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manches aussetzen, doch freuen wir uns über die geniale Urmusikalität des e-Moll-Konzertes! Der erste Satz erfordert letzte Pedalfeinheit bei aller klavier technischen Überlegenheit, das Rubato (= „geraffte“ Vortragsweise) darf bei die sem klassischen Gepräge des Satzes nie unrhythmisch werden. Die folgende Ro manze ist so herrlich romantisch, daß jede Erklärung blasphemisch wirkt. Ganz anders das Finale: Nichts von romantischer Schwärmerei, nichts von Rubato und anderen Freiheiten ist zu finden, alles ist nur Rhythmus, jugendlicher Schwung und jene Fröhlichkeit, die der junge Chopin so häufig bei den Tanzbelustigungen der polnischen Dorfbewohner belauschte. Hans Richter, der berühmte Wagner- und Brahms-Dirigent, hat die dritte Sin fonie in F-Dur von Johannes Brahms als die „Eroika von Brahms“ bezeichnet — eine Bezeichnung, die wohl nur auf den letzten Satz mit seinem dämonischen f-Moll-Eingangsthema und den kämpferischen Streichermotiven zu trifft. Die Ur aufführung durch die Wiener Philharmoniker am 2. Dezember 1883 hatte durch eine bissige Kritik Hugo Wolfs Stürme erregt. Es hatten sich in Wien Cliquen ge bildet, eine „Bruckner-Clique“ vollführte im Konzertsaal unerhörten Lärm, Hugo Wolf, der dieser Clique angehörte, schrieb in seiner Kritik: „... Brahms ist ein tüchtiger Musiker, der sich auf seinen Kontrapunkt versteht, dem zuweilen gute, mitunter vortreffliche, meistens schlechte, hie und da schon bekannte und häufig gar keine Einfälle kommen. Schumann, Chopin, Berlioz, Liszt, die Führer der revolutionären Musikbewegung nach Beethoven sind an ihm spurlos vorüber gegangen. — Wie man Anno dazumal Menuett getanzt bzw. Sinfonien geschrie ben, schreibt auch Herr Dr. Johannes Brahms Sinfonien, mag derweil vorgefal len sein, was will... er gedenkt der guten, alten Zeit, der alle Zähne ausgefallen sind, die wacklig und runzlich geworden ist und wie ein altes Weib schnarrt und klappert. Lange lauscht er dieser Stimme, mühevoll greift er nach der Feder, und was er auf schreibt — wahrhaftig! ’s sind Noten, eine Menge Noten. Diese Noten werden nun regelrecht in die gute, alte Form gestopft, und was dabei heraus kommt, ist — eine Sinfonie!“ Hie Brahms, der klassisch-ernste Sinfoniker, da Hugo Wolf, der geniale Liederkomponist und — Brahmsgegner! Wie dem auch sei: Brahms hat sich an seiner dritten Sinfonie sehr erfreut. Sie hatte trotz der Wolfschen Kritik bereits in Wien großen Erfolg, der sich bei der zweiten Auffüh rung in Düsseldorf steigerte und bis heute geradezu vorbildlich wurde. Die ein leitenden Akkorde stützen sich auf das Leitmotiv f—a—f—as—f, das dem ersten Thema die harmonische Grundlage gibt. Tatenfrohe Energie und frisch-fröhlicher Drang nach Tätigkeit leuchtet aus diesem Thema, dem Bildungen von zarterem Charakter folgen. Eine wundervolle Hornmelodie, die sich wiederum auf die an fängliche Leit-Harmonik stützt, leitet die Reprise ein. Der zweite Satz (Andante in C-Dur) ist mit seinem liedartigen Charakter ganz auf einen friedvollen, be schaulichen Ton gestimmt. Das Hauptthema wird von einem reich variierten Seitenthema abgelöst — Klarinette und Fagott schlagen den leise klagenden Ton ■des Themas an. In den kapriziösen Figuren des dritten Satzes (Poco Allegretto, c-Moll) steigen dunklere Bilder auf. In einem Mittelsatz in As-Dur scheint es, als wollten die Holzbläser das drohend Dämonische des Schlußsatzes aufhalten — in f-Moll (Allegro) beginnt dieser Finalsatz, die Posaunen steigern die Harmonie der Streicher und Holzbläser zum mächtigen Forte, das Fagott bietet den wilden Geigenmelodien (und den schönen Gegenmelodien in Bratschen und Celli) Ein halt, und das Eingangsmotiv taucht am Schlüsse wieder auf und gibt dem Ganzen Abrundung und Geschlossenheit. Prof. Dr. Mlynarczyk LITERATUR Karl Geiringer: Joseph Haydn, Potsdam 1932, Mainz 1959. Bronislaw v. Pozniak: Chopin, Halle 1949. Thomas San-Galli: Brahms, München 1919. Max Burkhardt: Brahms, Berlin 1912. Vorankündigung: 20. November 1960, 19.30 Uhr (Freier Kartenverkauf) Festkonzert zum 90jährigen Bestehen der Dresdner Philharmonie Werke von S. Kurz, F. F. Finke, J. N. David und J. Brahms Dirigenten: Prof. Heinz Bongartz, Siegfried Geißler, Siegfried Kurz