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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1985
- Erscheinungsdatum
- 1985
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-198500005
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19850000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19850000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise vorlagebedingter Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 1985
-
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- Ausgabe Nr. 6, 8. Februar 1
- Ausgabe Nr. 7, 15. Februar 1
- Ausgabe Nr. 8, 22. Februar 1
- Ausgabe Nr. 9, 1. März 1
- Ausgabe Nr. 10, 8. März 1
- Ausgabe Nr. 11, 15. März 1
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- Ausgabe Nr. 25, 21. Juni 1
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- Ausgabe Nr. 28, 12. Juli 1
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- Ausgabe Nr. 30, 26. Juli 1
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- Ausgabe Nr. 36, 11. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 37, 18. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 38, 25. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 39, 1. November 1
- Ausgabe Nr. 40, 8. November 1
- Ausgabe Nr. 41, 15. November 1
- Ausgabe Nr. 42, 22. November 1
- Ausgabe Nr. 43, 29. November 1
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- Ausgabe Nr. 45, 13. Dezember 1
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Band
Band 1985
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Den Sieg der Freundschaft verkünden Erinnerungen an die ersten Jahre in der DSF Freiheit - Brot“. Wir folgten ih nen, verweigerten den Befehlsha bern des „Volkssturmes“ den Ge horsam und hißten weiße Fah nen. Am 2. Juli 1945 rückten dann die sowjetischen Truppen in Leipzig ein. Unvergeßlich sind für mich die ersten Kontakte mit den Rotarmisten, die mir und den halb verhungerten jüngeren Geschwistern mit Essen aus der Feldküche halfen. Wenige Tage später, am 7. Juli, erschien das „Amtliche Nachrichtenblatt Nr. 11 der Stadt Leipzig “. Dort war der Befehl Nr. 2 von Marschall Shukow abgedruckt, der die Tätigkeit der antifaschistischen Parteien und Organisationen er laubte. In dieser Zeitung fand sich neben der Einladung zu einem Sinfoniekonzert zur Be grüßung der Roten Armee im „Ufa-Theater Capitol“ auch ein Artikel, in dem die Bedeutung einer neuen Lehrerpersönlich keit für die bevorstehende ent scheidende Aufgabe dei' de mokratischen Schulreform be tont wurde. Meine antifaschisti schen Lehrer begeisterten mich dafür, an der Lösung dieser gro ßen und schönen Aufgabe mit zuhelfen. Wenn ich heute darüber nach denke, welche die stärksten Im pulse für meine Entwicklung in den ersten Jahren nach dem K rieg waren, so muß ich die so wjetische Literatur, in erster Li nie die beiden Bücher „Wie der Stahl gehärtet wurde“ und „Der Weg ins Leben“ nennen. Zur So wjetliteratur kam ich durch die damalige „Gesellschaft zum Stu dium der Kultur der Sowjet union“. Was mich faszinierte war die unbeugsame Entschlos senheit des Menschen, einen schier aussichtslos scheinenden Kampf für den Fortschritt sieg reich zu Ende zu führen. So wie Makarenko gingen in der Sowje tischen Besatzungszone Tau sende von Neulehrern ans Werk mit grenzenlosem Vertrauen zur jungen Generation, mit glühen der Begeisterung. Mit 18 Jahren wurde ich Neu lehrer. Ich bekam eine Jungen bot dieser Waffe. Neben vielen Flugblättern und Zeitungen aus den Jahren 1945—1950 besitze ich ein besonders wertvolles Erinne rungsstück aus jenen Jahren: den sorgfältig ausgearbeiteten Text einer Rede, die ich im Mai 1950 auf einer Festveranstaltung zum „Monat der deutsch- sowjetischen Freundschaft“ in der vollbesetzten als Aula benutz ten Turnhalle der damaligen 37. Grundschule in Leipzig vor der Elternschaft hielt und in der ich begeistert von Makarenko er zählte. „Die Sowjetunion gibt der Welt die Zuversicht, daß ein Massenmorden mit Benutzung der Atomenergie verhindert wird. Auch wir werden unsere Kräfte zur Erreichung dieses Zie les nicht schonen. Wenn es uns gelingt, überall das neue hohe Verantwortungsbewußtsein der Menschen zu wecken, überall denselben Kollektivsinn zu ent wickeln, wie es Makarenko ge lungen ist, dann leisten wir den schönsten Beitrag zur deutsch- sowjetischen Freundschaft und zur Erhaltung des Friedens. Dann werden bald ebenso wie in der heutigen Kulturveranstal tung überall in der Welt die Lie der der Völker die Ländergren zen überfliegen und den Sieg der Freundschaft Verkünden.“ Prof. Dr. GERHARD MANN. Sektion Chemie Dor 0 ee übe dre bowotebeo mansAsckex A6cxedc«toa Msmeban 4xe So -bnove G. K. Shtke De Siabehe dae Sowsetwcbeo skssomo KAmwsarseox Groerddebene W. W. kurasow M v V. ' N . We -8 9 ' 2 - ‘ "X Gruß und Dank dem Sowjetvolk! Ruhm und Ehre den Helden der Sowjetarmee! 9. Mai 1945, Roter Platz: Die Moskauer Bevölkerung feiert den Sieg über die fa- April 1945: Sowjetsoldaten verteilen in den Straßen Berlins warmes Essen an die schistische deutsche Armee. Foto: ADN/ZB Bevölkerung. , Foto: UZ/Archiv Das Jahr 1945 war für mich der bedeutendste Wendepunkt im Leben. Als 15jähriger Schüler der Leipziger Schillerschule, die damals in der Springerstraße stand, hatte ich am 27. Februar dort Wachdienst, als Dutzende von Spreng- und Brandbomben diese Schule restlos vernichteten. Fast erstickt nach vielen Stun den aus dem halbeingestürzten Keller gerettet, begannen wir jungen Menschen verworren mehr zu ahnen als zu begreifen, daß das Ende des „Großdeut schen Reiches“ für uns nicht un bedingt das eigene Ende, sondern vielleicht die Rettung werden könnte. Als einige Wochen spä ter, im April, sich die amerika nischen Panzer unserer Heimat stadt näherten, tauchten ver stärkt auf Flugblättern die Paro len des NKFD auf: „Frieden — klasse des 7. Schuljahres über tragen, 40 Schüler, davon ein Drittel Kriegswaisen. Wir hatten 30 Stunden wöchentlich in sämt lichen Fächern zu unterrichten, die Ausbildung lief nebenbei. Für den Geschichtsunterricht be durfte es einer besonderen Li zenz. auf die ich besonders stolz war. Wir jungen Lehrer gründe ten ein „FD J-Lehrer-Aktiv“, das sich zur Aufgabe machte, die Ziele der „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freund schaft“ zu propagieren und zu realisieren. Als Pionierleiter wur den wir gleichzeitig Aktivisten der deutsch-sowjetischen Freund schaft. Als 1949 das Atombomben monopol der USA gebrochen wurde, forderte die Sowjetunion besonders nachdrücklich das Ver Sie führt 40 Jahre zurück in den Sommer 1945 an den Stadtrand von Dresden. Ich war damals ein knapp vierzehnjähriger Pennäler, dem das Grauen der miterlebten Zerstörung seiner Heimatstadt, der Teilnahme BEGEGNUNG am sogenannten Katastrophenein satz, der Toten und Verwundeten, des großen Feuers und wieder neuer Bombenangriffe auf der Seele lag, aber auch das Entsetzen über den verlorenen Krieg und die Angst da vor, was nun kommen würde. Hat ten wir doch gelernt, „wenn die Rus sen den Krieg gewinnen, so werden sie uns alle fertigmachen“. Angst vor der Revanche ganz im Sinne fa schistischer Ideologie, eingeimpft als Durchhaltemotivation. Sowjetische Soldaten waren bei uns eingezogen, und Wir fürchteten sie. Schule fand nicht statt in den er sten Monaten nach dem Krieg, und so wurden wir Jungen in den Wald geschickt, um Bäume zu fällen. Un ser Lohn war das Holz, was wir nach der Arbeit heimtragen konn ten. Also nahm man eine Birke, die gerade so stark war, daß man das Stammende auf der Schulter tragen konnte und versuchte, sie heimzu schleppen. Und auf einem solchen Heimweg passierte es. Noch in Sichtweite des Arbeits platzes hielt ein Jeep, und ein so wjetischer Soldat sprach mich an: „Du, wohin?“ Ich wußte, jetzt ist es aus mit mir. „Tragen“ war gesagt Und nicht „hinter sich herziehen“. „Nach Hause“, mehl’ brachte ich nicht heraus. Da aber geschah etwas für mich Unbegreifbares. Er stieg ab, nahm ein Seil aus dem Wagen, band meinen Baum hinten am Wa gen fest, schob mich zum Auto. „Zeige nach Hause.“ Dorthin brachte er mich und mein Holz. Am Bei ihm lernte ich meine ersten Worte Russisch und er bei mir Deutsch, und im Laufe der Zeit konnten wir uns. unterhalten. Er brachte mir das Schachspiel bei und schlug mich erbarmungslos — „du wehrst dich schlecht.“ Von ihm hörte ich das erste Mal den Namen Marx mit Achtung ausgesprochen, und daß die Ideale, denen sein Land folgt, eigentlich von Deutschen gebo ren wurden. Als ich einmal zu ihm sagte, ihr habt uns besiegt, erwi derte er: „Wir haben den Krieg nicht gewollt. Wir wollen überhaupt gend — wenn er Kommunist ist, dann kann das nichts Böses sein und Untermenschentum schon gar nicht. Als im Oktober die Schule wieder begann, fragte er mich, ob ich nun wieder auf die Oberschule gehe. Ich antwortete „nein“. „Es ist ja sowieso sinnlos und alles ist aus, und außerdem habe ich kein Schul geld.“ Wir waren vier Kinder und der Vater nicht da. Er reagierte wütend. „Nichts ist aus, jetzt fängt es erst an für dich. Wie es wird bei euch, weiß ich nicht. Aber du mußt lernen. Ich helfe dir.“ Und so kam Ende seine Frage: „Du morgen?“ Ich sagte ja und fühlte mich noch einmal davongekommen. Am nächsten Tag geschah das glei che, aber da wußte ich schon, daß er zu einer Autokolonne gehörte, die in unserer Nähe an einem Wald rand lag. Dies war . der Beginn meiner ersten Freundschaft zu einem sowjetischen Menschen. In der Arbeitspause ging ich zu ihm. Er mußte etwas zu sagen ha ben, denn die anderen behandelten ihn mit Achtung, und ich fühlte mich sicher bei ihm. Ob er sich um mein Vertrauen bemühte, weiß ich nicht mehr, aber er erwarb es. Un sere Freundschaft dauerte Monate. Durch ihn verlor ich die Angst vor der Roter Armee. Er brachte bei mir den in der Schule eingetrichter ten stupiden Haß auf die Sowjet union zum Einsturz. keinen Krieg, und wir haben ihn nur zurückgetragen dorthin, wo er begonnen worden ist.“ Und dann erzählte er mir über das Furcht bare, das mit seinem Land gesche hen war und von dem ich noch nichts wußte. Als wir uns schon vertraut waren, fragte ich ihn einmal: „Mila ' (so nannte ich ihn), bist du Kommu nist?“ Ich fürchtete mich vor der Antwort, denn er mußte doch wis sen, daß dieses Wort in meinem Er lebnisbereich immer ein Schimpf- “wort gewesen war. Er aber ant wortete genauso, wie ich es heute als etwas für mich Selbstverständli ches tun würde: „Ja, ich bin Kom munist.“ Und damit riß er wieder et was bei mir ein — gleichsam einer unter heutiger Sicht manchem et was infantil anmutenden Logik fol- es, daß ich wieder zur Schule ging. Und er bezahlte mir das Schulgeld jeden Monat bis zu seiner Demobili sierung im Mai 1946. Sein Einfluß war es auch, der mich im November 1945 in die An tifa-Jugend führte, wo ich auch dann deutsche Antifaschisten ken nen-, verstehen- und achtenlernte. (Eintrittsgeld zu den Jugendaben den ein Brikett oder einige Stücke Feuerholz). Am Weihnachtsabend, zu dieser Zeit kam er schon ab und an zu uns nach Hause, saß er mit uns am ge klauten Weihnachtsbaum, packte Brot und Zucker aus für uns, und dann weinte er. Seine Frau und seine beiden Kinder, der Sohn et was jünger als ich, waren verschol len, wahrscheinlich auf der Flucht vor den Deutschen umgekommen. Als er fortging, um heimzukeh ren, spürte ich, daß neben seiner Freude auch Furcht vor dem war, was er zu Hause vorfinden würde, und er sagte mir: „Der Krieg war schrecklich, aber wir werden es auch jetzt schwer haben.“ Was ihn insgesamt bewegt hat, sich mir so zu widmen, so an mir zu handeln, weiß ich nicht, aber Erklärungen gäbe es viele. Sicher aber ist, er hin terließ in mir Zuneigung auch zu sei ner Heimat, Hoffnung für die Zu kunft und das Gefühl für die Rich tung, in der die Antwort auf die Fra gen zu suchen war, die mich und die Generation der damals Vierzehn jährigen bedrückten. Und gewiß ist auch, so wie er mir zeigte, daß er mich, den Sohn eines geschlagenen Gegners, ernst nahm und achtete, lernte ich von ihm, daß man den anderen achten muß, weil er ein Mensch ist, und daß man sich um ihn bemühen muß um der Sache willen und weil es vielleicht gerade für ihn wichtig ist. Und hoch etwas ist gewiß. Er war es, der den Weg ebnete, der mich in die „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" führte, aus der 1949 die „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ hervorging. Er „stand“ auch hinter mir, als ich 17jährig als Maurerlehr ling Mitglied der Partei der Arbei terklasse wurde. Viele Jahre sind seitdem vergan gen und wenn man sie überschaut, so ist es erlaubt zu sagen, daß wir es uns nicht leicht gemacht haben, so wie es uns auch nicht leicht ge macht worden ist, aber daß es sich gelohnt hat. Denn es ist beglückend zu wissen, wir sind ein Bruderland des Staates, der damals an der Spitze stand, den vom reaktionär sten Flügel des Imperialismus ge brochenen Frieden mit Gewalt wie der herzustellen und heute Vor kämpfer aller jener ist, die ihn mit Kraft und Macht und Klugheit ver teidigen, um das Leben der Mensch heit zu bewahren, damit es auch für unsere Nachfahren noch Geschichte gibt. Während ich dies schreibe, liegt sein Bild vor mir. das er mir daließ, der Kommunist und Star schina einer Gardeeinheit der so wjetischen Armee, Emil Grigorie- witsch Nedjelka, der mich im ech ten Sinne des Wortes zweimal be freite. Einmal mit der Waffe von einem barbarischen faschistischen System und einmal mit Verstand und Herz von der Furcht vor dem Leben. GERHARD MÄRKER, Sektion MI. GESPRÄCH 38028208820828822822.208..28320388603.e83183ssceus8s2228 Vor genau 20 Jahren hatte ich, da mals Lehrer an einer polytech nischen Oberschule, das große Glück, eine Reise mit der „Völker- freundschaft" nach Leningrad als Auszeichnung zu erhalten. Aus der Fülle der Erlebnisse sei nur eine Be gebenheit am Rande hier wiederge geben. Da uns am letzten Tag unseres Aufenthaltes noch ein paar Stunden und einige Rubel bis zur Abreise verblieben, nutzten wir diese für einen Stadtbummel zu zweit ent lang des Newski-Prospektes. Meine Frau schlug vor, einmal mit der „Metro“ zu fahren. Wir betraten die Bahnhofshalle, in der sofort einige beleuchtete Tafeln und Fotos meine Aufmerksamkeit fesselten, während meine Frau, nahezu ohne russische Sprachkenntnisse, jedoch im Besitz der restlichen „Finanzen“, Fahrkar ten kaufen wollte. Doch anstelle von Fahrkarten bekam sie eine Handvoll Wechselgeld in 5- Kopeken-Stücken, und erst jetzt be merkte sie, daß keine Fahrkarte, sondern ein einzuwerfendes 5- Kopeken-Stück das Passieren einer Lichtschranke ermöglichte. Während wir uns darüber aus tauschten, wurden wir plötzlich von einem Mann mittleren Alters ange sprochen: „Guten Tag! Sie sind si cher zum erstenmal in Leningrad und haben einige Schwierigkeiten. Ich will ihnen gern behilflich sein.“ Da diese Worte in einwandfreiem Deutsch gesprochen waren, vermute ten wir einen Landsmann. Unser Ge genüber stellte sich jedoch als Russe, Leningrader, Ingenieur aus den bekannten Kirow-Werken vor. Er kam soeben von seiner Schicht, wollte nach Hause und war uns zu fällig hier begegnet. Er war sofort bereit, uns für die nächsten einein halb Stunden auf unserer Fahrt zu begleiten und uns sachkundig zu führen. Um es vorweg zu nehmen: Jeder der Bahnhöfe, die wir an diesem Tag mit unserem Begleiter besichtig ten, glich einem unterirdischen Pa last, jeder hatte seine besondere Be deutung und Geschichte, und unser sowjetischer Reiseführer wurde nicht müde, uns alle Einzelheiten ge nauestens zu erklären und auf un sere Fragen geduldig zu antworten, und das, wie bereits bemerkt, in gu tem Deutsch. Nun wollten wir von unserem Freund (wie wir ihn ins geheim bereits nannten) etwas mehr wissen, über seine Familie, seine berufliche Tätigkeit und vor allem über den Ursprung seiner aus gezeichneten Beherrschung der deut schen Sprache. Bei letzterer Frage wurde er, wie mir schien, etwas ern ster und nachdenklicher: „Ich habe schon in der Schule deutsch gelernt und erhielt nebenbei Unterricht von meinem Vater, der an einer Lenin grader Hochschule die deutsche Sprache lehrte. Außerdem war ich vier Jahre in Deutschland — von 1941 bis 1945.“ Dann erfuhren wir ein — leider nicht einmaliges — Schicksal: Zu sammen mit seinem Vater, der nach einer Operation einen Erholungs urlaub erhalten hatte, befand er sich unweit der Grenze in einem be lorussischen Dorf und wurde vom Kriegsausbruch überrascht. Sein Va ter wurde kurze Zeit später von den Deutschen als „Verdächtiger“ er schossen, er selbst nach Deutsch land verschleppt, wo er als „Fremd arbeiter“ Sklavenarbeit, zum Teil in Rüstungsbetrieben, leisten mußte. Als er nach dem Kriegsende endlich heimkehren konnte, lebte von sei nen Angehörigen niemand mehr, die Mutter und zwei Schwestern wa ren bei der Blockade Leningrads ums Leben gekommen. Auf der Rückfahrt konnte meine Frau, der die Tragik der Erlebnisse dieses Mannes besonders naheging, sich nicht enthalten, an ihn die Frage zu richten: „Sagen Sie bitte, Sie haben uns jetzt mehr als eine Stunde Ihrer Freizeit geopfert, und es gab für uns kaum einen netteren und aufmerksa meren Begleiter. Und das, obwohl gerade Sie von solchen, die sich Deutsche nannten und unsere Spra che redeten, so Furchtbares erfah ren haben? Ich weiß nicht, ob ich das könnte!“ Die Antwort darauf ha ben wir uns gut eingeprägt: „Ihre Frage ist berechtigt, und es war für mich lange Zeit nicht leicht, darauf zu antworten. Ja, ich habe Deutsche erlebt, die schlimmer als wilde Tiere waren. Ich mußte sogar für sie dolmetschen, und ich hasse die deutschen Faschisten. Aber ich habe in der besonders schlimmen Zeit auch unterscheiden gelernt, denn Deutsche haben mir selbst zweimal das Leben gerettet. Wenn ich jetzt deutsche Gäste in Leningrad treffe, spreche ich gern mit ihnen in ihrer Muttersprache, und bei vielen er rate ich selbst, aus welcher Gegend sie kommen. Übrigens: Meine bei den Söhne lernen deutsch und spre chen schon recht gut, mein ältester wird in Dresden studieren.“ Nach kurzer Pause fügte er hinzu: „Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Freunde und Feinde gibt es wohl in allen Sprachen der Welt. Aber es ist niemals die gleiche Sprache, ihre Worte haben anderen Klang und auch andere Bedeutung, und auch daran erkennt man sie bald.“ Dr. HEINZ SÄNGER, Sektion m.-l. Philosophie
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