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TageSgefchichte. Deutschland. Preußen. Berlin, 29. Sept. Wie die „SchleswigerNachrichten" vernehmen, ist an die Landräthe in NordschleSwig das nachfolgende RegierungS- circular ergangen. „ES werden gegenwärtig in NordschleSwig Unterschriften von den abseiten der Dänischen Agitation-Partei bestellten Sammlern sür eine Adresse gesammelt, welche die politische Lage NordschleSwig- betrifft und an den König gerichtet ist. Wir haben bisher keine Veranlassung gehabt, diesem Beginnen entgegenzutreten. Gegenwärtig sind indeß Beschwerden aus ver schiedenen Orten RordschleSwigS zu unserer Kenntniß gebracht, welche darüber geführt werden, daß man versucht hat, bei dem Sammeln der Unterschriften, zu welchem Zweck die Adresse ost von Haus zu HauS umhergetragen wird, diejenigen, welche die Unterschrift verweigern, durch Androhung der Veröffent lichung ihrer Namen, durch Bezeichnung der Verweigerer als LandeSverräther und dergleichen einzuschüchtern und zur Unterzeichnung zu zwingen. Gegen derartige Bedrohungen, Einschüchterungen und Belästigungen nehmen die Kreis« einwohner mit Recht den Schutz der Regierung in Anspruch. Wir Haden deshalb durch Polizeiordnung für die Kreise Sonderburg, HaderSleben, Apen- rade, Flensburg, Tondern das Sammeln von Unterschriften für Schriftstücke, hinsichtlich deren diejenigen, welche sich weigern zu unterzeichnen, obbemerkter- maßen direkten oder indirekten Drohungen ausgesetzt sind, sowie den unberufe nen Eintritt in bewohnte Räume zu dem Zweck, Unterschriften für derartige Schriftstücke zu sammeln, bei Strafe von 1V Thlr. für jeden UebertretungS- fall verboten." Berlin, 27. Sept. Von der „Spener'schen Zeitung" wird bemerkt: „In Varzin werden, wie man der „Tribüne" au« guter Quelle berichtet, alle Einrichtungen für eine glänzende Wintersaison getroffen. Man dars daraus den Schluß ziehen, daß GrafBiSwarck entweder sobald nicht nach Berlin zu rückzukehren gedenkt, oder daß er doch die Absicht hat, nach einem zeitweiligen Aufenthalte in Berlin, auch während de« Winter- die Villeggiatur in Pom mern deizubehalten." Berlin, 29. Sept. Die ministerielle „Pr.-Corresp." bestätigt, daß der Kronprinz auf seiner Reise nach dem Orient den Wiener Hof besuchen und infolge einer Einladung deS Kaiser- in der Hofburg wohnen wird. Die Kleinigkeitskrämerei Seitens einzelner Behörden in Hannover dauert fort und zeigt sich theilS in höchst überflüssigen Beschlagnahmen einzelner un schädlicher Blätter, theilS in Verfolgung auch der albernsten Welfendemon- stratiönchcn. Eine Putzmacherin in Uslar hatte ihren Welfisch-patriotischen Gefühlen dadurch Luft zu machen gesucht, daß sie zur Feier des 24. Geburts lage- de- Kronprinzen Ernst August ihren kleinen Laden mehr al- gewöhnlich mit yelben und weißen Bändern, Blumen rc. auSgeschmückt hatte. Schadete gewiß keinem Menschen etwa-, am wenigsten der Preußischen Regierung. Zu ihrem nicht geringem Schreck erschien aber um 10Z Uhr Vormittags ein GenSdarm und überbrachte ihr folgende Ordre: USlar, den 21. September 1869. Sie werden hierdurch aufgefordert, die vor Ihrem Schaufenster auS- grhängten gelb-weißen Bänder, Blumen tk. sofort und spätesten- bis 12 Uhr Mittag- bei Vermeidung einer Executivstrafe von 10 Thlr. zu beseitigen. Sollten derartige demonstrative Gegenstände im Laufe heutigen Tage« wieder au-gehängt werden, so trifft Sie gleichfalls eine Executivstrafe von 10 Thlr. Der Amt-Hauptmann, v. Horn. Große- Aufsehen hat in Hamburg der Ausfall der jüngst abgehalte- nen Prüfung sür den Freiwilligendienst gemacht, in welcher von 100 Ange- meldeten nur drei (!) bestanden haben. In der Sitzung der Bürgerschaft svrach sich vr Ree scharf über die dortigen Unterricht-Verhältnisse au-, wozu er allerdings guten Grund zu baden scheint. Oesterreich. Wien, 27. Sept. Bon gut unterrichteter Seite wird der „Fr. Pr." geschrieben, begründet seien die Zweifel, die wir der angeblichen Wiener Kor respondenz der Baierischen Landeszeitung (welche über die Grundlagen der österreichisch-preußischen Aussöhnung bereit» Detail« zu berichten wußte) sofort entgegensetzten. Das punctum »lieu» der Controoerse zwischen Oesterreich und Preußen sei nicht der Artikel V deS Prager Frieden«, der die für Oester reich sekundäre nordschleSwig'sche Frage behandelt, sondern der Artikel IV., der das Berhältniß der süddeutschen Staaten zum norddeutschen Bunde be trifft. Im Anschlusse hieran wird un« von unserem Gemährsmanne folgende Mittheilung gemacht: „Wenn der Correspondent der Baierischen LandeSzeitung weiter wissen will, „Oesterreich habe Erklärungen abgegeben, welche geeignet waren, Preußen« Empfindlichkeit über die Auslegung, welche vorkommenden- fall« in Wien jenem Artikel V (rccte IV) gegeben werden dürfte, zu be schwichtigen", so kann ich Ihnen dem gegenüber auf das bestimmteste versi chern, daß von österreichischer Seite Preußen gegenüber keine anderen Erklä rungen abgegeben wurden, al« jene, welche im Rothbuche und dem jüngsten Depeschenwechsel bereit« zur allgemeinen Kenntniß gelangten." Diese Mitthei« lungen empfehlen wir auch jenem Wiener Lorrespondenten der Breslauer Zei tung al« Lrctüre, der da wissen will, Graf Beust habe „sehr vernünftiger weise" sich entschlossen, durch „endgiltige PreiSgedung der Mainlinte" Preu ßen« Gunst zu erkaufen. Au« Süddeutschland wird un« geschrieben, Graf Beust habe auf seiner Reise einen ihm befreundeten süddeutschen Diplomaten gegenüber geäußert, eine Annäherung Oesterreich« an Preußen und Rußland im Sinne d-r legitimen Monarchie (d. h. mit der Spitze gegen die in der Geburt begriffene französische Republik) sei seiner Reise vollkommen fremd. Wir glauben, es hätte dieser Erklärung erst gar nicht bedurft. Die Zeiten der Heiligen Allianz find wohl definitiv vorbei. Wien, den 27. September. Der österreichische Botschafter bei der päpstlichen Curie, Graf Trautmann-dorff, kehrt heute, nachdem er im Beisein deS Reichskanzler- vom Kaiser empfangen worden ist, auf seinen Posten nach Rom zurück. Ueber die Instructionen, oder richtiger Informationen, die er von hier mitnimmt, kann ein Correspondent de- Pester Lloyd Folgende« mittheilen: „Graf Beust betonte in seinen Unterredungen mir dem Grafen TrauttmanSdorff wiederholt, eine aufrichtige Versöhnung, respec« twe Verständigung mit der päpstlichen Curie für »höchst wünschen-werih" zu ballen, und die kaiserlich königliche Regierung müsse hierzu freudigst die Hand bieten, sobald sie sich die Ueberzeugung verschafft haben werde, daß Rom mit vollendeten Thatsachen zu rechnen versteht. Besonder- aber möge Graf Trautt- monSdorff der römischen Regierung gegenüber hervorheben, daß da- ciSleitha- nische Ministerium die Aufhebung deS EoncordateS aus eigner Initiative nicht anstreben, aber einem die-bezüglichen Beschlusse der Reich-Vertretung, der unter den obwaltenden Verhältnissen ein höchst wahrscheinlicher sei, sich keineswegs widersetzen könne und werde." Der Gewährsmann, dem der Correspondent de- Pester Lloyd diese Informations-Analyse verdankt, theilt zugleich das in Hofkreisen circulirende Gerücht mit. Graf TrauttmanSdorff sei der Ueberbringer eines eigenhändigen Schreibens deS Kaiser- an den Papst. Linz, 28. Sept. Soeben wurde bei der Restaurirung der sogenannten Colleg-Caserne (ehemalige- Jesuiirntloster) in einem Sarge die Leiche eine« Jesuiten aufgefunden, welcher allem Anscheine nach durch die Folter seinen Tod gefunden haben muß, da die Beine gebrochen, der Sarg in gutem Zu stande und die Hände kreuzweise mit einem eisernen Verbände aufgefunden wurden. Am Thatorte erschienen der Bürgermeister, sowie der Gemeinde« Secretär, und werden die nöthigen Untersuchungen sofort strengsten- tingelet« tet. Der Vorfall verursacht allgemeine- Aufsehen. Triest, 22. Sept. Die englische Flotte, die mächtigste, welche da« Mittelmeer je getragen, zwölf Panzerlinienschiffe und eine Panzerfregatte mit 233 Monstrekanonen und 13,220 Pferdekraft, hat sich bei Malta aufgestellt, und in demselben Moment fordert die Pforte entschieden die Auslieferung der egypiischen Panzerschiffe, die Reducirung und Entwaffnung der egyptischen Armee, indem diese ihre Hinterlader herauSgeben soll. England hat einen entscheidenden Schachzug gethan. Wäre eS Frankreich gelungen, sich in Egypten unter der Firma des Khedwe eine zweite, in Frankreich gebaute, von französisch ausgebildeten Officicren befehligte Panzerflotte zu schaffen, so hätte sich England eine- schönen TagS im Mittelmeer einer übermächtigen ftanco-egyptischen Seemacht gegenüber befunden, der sich auch wahrscheinlich Italien «»geschlossen hätte, und die neue Straße nach Ostasien wäre in fran zösischen Händen gewesen. Der Gedanke, welchen Michel Chevalier schon vor mehr al- zwanzig Jahren aussprach: „Die Allianz der Völker, welche das Becken deS mittelländischen Meere» umwohnen," ist zum großen Nachtbeile der britischen Herrschaft auf dem Meere zur Verwirklichung gelangt. England durchschaute diesen Plan, und erscheint nun mit erdrückender Macht auf dem Schauplatz. Die englische Canalflotte wird das Mittelmeer nicht verlassen, ehe die egyptische entwaffnet die Dardanellen passirt hat, und die türkisch- egyptische Differenz im Sinne der von England inspirirten Pforte auSge» glichen ist. Fraakreich. Paris, 28. Sept. Gegenüber der von mehreren Französischen Blättern gebrachten Mittheilung über den angeblich bevorstehenden Eintritt Baden- in den Rordbund läßt die Regierung durch ihre Journale officiöS erklären, daß die- Gerücht unbegründet scheine; auch habe die Kaiserliche Regierung keine hierauf bezügliche Note weder nach Berlin noch nach Karlsruhe gesandt. Bordeaux, 29. Sept. Seit gestern Abend ist durch eine Petroleumex- plosion eine große Feuersbrunst im hiesigen Hafen auSgebrochen; 25 Seeschiffe sind verbrannt, alle im Hafen befindlichen deutschen Seeschiffe 14 an der Zahl, wurden gerettet. England. London, 29. Sept. In einer Rede vor einem landwirthschaftlichen Vereine in der Provinz erklärte der Staatssekretär des Aeußern, Carl Claren don, indem er auf seine letzte Continentreise anspielte, daß die FriedensauSsich- ten seit dem Jahre 1866 niemals glänzender gewesen seien, als jetzt. Der Minister verhieß ferner die Vorlage einer unparteiischen Landbill. Italien. Florenz, 25. Sept. DaS Neueste ist die soeben veröffentlichte An- klagesc-rift des Staatsanwalts gegen Lobbia, Martinati, Caregnato, Novelli und Benelli wegen Simulation eines Verbrechens. Man kann dieses Akten stück nicht ohne Staunen lesen. Alle die Personen, welche Lobbia als Zeu gen des gegen ihn verübten Verbrechens angeführt hat, find zu seinen Mit angeklagten gemacht. So viel ist gewiß, daß die öffentliche Meinung auf Seite LobbiaS steht, und daß sie die Ankläger, nicht die Angeklagten verur- theilt. Dem früheren Staatsanwalt Nelli wird viel Lob gespendet, daß er sich zu diesem Proresse nicht hergab. Genau unterrichtete Personen versichern, daß er, als ihm diese Zumuihung gemacht wurde, in die Worte auSbrach) „Ich will nicht die Würde der Justiz in den Schmutz ziehen!" Unterdessen erhält Lobbia noch fortwährend Zeichen der Achtung und Zustimmung; man hat sogar hier zu sciuen Ehren eine Bronce-Medaille geprägt in der Größe eines Zweifrankenstückes, welche auf der einen Seite LobbiaS Bildniß, auf der anderen Seite die Aufschrift trägt: „Fluch demjenigen, welcher ihm den 15. Juni 1869 daS Leben nehmen wollte!" Die jungen Leute tragen hier alle Lobbia-Hüte, und die Damen fangen an, Lobbia-Coiffüren zu tragen. Spanien. In Barcelona herrscht wieder Ruhe. Die zum Theile zerstörten Ei senbahnlinien sind auSgebeffert. Viele Freiwillige geben ihre Waffen zurück. Unter den 70 Gefangenen, welche auf die Schifft gebracht worden, befinden sich auch zwei Abgeordnete der Stadt Barcelona: Serraclara und Salvany. Sie hatten dem Gouverneur zugercdct, den EntwaffnungSbefehl zurückzunch- »en, und «IS ihre Bemühungen fruchtlos blieben, an dem Widerstande Theil genommen. Nach Berichten aus republikanischer Quelle soll der Anlaß zu der Ermordung deS stellvertretenden Gouverneur« in Tarragona darin gelegen haben, daß derselbe mit einem Revolver bewaffnet auf Pirrad zugeschritten sei und die Menge deshalb geglaubt habe, er wolle den General erschießen. Diese Erklärung wird, wenn auf Wahrheit beruhend, der Mordthat ein ge wisses Maß ihrer Grausenhaftigkeit nehmen, nicht aber die nachherige schimpf liche Behandlung der Leiche, die rohen Scheußlichkeiten des Pöbels ent schuldigen. Madrid, 28. Sept. Dem Vernehmen nach habe» sich der Regent Ser« rano und der Ministerrath darüber geeinigt, den CorteS die Throncandidatur deS Prinzen Thomas von Savoyen, Herzog« von Genua, vorzuschlagen. Der Ministerpräsident Prim sollte die Entscheidung den unionistischen, progressisti- schen und demokratischen Parteiführern heute mittheilen. Madrid, 28. Sept. Wie verschiedene Zeitungen melden, hat die Re gierung Nachricht erhalten, daß in LereS de la Frontera und auf einigen an« deren Punkten der Halbinsel revolutionäre Bewegungen Seiten« der socialisti« schen Partei vorbereitet werden. Die Regierung ist zu energischem Vorgehen gegen diese Umtriebe entschlossen und hat darnach ihre Vorkehrungen g-troffen. »Amerika. Washington, 28. Sept. Die UnionSregierung erklärte dem spanischen Gesandten, sie habe niemals die Abficht gehabt, ihre Vermittelung in der An-