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entgegen. Man braucht Heinrich von Kleists Drama von der Amazonenkönigin Penthesilea, die ihr Heer gen Troja führte, die den Achill liebte, ihn — da sie sich verhöhnt glaubte — ermordete und sich selber tötete, gar nicht zu kennen, um den noch von der sinfonischen Größe der musikalischen Dichtung ergriffen zu werden. Die drei Abteilungen mit den programmatischen Benennungen (Aufbruch der Amazonen nach Troja / Der Traum Penthesileas vom Rosenfest / Kämpfe, Leidenschaften, Wahnsinn, Vernichtung) sind in ihrem Wechsel von rauschhafter Bewegung in den Ecksätzen und der Innigkeit des „Traums“ völlig allein über zeugend. In der ,,Autobiographischen Skizze“ vom April 1941 (in der Sowjetskaja Musica veröffentlicht) spricht Serge Prokofjew von den Hauptlinien, die er in seinen Kom positionen verfolgt: „Die erste ist klassisch. Ihr Ursprung liegt in meiner frühen Kindheit, in der ich meine Mutter Beethoven-Sonaten spielen hörte. Diese Richtung nimmt in meinen Sonaten und Konzerten eine neoklassische ( = neuklassische) Form an oder imitiert den klassischen Stil des 18. Jahrhunderts . . . die zweite Linie bezeichnet die Erneuerung, die ich auf meine Begegnung mit Serge Tane- jew zurückführe, als er mich wegen meiner ,elementaren Harmonie* verspottete, nämlich das Suchen nach einer individuellen, harmonischen Sprache, der Wunsch nach dem Ausdruck starker Emotionen (= Bewegung). Die dritte Linie ist das Toccata- oder Motorelement, das vielleicht durch Robert Schumanns Toccata angeregt wurde, die mich einmal stark beeindruckte . . . das vierte Element ist lyrisch, ohne mit dem Melos verbunden zu sein. Der lyrische Strom ist nur langsam gewachsen, in letzter Zeit schenkte ich ihm mehr Aufmerksamkeit. Gern möchte ich mich auf diese vier Eigenarten beschränken!“ Und in der Tat begegnen uns im „Zweiten Konzert in g-Moll für Violine und Orchester Opus 63“ von Serge Prokofjew diese vier Grundlinien seines Schaffens: Klassisch ist das Violinkonzert in seinem sinfonischen Gefüge von je zwei gegensätzlichen Haupt themen in den Ecksätzen und in der Dreisätzigkeit (Allegro moderato / Andante assai / Allegro ben marcato) seiner Gesamtstruktur — das Toccata- oder Motor element ist sowohl in der Sologeige wie in den Orchesterstimmen vorherrschend als Gegenpart oder als rhythmische Umspielung einer gesangvollen Partie — jede rein lyrische Partie (besonders im zweiten Satz) ist durch typische Prokofjewsche neue, harmonische Sprache gewürzt. Auffallend an diesem Konzert sind die Ein leitung für die Solovioline ganz allein, die Ruhelosigkeit des Soloinstruments, das kaum zum Pausieren kommt und der Verzicht auf brillante Virtuosität — die latente und wahrhaft schwierige Technik steht lediglich im Dienste der Musikalität. Seit 1844 litt Robert Schumann mehrfach an Nervenzusammenbrüchen; er arbeitete an den „Szenen aus Goethes Faust**, vielleicht sind diese nicht ohne Schuld hieran. Von der Übersiedelung aus Leipzig in das weichere, freundlichere Dresdner Klima erhoffte man heilsame Reaktionen. In den fünf Dresdner Jahren (1845—1850), in denen er den Aufstieg Richard Wagners als Opernkomponist und Theaterkapellmeister mit erlebte, blieb Schumann im Grunde genommen der Fremdling unter guten Freunden, obwohl er die Leitung der Liedertafel und der Singakademie innehatte. Aber Dresden sah bedeutende Werke entstehen: Die umfangreichste Partitur war die unglückliche Oper „Genovefa“ (Wagner sprach in dieser Zeit nur mitleidig von Schumanns Opernnot!), die endgültige Fassung des Klavierkonzertes op. 54, das Cellokonzert op. 129, die Klaviertrios op. 63 und 80, die Manfred-Ouvertüre, das Spanische Liederspiel op. 74 und vor allem die Sinfonie Nr. 2 in C-Dur op. 61 (und die 3. Sinfonie). Schumann schreibt schon im September 1845 an Felix Mendelssohn-Bartholdy: ,,. . . in mir paukt und trompetet es seit einigen Tagen sehr (Trombe in C!), ich weiß nicht, was draus werden soll!“ Er kündet seine Sinfonie in C-Dur an. Das Motiv, welches die Trompeten und Hörner an den Eingang der feierlichen Introduktion (Sostenuto assai) stellen, durchzieht (mit Ausnahme des Adagios) die ganze Sinfonie. Es geht um faustische Probleme, um die großen Leidenschaften, um die höchsten Ideen des romantischen Menschen. Nach der rhythmusbestimmten Monotonie des ersten Satzes atmen wir förmlich auf in der freieren Atmosphäre des Scherzos, bei den Frühlingsklängen des ersten Trios (das Scherzo hat zwei Trios!). Das Adagio — eins von den wenigen, deren Kürze man bedauert — wirft noch etwas von seinem Glanz in den letzten Satz hinein: Die Violoncelli ergreifen den Gesang des Adagios und bilden aus ihm das zweite Thema. Der Kenner des Schumannschen Liedes hört aus dem Finalsatz heraus: „Nimm sie hin denn, diese Lieder!** Prof. Dr. Mlynarczyk LITERATURHINWEISE Richard Münnich: Aus Robert Schumanns Briefen, Weimar 1956 Eugenie Schumann: Robert Schumann, Leipzig 1925 Karl H. Wörner: Neue Musik in der Entscheidung, Mainz 1956 Karl Laux: Die Musik in Rußland und der Sowjetunion, Berlin 1957 VORANKÜNDIGUNG 2. Außerordentliches Konzert 12. Dezember 1960, 19.30 Uhr, 14. Dezember 1960, 20.00 Uhr Dirigent: S. Geißler Solistin: Rita Bouboulidi, Athen Freier Kartenverkauf! 3. Außerordentliches Konzert 25.126. Dezember 1960, jeweils 19.30 Uhr Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solist: Tibor Gasparek, Bratislava Freier Kartenverkauf! 4. Außerordentliches Konzert 31. Dezember 1960, 19.00 Uhr, 1. Januar 1961, 19.30 Uhr Dirigent: S. Geißler Solist: Prof. Amadeus Webersinke, Leipzig Freier Kartenverkauf! 40/ /UJMo 4. Philharmonisches Konzert 1960/61 6228 Ra III-9-5 1260 1,4 It-G 009/60/81