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Damit setzt in der Geschichte der altehrwür digen Alma mater Lipsiensis eine historische Wende ein, die nicht ihresgleichen in der bis herigen Geschichte hat. Die Zerschlagung des Hitlerfaschismus durch die Sowjetarmee und das unermüdliche Schaf- fen aller aufbauwilligen demokratischen Kräfte in den ersten schweren Wochen und Monaten machten es möglich, daß sich nach 1945 die Tore auch der Leipziger Universität dem Volke öffneten und sich ein demokratisch-humani stisches Bildungsideal durchsetzen konnte. In Leipzig wurde jedoch eine solche Ent wicklung von den amerikanischen Besatzungs mächten hintertrieben. Die Amerikaner be stärkten auch die reaktionäre Haltung der Universitätsleitung unter Rektor Schweitzer, die sich der Säuberung der Universität von faschistisch schwerbelasteten Elementen ent zog. Die wahren Absichten der US-Besatzer do kumentierten sich auch in einem Schritt, der der Universität Leipzig enormen Schaden zu fügen sollte: Als die Amerikaner Leipzig zu räumen begannen, wurden 46 Wissenschaftler und technische Mitarbeiter zwangsweise de portiert. Wertvolle wissenschaftliche Geräte Und Dokumentationen wurden entführt. Unter den Verschleppten befanden sich hervorra gende naturwissenschaftliche Gelehrte wie die Professoren Helferich. Kautzky, Karolus, Carlssohn, Hein, Wolf, Scheunert, Sülze, Strack, Thomas, Scheumann, Weickmann u. a. Damit wurden viele naturwissenschaftliche Institute von Lehrkräften völlig entblößt. Auf dem Gebiet der Chemie z. B. gab es nicht einen einzigen Angehörigen des Lehrkörpers mehr; auf dem gesamten Fachgebiet der Physik waren nur noch ein Professor und Zwei Assistenten verblieben. Nur wenigen der Verschlepptem gelang es später, aus dem Lager Weilburg auszubrechen und nach Leip zig bzw. anderen ostdeutschen Universitäten zurückzukehren, wie z. B. den Professoren Leopold Wolf, Strack, Sülze, Scheunert, Hein u. a. Erst nach Einzug der sowjetischen Befreier, am 1. Juli 1945, erhielten die antifaschistisch- demokratischen Kräfte Hilfe und Unterstüt zung in ihrem schweren Kampf. In uner müdlichem Ringen und harten Auseinander setzungen gelang es den fortschrittlichen Kräf ten unter Führung der Arbeiterklasse und mit Hilfe der sowjetischen Freunde, die Ent nazifizierung des Lehrkörpers vorzunehmen. Mehrfach mußte dann die Wiedereröffnung hinausgeschoben werden, weil dafür von Seiten der Studenten noch nicht die notwen digen Voraussetzungen gegeben waren. Erst am 5. Februar 1946 konnten die Pfor ten der Universität neu geöffnet werden. Die feierliche Eröffnung im „Capitol“ erfolgte Unter starker Anteilnahme der demokrati schen Oeffentlichikeit in Anwesenheit des Vertreters der SMAD, Prof. Solotuchin. In seiner Ansprache führte der Chef der Volks- bildungsabteilung der SMAD. Gen. Prof. Solo tuchin, u. a. aus: „Wir nehmen an der feier lichen Wiedergeburt einer neuen Universität teil, deren Aufgabe darin besteht, neue Men schen zu schaffen, die fähig sind, einen ent schiedenen Kampf gegen die faschistischen Ideen des Militarismus, der Rassenlehre und des Nazismus zu führen, sowie jegliche Reak tion zu entlarven, in welcher Gestalt sie auch erscheinen mag." Welche Anstrengungen notwendig waren, um diesen Zielen nahezukommen, geht allein aus der Tatsache hervor, daß am 5. Februar 1946 von insgesamt 767 Studenten nur 26 Arbeiterkinder, das sind lediglich 3,6 Prozent, ihr Studium aufnahmen. Die bürgerlich-de mokratische Aufgabe der Brechung des Bil dungsprivilegs der herrschenden Klasse mußte unter Führung der Arbeiterklasse in Angriff genommen werden. In jenen ersten Jahren des Neuaufbaues gab es an der Universität zahllose Pioniere der Wissenschaft, die buchstäblich aus den Trümmern heraus, oft auf sich allein gestellt, den Neuaufbau begannen, so die Professoren Alverdes, Arland, Baetke, Erkes, Frings, Heller, Ilberg, Jacobi, Jahn, Kleeberg, Kötzschke, Lambertz, Pfeifer, Schröder, Schubart, O. Th. Schulz, Treibs, Wedemeyer, Weller, Leopold Wolf u. a. Getragen von einem hohen Verantwortungsbewußtsein, gingen Lehrkörper, Assistenten, Studenten, Arbeiter und Angestellte daran, Trümmer zu beseitigen, neue Räumlichkeiten für die Lehre zu gewinnen und unter oftmals unsag bar schweren Bedingungen die Ausbildung und Forschung anlaufen zu lassen. Viele par teilose Professoren, Dozenten und Assistenten arbeiteten selbstlos und hingebungsvoll für die Schaffung einer Volksuniversität. An der Spitze dieses Kampfes stand von Anfang der Neueröffnung an der Vortrupp der Arbeiterklasse, die SED-Betriebsgruppe der Universität. Zahlenmäßig noch sehr schwach, war diese Gruppe eine im Kampf zusammengeschweißte Kraft, von der immer neue Impulse für die Demokratisierung der Universität ausgingen und die immer mehr Parteilose um sich scharte. Im Prozeß des Ringens um die neue, de mokratische Universität entlarvten sich anti demokratische und feindliche Elemente, die bis zur Wahl des Antifaschisten und Rechts wissenschaftlers Prof. Dr. Jacobi als Rektor die Oberhand in der Universitätsleitung hatten. Eine hervorragende Rolle in diesem Prozeß der demokratischen Umgestaltung der Uni versität spielten die Vorstudienanstalten, ab 1. September 1949 Arbeiter-und-Bauern-Fa kultäten, bei der Brechung des Bildungsprivi legs. Es war ein bedeutendes Ereignis in der Universitätsgeschichte, als am 1. März 1946 an der Vorstudienanstalt Leipzig 225 Arbei ter- und Bauernkinder ihr Studium auf nahmen. Damit wurde die grundlegende klas senmäßige Veränderung, die in einem Drittel Deutschlands erfolgte, auch an der Universi tät Leipzig eingeleitet. Ein bedeutender Anteil an der Demokra tisierung der Universität kommt zwei auf Befehl der SMAD ins Leben gerufenen Fa kultäten zu: der Gesellschaftswissenschaft lichen und der Pädagogischen Fakultät. Zum ersten Male fand mit den Vertretern der Arbeiterklasse an diesen Fakultäten auch der Marxismus-Leninismus Eingang in die Hör säle. Im Gegensatz zur antifaschistisch-demokra- tischen Umwälzung im Osten Deutschlands vollzog sich die Entwicklung in der West zone. Obwohl dort ebenso die Voraussetzun gen für die Schaffung einer Demokratie und für eine antifaschistische und antiimperia- Universitätszeitung, 30.’ 9. 1959, Seite 8