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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, io. Dezember 1960, 19.30 Uhr Sonntag, 11. Dezember 1960, 19.30 Uhr 4. Philharmonisches Konzert Siegfried Geißler Gustav Schmahl, Berlin Zum 100. Geburtstag Penthesilea, Sinfonische Dichtung 2. Violinkonzert g-Moll, op. 63 (Erstaufführung) PAUSE 2. Sinfonie C-Dur, op. 61 Aufbruch der Amazonen nach Troja Der Traum Penthesileas vom Rosenfest Kämpfe, Wahnsinn, Leidenschaft, Vernichtung Sostenuto assai — Allegro ma non troppo Scherzo — Allegro vivace Adagio espressivo Allegro molto vivace Allegro moderato Andante assai Allegro, ben marcato Hugo Wolf 1860—1903 Robert Schumann 1810—1856 Serge Prokofjew 1891—1953 ZUR EINFÜHRUNG Hugo Wolf, dessen 100. Geburtstag wir in diesem Jahr begehen, wurde am 13. März 1860 zu Windischgrätz in der Südsteiermark geboren, war kurze Zeit Schüler des Wiener Konservatoriums, dessen Direktor J. Hellmesberger ihn dann „vom Institut entfernte“, hungerte sich als Pianist durch, wurde nach der Wiener Auf führung des „Tannhäuser“ begeisterter Wagnerianer (1875), machte sich unbeliebt als Kritiker der Brahmsianer, und dann begann die Zeit des für ihn bestimmenden Lied schaffens. In dem Silvesterbrief 1888 schrieb er an seine Mutter: „In diesem Jahre komponierte ich nicht weniger als 92 Lieder und Balladen, und zwar ist mir in diesen 92 Liedern nicht ein einziges mißlungen. Ich denke, ich darf mit diesem Jahre zufrieden sein!“ Dennoch dürfen wir das reiche Liedschaffen des Jahres 1888 nicht als Norm ansehen, alles Schaffen kommt bei Wolf überraschend, über stürzt, vulkanisch, oft inmitten von langer Dürre: die Liederzyklen nach Möricke, nach Eichendorff, nach Goethe, das Spanische, das Italienische Liederbuch, schließ lich 1897 die drei Michelangelo-Lieder, die allesamt sein Hauptwerk als Groß meister des Kunstliedes ausmachen. Es ist nicht genau feststellbar, wann Wolfs Erkrankung seinem Schaffen ein Ende setzte. Er wurde das Opfer einer Paralyse, der Verfolgungswahn trat ein. Nach einem Selbstmordversuch mußte er in der Wiener Irrenanstalt untergebracht werden und starb nach qualvollem Leiden am 22. Februar 1903. Hugo Wolf hat neben seinen Liedern mehrere Werke für und mit Orchester geschrieben, die Oper „Der Corregidor“, das Operntorso „Manuel Vanegas“, die Musik zu Ibsens „Fest auf Solhaug“, die „Italienische Serenade“ für kleines Orchester oder Streichquartett, Scherzo und Finale für großes Orchester, Chöre („Der Feuerreiter“) und Lieder mit Orchester. Mit seiner Sinfonischen Dichtung „Penthesilea“ hat der Dreiundzwanzigjährige unerhört vielver sprechend seine Orchesterkompositionen begonnen. Gewiß wird seine Bedeutsam keit als Liedschöpfer nach wie vor im Vordergrund stehen, dennoch hat Max Regers Wort recht, als er 1904 (ein Jahr nach dem Tode Wolfs) schrieb: „Hätte Hugo Wolf nur die Sinfonische Dichtung ,Penthesilea*, nur dieses eine Werk geschrieben, die Kunstgeschichte müßte ihn in die erste Reihe aller Tondichter stellen!“ Reger rühmt bei diesem Werk das Fehlen jeder „Phrasendrescherei und jeden Stimmungsdusels“. Der Untertitel „Sinfonische Dichtung“ besagt, daß sie wohl im Sinne der Programm-Musik von Berlioz, Liszt, Wagner komponiert ist, dennoch „leidet“ der Wagnerianer Wolf keineswegs unter Wagner. Er ist bei der Komposition völlig selbständig und sagt selbst: „Ich bin ein Mensch, der in allem nur nach Impulsen handelt, und wenn sich in mir die genügende Menge Elektrizität angesammelt hat, geschieht etwas,' entweder in Gedanken, Worten oder Werken, mögen sie nun gut oder böse sein!“ Das Böse wirkt sich meistens in seinen Kritiken aus (wir kennen die Kritik zu Brahms’ dritter Sinfonie). In den Kompo sitionen, beispielsweise in der „Penthesilea“, tritt uns Wolfs „Elektrizität“ positiver