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89 übergetragen sind; weil sie ihren Sitz zugleich in der physischen, wie in der geistigen und moralischen Beschaffenheit haben und ihre Heilung zugleich Sache des Leibes- wie des Seelenarztes ist. Zu manchen diesen Krankheiten wird der Grund in früher Jugend gelegt; die dabei wirksamen zerstörenden Faktoren wirken Jahre lang in der Stille, allmählig ein Verderben herbeiführend, das dann, ohne daß man es geahnt hat, und wie auf einmal erschreckend auftritt, das aber, weil es allmählig im Verborgenen gereift ist, nun auch nur langsam und schwer wieder beseitigt werden kann. Manche derartige krankhafte Zustände können nur neben strenger Leibesdiät und Selbstzucht durch Geisteserhebung und er neuerte religiöse Gemeinschaft, dazu Fürbitte christlicher Liebe überwunden werden; wie Christus der Herr sagt Math. 17, 21: „Diese Art fährt nicht aus, denn durch Beten und Fasten!" (Daß wir aber Alle der vollen Geistesgesundheit mangeln und höhere Hülfe und Heilung bedürfen: daran erinnert das von A. Knapp übersetzte englische Gebetslied: „Komm, heil uns, o Immanuel, Berühr' in Gnaden unsre Seel: Verwundet kommen Alle wir Und blicken flehend auf zu Dir!" rc. rc.) Freilich kann auch auf der andern Seite das excitative Gemüth, wenn es sich in das unendliche Wesen des heiligen Gottes versenkt und den strafenden Ernst seiner Gerichte ohne die erbarmende Gnade sich vergegenwärtigt, in einen finstern Wahn verfallen, in eine Geistesstörung, die mit religiösem Wahnsinn verbunden ist. Nach den Erfahrungen des Verfassers sind nun Seelenkrankheiten — von forterbenden Familienkrankheiten abgesehen! — dann am gefährlichsten und schwersten heilbar, wenn beide Naturen, die Physische und geistige abgeschwächt und siech sind; wenn mehrere verderbliche Leidenschaften zugleich zerstörend auf den Menschen einwirken; wenn Geist und Gemüth das gläubige Vertraun zur rettenden Liebe von Seiten Gottes und der Menschen verloren hat und damit zugleich Empfänglichkeit für göttliche Gnadenverheißungen und ihre Wirkungen. Die nachstehenden Mittheilungen über Geistes- und Gemüthskranke, mit denen ich während meiner Amtsverwaltung verkehrt habe, können das Gesagte in mancher Hinsicht bestätigen. a) Als ich mein Pfarramt in Trebsen antrat, lebte daselbst eine unverhei- rathete kränkliche Frauensperson (K.) in scheuer Zurückgezogenheit, meist einge schlossen in einem Auszugsstübchen, welche von der fixen Idee geplagt wurde, die Leute wollten sie vergiften. Manche trübe Erfahrung, die sie in ihrem Leben gemacht, Kränklichkeit der Verdauungsorgane, Menschenscheu in Folge von Verspottung, die sie erfuhr, hatten, nachdem schon eine verkehrte Erziehung