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38 strebungen haben die feste Grundlage des göttlichen geoffenbarten Bibelwortes. Dadurch bringt sie in ihr Gemüth Festigkeit, Gewißheit, Zu sammenhang, Zuversicht; ich suche sie darin zu bestärken. Sie sympathisirt ganz besonders jetzt mit den Psalmen, in welchen eine heilige Begeisterung ist, die ihrem frommen Gemüthe Schwingen giebt. Selbstgemachte ernste Erfah rungen schließen ihr das Heiligthum der Schrift auf und führen sie in den tiefen reichen Sinn derselben ein. Am letztvergangenen Sonntage fand ich sie allein in ihrem Wohnzimmer, in der heil. Schrift lesend. Sie stand schnell auf und kam mir entgegen mit den Worten: „Nun habe ich mich hineingedacht und gefühlt in den köstlichen Psalm 126, über den wir letzthin miteinander sprachen. Ich weiß nichts, was nieiner Stimmung sich so ernst und milde, so erhebend und tröstend anschließt, als dieses liebe theure Wort. Da ist Weh- muth und doch auch Sieg, Ergebung und doch froheste Zuversicht, Elegie und dochauch Hymnus, ein Hallelnjah mitThränen!" Und nun fing die Königin an, den Psalm mit ganz eigenthümlichcm Ausdruck herzusagen: „Wenn der Herr die Gefangenen und schwer Belasteten erlösen wird, so wird uns sein, wie Träumenden; dann wird unser Mund voll Lobes und unsere Zunge voll Rühmens sein! Dann wird die Welt sagen: „Der Herr hat Großes an ihnen gethan! Herr, wende unsern Jammer und mache ein Ende unserer Noth! Der Du dem tobenden Weltmeer Ufer setzest und Grenzen giebst! Die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten rc." — (Ach, daß die edle fromme Königin, welche nach der Rückkehr nach Berlin Ende 1809 schon im Juni 1810 starb, nicht die Erlösung und Wiederherstellung des preußischen Staates, die sie nach den Worten des Psalm im Glauben voraussah, auch noch erleben sollte!) e) Urtheil des Königs über Borowsky. Eylert sagt: Der König, der sonst wortkarg war, wurde gesprächig, wenn er Borowsky lobte. Hören wir im Nachfolgenden das königliche Urtheil über diesen Mann: Borowsky, sagte er, ist ein Prophet des alten und ein Apostel des neuen Testamentes, wenigstens ein Abbild dieses Urbildes. Alles an ihm trägt den Charakter seines Standes ohne Affectation und Pedanterie. In der evangelischen Geistlichkeit unserer Zeit ist eine sicht- und fühlbare Zer flossenheit, ein Schwanken und Rathen, eine Mischung wechselnder Zeitideen. Sonst giebt jeder Stand dem, der darin lebt und webt, seine eigenthümliche gleichkenntliche Signatur. Von einem christlichen Geistlichen verlange ich das in Wort und That ausgeprägte Bewußtsein eines Dieners der Kirche. Die Kirche muß ein festes System haben, worin sie das ist, was sie ist und sein will und sein soll, und dasselbe als ihr Heiligthum bewahren. Sie kann sich