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ZUR EINFÜHRUNG Maurice Ravel (i875—1937), der heute schon unter die Klassiker der neueren franzö sischen Musik gerechnet wird, ist neben Debussy der bekannteste französische Kom ponist unserer Zeit. Er schrieb vor allem Klaviermusik, eine Reihe von berühmten Orchesterwerken (La valse, Bolero, Rapsodie Espagnole usw.), einige Ballette und einen Operneinakter. Es ist nicht ganz richtig, ihn einen Impressionisten zu nennen, da er von einer so starken rhythmischen Begabung war, daß seine Werke dadurch einen lebens kräftigen, energischen Zug erhalten. Ravel hat 1905, die „Miroirs“ für Klavier kompo niert, fünf schöne Charakterstücke, die, ihren Titeln und Überschriften gemäß, alltägliche Ereignisse ins Wunderbare, ins Traumhafte übersetzen. Aus dieser Reihe von Klavier stücken hat er selbst zwei orchestriert und sie somit dem Konzertsaal geschenkt. „Albo- rada del gracioso“ beschwört Spanien. Durch Ravels Musik entsteht das Bild eines ver zauberten Traumspaniens. Gitarrengesumm und liebestrunkene Melodien, die sich in einen Rausch hineinsteigern, geben das musikalische Material. ,,Une barque sur roeean“ (eine Barke auf dem Meere) ist eine Art Gondellied, allerdings mit den raffinierten Mitteln des Impressionismus. Man sieht das einsame Schifflein auf dem Meere dahinziehen, auf gehoben und geschaukelt von den Wellen, verloren in der unendlichen Größe des Ozeans. Die berauschende Kunst Ravels ist Ausdruck der bürgerlichen Gesellschaft der Zeit vor dem ersten Weltkriege; Eleganz, Überreiztheit der Nerven, Sehnsucht nach einem einfacheren Dasein und eine verhaltene Melancholie sprechen aus ihr. Isaac Albeniz (1860—1909) ist ein Klavierkömponist, da er selbst ein hervorragender Pianist war. In seinen Klavierwerken kommen die Eigentümlichkeiten Spaniens, seiner Heimat, zum Ausdruck. Er verarbeitet vor allem andalusische Volksmusik, er gibt ihnen die für Spanien charakteristische Farbe und den spanischen Rhythmus. Er schrieb eine Suite, „Iberia", also eine Folge von verschiedenen Tänzen aus Spanien, die später von Fernandez Arbös für Orchester bearbeitet wurden. Aus dieser Suite kommt der Satz ,,Triana“ zu Gehör, ein im Dreivierteltakt stehender Tanz von graziöser Haltung, die sich aber ins Leidenschaftliche steigert. Alb6niz hat das Glutvoll-Verhaltene, das den spanischen Charakter bestimmt, in diesem Satz aufs glücklichste getroffen. Bcla Bartök (1881—1945) ist der bedeutendste ungarische Komponist der Gegenwart. Sein gesamtes künstlerisches Werk, das man heute überblicken kann, ist von den Liedern und Tänzen seiner Heimat befruchtet worden. Bartok machte eine künstlerische Entwicklung durch, die in drei große, scharf vonein ander getrennte Abschnitte einzuteilen ist. Die erste Entwicklungsstufe wird durch die Einflüsse Franz Liszt’s und des französischen Impressionismus gekennzeichnet. In der zweiten Entwicklungsstufe experimentiert Bartok mit den Stilmitteln, die die, Neue Musik nach dem ersten Weltkriege erarbeitet. Dabei scheut er nicht vor der Atonalität zurück, nimmt die rhythmische Vielgestaltigkeit der Volkslieder des Balkans und die rhythmischen Finessen Strawinskys in seine Musik auf und sucht bewußt nach neuen Wegen. In der dritten Entwicklungsstufe klärt sich seine Musik, sie orientiert sich an klassischen Vorbildern, sie wird wieder harmonisch und wird beeinflußt von der Reife seines Alters. Gerade die Werke aus der letzten Periode seines Schaffens (er war emigriert und starb arm und verkannt in Amerika, weil er sich immer zum Sozialismus bekannt hatte) sind für die heutigen Komponisten Ungarns zum Vorbild geworden.