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23 rung zur historischen Veranschaulichung mehrfach solcher Männer, wie Goliath, Saul, Napoleon gedacht worden, die äußerlich und körperlich angesehn groß und mächtig, aber innerlich ohne sittliche religiöse Kraft, ohne Liebe, Freudigkeit und Seligkeit gewesen, im Gegensätze zu andern äußerlich unansehnlichen, ja gebrechlichen Männern, wie Paulus, P. Eber, Gellert, in deren Schriften und Liedern wir eine große Fülle geistiger Kraft, heiligen Muthes, Liebe, Friede ausgedrückt finden. — An diesem Sonntage kam Streller nach dem Gottes dienste zu mir tiefbewegt und sagte, „das sei eine Predigt gewesen für ihn ge macht, die werde er nimmer vergessen!" — Jnl Hause Streller's kamen nun wöchentlich die älteren Bürger und Haus väter bei einem Glas Bier zusammen und besprachen neben andern Dingen besonders auch Angelegenheiten der Gemeinde, Schule, Kirche unter seiner (Streller's) Leitung, der die Ansichten berichtigte, Vorschläge prüfte und dann Anträge an das Gericht und die Gerichtsherrschaft einleitete. Oft kamen zu ihm auch unzufriedene und verdrossene Leute, denen er Rath ertheilte, die er tröstete und aufrichtete unter Hinweisung auf allerlei Gutes, das sie besäßen oder doch leicht besitzen könnten; ihre unbesonnenen Klagen stillte er zuletzt oft mit den Worten: „Denkt ihr denn, daß andre Leute nichts Schlimmeres zu tragen haben? Oder wollt ihr etwa mit mir tauschen und meine Höcker auf euch nehmen?" Ich verdanke besonders in den ersten Jahren meiner geistlichen Amtsführung dem lieben Manne Manches. Da der Weg von meiner Substitutenwohnung nach der Pfarre und Kirche vor Streller's Hause vorbeiführte, trat ich oft bei ihm ein und besprach mich mit ihm über wahrgcnommene Uebclständc, über Vorschläge zur Abhülfc, über mir noch unbekanntere Persönlichkeiten, mit denen ich zu ver handeln hatte. Er schätzte mein Vertrauen, sprach sich offen und sachverständig aus, ermahnte bei enthusiastischen Plänen moderirend zur Geduld bald mit be scheidenen Andeutungen, bald mit entschiedenen Einwendungen, und als der Mann i. I. 1835 starb (ich war in seinen letzten Stunden zugegen), da war mir, als hätte ich einen meiner besten Freunde verloren! Cap. 2. Krnndsäke bei Nmvnltnng des Votitsditnstes und des geistlichen Amtes iiderlMpt nM Erlnnterungen. Um kräftig und freudig im geistlichen Amte zu wirken, mußte ich mir Grundsätze feststellen und gegenwärtig halten, welche mich bei Verwaltung des selben sicher leiteten. Dazu drängte mich meine Individualität, nach der ich als Gemüthsmensch immer zunächst von lebendigem Gefühl für oder gegen eine