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-u Über- Deutschland. Berlin. Die Thronrede, mit welcher der Reichskanzler Fürst v. Bismarck im Namen und Auftrage des Kaisers den Reichstag eröffnete, lautet: öerickgchltgung der Be- rrspoudenzvcrkehr« regelt. — Die Elsah-Lochringen schreitet in er- geleat; die Rechtspflege ist gesichert und dl« Universität in Straßburg soll am I. Mal d. I. tu« «eben treten. Zur den außerordentlichen Aufwand, welchen di« Ein« richtuna der damit,u verbindenden wiffenschastltche» Institute erheischt, wird auf die Hilfe de« Reiche« gerechnet werden dürfe». Eine Ueberficht der bisher erlassene» Gesetze und allgemeinen Anordnungen, sowie über den Gang der Verwaltung de« Lande« wird, entsprechend der Vorschrift de« Gesetze« vom S. Juni v. I., Ihnen zugehen. — Sie werden, geehrte Herren, die Befriedigung thrilen, mit welcher di« verbündeten Regierungen auf die Ergebnisse de« ersten Jahre« de« neubegründeten deutschen Reiches zurückblicken, und der ferneren staatlichen und nationalen Entwicke lung unserer inneren Einrichtungen mit freudiger Zuversicht näher treten. — Mit derselben Genugthuung werden Sie die Versicherung entgegrnnehmen, daß e« der Politik Sr. Majestät de« Kaisers und König- gelungen ist, bei allen auswärtigen Regierungen das Vertrauen zu erhalten und zu befestigen, daß die Macht, welch« Deutschland durch seine Einigung zum Reiche gewonnen hat, nicht nur dem Vater lande eine sichere Schutzwehr, sondern auch dem Frieden Europa'« eine starke Bürg schaft aewährt." Nach Beendigung der Rede erklärte der Reichskanzler Fürst v. Bismarck im Namen der verbündeten Regierungen, auf Befehl Sr. Majestät des Kaisers den Reichstag für eröffnet. Hierauf brachte der zeitige Erste Präsident deS Reichstages, AppellationSgerichtSrath Präsident ve Simson, ein dreimalige- Hoch auf Se. Majestät dem deutschen Kaiser, König Wilhelm von Preußen aus, in welches die Versammlung begeistert einstimmte. Berlin, 4. April. Die A. Zta. erzählt: „Fast halb Berlin ist wegen des leidigen Wohnungswechsels feit acht Tagen in fieberhafter Bewegung. Nur wenige Häuser hat der gegenwärtige Umzugstermin unberührt gelassen. Um die schweren Sorgen und Verdrießlichkeiten, welche ein Berliner Wohnungs wechsel im Gefolge hat, ganz erfassen zu können, muß man selbst die Leiden eines Berliner UmzüglerS mit durchgemacht haben. Nur in ganz seltenen Fäl len findet der Miether, wenn er mit seiner Habe bei der neuen Wohnung an langt, diese geräumt. Meist muß er sich glücklich preisen, wem der ausziehende Miether ihm ein großes Zimmer frei gemacht hat, m welchem er sein gesammteS HauSgeräth und seine Familie ftir tue nächsten 24 Stunden unterbringen kam. Zahlreiche Familien traf diesmal daö Mißgeschick, daß sie ihre alte Wohnung mit Sack und Pack verlassen hatten und zu der neu gemietheten Wohnung kei nen Zutritt erhalten konnten, weil deren augenblickliche Inhaber unter dem Vor wande, von dem HauSeigenthümer nicht rechtzeitig gekündigt wordm zu sein, dieselben als unbefugte Eindringlinge zurückwiesen. Da war denn die Noth keine geringe, da die Polizei in solchen zur Cognition deS Gerichts gehörenden Fällen völlig ohnmächtig ist. Ganze Familien aeriethen dadurch nicht bloß in eine vorübergehende Obdachlosigkeit, sondern befanden sich auch noch in der pein lichen Lage, nicht zu wissen, wohin sie ihre Sachen schaffen sollten, die von de« Möbelbeförderer inzwischen auf die Straße abgeseht worden warm. In wieder anderen Fällen mußte die von dem Gericht angeordnete Exmission unter An wendung der Polizeigewalt vollzogen werden, wobei eS hier und da sogar zu blutigen Kämpfen kam. Wie groß die Zahl der obdachlos gewordenen Familien ist, hat bis jetzt noch nicht festgestellt werden können. Nach einer ungefähren Schätzung beläuft sich dieselbe auf 1200 bis 1500 Köpfe. DaS Arbeitshaus und die Asyle für Frauen und Männer sind von solchen Unglücklichen überfüllt. Zwei Familienväter haben sich aus Verzweiflung über die ihren Angehörigem drohende Obdachlosigkeit das Lebm-genommen. Eine mit ihrm vier Kindern und geringm Habseligkeiten auf die Straße gesetzte arme Wittwe fand Zuflucht bei mitleidigen Menschen. Zahlreiche Familienväter haben in der Umgebung der Stadt armselige Bretterbuden aufgeschlagen, in denen sie mit den Jhrigm bessere Tage erwarten, während Hunderte von Familien auf die benachbarten Dörfer hinausgezogen sind. Aber auch in einzelnm dieser Ortschaften soll die Woh- nungönoth bereits eine solche Ausdehnung gewonnen haben, daß sich beispiels weise in dem kleinen Schweneberg die Zahl der obdachlosen Personen angeblich auf 200 beläuft." Berlin, 7. April. Das Preßgesetz für daö Reich soll nach Andeutungen von gewöhnlich unterrichteter Seite doch liberaler entworfen sein, als mehrfach angenommen wird. Diese und jene süddeutsche Regierung mag deßhalb wegm der baldigen Wirksamkeit desselben Bedenken haben, in der Besorgniß, daß st« dadurch der clericalen Presse gegenüber gleichsam entwaffnet werden könnte. Dies mag die Förderung der Sache mit verzögert haben. ES ist möglich, daß der Entwurf noch an dm BundeSrath gelangt, während die Vorlage im Reichs tage für diese Session mehr und mehr zweifelhaft wird. Um sich ein Urtheil über den Entwurf zu bilden, wäre sicherlich wünschenSwerth, daß derselbe in seinen wesentlichen Elementen bald zuverlässig bekannt würde. Andererseits muß auch die Frage der Geschworenen für Preßvergehen, die nicht wohl um gangen werden kann, Erwägungen veranlassen, die mit der Civilprozeßordnung zusammenhangen. Die letztere bleibt indessen einer nächsten ReichStagS-Sesston, etwa im Herbst, naturgemäß Vorbehalten. Wie die „Berliner Ger.-Ztg." erfährt, wird Herr Bebel beim Beginn der Session seinen Platz im Reichstage einnehmen. Oesterreich. Wien, 6. April. Das Tagbl. schreibt: „In hiesigen Altkatholikenkreisen besteht die Absicht, im Laufe dieses Sommers hier in Wien einen allgemeinen Altkatholikencongreß einzuberufen, zu welchem an sämmtliche weltliche und geist liche Führer der kirchlichen Reformbewegung in Deutschland, England, Holland und Italien, so wie an bekannte Gegner deS UltramontaniSmuS in anderen Ländern Europa'S Einladungen werden gerichtet werden. Diesem Congreffe wird ein specifisch österreichischer Altkatholikentag vorauögehen, zu welchem bloß Delegirte von altkatholischen Vereinen und Gemeindm der österreichisch-ungarischen Monarchie Zutritt haben." Frankreich. VerjailleS, 6. April. Herr ThierS hat eine Commisstoss nach London geschickt, die beauftragt ist, die Organisation und Wirksamkeit der Armenhäuser (Vv orlilloo,«) zu studirm. Die Commission soll ihm einm ausführlichen Bericht über diese WohlthätigkeitSanstalten lieferst, denn Herr ThierS geht mit der Absicht um, der Rational-Bersammlung die Errichtung solcher Armenhäuser in Paris vor- zuschlagm. Die Nothwendigkeit solcher Anstalten machte sich seit den letzten Begebenheitm in Paris sehr fühlbar. Viele arme Wittwm und Kinder befinden sich in dauerndem Vagabundmthum. Die jungen Mädchen ohne Aufsicht ihrer Mütter, welche sich nicht um ste bekümmern, verfallen der Prostttution und häufig schon im KindeSalter. Die kleinen Knaben stehlen an dm Marktständen und dm Auslagen der Läden. Alle gewöhnen sich an das Betteln und eS ist selten, daß man in Paris eine Straße passirm kann, ohne von diesm Unglücklichen angebettelt zu werden, wenn nicht gerade ein Pp- lizeidiener in Sicht ist. Die Demoralisation ist in der armen HevölkeyM.unz. geheuer und die Armen haben fich seit der Commune bedeutend vermehrt. Hfl die National-Versammlung den von verschiedenen Mitgliedern der Li^G ge ¬ führten warm. Die scandalöse Mißverwaltung und Betrügerei in New-Orle- anS wird auf feinm Schwager zurückaesührt; die unlängst zu« zweiten Male durch ein SmatS-Comit« bloßgelegten Erpressungen im New-Korker Hafen wur den durch einm jungm Officier von GrantS Stabe auSgeübt, welcher den verant wortlichen Postm auf dringende Empfehlung seines früheren Chefs erhalten hatte; und unglücklicher Weise bekundet der Präsident in seiner Verwaltung die nämliche Hartnäckigkeit, die ihn währmd seiner KriegSftihrung auSzeichnete. Er läßt seine Günstlinge nicht im Stich, selbst wenn ste der Cormption schuldig befunden worden sind, und einem Steuereinnehmer, der wegen Veruntreuungen sein Amt quittirm mußte, schreibt er einm warmen Brief der Anerkennung. Um die Sache noch zu verschlimmern, haben die Anhänger deS Präsidenten im Se nate eine unerbittlich feindselige Politik gegen alle Mitglieder der Partei ein- aeschlagm, welche gegen diese Mißbräuche protestiren und Reform verlangen. Im Smate sitzt eine Klasse liberaler und aufrichtiger Männer, welche die Miß griffe deS Präsidenten anfänglich als fteundllche Kritiker besprachen, aber zuletzt zu offener Feindseligkeit gezwungen wurden. An ihrer Spitze sieht Charles Summer, der bedeutendste von dm lebenden amerikanischen Staatsmännern; und mit ihm zusammen gehm Karl Schurz, der Deutsche aus Missouri, dessen Re degewalt an die parlamentarischen Triumphe eines For und Pitt erinnert; Fen ton, der Ergouverneur von New-Kork, und Trumbull aus Illinois, einer der befähigtsten Politiker des Westens. Außerhalb des SmateS haben diese Libe ralen, wie man anfängt sie zu nennen, die Unterstützung eines großen Theiles der Presse, einschließlich drei der großen Repräsentativblätter New-Kork Tribune, Chigago Tribune und Cincinnati Commercial. Die Rathgeber des Präsidenten sind dieser furchtbaren Partei durch einen Ausfall gegen alle Steuereinnehmer und Postmeister entgegengetreten, welche sie für Freunde der Unzufriedenen hal ten. Summer zunächst wurde aus dem SmatScomit« für auswärtige Angele- heiten herausgeschafft, welchem er so lange Jahre zur eignen Ehre und zum Dortheile des Landes vorgestanden hatte; Schurz und Trumbull wurden sogar geradezu aus der Partei ausgeschlossen. Das New-Korker Zollamt und jedes andere BundeSbureau im ganzen Staate wurde nach Anhängern von Senator Fenton und Horace Greeley durchsucht, und ohne einen Tom Kündigung wur den sie bis auf den letzten Mann an die Luft gesetzt. DaS Ergebniß hiervon ist ein Schisma in der republikanischen Partei, welches mit jedem Tage größer wird. Inzwischen haben die Liberalen von Missouri eine Nationalconvention einberufen, und die Aussicht findet immer mehr Eingang, daß sie möglicher Weise — falls fie ihre Karten vorsichtig spielen — bei der nächsten Präsiden tenwahl den Ausschlag geben werden, indem ste sich entweder mit dem Demo kraten für einen Candidaten wie Trumbull vereinigen, oder aber die orthodorm Republikaner zwingen, Grant aufzugeben, und einen gemäßigten Mann, gegen den Nichts einzuwenden ist, wie den Viceprästdenten Colfar wählen. Die New- Korker Untersuchung hat der liberalen Bewegung einen guten Anstoß gegebm; einm noch größeren wird ihr die Untersuchung über den Waffenschacher während deö Krieges von 1870 geben. Aber trotz alledem sind die Aussichten Grant'S heute noch immer besser, als die irgend eines anderen Mannes, der noch bisher als sein Nebenbuhler erwähnt worden ist. „Geehrte Herren! Ihre Thätigkeit wird in der bevorstehenden Sefston in erster Linie durch die Fortführung der im Vorjahre begonnenen gesetzlichen Regelung und Ausbildung der gemeinschaftlichen Einrichtung de« Reichs in Anspruch genommen werden. — Durch ein Gesetz über die Einrichtung und die Befugnisse des Rech- nungShofS soll die Eontrole der Erhebung und der Verwendung der Einnahmen des Reichs definitiv geordnet und die Behörde, welche mit der Handhabung dieser Eontrole, sowie mit der Vorbereitung der durch den BundeSrath und den Reichstag auszusprechenden Entlastung zu betrauen ist, mit den dazu erforderlichen Befugnissen ausgestattet werden. — Der Entwurf eines MilitärstrafgesetzbucheS für das deutsche Reich wird Ihnen vorgelegt werden, um die Einheitlichkeit der Heereseinrichtungen auf dem Gebiete des Strafrechte» zum Abschlusse zu bringen und der bereits gewon nenen Einheit des Strafrechts für das bürgerliche Leben den vom Reichstage geäu- tzerten Wünschen entsprechend, al- Ergänzung hinzutreten. — Der Entwurf eines zur Regelung der Verhältnisse der Reichsbeamten bestimmten Gesetzes, welcher dem Reichstage bereits Vorgelegen hat. ist unter Beachtung des Gutachtens der Com mission des Reichstages und der inzwischen eingetretenen politischen Veränderungen einer neuen Prüfung unterzogen worden und wird in der danach veränderten Ge stalt Ihrer Beschlußfassung unterbreitet werden. — Die einheitliche Regelung der Bierbesteuerung innerhalb der Gebiete, welchen die Abgabe von Bier gemeinschaft lich ist, hat Ihre Thätigkeit schon mehrfach in Anspruch genommen, ohne daß eS bis dahin gelungen wäre, die derselben entgegenstehenden Schwierigkeiten . " winden. Eine Ihnen zugehende Gesetzvorlage wegen Erhebung der Brausteuer im deutschen Reich hat den Zweck, diese Aufgabe zu lösen und zugleich durch Mitbe steuerung der Malzsurrogate eine dem Interesse der Finanzen sowohl wie des Ver brauchs entsprechende Reform der Braumalzsteuer durchzuführen. — Die erfreuliche Steigerung des Verkehr« und Verbrauchs hat die Möglichkeit geboten, in dem Ih nen vorzulegenden Reichshaushaltsetat für das Jahr 1873 die Einnahme aus den gemeinschaftlichen Verbrauchsabgaben und die Ueberschüffe der Postverwaltung, unter Beachtung der bewährten Grundsätze und vorsichtigen Veranschlagung, höher auSzu- bringen, so daß irotz des in verschiedenen Zweigen der Ausgabeverwaltung bervor- getretenen Mehrbedarfs eine Verminderung der Matricularbeiträge in Aussicht zu nehmen ist. — Ein Nachtrag zum ReichshauShalt«etat für das Jahr 1872 ist be stimmt, neben der Befriedigung einiger anderer nachträglich hervorgetretenen Be dürfnisse die Mittel für Begründung eine» statistische» Amtes auszubringen, welches im Stande sein würde, durch einheitliche wissenschaftliche Bearbeitung der Ergebnisse sta istischer Erhebungen im Reiche der Gesetzgebung und Verwaltung, sowie der wissenschaftlichen Erkenntniß der staatlichen und gesellschaftlichen Zustände wesentliche Dienste zu leisten. — Die Verwaltung deS Jahre« 1871 hat erhebliche finanzielle Ueberjchusse sowohl bei den Steuern, al« auch bei der Postverwaltung ergeben Ueber die Verwendung derselben wird Ihnen ebenso wie über die gesetzliche Regelung der Verwendung und Äertheilung der französischen Kriegsentschädigung eine Vorlage zugehen. — Ueber die durch den Krieg mit Frankreich veranlaßten Au«gaben der Staate» de« vormaligen norddeutschen Bunde« wird Ihnen, den Bestimmungen der in den Jahren 1870 und 1871 erlassenen Creditgefetze entsprechend, ein Rechenschaft«- bericht erstattet werden. — Die mit der Regierung de« Königreich« Portugal seit Jahren gepflogenen Verhandlungen haben am 2. März d. I. zum Abschlusse eine« Vertrage« geführt, welcher nach dem Vorbild« der mit anderen Staaten abgeschlos senen Handel« - und Schifffahrttverträge di« gegenseitigen Verkehr«beziehungeu auf dem Fuße der meistbegünstigten Nationen regelt und, wie zu hoffen, die Grundlage für die Anknüpfung imimer uud «»«gedehnterer Handelsverbindungen zwischen Deutschland und Portugal bilden wird. Der Vertrag wird Ihnen zur Genehmigung vorgelegt werden. Ebenso eine mit den vereinigten Staate» von Amerika abge schlossene Consularconvention und ein mit Frankreich abgeschlossener Pystvertrag, weichet,die gegenseitigen postalischen Beziehungen unter V " düsftsisst des-karsteten Wach«thum begriffenen Correspoudei NeudrdNndmund Befestigung der Verhältnisse von . wüaschter Äetse vor. Die Schäden de« Kriege« gehen mit Hilf« der Unterstütz»»«, webche näch v«m Gesetze vom 1«. Juni 1871 au« Reich««ittelu aewährt werden darf, vllmahlich de«H«tl»ug entgegen. Hie Grundlage« für di« deutsch^ Verwaltung sind