72 Wenn König Friedrich Wilhelm III. zu Zeiten in den Kreisen seiner be währtesten Offiziere über seine religiösen Anschauungen und Erfahrungen sich aussprach und da nicht immer eingehendes Verständnis; und Zustimmung fand, da äußerte er sich wohl, wie Ehlert in den Charakterzügen Friedrich Wilhelms berichtet: „Die Menschen müssen auch in religiöser Beziehung verschieden orga- nisirt sein". — Der Verfasser hat in den Kreisen ernster Landleute, wenn sie über leichtfertige und gewissenlose Menschen urtheilten, hin und wieder den drastischen Ausspruch vernommen: „Der Mensch (Kerl) hat keine Religion im Leibe!" und hat darin eine Ahnung und Andeutung finden mögen, daß die religiöse Beanlagung in der leiblich-geistigen Constitution des Menschen bei Präponderanz des Fleisches und der selbstischen Triebe oft nur schwach begründet sei! — wenn schon das Abhängigkeitsgefühl und Gewissen Niemand gänzlich fehlt. Die Entwicklung selbst nun, durch Einwirkung von Außen angeregt, geschieht am leichtesten, wie schon oben angedentet, wenn das religiöse Leben als Erbtheil von der Familie auf das Kind übertragen wird; wenn erleuchtete Lehrer in Schule und Kirche dasselbe helfen fördern und behüten; wenn das religiöse Leben des Einzelnen getragen wird von einem christlichen Gemeinde geiste; sein Ausgang aber ist von göttlicher und menschlicher Bezeugung und Offenbarung. Je nachdem nun jene Beanlagung und diese Einwirkungen zur Entwick lung verschieden sind, je nachdem sind die religiösen Entwicklungsstufen der Menschen verschieden; in diesen Bildungsstufen der Einzelnen offenbart sich die mannichfaltige religiöse Culturentwicklung der Menschheit. Als: Manche geben das ganze Herz an das todte oder lebendige Geschöpf hin; sie repräsentiren den Fetischismus, Zoolatrie, Anthropolatrie. Andere treiben einen pantheistischen Naturkultus, wie er auch nur auf der Stufe eines dunkleren religiösen Gefühls beim Anblick der mannichfaltigen Naturerscheinungen stehn bleibt. Noch Andern gilt Gesetzmäßigkeit und Gewissenhaftigkeit als ihre Religion, wenn sie schon dabei vielfach nicht über den Standpunkt äußerer Ehrbarkeit oder moralisirender Selbstgerechtigkeit hinauskommen; ihr Standpunkt ist dem vieler alten Religions- Philosophen und Secten der Juden, Griechen und Römer verwandt. Das Bedürfniß der Liebes- und Gnadenoffenbarung kommt bei Vielen auch unter den heutigen Christen nicht oder nur mangelhaft zur Klarheit, und ihr Tauf bewußtsein mit der Lehre von Vater, Sohn und heil. Geist bleibt unentwickelt. 2. Vic religiöse Wdnng ilt beeinflußt durch Stand und Sernsstßatigkeit. So manchen religiös gesinnten Frauen werden bei ihrem Mutterberufe die Kinder selbst zu Engeln Gottes, die sie auf das Walten einer göttlichen Macht