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Werken vorhanden, daß sie berechtigt und sogar geboten erscheint." Ausführlicher hat Linne mann aus der geschichtlichen Überlieferung und besonders aus ästhetischen Gründen den Beweis zu führen gesucht, daß der s5H7 verschwundene Turmbau ein Mittelbau mit zwei seitlichen Helmen von Holz war. Gb der Erbauer des obersten erhaltenen Turmgeschosses, den er ein Genie nennt, „schon Holztürme projektiert hatte, als er anfing zu bauen, oder ob diese Idee, offenbar nach dem Vorbilde von Erfurt, erst später aufgetaucht ist, läßt sich mit Sicherheit aus dem baulichen Zustande selbst nicht bestimmen; die Umwandlung des dreiteiligen Unter baues in eine große, ungeteilte Halle spricht aber für die erstere Annahme, denn die Verstärkung der Hinteren Turmpfeiler über dem Hohlen der unteren Gewölbe ist zunächst der durch die Treppenanlage bedingten Breite der Umfassungswände zuliebe geschehen und hatte auch so konstruktive Bedenken durchaus nicht, während die Sache bei der Eventualität steinerner Türme doch eine andere gewesen sein würde." Danach hat er eine Skizze mit dreitürmigem hölzernen Aufbau entworfen, indem er sich bemühte, „den neuen Turmbau so zu gestalten, als ob er kurz nach dem Brande hätte wieder aufgebaut werden sollen, und ihn so zu machen, wie ihn der Meister des dritten Stockwerkes gemacht haben würde, wenn ihn: diese Aufgabe zugefallen wäre." Nur in Rücksicht auf das „kunstliebende Publikum" hat er noch einen Entwurf in Stein hinzugegeben, aber auch diesen mit drei Türmen, indem er sich energisch gegen die Be hauptung Schwechtens ausspricht, daß die Annahme von drei Spitzen Beschränktheit an kunst wissenschaftlichen Acnntnissen verrate. Das Gutachten von Schäfer liegt in erweiterter Fassung in der folgenden Denkschrift -vor; der Aern ist der gleiche geblieben. Sofort nach Eingang wurden diese Entwürfe dem Domkapitel vorgelegt, dann dem Bauausschusse, endlich am 28. Juli dem Vorstande des Vereins und den Mitgliedern des Aapitels, der Ministerien des Aultus und der Finanzen, des Landeskonsistoriums und der Aommission für Erhaltung der Aunstdenkmäler in Sachsen, soweit sie der Einladung gefolgt waren. Eine vorbehaltlose Annahme derselben wurde in dieser Sitzung einstimmig abgelehnt, dagegen beschlossen, die Herren Linnemann und Schäfer aufzufordern, ihre Entwürfe in: Sinne von Mitteilungen umzuarbeiten, die Geheimrat Wallot ihnen hat zugehen lassen. Während der Vorstand auf diese Abänderung noch wartete, fügte es der Zufall, daß Professor Linne- mann, aus anderen Gründen in Aarlsruhe anwesend, den ersten Entwurf seines Freundes Schäfer zu Gesicht bekam. Eine Stunde hat er ihn still betrachtet und dann das Ergebnis in Bemerkungen, die er über die Ergänzung der Westfassade uns zugeschjckt hat, mit folgenden Worten niedergelegt >27. Juni lyOp: „Lange habe ich mich vergeblich bemüht, die Fassade Schäfers zu Gesicht zu bekommen. Es ist mir erst ganz vor kurzen: durch einen bloßen Zufall gelungen. Der Anblick derselben hat mich vollkommen bekehrt. Ich muß nun bekennen, daß Schäfer das Unmögliche möglich gemacht hat. Ich bewundere in dieser Arbeit eine wahrhaft geniale Divinationsgabe, die nur auf Grund so tiefgehender und unablässiger Studien möglich ist, wie sie den: Verfasser zu Gebote stehen. Es giebt keinen anderen weder in Deutschland noch sonstwo, der einer solchen Leistung fähig wäre, und es ist als ein Glück zu betrachten, daß eine solche einzige Rraft zur Hand ist in den: Augenblicke, wo es endlich mit der Restauration des Meißner Domes ernst wird. Wie trefflich die Weiterentwickelung der Fassade aus der „originellen Formenbildung" des alten Meisters geschöpft ist, hebt auch das Urteil des Dombauvereins hervor, ebenso die unanfechtbare Folgerichtigkeit der Konzeption, aber auch das Anlehnen an die Proportionierung des Magdeburger Domes ist unzweifelhaft richtig. Wenn sie unseren: Geschmacke nicht ent spricht, so ist zu bedenken, daß das Gefühl mit den Zeiten stark wechselt, wir deshalb keineswegs sicher sind, ob wir auf immer Recht behalten werden, und daß wir wohl besser daran tun, im Falle wir eine wirkliche Restauration beabsichtigen, einem so charaktervollen Bauwerke des Mittelalters unseren heutigen Geschmack nicht aufzudrängen, sondern es der Nachwelt so gut wir können auch mit den charakteristischen Fehlern seiner Entstehungszeit ganz echt hinzustellen und es ihr zu überlassen, sich ein Urteil zu bilden, statt es ihr vorweg zu nehmen. Auf solche