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Daher ergiebt sich für ihn die Forderung, daß er den Kindern, Zöglingen, Mutter und Vater sei. Daß der Lehrer den Zöglingen eine Mutter sei, gilt besonders bezüglich des engeren Familienlebens und seiner weitgreifenden Einwirkung auf das gesellschaft liche Leben überhaupt, während die Forderung, er sei ihnen auch ein Vater, vor züglich in Hinsicht auf das in der Familie mit zn begründende allgemeinere geistige Leben Bedeutung erhält. Schon das sind Riesenaufgaben; aber sie müssen jedem Lehrer gestellt werden, und niemand kann die Lehrer von deren Lösung entbinden. Nicht ohne Grund stellen wir die Mutter, als erste Erzieherin, dem Vater I. voran. Wir fordern vom christlichen Lehrer und Erzieher zuerst reine Liebe, wie solche eine wahrhaft gute Mutter übt. Der Name Mutter bezeichnet das Beste, das Lieblichste, dessen ein Menschen kind sich freuen und tröstlich erinnern kann; im Begriffe „Mutter" vereinigt sich für jedes alles, was dankenswert und ewig fesselnd zugleich ist. Und Mutterliebe, mütterliche Liebe, ist das Höchste, was ein Menschenherz zieren, beglücken und segnen kann. Schon hieraus ist zu erkennen, was es sagen will, fremden Kindern, als ihr Lehrer und Erzieher, eine Mutter zu sein. Durch ihre Liebe trifft eine gute Mutter auch ohne pädagogische Bildung in der Erziehung das Rechte und wirkt großes, ein wahrer Segen für die Familie. Manchmal wird psychologisch-pädagogisch ein Langes und Breites geschrieben über das, was eine rechte Mutter von Liebe getrieben ohne viel Worte völlig richtig und erfolgreich vollbringt. Wir müssen daher von den Müttern lernen, lieben lernen. Liebet eure Zöglinge wie eine gute Mutter ihre Kinder liebt! Wie ist das möglich? Gleichthun können wir es einer treuen Mutter in ihrer Art nicht; aber bei rechter christlich-pädagogischer Reife können wir sie in unsrer Art der Wirk samkeit übertreffen. Ist es nicht wahr, daß das Kind seinen liebenden Lehrer, in Sachen der Erkenntnis wenigstens, höher stellt als seine Eltern? Wenn uns der kindliche Glaube, das kindliche Vertrauen, ein so mächtiger Bundesgenosse, die Hand reicht, wie sollte es fehlen, daß wir in unserer Art mehr leisten als eine Mutter in ihrer Art, vorzüglich in Sachen der Erkenntnis? Und wenn nun von der Er kenntnis Gefühl und Wille ganz entschieden abhängig sind, sollten wir nicht im stände sein, unsere Zöglinge ihrem ganzen Wesen nach zu veredeln? In der Familie kann allerdings für die Erziehung im engern Sinne mehr gethan werden als in der Schule; aber wie oft geschieht es nicht, und dann kann die Schule mehr thun. Es ist eine ganz falsche Meinung, daß die Schule über haupt nur wenig erziehend wirken könne. Man gestalte die Schule nur recht zu einer Erziehungöschule, so wird man sehen, welch große Erfolge sie zu erzielen vermag, selbst wenn sie von seiten einzelner Familien gehemmt wird. Zur Er- ziehuugsschule aber wird die Schule, wenn mau die sittlichen Aufgaben, von denen wir handeln, angemessen und mit allem Fleiße löst. Habt nur die rechte Liebe, lebt nur für eure Zöglinge, so werden sie euch auch gewiß ganz anhangen und euch als ihren mohlthuenden Führern Folge leisten und nachstreben. la. Die wahre Liebe zeigt sich aber erstens als Aufmerksamkeit auf die Person, das Wesen und Thun des Kindes, auf alles, was das Kind äußert, auf alle seine Vorzüge, seine Mängel, seine Bedürfnisse, und diese Aufmerksamkeit muß zu einer beobachtenden, ja ab lausch enden werden. Solche Aufmerksamkeit ist die beste Lehrmeisterin der praktischen Psychologie und die notwendige Grundlage