefeiert worden. Um 11 Uhr begann die Hauptmeffe, welche von dem Pfarrer von Saint DmiS in Frankreich, ehemaligem Caplan der Frauen der heiligen Genovefa, gelesen wurde. Die Zahl der Gläubigen, die sich eingefunden, war beträchtlich, größtmtheilS Bauern aus der Umgegend von Paris. Die Processton begann gegen j1 Uhr. Sie machte den Umzug nur durch die Kirche, da in Paris das Gesetz, welches die Processton auf der Straße verbietet, noch streng aufrecht erhalten wird. Den Zug eröffneten 50—60 junge Mädchen von 10—16 Jahr«. ES waren Wai senkinder und ste tmgen ihre gewöhnlichen Kleider, nur hatten ste einen weißen Schleier und ein Band mit einem Muttergottesbilde. Sechs von ihnen trugen die Fahnen der heiligen Genovefa. Ihnen folgten die Geistlich«, mgefähr acht an der Zahl, in goldgestickten Gewändern. Dies« voraus trugen vier Chorknaben ein Muttergottesbild, zu welchem sich die Menge herandränate um, der Eine ein Gebetbuch, der Andere ein Crucifix, der Dritte einen Rosenkranz, an demselben zu berühren und sich dann der Processton anzuschließ«. In Folge des Berühr«- des MuttergotteSbildeS, das lange Zeit in Anspruch nahm, dauerte die Processton durch die Kirche ziemlich lange. Rach der Processton wurde noch ein Gebet gesprochen, worauf die Feierlichkeit ein Ende hatte. Heute Nachmittag war der Schlußgotteödienst. Der Pla- vor der Kirche bot den früher« Anblick. Dort befanden sich die nämlichen Buden, die nämlichen Händ ler, die nämlichen Bettler. Paris, 12. Januar. Bien Public enthält folgmde Rote: „Die Gene rale und andere Officiere, welche der Person oder dem militärisch« Hofstaate Napoleons angehört haben, welche gegenwärtig nicht im activen Dienst oder ohne Commando find und den Wunsch auSaedrückt hab«, dem Leichenbegängniß ihre- ehemaligen SouverainS anzuwohnm, find zur Reise nach Chiselhurst ermächtigt. Wir glauben verstchern zu können, daß der Marsch«! Mac Mahon Paris nicht verlassen hat." Laut den bonapartistischen Blättem werden am nächst« Mitt woch, dem Begräbnißtaae deS Er-KaiserS, keine Gottesdienste in Pari- gefeiert werden. DaS wird erst später geschehen, da man will, daß die Spitzen der Partei, welche fich gegenwärtig in Chiselhurst befinden, der kirchlich« Trauer- feierlichkeit anwohnm. Versailles, 12. Jan. Die Entsendung von Delegirten zu de« Prä sidenten der Republik, welche ihn um Erklärungen über die Entlassung Bour- goingS ersuch« soll«, wird als ein versöhnlicher Schritt, der durch die Er nennung Corcelle'S zum Gesandten beim Päpstlich« Stuhle bestimmt worden,