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682 Bahn, welche dicht vor Cüstrin von der Chausse durchschnitten wird. Kaum hatten die Pferde ven Bahnkörper betreten, dessen Barriere nicht geschlossen war, so saus'te der Courierzua daher. In einem Nu war der Omnibus erfaßt und zertrümmert. Von dm Darin sitzenden flogen buchstäblich Arme und Beine um her, theils auf die Lokomotive und dem Tender. Sieben Personen, darunter der Kutscher, waren in einem Augenblick zermalmt, eine Frau wurde von einem Puffer der Lokomotive förmlich aufgespießt, eine Strecke weit mitgenommen und dann gerädert; ein Soldat, welcher obm auf dem Omnibus saß, rettete fich durch einen Sprung, ein Mann wurde aus dem Omnibus auf dm Tender ge schleudert und kam mit einer leichten Verletzung am Kopfe davon, die Pferde endlich, welche schon über die Schimm fort warm, retteten sich dadurch, daß bei der Katastrophe die Strenge rissen und sie davon laufm konntm. Der be treffende Bahnwärter, der wahrscheinlich geschlafen hat, ist verhaftet und die Untersuchung im Gange. Thorn. In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag voriger Woche wur den in Gnicwkowo (KrelS Jnowraclaw) drei Patres der Gesellschaft Jesu, welche bereits drei Tage lang dort eine Jesuitmmission abhieltm, auf einge troffenen telegraphischen Befehl durch Gendarmen auf dm Schub gebracht. Eme große Menge Volkes aus Gniewkowo und Umgegend durchzog die Straßen M- multuirend, doch wurde dieselbe durch die aufgerufenen Gendarmen und andere Waffen führende Beamte im Schach gehalten. Der klerikale Tygodnik Katolicki, das vertrauliche Organ des Erzbischofs Grafen LedochowSki, nimmt in dem Kampf, dm der JesuitiSmuS gegen das Deutsche Reich begonnen hat, immer entschiedener Stellung gegen letztere- und entwickelt Lehren und Grundsätze, die alle Selbstständigkeit des StaateS vernichten und jede Staatsordnung unmöglich machen. „Die Deutschen Blätter, — schreibt das erzbischöfliche Organ — beschuldigen den Bischof von Ermland geradezu des Treubruches und berufen sich zur Begründung dieser Beschuldigung auf dm Eid, den die katholischen Bischöfe in Preußen dem Könige leisten. Wir haben die Eidclsformel nicht bei der Hand und können also ihre Authenticität nicht con- statiren; aber nehmen wir an, daß sie von der Art ist, wie die Deutschen Blätter sie mittheilm, so vermögm wir doch in ihr nichts zu entdecken, das die Beschul digung rechtfertigte, der Bischof Kremmtz habe seine Pflichten gegm dm Monar chen und den Staat verletzt. ES ist Pflicht nicht bloS deS Bischofs, sondern sogar eines jeden Katholiken und Christen, die Gesetze der Kirche über die Ge setze des StaateS zu stellen. In den Fällen, wo menschliche Leidenschaften einen Kampf Hervorrufen, steht das göttliche Gesetz an erster Stelle; der Gehorsam Egen die Kirche kann nie und nimmer und vor nichts zurückftehm, denn die StaatSgesetze erhalten von dm göttlichen Gesetzen ihre Weihe und ihre Gültig keit und finden ihre Beschränkung in dm Gesetzen der Kirche. ES ist klar, daß der dem Papst geleistete Eid nicht zum Ungehorsam gegm dm König ermächtigt, aber daraus folgt durchaus nicht, daß der König das Recht hätte, Ungehorsam gegen die Kirche zu gebietm. Wer sich einem solchen Gebote widersetzt, versagt dadurch dem Könige weder die Ehrfurcht noch die Treue, sondem hält nur die Treue dem Könige der Könige. Diesen Grundsatz muß jedes christliche Bekmnt- niß lehren; denn wer diesen Grundsatz nicht anerkennt, ehrt nicht ür Christus den Herrn aller weltlichen Fürsten, und Regierungen oder Könige, welche wahn sinnig genug wären, die Theorie von der Unverembarkeit der StaatSgesetze mit der Treue gegen die Kirche zu adoptirm und damach zu handeln, könnten nicht mehr aus die Treue auch nur eines einzigen Katholiken rechnen." Schließlich prophezeit daö klerikale Blatt dem Deutschen Reich dm nahen Untergang. Oesterreich. Prag, 15. Juli. Ueber die beabsichtigte Ermordung deS Statthalters Baron Koller ist dem Frdbl. aus Prag „von competenter Seite" folgmdeS Schreiben zugegangen: „Schon seit einiger Zeit hatte die Prager Polizei, deren umsichtiger Chef, Hofrath v. Marr, über hervorragende Kräfte im Detektivefach disponirt, ein rühriges und zugleich geheimnißvolleS Treiben bei gewissen eral- tirten Individuen bemerkt, deren einige im „Blanikbunde", dann bei der Pe- tarden-Erplofion in Prag im Jahre 1869 eme Rolle gespielt, in dem darauf folgenden HochverrathSproreffe zu bedeutenden Kerkerstrasen verurtheilt, unter Hohenwart aber amnestirt wurden. Aus dem Dunkel hob sich immer Heller das Projekt der Ermordung deS Statthalters Baron Koller hervor. Die Rollen bei dem Attentate warm bereits vertheilt, Revolver gekauft, ein Dolch, mit dem die Schandlhat vollbracht werden sollte, von einem der Verschworenen selbst ge schmiedet, auch der AciionSplan in allen Einzelheiten verabredet, als vor wenigen Tagen die meisten dieser Elenden, Dank der vorzüglichen Thätigkeit der Polizei, unter solchen Umständen verhaftet werden konntm, welche einer Apprchenfion bei der That selbst gleichkommen. Der Fall macht in Prag großes Aufsehm und werden voraussichtlich bei dm eingeleitetm Verhandlungen interessante Details zu Tage kommen". Diese interessanten Details wollen wir abwarten, ehe wir uns Wetter mit dem Komplott befassen; interessant könnten sie freilich werden, wenn sie die eigentlichen Anstifter der Verschwörung beträfen, die in solchen Fällen sich möglichst im Hintergründe zu halten pflegen. Graz, 16. Juli. Ueber Graz und Umgebung ging gestern Abends unter Donner und Blitz, begleitet von einem heftigen Hagelwetter, ein furchtbarer Wolkenbruch nieder. Derselbe dauerte über vier Stunden und richtete in der Stadt große Verheerungen in Gärten und Kellern an. Heute Vormittags lie fen au- der Umgebung zahlreiche Unglücköberichte ein. In mehreren umliegenden Ortschaften ist der Schaden ungemein groß. Die Ernte-Aussichten sind gänzlich vernichtet. Der herrliche Schloßpark in Eggenberg, dem Grafen Herberstein ge hörig, ist gänzlich devakirt. Sogar Menschen schwebten in Lebensgefahr. Stündlich befürchtet man das Eintreffen neuer Unglücksnachrichten. Graz, 16. Juli. Rach einer Wiener Korrespondenz der amtlichen Grazer Zeitung vertritt Graf Andrassy aus das entschiedenste die Ansicht, daß angesichts der vom deutschen Reich gegm die Jesuitm ergriffenen Maßregeln Oesterreich sich derNöthiguna nicht entziehen könne, den Jesuiten-Ordm mindestens derjenigen Aussicht zu unterstellen, welche Deutschland die Bürgschaft gewährt, daß er Nicht von dem sicheren österreichischen Asyle aus seine Wirksamkeit fortwährend über , die nahe Grenze trage. Ob der Anstoß zu dieser Erwägung villeicht aus Berlin gekommen sei, weiß der Korrespondent nicht zu sagen. Italien. Rom, 16. Juli. ES heißt, der Papst sei unpäßlich. Er scheint durch die fortwährenden Empfänge sehr ermüdet und bat deßhalb, ihn in der gegen wärtigen Hitze zu schonen. Der Papst ist einm großen Theil deS Tages mit Schreiben und Ordnen seiner Papiere beschäftigt. Man glaubt, daß der Papst, dem Drängen der Jesuiten nachgebend, Italien zu verlassen beabsichtige. Viele Jesuiten sind abgereist; zurück bleiben bloS die OrdenSoberen, die Alten und die Kranken. Versailles, 17. Juli. In der heutigen Sitzung der Nationalversamm lung kam die RachtragSforderung der Regierung von 200 Millionen zurBalan- tiruna des Budgets zur verathung. Der Berichterstatter der vudgettommission führte aus, daß 135 Million« genügen würden, um das Gleichgewicht deS Budget- hrrzustellm; Ersparnisse seien nothwendig. Thier- hält die Forderung von 200 Millionen als nothwendig aufrecht und beweist, daß der Kredit der Franzosen zu erhöhen sei. 65 Millionen sei« für das Budget deS Krieg-Ministerium- ausgesetzt; er würde die Erhöhung selbst dieser Summe vorschlagen, wenn die Finanzlage besser währe. 87 Million« votirte die Versammlung bereits au- neuem Steuern und die fehlenden 113 Millionen bringe nur dte Rohstoffsteuern. Vicomte de Meaur will Ersparnisse, verlangt Vertagung der neuen Steuer- berathung und tadelt Thier-, weil dieser Allianzen erschwere. ThierS macht dem Vorredner aus seinem Verlangen wegen der Ersparnisse einen Vorwurf, da dieselben die Desorganisation des HrereS zur Folge hätten; die Regierung erhöhe die Ausgaben fiir die Armee, um Frankreich stark zu machen. ThierS wünscht, nur ernsthafte Männer möchten die Tribüne besteigen. . . . Lebhafte Protestrufe. Eine Stimme von der Recht« fordert den Präsi denten Grövy auf, er solle ThierS zur Ordnung ruf«. ThierS widerspricht und sordert die Rechte auf, einen Anttag auf motivirte Tagesordnung zu stellen, indem er hinzufügt, er (ThierS) werde niemals eine leicht zu erreichende Popularität suchen, welche darin bestehe, das Land zu hin tergehen und für seine Bedürfnisse blind zu sein. Niemals werde er vor der Vertrauensfrage zurückschrecken. Er sei bereit, die ungerechten Angriffe der Opposition zu beantworten, welche sich übrigens mehr auf die Politik als auf die Finanzfrage bezögm. Schließlich macht ThierS die Kammer aufmerksam, wie gefährlich für das Land die Möglichkeit eines Regierungswechsels sei. Er könne sich nicht ohne das Vertrauen der Versammlung an dm Credit Europa wenden, und so lange dieselbe nicht das Gegmtheil ausgesprochen, werde er annehmm, daß er ihr Vertrauen besitze. Lebhafter Beifall der Linkm folgte diesm Wortm und die Fortsetzung der Diskussion wurde auf morgen vertagt. Die letzte Volkszählung in Paris hat ergeben, daß dasselbe 5800 Kaffee-, Wein-, Speise- und Bierhäuser besitzt. Diese machen jährlich ungefähr für 150 Millionen Francs Geschäfte. Das Trinkgeld, welches die 15,000 Kellner und Aufwärter erheben, beläuft sich auf über 6 Million«. Spanien. Die frommen Carlisten in Spanien Hausen in den weniaen Ortschaft«, die sie noch in ihrer Gewalt haben, wie die Räuber. So ließ sich der bekannte Tristany, wie ein Organ der Carlisten selbst erzählt, von einer Eisenbahn-Ge sellschaft 10,000 DuroS bezahlen mit der vorauSgegangenm Drohung, ün Nicht bezahlungsfalle die Bahn zu zerstören. Die Regierung scheint diesem Treib« gegenüber machtlos; wenigstens meldet der Tiempo, daß General MorioneS eine Proklamation erlass« habe, welche den Insurgent« eine neue Frist von drei Tagen gewährt, um die Waffen niederzulegen und ihre Amnestie zu erlang«. England. London, 17. Juli. Der diesseitige Botschafter am St. Petersburger Hofe ließ die telegraphische Meldung hierher gelangen, daß die Cholera dort ausgetreten sei. Infolge dessen sind von der Regierung die Zollbehörden in d« Häfen der vereinigten Königreiche angewiesm Word«, Vorkehrungen zur streng« Ausführung der Ouarantainevorschrist zu treffen. Ärntreda. Rewyork, 15. Juli. 1500 Elsässer und Lothringer begab« fich heute zum französischen Konsulat und ließen fich dortselbst als französische Bürger einttagen. * Berlin. Der Schuldirector K der gebildet« Leserwelt durch seine geistvollen und elegant stylistrten literarhistorisch« Essais (namentlich über ShakeSspeare) bekannt, ist, wie seine viel« Freunde auch wissen, ein Ori ginal von Zerstreutheit, — aber seine verehrte Gattin, eine ProfefforStochter und gleichfalls hochgelehrte Dame, nicht minder. So erzählt man fich denn au- lhrem wunderlichen Haushalt »ub ro»» die drolligsten Geschichtch«, u. a. au- jüngster Zeit folgende-: An einem Sonntag Mittag um die Essenszeit läutet e- an der Thür de- SchuldirectorS. Die Frau Direktorin, ebm mit einem saftig- appetitlichen Kalbsbraten, womit sie heut eigenhändig dm Gemahl überrasch« will, auf dem Wege aus der Küche nach dem Speisezimmer, welcher Weg durch ihr« speciellm EmpfangS-Salon führt, vernimmt vom Korridor her die Stimme einer in Ute«, geliebten Freundin. Im Nu den Brat« aus der Hand, aber wohin rasch? ES findet fich gleich kein passendes Versteck anders, als ein Winkel im Sopha, und fluaS ein paar Kleider, einen Teppich, Sophakiffen und was sonst in der Nähe bunt herumliegt darüber geworfen. Schon tritt dte Freundin ein, man nimmt auf Sesseln Platz, auch der Hausherr kommt dazu, und eine lebhaft geistreiche Konversation entspinnt sich alsbald, bei der, da die Wendung allmälig auf daö LieblingSgebiet deS SchuldirectorS sich hinübersptelt, die Diöcussion von Seiten Aller in jene verstrickende Region geführt wird, wo man an Zeit und Ess« nicht mehr denkt. Und ob auch die Köchin schon einige Male draußen ungeduldig gehustet hat, was heißen soll: die schönen Kartoffeln werden kalt und der Salat schnurrt zusammen, — das achten dte drei gelehrten Seelen nicht, die indeß selig selbstvergessen im ParadieSgärtlein geistigen Ge nusses lustwandeln. — Erst, als nach einer Stunde oder zwei'» jener interessante Besuch fich verabschiedet bat, stiehlt sich dem Henn Schuldirector wohl die zwei felnde Frage von dm Llpp«: „Sage mir, u»»r, haben wir denn schon zu Mittag gespeist?" Und e- kommt die Köchin verdrießlich mit der Frage: „Ob's nun endlich Zeit wäre das Uebrige aufzutragen?" — „Wie, da- Uebrige?!" — Nun, der Braten steht ja längst auf dem Tisch — die Frau Direktorin habe ihn eigmhändia mit hereingenommen. — Auf dem Tisch —? Brat« —? Ülo »lllil e«t! Wo ist der Braten hin? Die Frau Direktorin kann sich gar nicht besinnen. Man sucht und sucht durch alle Zimmer — um sonst I So geht man denn ohne Brat« endlich restgnirt zu Tische. — Tag um Tag vergeht danach, von dem Verschollenen ist keine Rede mehr. Da nach Ab lauf einer Woche beginnt's im Salon der Dame vom Haus eigenthümlich zu duften: Lau 6« ist's nicht. „Hm, hm l" bemerkt der Herr Schuldirector, der eben bei seiner Frau «»getreten, um sie nach einem Datum in der Regie- rungS-Periode Ludwig XlV zu fragen, mit prüfendem Umherriech«: „tzuel oüeur! Was für ein penetranter Dust ist das? Kommt's nicht vom Sopha da her? Womit hast Du dein.- Kleider parftlmirt, o»or?" Und cr hebt ste,