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ZUR EINFÜHRUNG Das Streichquartett op. 74 komponierte Beethoven im Jahre 1809. Nach der schönen, sehr verinnerlichten langsamen Einleitung erscheint im ersten Thema eine Pizzicato stelle, erst im Violoncello und in der Viola, kurz darauf in den beiden Violinen, wonach das Quartett später den Namen „Harfenquartett“ erhielt und womit der besondere musikalische Einfall Beethovens in die Unsterblichkeit einging. Das Quartett gehört mit zu Beethovens Meisterwerken. Es steht in unmittelbarer Nähe des Es-Dur-Klavier- konzertes und der Chorfantasie. Meisterhaft ist es, weil es Beethoven gelang, in diesem Werk seine ganze innere Welt widerzuspiegeln und sie in die Form der klassischen Sonate einzufangen. Jedem Instrument gab er dabei eine Fülle von melodischen Gedanken, so daß in dem Quartett eine Polyphonie von größter Vollendung entsteht. Im zweiten Satz, einem Adagio, verweben sich die schönsten Melodien zu einem dichten Geflecht wunder bar strömenden Gefühls. Der dritte Satz (Presto) ist männlich und geistvoll zugleich — an ihn schließt sich ohne Pause ein Variationensatz als Schluß an, in welchem Beethoven die nur ihm eigene große und sehr selbständige Kunst der Veränderung musikalischer Einfälle vorführt. Sein handwerkliches Können ist erstaunlich. Beim Nachlesen der Par titur zeigt sich seine Begabung. Aber man h ö r t es auch, daß er viel zu sagen weiß. Und seine Botschaft vom Menschen tönt gerade aus diesem Werke besonders rein hervor. Den Liederkreis „An die ferne Geliebte“ (nach Texten von A. Jeitteles) schrieb Beet hoven 1816. Sechs Lieder, zusammengefaßt zu einem Ganzen, machen das lyrische Hauptwerk Beethovens aus. Beethoven ist im Grunde seines Wesens ein Instrumental komponist, seine Lieder und Gesangswerke liegen am Rande seines Schaffens. Aber der Zyklus „An die ferne Geliebte“ läßt ihn die Höhe lyrischer Ausdruckskunst erklimmen. An ihm entzündet sich später Franz Schubert, der mit der „Schönen Müllerin“ und der „Winterreise“ diese zyklische Form der aneinandergereihten Lieder aufgreift. Baden bei Wien, wo das Werk Beethovens entstand, war den Stimmungen, die in den Liedern aufklingen, hold. Aber sie ruhten schon lange in Beethoven, der es nicht wagte, sich mit einer Frau zu verbinden, weil ihn seine fortschreitende Taubheit zurückhielt. — Sie ruhten schon lange in ihm: die Sehnsüchte nach Liebe und Glück, die ihm versagt bleiben sollten. Hier findet dies alles Ausdruck, innig, voller Sehnsucht, aber auch voller schmerzlicher Entsagung. Wenig bekannt ist das Oktett op. 103, das Beethoven schon im Jahre 1792 schrieb, in dem Jahre, in welchem er Bonn verließ und nach Wien übersiedelte. Es ist viel später herausgegeben und dann mit dieser hohen Opuszahl versehen worden. Acht Blas instrumente (deshalb: Oktett) geben den Ton an, sechs Holzbläser und zwei Hörner. Der Aufriß des ganzen Werkes ist viersätzig. Der junge zweiundzwanzigjährige Beet hoven hält sich streng an die neue klassische Form, die eben Haydn und Mozart in un ermüdlicher Arbeit gewonnen hatten. Im ersten Satz gibt es schon eine interessante Durchführung der beiden klar voneinander zu unterscheidenden Themen. Der zweite