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20. November 1960, 19.30 Uh FESTKONZERT SIEGFRIED KURZ geb. 1930 ORCHESTERMUSIK 1960 (Uraufführung) Dirigent: DER KOMPONIST JOHANN NEPOMUK DAVID geb. 1895 SPIEGELKABINETT op. 55 (Uraufführung) (Sinfonischer Walzer für Orchester) FIDELIO F. FINKE geb. 1891 MARSCH DER FRIEDENSKÄMPFER (Uraufführung) Dirigent: SIEGFRIED GEISSLER PAUSE JOHANNES BRAHMS i833'^ 1 ^ 9 ' 7 SINFONIE Nr. 1, c-Moll, op. 68 Un poco sostenuto — allegro Andante sostenuto Un poco allegretto e grazioso Adagio — allegro non troppo ma con brio Dirigent: PROF. HEINZ BONGARTZ Zum Werk Johannes Brahms’ hat die Dresdner Philharmonie seit eh und je enge Beziehungen. Die Programme der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhun derts weisen die bedeutendsten Werke auf, so das Requiem (mit der Liedertafel), die Erstaufführung des Violinkonzertes mit Joseph Joachim als Solist (21. 10. 1881), die Erstaufführung des Klavierkonzertes op. 15 (5. 3. 1884) mit dem Komponisten selbst am Klavier und die Altrhapsodie mit der Liedertafel und Hermine Spies als Solistin, 1887 die Akademische Festouvertüre und den Rinaldo. Die Erstaufführung der c-Moll-Sinfonie durch die Philharmonie erfolgte am 24. 11. 1877, worüber die Dresdner Nachrichten vom 27. 11. 1877 wie folgt berichten: „Die am Sonnabend durch die Mannsfeldt 1 sehe Kapelle hier erstmalig zu Gehör gebrachte c-Moll-Sinfonie von Brahms fand einen außergewöhnlichen Beifall. Das von der schönen Darbietung entzückte Publikum rief schließlich Herrn Kapellmeister Mannsfeldt stürmisch hervor. Jedenfalls zählt diese Sinfonie, deren große Schönheiten allerdings nach einmaligem Hören nicht ganz zu fassen sind, zu den schwierigsten Orchesterwerken, die es gibt. Vor allem sind es wirk liche sinfonisch-große Gedanken, welche Brahms bietet, und es ist kein Wunder, wenn begeisterte Freunde der Brahms sehen Richtung das Werk als posthumum 10. Sinfonie Beethovenschen Geistes bezeichnen. Herr Mannsfeldt würde Dank verdienen, wenn er die Sinfonie sofort noch einige Male wiederholte. Der Verlag Simrock, Berlin, hat dem Komponisten für diese Sinfonie 15 000 Mark gezahlt, viel mehr, wie Beethoven für seine sämtlichen Sinfonien erhielt.“ (Am 1.12. 1877 fand die Wiederholung der Sinfonie durch die Gewerbehaus- kapelle statt.) Die Feststellungen, die der Kritiker hinsichtlich der Schwierigkeit des Hineinhörens trifft, sind von der damaligen Zeit her durchaus verständlich. Brahms, der Roman tiker in der Auseinandersetzung mit dem sinfonischen Werk des Klassikers Beet hoven (seine eigenen Worte: „In allem, was ich versuche, trete ich Vorgängern auf die Hacken, die mich genieren.“), der Mann von, auf weite Strecken, kontem plativer Grundhaltung, dem Lyrisches weit eher zuwuchs als das mit der Gattung Sinfonie gegebene Dramatische, hat die Konzeption des Werkes eine Vielzahl von Jahren beschäftigt, von Jahren zudem, die sein Sichdurchringen zum Persönlich keitsstil sahen. Über die einzelnen Stadien der Arbeit sind wir nur spärlich infor miert, über sie hat Brahms sich ausgeschwiegen. Schon 1862 läßt er Clara Schumann den ersten Satz zugehen, 1868 schickt er ihr aus der Schweiz die Alphornmelodie des Finalsatzes, vollendet ist das Werk aber erst im Sommer 1876. Das für den Hörer von 1877 Verwirrende ist wohl im wesentlichen darauf zurück zuführen, daß ihm wohl die Gediegenheit der motivischen und thematischen Detailarbeit ersichtlich war, aber das rasche Wechseln verschiedengearteter Stim mungsgehalte, die Verzahnung des Themenmaterials, seine gegenseitige — auch über den einzelnen Satz hinausgehende — Bezogenheit nicht einging. Das Werk ist gerade im Hinblick hierauf von unendlichem Reichtum, es ist die Rechtfertigung für die Tatsache, daß die Zeitgenossen Brahms als Sinfoniker von großartigem Zu schnitt anerkannten und seine Erste als — im Elinblick auf Beethovens Neunzahl — eine „Zehnte“ hinstellten.