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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1989
- Erscheinungsdatum
- 1989
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-198900008
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- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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- SLUB Dresden
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Zeitschrift
Universitätszeitung
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Band
Band 1989
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Band 1989
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UZ/43 24. November 1989 TATSACHEN UND HINTERGRÜNDE 5 Kommunalwahl 1989 im Stadtbezirk Leipzig-Mitte Angefangen hatte alles Ende März im Leibnizklub während einer Veranstal tung der im Kulturbund organisierten Arbeitsgruppe „Dialog". Diese veran staltete einen Diskussionsabend in Vor bereitung der Kommunalwahlen und begrüßte dazu kompetente Gäste wie Frau Dr. Kaden von der Sektion Rechts wissenschaften unserer Universität und den Herrn Dr. Bareiter in seiner Funk tion als Sekretär des Rates des Stadt bezirkes Leipzig-Mitte und gleichzeitig Sekretär des Wahlbüros des Wahlbezir kes Mitte. Während des regen Disputs erfuhren die Anwesenden, daß es 69 städtische Wahllokale, 12 KMU-Wahllokale und noch drei weitere an der DHfK und an deren Hochschulen in Leipzigs Mitte geben wird. Und wie das so ist, kam einer der Organisatoren von „Dialog" auf die Idee, doch in diesem Jahr ein mal die Auszählung der abgegebenen Wählerstimmen zu überprüfen. Anfäng liche Skepsis wurde auch deshalb über wunden, weil ein Blick in das Wahlge- etz unseres Landes nichts dergleichen ausdrücklich verbietet. So schreibt der Paragraph 37 des Wahlgesetzes vor: „(1) Die Auszählung der Stimmen er folgt im Wahllokal. Sie ist öffentlich und wird vom Wahlvorstand durchge- führt." Dazu kam, daß so mancher nicht so recht mit dem Fälschungsvorwurf leben wollte, der schon vor der Wahl massiv nicht zuletzt aus Sonnenuntergangsrich tung zu hören war. Man hoffte also, Zahlen zu erbringen, die durch ihre Un abhängigkeit in der Erstellung als, auch ihrer Übereinstimmung mit den offiziel len Zahlen jeglichen derartigen Fäl schungsvorwurf ad absurdum führen würden. Also trafen sich im April 16 Leute und einigten sich darauf, mit Hilfe von Freunden am Wahltag in allen 84 Wahllokalen präsent sein zu wollen. In zwischen wurde ein Papier erarbeitet, was jeder der 84 Leute in die Hand be kam und auf dem u. a. geschrieben stand: So entstand die Idee, die Aus zählung in allen Wahllokalen des Stadtbezirkes Leipzig-Mitte zu kontrol lieren. Das Ziel dabei ist: 1. die öffentliche Auszählung der Stim men in den einzelnen Wahllokalen des Stadtbezirkes auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, und • 2. durch eine Addition .der jeweils ge wonnenen Zahlen zu einem unabhän gig ermittelten Wahlergebnis für den Stadtbezirk Mitte zu kommen". Man hatte also angefangen, die ei gene Arbeit zu koordinieren und mußte nun zunächst herausbekommen, wo sich die einzelnen Wahllokale befän den. Dabei stieß man auf eine Merk würdigkeit, die sich dann als echter Verstoß gegen das Wahlgesetz ent puppte: Das schreibt nämlich in sei nem Paragraph 30 Absatz 1 folgendes vor: „Für jeden Wahlbezirk ist durch den Rat der Stadt, des Stadtbezirkes bzw. die Gemeinde ein Wahllokal ein zurichten. Die Wahllokale werden gleichzeitig mit der Einteilung der Wahlbezirke öffentlich bekanrgeae- ben." Und genau jenes geschah nicht. Zwar veröffentlichte die LVZ am 6. April 1989 auf der Seite 12 und am 12. April 1989 auf der Seite 8 die Stand orte der Sonderwahllokale, aber dabei blieb es auch. Insofern fiel es den Leuten dieser Bürgerinitiative nicht leicht, die Örtlich keiten der Wahllokale herauszubekom men. Erst ein persönliches Vorsprechen im Wahlbüro des Stadtbezirkes Leip zig-Mitte erbrachte die gewünschten In formationen. Am 7. Mai fanden dann also die Kommunalwahlen in der DDR statt. Von den 84 Wahllokalen des Stadtbe zirkes Leipzig-Mitte waren für alle Kon trolleure vorgesehen. Da aber zwei Bür ger am Wahltag nicht zur Auszählung Pingen, konnten von dieser Bürgerinitia tive also letztendlich 82 Wahllokale bei der Auszählung am Abend kontrolliert und die Ergebnisse in eigens dafür ge- schaffene Protokolle eingetragen wer- Iden. Nach der Auszählung wurden alle Protokolle zunächst bei den 16 Kontakt personen abgegeben, in einheitliche Wahlprotokolle übertragen und an schließend sozusagen in die Zentrale gebracht, wo man dann das Gesamt- ergebnis ausrechnete. Diese Rechnung ergab dann, daß in 82 Wahllokalen für den Wahlvorschlag der Nationalen Pront mit 44 251 91.2 Prozent der Bür- per und dagegen mit 4234 8,73 Prozent de- Bü-ger gestimmt hatten. Nach der Wahl begann dann das proße Warten. Und zwar auf die Ver öffentlichung der Wahlergebnisse in den Zeitungen, aufgeschlüsselt bis auf die einzelnen Wahlkreise. Diese jedoch batten laut Direktive zur Durchführung der Kommunalwahien 1939 nur die An weisung, die Zahlen bis auf die Ebene der Städte zu veröffentlichen. Diese Vorgehensweise kann nicht gegen das Wahlgesetz verstoßen, weil dieses über haupt nichts zur Veröffentiichungspra- Xis vorschreibt, was natürlich ein gro ber Mangel des bestehenden Wahlge setzes ist. Nichtsdestotrotz dürfte ein Bürger - das normalste auf der Welt - Anspruch auf die Kenntnis der Wahl- eraebnisse haben. Man rief also am 9. Mai 1989 den Henossen Opitz, Vorsitzender des Be zirkswahlbüros an. Und da der gerade auf einer Sitzung weilte, wurde das Te- ?°nat mit dem stellvertretenden Vor- sitzenden des Bezirkswahlbüros, Ge- nossen Schinkler, geführt. Im Verlaufe Wurden wir betrogen? oder: Das Dilemma der sozialistischen Demokratie Schon vor der Wende versuchten mündige Bürger eine unabhängige, auf den Gesetzen unseres Landes beruhende Kontrolle der Kommunalwahlen 1989 im Stadtbezirk Leipzig-Mitte, in dem sich ja unsere Universität befindet, durchzuführen. Was bei diesem mehr oder weniger geglückten Versuch herauskam, beschreibt EIN REPORT VON O. SCHIRG des Gesprächs äußerte Genosse Schink ler seine Verwunderung darüber, warum die Wahlergebnisse für die ein zelnen Stadtbezirke nicht veröffentlicht würden, meinte aber, daß diese Zahlen kein Geheimnis seien und verwies den Anrufer an den Vorsitzenden der Stadt wahlkommission, Genossen Walter Diet rich. Auch hier erreichte man den Chef nicht, und mußte mit dessen Stellver treter, Genossen Mehnert, vorlieb neh men. Das Telefonat fand am 10. Mai 1989 statt. Auf die Frage, ob er dem zu stimme, daß die LVZ sicher noch die Stadtbezirkswahlergebnisse veröffent lichen werde, konnte Genosse Mehnert diesen Sachverhalt nicht bestätigen. Er meinte, dazu gäbe es zentrale Festle gungen von der Zentralen Wahlkom mission und es liege keineswegs im Er messen (wie Herr Schinkler es noch be hauptet hatte) der Presseorgane, die Wahlergebnisse zu veröffentlichen oder nicht. Aber auch der Genosse Mehnert bestätigte, daß diese Zahlen keines wegs geheim wären. Nur müsse man diese sich vom Sekretär des Stadtbe- zirkswahlbüros, dem Genossen Barei ter, holen. Also hieß der nächste Telefonpartner Dr. Bareiter. Dieser nun erklärte, er wisse zwar nicht, wie und wann man die Wahlergebnisse vom Stadtbezirk veröffentliche, meinte aber, daß dies zu einem entsprechenden Termin aus führlich geschehen würde. Natürlich könne er die Zahlen nicht am Telefon nennen, aber er bestätigte klar und deutlich, daß diese Zahlen nicht ge heim seien. Blieb als letzte Hoffnung nur noch die Nationale Front des Stadtbezirkes. Hier muß die chronologische Abfolge für einen Moment unterbro chen werden, um einmal die Rolle der Nationalen Front zu verdeutlichen. Be- kanntlich werden ja während des Wahl aktes die Kandidaten der NF gewählt. Und, was für diesen Fall hier beson ders wichtig ist, die Nationale Front ist nach dem Wahlgesetz die einzige In stitution in diesem Land, die Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl erheben kann. Das schreibt zumindest Para graph 43 des Wahlgesetzes vor: „Ge gen die Gültigkeit der Wah! in einem Wahlkreis oder zu einer Volksvertre tung kann binnen 14 Tagen nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses vom Nationalrat bzw. von den zustän digen Ausschüssen der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik bei der jeweiligen Volksver tretung Einspruch eingelegt werden.“ Also, so schlußfolgerten die Vertreter der Bürgerinitiative, wenn die NF das einzige Organ sei, welches Einspruch erheben könnte, so müßten ja wenig stens sie über die genauen Wahler gebnisse verfügen. So blieb also zu nächst nichts weiter übrig, als am 10. Mai, immer noch auf der Suche nach den amtlichen Wahlergebnissen vom Stadtbezirk Leipzig-Mitte, den Stadtbe zirksausschuß der Nationalen Front an zurufen, an dessen Telefon eine Frau August saß. „R.: Guten Tag, mein Name ist R. Ich hätte gerne den Vorsitzenden des Stadtbezirksausschusses der Nationa len Frönt von Mitte gesprochen. A.: Ja, das ist aber ein ehrenamtli cher Kollege. R.: Wie komme ich denn an den eh renamtlichen Kollegen ran? A.: Was wünschen Sie denn? R.: Na ja, ich möchte ihn einfach noch etwas zur Wahl fragen. Mir geht es um die Zahlen, die veröffentlicht worden sind, und da hätte ich noch ein paar Informationen. A.: Die kann er Ihnen auch nicht sa gen. R.: Aber der Vorsitzende der Stadt bezirkskommission der Nationalen Front muß doch eine Auffassung, eine Meinung haben. A.: Eine Meinung hat er schon. R.: Na, sehen Sie. A.: Aber er hat weder die Zahlen oder sonst noch etwas. Das ist ein eh renamtlicher Mitarbeiter, ein Repräsen tant, weiter nichts." Das muß man zweimal lesen. Der Vorsitzende des Stadtbezirksausschus ses der Nationalen Front, eigentlich In- teressenvertreter der Bürger ist ein „Re präsentant, weiter nichts.“ Aber einmal davon abgesehen, in unserem Fall mög licher Wahlkontrolle äußert sich diese Repräsentantenschaft als völlige Un kenntnis der genauen Wahlergebnisse. Da muß man sich doch fragen, wie soll denn ein möglicher Einspruch, dessen Frist nach 14 Tagen abläuft, erhoben werden, zumal von der Nationalen Front, wenn diese nicht einmal die Wahlergebnisse kennt? Fazit: Das Wahlgesetz schreibt eine eindeutige Wahlergebnis veröffentlichungspraxis nicht vor. Die zentralen Zeitungsorgane veröffent lichen jene Zahlen, die ihnen von der Zentralen Wahlkommission vorgegeben werden, was nicht unverständlich ist. Bei dem Versuch, die Wahlergebnisse für den Stadtbezirk Leipzig-Mitte zu be kommen, sind sich die Vertreter des Be ¬ zirkswahlbüros, des Stadtwahlbüros und des Stadtbezirkswahlbüros dar über einig, daß die Zahlen keine Ge heimnisse sind. Damit hat sich's aber auch, denn ansonsten widersprechen sie sich. Das läßt nicht gerade auf eine gründliche zentrale Vorbereitung der Wahlen schließen. Abgesehen da von, erfährt der Anrufer die Zahlen nicht, sondern wird vom Sekretär des Stadtbezirkswahlbüros auf die Ver öffentlichung der Zahlen voraussicht lich zur konstituierenden Sitzung der Stadtbezirksversammlung vertröstet. Wir werden später noch sehen, daß da mit die Einspruchsmöglichkeit zur rei nen Farce wird. Am erschreckendsten stellt sich je doch die Situation der Nationalen Frönt dar. Eigentlich einziger möglicher Vertreter der Volksmassen, der im Falle eines Falles Einspruch gegen die Gül tigkeit der Wahl erheben könnte, offen bart sich, daß ihre Vertreter nichts wei ter als Anhängsel eines Apparates sind, der offensichtlich schalten und walten kann, wie er will. Bis jetzt hatten die Vertreter der Bür gerinitiative also nichts weiter in den Händen als die eigenen Erhebungen aus den 82 Wahllokalen des Stadtbe zirkes Leipzig-Mitte. Es galt also, die offiziellen Ergebnisse für den Stadtbe zirk Leipzig-Mitte heranzuschaffen. Ein Vertreter der Bürgerinitiative ging am 12. Mai 1989 ins Stadthaus zum Stadt bezirksbürgermeister, dem Genossen Setzepfand. Nach stundenlangem War ten und eindringlichem Reden war der Genosse Setzepfand dann bereit, die sem Vertreter Einblick in die offiziellen Wahlergebnisse zu geben. Mehr aber auch nicht. Weder durfte sich der Bür ger etwas aufschreiben, noch war gar ah ein Exemplar zum Mitnehmen zu denken. Also blieb dem Vertreter der Bürgerinitiative nichts weiter übrig, als sich die Zahlen gut einzuprägen. Bevor wir jetzt in der Chronologie der Ereignisse weitergehen, sei eine weitere kurze Unterbrechung gestattet. Wie das Wahlgesetz vorschreibt, ist eine Einspruchsfrist von 14 Tagen, nach der Veröffentlichung der Zahlen mög lich. Da aber das Wahlgesetz nun nichts vorschreibt, wie die Zahlen veröf fentlicht -werden sollen, schließt das Zweideutigkeiten nicht aus. Galten nun die zentralen Veröffentlichungen schon als der Mo ment, ab dem gegen alle Zahlen Einspruch erhoben werden konnte? Auch gegen die noch nicht veröffent lichten der unteren Ebenen? Oder be gann die Einspruchsfrist erst dann, wenn die Zahlen wirklich im wahrsten Sinne des Wortes veröffentlicht wür den. Da entstünden aber unterschied liche Termine für die Einspruchsfristen wegen der unterschiedlichen Veröffent lichungstermine. Alles in allem eine völ lig undurchsichtige Situation, in der die Vertreter der Bürgerinitiative davon ausgingen, daß .mit der Veröffentli chung der Wahlergebnisse für die Städte auch gleichzeitig die Einspruchs frist für die bislang nichtveröffentlich ten Wahlergebnisse im konkreten Fall des Stadtbezirkes Leipzig-Mitte be gann. Es mußte also Einspruch gegen das bislang noch nicht veröffentlichte, aber kurz eingesehene Wahlergebnis des Stadtbezirkes Leipzig-Mitte erho ben werden. Welch’ paradoxe Situa tion I So stellten zwei Vertreter der Bürger initiative am 18. Mai 1989 einen. An trag auf Einspruch gegen die Gültig keit der Wahl im Stadtbezirk Leipzig- Mitte. Diesen Antrag formulierten sie bei dem Stadtbezirksausschuß der Na tionalen Front, der ja laut Wahlgesetz als einzige Instanz berechtigt war, einen derartigen Einspruch zu erheben. Am Rande bemerkt, was aber eine wichtige Ergänzung ist: Die Nationale Front hatte nur dar über zu entscheiden, ob man diesem Antrag stattgibt und dann diesen Einspruch erhebt. Eigentlich, wenn man’s mit den Interessen der Bürger wirklich ernst nimmt, eine klare Sache. Wir werden noch sehen, wie unklar so manches in der Nationalen Front ist. Zunächst aber der Antrag auf Ein- soruch cecen die Gültigkeit der Wahl: „In Wahrnehmung unserer staatsbür gerlichen Rechte gemäß Paragraph 37 ä Absatz 1 unseres Wahlgesetzes nah men wir an der öffentlichen Auszäh lung der Stimmen in zwei Wahllokalen im Stadtbezirk Mitte teil. Außerdem lie gen uns die Ergebnisse der Auszählung in weiteren 80 Wahllokalen des Stadt bezirkes Mitte vor. In Summierung der von den Wahlvorständen ermittelten Er gebnisse ergab sich für die Stadtbe zirksversammlung folgendes Resultat: Stadtbezirksversammlung (82 Wahllo kale): gültige Stimmen 48 517 für den Wahlvorschlag: 44 251 = 91,2 Prozent gegen den Wahlvorschlag 4234 = 8,73 Prozent Diese Ergebnisse decken sich nicht mit den bekanntgegebenen Zahlen für die Stadtbezirksversammlung: Stadtbezirksversammlung: (84 Wahllo kale) gültige Stimmen: 52 943 für den Wahlvorschlag: 50 856 = 96,04 Prozent gegen den Wahlvorschlag: 2087 = 3,96 Prozent Das ergibt eine Differenz von 4,8 Pro zent. In bezug auf die Wahlbeteiligung kommen wir auf vergleichbare Ergeb nisse. Wir erwarten daher, daß Sie ge mäß Paragraph 43, Absatz 1, Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl im Stadtbezirk Mitte der Stadt Leipzig er heben und eine Überprüfung der Wahl ergebnisse veranlassen. Für eine wei tere Klärung des Sachverhalts stehen wir zu Ihrer Verfügung und erwarten Ihre Antwort innerhalb der vom Wahl gesetz festgelegten Einsoruchsfrist. (2 Unterschriften)" Dieser Antrag wurde nun also beim Stadtbezirksausschuß der Nationalen Front am 18. Mai 1989 abgegeben, und die Antwort von der Nationalen Front folgte am 19. Mai 1989 auf dem Fuße: Schriftlich teilte die Stellvertrete rin des Sekretärs des Stadtbezirksaus schusses der Nationalen Front den Ver tretern der Bürgerinitiative mit, daß sie den Antrag auf Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl im Stadtbezirk Leipzig-Mitte an den Stadtbezirksbür germeister Genosse Setzepfand wei tergeleitet habe. Das ist kaum zu fas sen! Zunächst: Eine Entscheidung, die eigentlich nur die Nationale Front et was angeht, die nur sie zu treffen hat. wird auf jemanden anderes delegiert. Das spricht Bände über das Selbstver ständnis der Nationalen Fiont als In teressenvertreter der Bürger. Aber schauen wir uns doch einmal an, an wen diese Entscheidung weitergeleitet wurde. Genosse Setzepfand war zu je nem Zeitpunkt Stadtbezirksbürgermei ster und Vorsitzender der Wahlkommis sion des Stadtbezirkes Leipzig-Mitte. Er also trug die Verantwortung dafür, daß bei den Kommunalwahlen 1989 in sei nem Stadtbezirk alles mit rechten Din gen zuging. Und genau an jenen Mann delegiert die Nationale Front ihre demokratisch-rechtliche Kontroll pflicht weiter. Der zu Kontrollierende hatte also darüber zu entscheiden, ob der Einspruch gegen die Richtigkeit sei ner Arbeit rechtens sei oder nicht. Wie ging das nun weiter mit diesem Antrag auf Einspruch. Einiges Hin und Her, wer wann den Brief bekam oder nicht, wollen wir jetzt überspringen. Am 26. Mai 1989 jedenfalls erhält ein Vertreter der Bürgerinitiative eine Ant wort auf den Antrag auf Einspruch. Und diese Antwort nicht etwa von der Nationalen Front, nein der Stadtbezirks bürgermeister Setzepfand schreibt. Der zu Kontrollierende also seinen Kontrol leuren. In diesem Lichte betrachtet, eröffnet sich erst die ganze Ungeheuerlichkeit seiner Antwort: „Werter Herr.. Zuständigkeitshalber habe ich Ihr Schreiben vom Stadtbezirksousschuß der Nationalen Front des Stadtbezirkes Leipzig-Mitte erhalten., Ihrem Einspruch gegen die Gültigkeit der Kommunal wahlen am 7. Mai 1989 wurde durch den Stadtbezirksausschuß der Nationa len Front nicht stattgegeben. Die Wahl kommission hat anhand der von den Wahlvorständen entsprechend Para graph 39 Absatz 1 des Wahlgesetzes exakt gefertigten Niederschriften die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl geprüft, das Wahlergebnis fest gestellt und bekanntgegeben. Dem ist nichts hinzuzufügen. Mit sozialistischem Gruß! SETZEPFAND, Stadtbezirksbürgermeister“ Leider ist diesem Schreiben eine ganze Menge hinzuzufügen. Nämlich zunächst einmal, daß bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht die Wahl ergebnisse des Stadtbezirks Leipzig- Mitte öffentlich bekanntgegeben wor den waren. Und das die Wahlkommis sion die Richtigkeit ihrer Wahlergeb nisse bei'einer Prüfung bestätigt findet, verwundert nicht. Von den staatlichen Stellen oder der Nationalen Front war also nichts mehr zu erwarten. Die Einspruchsfrist, ob der Unklarheit ihres Beginns war zweitran gig geworden. Jetzt ging es den Vertre tern der Bürgerinitiative darum, die Konstituierung der Stadtbezirksver sammlung zu verschieben und zwar so lange, bis ihre Zweifel an der Recht mäßigkeit der Wahlergebnisse aus der Welt geschafft waren. Und was tat man da? Am 29. Mai 1989 wandten sich Vertreter mit einer Mitteilung an die Stadtbezirksleitungen der Par teien und Massenorganisationen sowie an einzelne Abgeordnete. „Wir erwarten von den Abgeordne ten und allen Beteiligten und Ange sprochenen die Wahrnahme ihrer de mokratischen Pflicht und Verantwor tung, das heißt Hinwirkung auf Über prüfung und gegebenenfalls Korrektur der Wahlergebnisse im Stadtbezirk Leipzig-Mitte bzw. Neuwahl. Das be deutet eine Verschiebung der Konstitu ierung der Stadtbezirksversammlung Leipzig-Mitte. Die Verantwortlichen müßten in jedem Fall ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden." Hier sei dem Autor wieder eine jener Unterbrechungen der Chronologie ge stattet, um einen Hintergrund für die Handlungen der Bürgerinitiative auf zuhellen. Die Konstituierung der Stadt bezirksversammlung Leipzig-Mitte war für den 31. Mai 1989 vorgesehen. Wie wir wissen, waren bis dahin die offiziel len Wahlergebnisse für den Stadtbezirk Leipzig-Mitte noch nicht veröffentlicht. Also konnte man bis dahin einen Einspruch eigentlich kaum begründen. Die Konstituierung der Stadtbezirksver sammlung ist jedoch gleichzusetzen mit dem juristischen Abschluß der Wahl. Was bedeutet, daß die Abgeord neten als gewählte Volksvertreter ein gesetzt, also die Rechtmäßigkeit der Wahlergebnisse bestätigt wird. Hier im konkreten Fall jedoch wollte man aber die offiziellen Wahlergebnisse erst auf der konstituierenden Sitzung veröffentlichen. Hielte man sich aber an das Wahlgesetz begänne doch dann eigentlich erst die vierzehntägige Einspruchsfrist. Da aber mit der Kon stituierung schon die Bestätigung der Wahlergebnisse stattfinden sollte, wäre dann ja jeder Einspruch sinnlos. Von den angesprochenen Abgeordneten reagierten die meisten mit Zurückhal tung, um es höflich auszudrücken, ta ten also nichts. Eine CDU-Abgeordnete verwies die Vertreter der Bürgerinitiative an den Fraktionschef der CDU und gleichzeiti gem Vorsitzenden der CDU von Leip zig-Mitte Herrn John. Dieser wandte sich dann an den Stadtbezirksbürger meister Genossen Setzepfand, der auf dessen Anfrage hin den CDU-Chef von Leipzig-Mitte anlog, indem er ihm sagte, daß man an die Vertreter der Bürgerinitiative geschrieben hätte, in diesem Brief alle entsprechenden Zah len zur Aufklärung der Differenzen ent halten seien. Und damit hätte sich die ganze Sache erledigt. Es versteht sich von selbst, daß so ein Schreiben, die Vertreter der Bürgerinitiative nie er reichte. Auch Frau Dr. Käse, SED- Mitglied und mit dem Mandat vom Kul turbund ausgestattet, sprach dies an und bekam zu hören, daß mit den Ver tretern der Bürgerinitiative ein Ge spräch geführt worden wäre und sich damit die Sache erledigt hätte. Auch ein solches Gespräch fand natürlich nie statt. (Einschub: Um diese Vorwürfe zu be- legen, muß der Autor hier einmal vor greifen. Auf einer Stadtbezirksversamm lung am 9. November 1989 durfte ein Vertreter der Bürgerinitiative sprechen und brachte genau jene Vorwürfe vor. Ihm wurde während der ganzen Ver sammlung von dem anwesenden Stadt bezirksbürgermeister, Genossen Setze pfand, nicht widersprochen!) Dann kam also der 31. Mai 1989, an dem sich die Stadtverordnetenversamm lung konstituieren sollte. Auf dieser Stadtbezirksversammlung wurden erst mals die offiziellen Wahlergebnisse vom Genossen Setzepfand, dem Chef den Stadtbezirkswahlkommission, vor getragen. Nach diesem Vortrag fragte er nach Einsprüchen gegen die Gültig keit dieser Wahl und - der gesamte Saal schwieg. Also keine Einsprüche und damit konnte sich die Stadtbezirks versammlung konstituieren, wurde die Kommunalwahl im Stadtbezirk Leipzig- Mitte für juristisch beendet erklärt. Wie weiter? Diese Frage stand nun vor den Vertretern dieser Bürgerinitia tive. Der gesetzliche Weg, den das Wahlgesetz vorschrieb, war ausgeschrit ten und man war auf ihm vorerst ge scheitert. Es . galt nun, andere legale Wege zu finden und auf diesen zu Er gebnissen zu kommen. Auf einer Voll versammlung, zu der über die Hälfte der Leute kamen, die beim Kontrollie ren der Wahl .mitgemacht hatten, einigte man sich dann auf einen Kom promiß. Man wollte die möglichen Ein gaben an die Volkskammer machen, dann die Beantwortungsfrist abwarten und sich nur mit einer Antwort zufrie den geben, die versprach, die aufge- tretenen Differenzen durch eine von der Stadtbezirkswahlkommission un- abhängige Stelle untersuchen zu las sen. Sollte kein derartiges Ergebnis er langt werden, würde man sich zum letz ten in unserem Rechtsstaat möglichen Schritt entscheiden 1 müssen und eine Strafanzeige wegen Wahlbetruges er statten. Auch hier muß die Chronologie un terbrochen werden: In dieser Vollver sammlung forderten nicht wenige, so fort mit den Zahlen an die Öffentlich keit zu gehen, was in den Junitagen be deutete, Westmedien die Informa tionen zukommen zu lassen. Aber genau das wollten die Vertreter der Bürgerinitiative nicht. Sie meinten, die Wahlen und mögliche Unkorrektheiten seien eine Angelegenheit der DDR und nur hier in diesem Land zu klären. Ich denke, hier bewies sich ein gehöriges Maß an Staatsbewußtsein. Außerdem wollte man vermeiden, in den Geruch der Staatsfeindlichkeit zu kommen, der ja in jenen Tagen unser Land j ‘nz schön verräucherte. Konflikte mit der Staatssicherheit wären dann nicht Jus- zuschließen gewesen. Die Antworten ließen nicht lang, auf sich warten. So antwortete die Volks kammer schon am 19. Juni 1989. „Ihr । Schreiben an den Vorsitzenden des Ver- fassungs- und Rechtsausschusses der Volkskammer der DDR wurde uns über geben. Wir möchten Ihnen mitteilen, daß entsprechend den gesetzlichen Be stimmungen Ihr Schreiben an die zu ständige örtliche Wahlkommission wei tergeleitet wurde. Mit sozialistischem Gruß. Krüger, wissenschaltlicher Mit arbeiter." Also: Alle Wege endeten wie der bei Genossen Setzepfand und (ver)endeten dort. Die Abteilung Staats- und Rechtsfragen beim Staats rat der DDR antwortete am 26. Juni 1989 wie folgt: „Ihr Schreiben vom 8. 6, 89 haben wir erhalten. Diesem Schreiben können wir entnehmen, daß das von Ihnen vorgetragene Anliegen durch die gesetzlich zuständigen ört lichen Wahlleitungsorgane bereits qe- orüft und entschieden wurde. Wir se hen deshalb keinen Anlaß, in dieser Sa che noch einmal tätig zu werden. Mit freundlichem Gruß! Liebscher, Fach gebietsleiter." So blieb den Vertretern der Bürgerin itiative also nichts weiter übrig, als am 7. September 1989 über einen Rechts anwalt bei der Staatsanwaltschaft Leipzig eine Strafanzeige gegen Unbe kannt wegen Verdachts der Wahlfäl schung gemäß Paragraph 211 StGB zu erstatten. 47 Zeugen plus die beiden Anzeigenerstatter erklärten sich bereit, im Falle der Behandlung dieser Straf sache vor dem Gericht auszusagen. Am 26. Oktober 1989 wurde die die ' Büraerinitiative vertretende Rechtsan- ‘ wältin Frau Martina Huhn zum Staats- lanwalt der Stadt Leipzig eingeladen. I Dort erklärte der Staatsan- walt der Stadt Leipzig, daß er die Do kumente eingesehen hätte, er aber kei nen Grund sähe, ein Ermittlungsverfah ren einzuleiten. Natürlich stünde ihr das Recht zu, ge gen diese Entscheidung Beschwerde beim Bezirksstaatsanwalt einzulegen. Was dann die Frau Huhn nach Rück sprache mit den Vertretern der Bürger initiative auch zwei Tage später tat. Am 14. November 1989 teilte man den Antragstellern mit,, daß bei dem Anzeigen prüfungsverfahren, durchge führt durch den Staatsanwalt der Stadt Leipzig, Fehler gemacht wurden. Des halb hätte der Bezirksstaatsanwalt ein neues Anzeigenprüfungsverfahren ein geleitet. Also Ende gut, alles gut? Keines wegs. Noch immer wird über die Rechtsmäßigkeit der Anzeige nachge dacht. Noch ist nicht heraus, wer denn nun und ob überhaupt hier im Stadt bezirk Leipzig-Mitte bei den Kommunal wahlen 1989 betrogen wurde. Eines jedoch läßt sich deutlich able sen: Von Demokratie - also des Volkes Macht - kann hier keine Rede mehr sein. Ob nun die Verantwortlichen be wußt als Subjekte oder unbewußt als Objekte gehandelt haben, gilt es noch zu klären. Daß sie aber an den Inter essen des Volkes vorbeiregierten dieser Eindruck läßt sich nicht ver wischen. Und damit völlige Klarheit in diese zwielichtige Sache kommt, sind auch wir als Zeitung gefordert. Des halb so viel Platz für diese Angelegen heit und auch deshalb hier an dieser Stelle Has Versprechen, dranxubleiben und schonungslos und offen dar über zu berichten, was sich hier wirk lich abspielte. Nachsatz: Bewußt wurde in diesem Report auf die Nennuna von Namen, soweit sie Vertreter der Büraerinitiative betrifft, verzichtet. Dem Autor lieaen je doch alle hier zitierten Dokumente und sechs Kontaktadressen vor. Auf Wunsch können diese in der Redaktion eingeseher werden.
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