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ersten Stadien der Krankheit anzuwendenden Mittel ebenso wünschenswerth sein, als die Unterweisung im Nähen, Kleiderausbessern und in der Zubereitung guter wohlfeiler Hausmannskost. Die Erfahrung der älteren Geistlichen, auch meine eigene, bezeugt es, daß auf dem Laude und in kleinen Städten, da es namentlich in der ersten Hälfte unsers Säculums an gebildeten Aerzten mangelte, oft nur sogenannte Natur ärzte , die keine Kenntniß des menschlichen Körpers besaßen, Schäfer und Thier- züchter, welche bei langjähriger Behandlung der Thiere einen Einblick in das physisch-animalische Leben im Allgemeinen erlangten und hin wieder auch unter Anwendung von magnetisch-sympathischen Mitteln practicirten, den Mangel an gebildeten Aerzten ersetzten. Vielleicht, daß künftig noch Distrikts- Armenärzte oder doch gebildete Kraukendiakonen und Diakonissinnen auf dem Lande, wie schon in größeren Städten ein Anfang gemacht ist, von Seiten des Staates eingesetzt werden. 2. Pastoralklugheit beim Kampfe wider Unmäßigkeit und Völlerei. Zur Gründung von Mäßigkeitsvereinen, deren Mitglieder verpflichtet werden sollen, sich des Genusses aller Spirituosen, insbesondre alles Branntwein trinkens, zu enthalten, konnte ich mich während meiner Amtsführung nicht ent schließen. Ich erachtete es Wohl für Pflicht, allezeit zu einem mäßigen Genusfe von Spirituosen zu ermahnen, ich mochte aber nicht mit Errichtung der ge nannten Vereine unsern Arbeitern im Walde, in den Steinbrüchen, in den Kohlenwerken, unsern Fischern rc. ein Gelübde auferlegen, zu dessen Uebertre- tung sie, namentlich in der rauheren Jahreszeit, so leicht verleitet werden. Wenn denn einmal das Laster der Trunkenheit und Völlerei mit seinen verderb lichen Folgen in der Gemeinde sich ausbreiten wollte, achtete ich als Wächter christlicher Zucht und Ordnung für nöthig, mit der Predigt des göttlichen Wortes dagegen Zeuguiß abzulegen, nur daß solch' strafendes Zeugniß nicht allein lvider solche Unsitte in niedern Bolkskreisen, sondern auch als in höheren Kreisen vor kommend gerichtet wurde. Bei der dießfallsigen speciellen Seelsorge ist eine Pastoralklugheit nach verschiedenen Seiten hin unentbehrlich, wenn sie gesegnet sein soll. Der Geistliche muß selbst nicht nur an seinem Theile reines Gewissens sein, sondern auch den rechten Ort und die rechte Zeit wählen, wenn er mit seiner Mahnung zum Herzen dringen will. — Das paränetische Gespräch des Geistlichen mit Betrunkenen während dieses ihres Zustandes bleibt immer bedenklich; ihre oft witzigen und gereizten Antworten erregen bei den Zuhörern ein Gelächter und bestärken jene wohl in einer selbstgefälligen Verblendung. So war es einst meinem Senior begegnet, welchem auf feine Ermahnung an 6*