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57 Familien-Registern und Ortschroniken mit Rückblicken auf die Vorzeit der Parochie und die Geschichte der seit langen Zeiten ihr angehörigen Familien werden ihm bei solchem Studium wesentliche Dienste leisten. 2. Bei Beantwortung der zweiten Frage: Welches ist Werth und Wichtigkeit solcher Kenntniß für die seelsorgerische Amtsverwaltung? — beschränken wir uns auf die zwei Hauptgedanken: Eine genauere Kenntniß der Gemeindeglieder bewahrt vor Ueberschätzung der Parochianen mit höherer Standes- und Geistesbildung, wie auf der andern Seite vor Unterschätzung und Mißachtung niedrig stehender. a) Der Geistliche, der es vorzugsweise mit höheren Ständen zu thun hat, muß ja freilich ihre Sitten und feineren Umgangsformen wohl beachten, ohne daß ein näherer Verkehr mit ihnen nicht thunlich; er muß ihre äußeren und geistigen Vorzüge, ihre Mittel, ihr Wissen und Können, womit sie dem Staate nützen und in der Gemeinde viel ausrichten mögen, würdigen und bereit sein, von ihnen Belehrungen und Weisungen anzunehmen, nicht aber durch hoffärtiges Wesen und Selbstüberhebung sich ihnen entfremden. Dabei darf er jedoch nicht für ihre sittlichen Mängel und ihre religiösen Bedürfnisse die Augen verschließen. Auch der Reiche, der Höhergestellte, Gelehrte und Höhergebildete bleibt noch ein Mensch der Sünde, der den Kampf des Fleisches und Geistes, den Kampf des Glaubens im Leben durchzukämpfen hat, der fortdauernd durch Bezeugung der ideellen christlichen Wahrheit eine Kräfti gung seines sittlich-religiösen Bewußtseins, eine Versöhnung seiner Sünde, ein Erneuerung des Gnadenbnndes mit dem heiligen Gott braucht, und muß der Geistliche von diesem Gesichtspunkte aus immer bereit und geschickt sein, wie durch den öffentlichen Cultus, so durch anderweiten geistlichen Verkehr solchen Bedürfnissen Genüge zu leisten, aber nicht dem Wahn sich hingeben, als ob Kirche und Christenthum für solche Leute eine entbehrliche Sache sei. Der edle Bischof Borowsky, von dem wir oben §. 7 berichtet, durchschaute bei seiner Kenntniß der höher gebildeten und höchsten Stände trotz aller Vereh rung, die er gegen seinen König Friedrich Wilhelm III. im Herzen trug, die Schwächen und Unvollkommenheiten des sonst so edlen königlichen Charakters, und indem er nicht blos mit „unmaaßgeblichen Meinungen", sondern glaubens kräftig, mit seelsorgerischem offenherzigen Freimuth eines alten Propheten vor dem Fürsten sich aussprach, gereichte in der schwersten Zeit sein Einfluß und sein Wirken wie dem Könige und seinem Hause, so dem Volke uud Lande zum Segen! In gewisser Hinsicht einen Gegensatz dazu bildete ein vor 30—40 Jahren in einer größeren Stadt amtirender rationalistischer Geistlicher. Als einst ein