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KONGRES S - S AAL DEUTSCHES HYGIENE - M USEUM Dienstag, i.März 1960, 19.30 Uhr Mittwoch, 2. März 1960, 19.30 Uhr 8. Außerordentliches Konzert DIRIGENT Prof. Heinz Bongartz SOLIST Prof. Helmut Roloff, Berlin (Klavier) Schumann - Chopin - Feier Robert Schumann Ouvertüre zu „Manfred“ 1810—1856 Robert Schumann Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54 Allegro affettuoso Andantino grazioso Allegro vivace PAUSE Frederic Chopin Konzert für Klavier und Orchester 1810-1849 f-Moll op. 21 Maestoso Larghetto Allegro vivace Robert Schumann und Frederic Chopin — zur 150. Wiederkehr ihres Geburtstages Beide Komponisten, die zu den größten ihres Jahrhunderts gehören, verbindet weit mehr als das gemeinsame Geburtsjahr 1810. Ihr Wirken fällt in jene Zeit, die gemeinhin als ,,Romantik“ bezeichnet wird. Sowohl Schumann als auch Chopin sind aber von negativen, rückwärtsgewandten Tendenzen der Romantik, die vor allem in der Literatur eine große Rolle spielten, fast unbeeinflußt geblieben. Flucht vor der Wirklichkeit und Abkehr vom Leben waren ihrem Wesen ebenso fremd wie übersteigerte Gefühlshaftigkeit, krankhafte Phantastik und todessehnsüchtige Stimmungen. „Ich bin des Wortes ,Romantiker* von Herzen überdrüssig, obwohl ich es nicht zehnmal in meinem Leben ausgesprochen habe . . .“ schrieb Schumann einst. Doch die positiven Erscheinungen ihrer Zeit haben beide Kompo nisten in sich auf genommen und verarbeitet. Das beweisen die unerhörte Ausweitung und Bereicherung des Gefühlslebens in ihren Werken. Das macht sich in einer großen Ver tiefung der Stimmungsmalerei bemerkbar. Das zeigt sich auch in ihrem starken National bewußtsein und in ihrer innigen Liebe zum Volkslied. Chopin hat die Lieder und Tänze seines Volkes zur Basis seines Schaffens gemacht. Schumann sagte: „Höre fleißig auf alle Volkslieder, sie sind eine Fundgrube der schönsten Melodien und öffnen dir den Blick in den Charakter der verschiedenen Nationen.“ Beide Komponisten standen den fortschrittlichen Strömungen ihrer Zeit aufgeschlossen gegenüber. Wenn Chopin auch die Hälfte seines kurzen Lebens in Frankreich verbrachte, so liebte und verehrte er seine polnische Heimat doch über alles. An den politischen Ereig nissen seines unterdrückten und zerstückelten Vaterlandes nahm er regen Anteil. Er war unglücklich, daß er die revolutionären Erhebungen der Jahre 1830/31 nicht miterleben konnte, weil er sich damals gerade ins Ausland begeben hatte. Als er von der Niederlage des Aufstandes erfuhr, ergriff ihn tiefe Verzweiflung. Niemand hat Chopins enge Verbunden heit mit seinem Volk besser erkannt als Schumann: „Wüßte der gewaltige selbstherrschende Monarch im Norden (Schumann meint den Zaren, R. J.) wie in Chopins Werken, in den einfachen Weisen seiner Mazurkas ihm ein gefährlicher Feind droht, er würde die Musik verbieten. Chopins Werke sind unter Blumen eingesenkte Kanonen.“ — Schumann ist in seiner kritischen Stellung zu den Mißständen seiner Zeit und seinem Eintreten für neue fortschrittliche Ideen ein typischer Vertreter des kämpferischen Bürgertums des Vormärz. Zeit seines Lebens kämpfte er gegen „Philister, musikalische und sonstige“. In diesem Sinne bildete er mit Gleichgesinnten den „Davidsbund“ und begründete im Jahre 1834 die „Neue Zeitschrift für Musik“. Er bekannte sich zu den Ideen der Französischen Revo lution, indem er die von Metternich verbotene Marseillaise in mehreren Werken verwen dete (im „Faschingsschwank aus Wien“, in dem Lied „Die beiden Grenadiere“ und in der Ouvertüre zu „Hermann und Dorothea“). Während seiner Dresdner Zeit (1844 bis 1850) gab Schumann seiner zutiefst demokratischen Gesinnung mit den Worten „Die Republik bleibt doch die beste Staatsform“ Ausdruck. Beide Komponisten treffen sich auch in ihrer gemeinsamen Liebe zum Klavier. Chopin war ein ebenso genialer Pianist wie Komponist. Schumann mußte die Laufbahn eines Klaviervirtuosen infolge Lähmungserscheinungen an der rechten Hand aufgeben. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, fast ein ganzes Jahrzehnt lang (1830 bis 1839) nur für das Klavier zu komponieren. Fand er doch in Clara Wieck, die er im Jahre 1840 gegen den Willen ihres Vaters, seines einstigen Lehrers, heiratete, eine hervorragende Interpretin seiner Werke. Chopin ist fast so ausschließlich Klavierkomponist wie der junge Schumann, blieb es aber — im Gegensatz zu seinem deutschen Zeitgenossen — sein ganzes Leben hin durch. Nachdem Schumann in Opus 1 bis 23 nur Klavierwerke veröffentlicht hatte, wandte er sich auch anderen Gattungen zu. Im von ihm selbst so genannten ,,Liederjahr“ 1840 — das Jahr seiner Eheschließung mit Clara Wieck — entstanden etwa 140 Lieder. Ein Jahr darauf