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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1991
- Erscheinungsdatum
- 1991
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-199100000
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- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19910000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19910000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
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- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- -
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Zeitschrift
Universitätszeitung
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Band
Band 1991
-
- Ausgabe Nr. 1, 07.01.1991 1
- Ausgabe Nr. 2, 14.01.1991 1
- Ausgabe Nr. 3, 21.01.1991 1
- Ausgabe Nr. 4, 28.01.1991 1
- Ausgabe Nr. 5, 04.02.1991 1
- Ausgabe Nr. 6, 11.02.1991 1
- Ausgabe Nr. 7, 18.02.1991 1
- Ausgabe Nr. 8, 25.02.1991 1
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- Ausgabe Nr. 11, 18.03.1991 1
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- Ausgabe Nr. 25, 24.06.1991 1
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F ast unbemerkt, zumindest von den Leipziger Buchhändlern, er schien als eines der letzten philo sophischen Bücher der DDR Helmut Seidels „Scholastik, Mystik und Renaissancephilosophie“ im Dietz-Ver lag Berlin. Der Autor veröffentlicht damit seinen dritten Band der philosophiegeschicht lichen Vorlesungen, die er als ordentli cher Professor für Geschichte der Philo sophie an der Leipziger Universität vor stets zahlreichen begeisterten Zuhörern hielt. Ein durchaus zum Optimismus Anlaß gebender Abschluß der Philoso phiegeschichtsschreibung der DDR, knüpft doch Seidel an die positiven Tra ditionen der marxistischen Philosophie geschichtsdarstellungen an, die in der ehemaligen DDR in nicht unerhebli chem Maße von ihm selbst inauguriert wurde. Die Popularität der Seidelschen Vorlesungen in mündlicher und schrift licher Form (immerhin erlebte der erste Band „Von Thales bis Platon“ innerhalb von sieben Jahren fünf hohe Auflagen) ist vor allem dem Umstand zu verdan ken, daß niemals vorschnell die Elle des Besserwissers an vergangene Gestalten des philosophischen Bewußtsein ange legt wird und daß eine dem Gegenstand adäquate Sprache benutzt wird. Seidels Interesse an der Geschichte der Philosophie ist nicht antiquarisch, Besser wissers Elle wurde nie angelegt sondern immer aktuellen philosophi schen Fragestellungen verpflichtet. Der vorliegende Band behandelt ein ganzes Jahrtausend philosophischen Denkens. Daß es sich angesichts der Vielfalt der philosophischen Positionen im Mittelalter und in der Renaissance nur um eine Darstellung der Grund linien und der Hauptprobleme handelt, ist kein Nachteil, sondern kann für den Leser Anlaß sein zu einer eigenständi gen Weiterbeschäftigung mit dem The ma. Seidels Buch wirbt für ein originä res Verständnis mittelalterlichen Den kens, es ist frei von Versuchen, die mit telalterlichen Geisteskultur zu einem zeitlosen Paradigma unentfremdeter Le benentwürfe zu mißdeuten. Das Verhältnis von Glauben und Wis sen ist für ihn eines der zentralen Pro bleme mittelalterliche Philosophie. Da mit steht aber auch das immer wieder ak tuelle Problem von Philosophie und Theologie zur Diskussion. Das Buch en det mit einem informativen Überblick über die philosophischen Bemühungen der Renaissancedenker. Ein Thema, das auch Ernst Bloch in seinen philosophie geschichtlichen Vorlesungen an der Uni versität Leipzig immer besonders bemühte, leuchten doch in der Renais sance am philosophischen Horizont Wetterzeichen, die auf Unabgegoltenes in der Geschichte verweisen. Bleibt nur noch zu wünschen, daß der Leser nicht wieder sechs Jahre auf den nächsten Band zu warten braucht. Die Universität hat das Ihrige dazu getan, in dem sie Helmut Seidel erst einmal auf die Warteschleife setzte. Dr. KLAUS-DIETER EICHLER Seit 6 Monaten untersucht der Vertrauensausschuß: Schuldhafte Verstrickungen mit der „Riesenkrake“ MfS Noch immer gehört die Aufarbeitung der MfS-Problematik zu den vordringlichen Aufgaben in den neuen Bundesländern. Struktur und Arbeitsweise des ehemaligen Ministeriums für Statssicherheit erregen weiterhin die Bürger und unterhalten Mißtrauen und Unsicherheit auch inner halb der Leipziger Universität. Mit der Bil dung eines Vertrauensausschusses unter nahm die Universität den Versuch, Ver gangenheit eigenverantwortlich aufzuar beiten. Der auf der Grundlage eines Konzilbe schlusses vom 2.10.90 gebildete Ausschuß setzt sich aus je drei Vertretern der vier Mit gliedergruppen der Universität zusammen. Diese wurden innerhalb autorisierter Grup penvertretungen gewählt. Die Berufung durch den Rektor erfolgte am 17.10.90. Schwerpunkte der bisherigen Arbeit des VA waren die Erfassung, Prüfung und Ver waltung von Erklärungen über das Ver hältnis zum MfS/ANS als Grundlage und Voraussetzung für eine substantielle Auf arbeitung der MfS-Vergangenheit an unse rer Universität. Nicht zu unserem Aufga bengebiet gehört die Rehabilitation ge schädigter Mitarbeiter, welche durch die Gerichte oder den Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Verwaltung der Unterlagen des ehemaligen MfS/ANS ge regelt wird. Bei unserer Aktion fragen wir nicht nur nach einem Nein oder Ja, sondern geben je dem Univeritätsangehörigen die Möglich keit. der Erklärung zusätzliche Erläuterun gen hinzuzufügen. Da das ehemalige MfS an fast allem interessiert war und sein Sta tus als Ermittlungsbehörde ihm einräumte, Auskünfte zu fordern, sind Differenzie rungen der Kontakte unerläßlich. Eine Be folgung solcher „Auskunftspflicht“ kann man nicht eo ipso mit inoffizieller Mitar beit gleichsetzen. Der Einigungsvertrag läßt die Überprüfung von Angestellten im öffentlichen Dienst zu. Wir arbeiten mit der sog. Behörde Gauck zusammen, aber wir haben nur einen begrenzten Einfluß auf den zeitlichen Ablauf der Untersuchungen. Jede eingestandene oder nachgewiesene Zusammenarbeit mit dem MfS wird diffe renziert beurteilt. Anhörungen des Betrof fenen sind möglich. Die Verweigerung der persönlichen Erklärung schließt die weite re Überprüfung nicht aus. Der Befragte wird davon in Kenntnis gesetzt. Die recht Ich stelle die Vertrauensfrage: Wer von Ihnen ist denn nun der Herr Stasi? liehe Grundlage bilden die im Einigungs vertrag Sachgebiet B (Verwaltung) unter den Abschnitten II und III nachlesbaren Pa ragraphen. Der VA vertritt die Auffassung, daß die eingestandene Tätigkeit im Dienste des MfS eine Weiterbeschäftigung an der Uni versität nicht grundsätzlich aus-schließt. Die Möglichkeit zur Rehabilitation muß gegeben sein. Allerdings dürfen keine Lei tungsfunktionen oder Einsätze in der Leh re wahrgenommen werden und jeder Ein fluß auf personelle Entscheidungen (Be rufskommissionen!) ist zu blockieren. Die nachgewiesene, aber schriftlich negierte Zusammenarbeit mit dem MfS halten wir mit einer Tätigkeit an der Universität nicht vereinbar. Die zusammengetragenen Unterlagen übergeben wir mit einer Bewertung dem Rektor. Die Entscheidung über evtl, ar beitsrechtliche Konsequenzen trifft der Rektor in Abstimmung mit dem Kanzler und Personaldezementen. Der VA erhält mancherlei Zuschriften, die häufigsten Fragen beantworten wir hier. 1. Die Nichtzusammenarbeit mit dem MfS kann durch den VA nicht bestätigt werden, es erfolgt keine Rückmeldung bei Schuldfreiheit. 2. Wir haben keinen direkten Zugang zu den „Stasi-Akten“ und dürfen die Berichte der Behörde Gauck nicht weiterleiten. Aber jeder Bürger hat die Möglichkeit in begründeten Fällen beim Sonderbeauftrag ten der Bundesregierung, Herm Gauck, nachzufragen. 3. Wir gehen in keinem Fall anonymen Anschuldignungen nach. Wir nehmen je doch sachliche Informationen entgegen, soweit sie das Universitätsleben betreffen und unklare Zusammenhänge aufhellen. 4. Kritische Zuschriften betreffen vor rangig die Rechtmäßigkeit der Arbeit des VA, sie hinterfragen auch die personale Zu sammensetzung. Dazu ist zu sagen, daß ei ne autonome Universität auf demokrati sche Wejse sich ein Instrument zur Befrei ung von einer unrühmlichen Vergangenheit geschaffen hat. Die Vorgaben liefern der Einigungsvertrag und das bundesdeutsche Recht. Im übrigen haben sich die Aus schußmitglieder zuerst von der Behörde Gauck überprüfen lassen. 5. Der Ausschuß ist sich bewußt, daß die Tätigkeit für das MfS nur eine Form der Schuld im vergangenen Unrechtssystem darstellt. Viele Angehörige der Leipziger Karl-Marx-Universität waren auf andere Weise mit dem alten System verstrickt. Wir haben keinen Auftrag, den sich daraus er gebenden Problemen nachzugehen. Und überhaupt: kann man nicht von einem Hochschullehrer erwarten, Schuld oder Mitschuld eigenverantwortlich abzutra gen? Der Vertrauensausschuß hat bislang ca. 1000 Überprüfungen eingeleitet und sieht nach den vorliegenden Erfahrungen keinen Anlaß, die Verfahrensweise zu än dern. Im Auftrag des Ausschusses: MEISSNER, OHRT, WAURICK A ls am 10. April 1951 das wenige Monate zuvor neu gegründete Staatssekretariat für Hochschul wesen die Aufgliederung der Philoso phischen Fakultät der Leipziger Univer sität in die drei Einzelfakultäten Philo sophische, Mathematisch-Naturwissen schaftliche und Landwirtschaftlich- Gärtnerische verfügte, herrschte bei den Betroffenen darüber wenig Einhellig keit. Auf den Vorschlag des 1947 nach Leipzig gekommenen Mainzer Ordina rius für Vor- und Frühgeschichte, die Ge samtfakultät durch eine Abstimmung zu befragen, reagierte der Staatssekretär Prof. Dr. Gerhard Harig ablehnend, da für ihn ein Votum im westlichen Sinne nicht in Frage kam. Die zur Klärung der unterschiedlichen Auffassungen auf Drängen der Staatsmacht drei Tage zu vor einberufene außerordentliche Sit zung des Gesamtausschusses der Philo sophischen Fakultät diente zwar zur nochmaligen Darlegung der einzelnen Standpunkte, hob jedoch die Einwände gegen die Aufgliederung keineswegs auf. Das Bemühen, die Philosophische Fa kultät neu zu strukturieren, hatte bereits seine eigene Geschichte. Schon 1920 wurde dem sächsischen Ministerium für Kultur und Unterricht durch die Leipzi ger Fakultät ein abschlägiger Bescheid zur Aufgliederung der Gesamtfakultät gegeben, da man an ihrer Einheitlichkeit festhalten wollte und durch die Errich tung zweier Abteilungen, der Philoso phisch-Historischen und der Mathema tisch-Naturwissenschaftlichen, der not wendigen Entwicklung Rechnung zu tra gen glaubte. In der folgenden Zeit wur ¬ de dann auch immer wieder darauf hin gewiesen, so u.a. in einem Bericht des Dekans von 1932, daß die vorliegende Organisation sich bewährt habe. Erneu erte Versuche der Teilung in den Jahren 1948 und noch 1950 erhielten wiederum ablehnende Urteile. 1951 wies Staatssekretär Harig in der Diskussion jedoch zurecht auf den Um stand hin, daß die Fakultät vor einer völ lig anderen Situation stand. Im Zeichen der allgemeinen Angleichung der gesell schaftlichen Verhältnisse an das sowjeti sche Vorbild war auch für das Hoch schulwesen von der SED-Führung eine Reform, die zweite für den Bereich nach 1945, beschlossen worden, um den So zialismus stalinscher Prägung auch auf dem Gebiet der „Hohen Schulen“ zu in stallieren. Die durch die Leipziger Hoch schullehrer in der Unterredung mehr heitlich geäußert reservierte oder ableh nende Haltung gegenüber den Berliner Vorstellungen konnte sich nicht durch setzen, obwohl die Anschauungen des Staatssekretariats und des es unterstüt zenden Leipziger Rektors Georg Mayer, daß die Gesamtuniversität das einigende Band der Wissenschaft bilde, von ihnen zurückgewiesen wurde, da ihrer Mei nung nach nur die bisherige Fakultät die Gewähr bot, die Universitas in einer le bensfähigen Form zu erhalten. Nachste hende Äußerung eines Mitarbeiters von Harig, „die Fakultät sollte nicht glauben. daß sie dem Rade der Entwicklung in die- Speichen greifen könne, sie solle nicht töricht sein, einer notwendigen Entwick lung gegenüber Widerstand zu leisten“, offenbarte dem Lehrkörper, welcher Er folg ihnen bei der Verteidigung der Au tonomie der Universität beschieden sein wird. Andererseits war das Vorhandensein derartiger „Mammut-Fakultäten“ an den gesamtdeutschen Universitäten nicht mehr das Bestimmende. Die Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften war schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgt, so daß eine Neugliederung der Fakultät im Rahmen der Möglichkeit lag. Neben den be gründbaren sachlichen Ursachen für die vorgesehene Veränderung der univer sitären Fakultätslandschaft dominierten jedoch politische Erwägungen. Durch die Inhalts- und Strukturumgestaltungen der II. Hochschulreform, die in der Ein richtung des einheitlichen Zehn-Mona- te-Studienjahres mit Beginn des Stu diengruppen, fester Lehrprogramme und geregelter Studienpläne, des obligatori schen gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudiums und des Russisch-Unter richts sowie von Praktika bestanden, ver mochte die führende Staatspartei den akademischen Bereich zu instrumentali sieren und funktionalisieren. Mit der Schaffung von vier Prorektorenämtern an der Leipziger Universität im Mai 1951, darunter eines für das ge sellschaftswissenschaftliche Grundstu dium, die die Aufgaben der bisherigen Fakultät übernahm und ein wesentliches Moment für den angestrebten stalinisti schen Ausbau der erstürmten Festung Wissenschaft bildeten, gelang der SED die Institutionalisierung ihrer führenden Rolle im staatlichen Bereich an der Al ma mater. Der völlige Verlust der Auto nomie der Hochschule war von nun an nur noch eine Frage der Zeit. VEIT DIDCZUNEIT (Der Autor ist Forschungsstudent am Institut für Universal- und Kulturge schichte der Neuzeit, Seminar für Ge schichte und Theorie der Geschichtswis senschaft.) Neugliederung contra akademische Freiheit Uber die Lehrfreiheit Unter den „akademischen Freiheiten“ galt die „Lehrfreiheit“ zu Recht als Kernstück. Nur sie gestattete, daß jemand neue Gedanken vortrug, ohne erst die Genehmigung aller jener zu erwirken, denen das nicht gefiel. Schon die mittelalterlichen Universitäten besaßen bei aller Gebundenheit an die christliche Religion eine gewisse „Autonomie“, gegenüber beschränkten Lokalgrößen auf jeden Fall. Die „Lehrfreiheit“, das Recht der „Lehrenden“, gewonnene Einsichten und Überzeugungen durch Lehre und Schrift zu verbreiten, wurde fest geschrieben unter anderem von der Frankfurter Nationalversammlung 1849 und auch von der preußischen Verfassung 1850. Gerade nach Erfahrungen mit Diktaturen wurde die „Lehrfreiheit“ in schillernden Farben geschildert. Der bedeutende Geologe Hans Cloos (1885 - 1951), ab 1919 Professor in Breslau und ab 1926 in Bonn, schrieb in seinem Erin nerungsbuch „Gespräch mit der Erde“ (1959): ,„Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich heute eine Vorstellung machen von dem Glück und Reichtum akademischen Lernens in Deutschland vor dem ersten Weltkrieg. Die geistigen Tische waren übervoll gedeckt, und man durfte zugreifen wo, wie und wieviel man wollte... Der Student war freier Herr, weil er die Wahl hatte und ihr nachgehen konnte. Der Professor war es, weil er vortragen und einüben durfte, was er am meisten liebte und am besten konnte, ...was er sich selbst aus den reichen Quellen, die seinem Fache flossen, erarbeitet hatte und was ihm nun wichtig und heilig schien. Er durfte getrost einseitig sein, denn er wußte: Der Abnehmer würde sich schon das Seinige aussuchen und würde es ergänzen...“. Dennoch erheben sich auch einige Fragen. Wie ist es, wenn die Professoren nicht wie im Deutschland vor dem ersten Weltkriege Personen sind, die in der Wissenschaft der Welt an vorderster und vorderer Stelle stehen und das Weltniveau mitbestimmen? Wie wäre es, wenn nicht die führenden Personen für die Lehrstühle ausgewählt werden? Könnten nicht Klüngel an die Macht kommen, die ganze Wissenschafts richtungen nicht erwähnen, weil sie ihnen nicht gefallen? Und wie kann der Student erreichen, daß ihm wirklich die entscheidenden Richtungen in seinem Fachgebiet vorgestellt werden, selbst dann, wenn seine Lehrer sie ablehnen? Kann er sich dasjenige, was ihm in keiner Vorlesung erschien, allein nacharbeiten? Hat der Student nicht ein Recht darauf, so ausgebildet zu werden, daß er überall auf der Erde in seinem Fache mitreden kann, wenigstens nicht ahnungslos anderen Ansichten gegenübersteht? Der Physiologe Adolf Fick (1829 - 1901), 1862 Ordinarius in Zürich, 1868 Ordinarius in Würzburg, also älter als der eben zittierte Geologe Cloos, meinte einmal: „Das halbe Semester hindurch werden die Zuhörer genudelt mit den paar Regenwürmlein, die der Professor bei seiner eigenen Forschertätigkeit gefunden hat und die er darum für die größten Schätze der Wissenschaft hält; alles übrige, vielleicht gerade die wichtigsten Abschnitte der Disziplin, werden in schläfrigem Vortrage flüchtig berührt oder ganz weggelassen... Der vom Steuerzahler besoldete Lehrer müßte eben angehalten werden, zu lehren nicht, was ihm Spaß macht, sondern was der Sohn des Steuerzahlers nötig hat.“ Wer aber entscheidet, was nötig ist? Ohne Verantwortungsbewußtsein wird diese Frage kaum zu lösen sein! Denn welcher Wissenschafts- und Bildungs bürokrat, und sei er noch so integer, wird die Entwicklung der Weltwissenschaft so verfolgen können, daß er die richtige Auswahl anordnen kann. Kann man sich, wie oft, bei Goethe retten, dessen Herzog Alba in „Egmont“ sagt: „Freiheit! Ein schönes Wort, wer’s recht verstünde!“ - „Sei unser* das Bemühen um das Verstehen. Parteilich und objektiv? Die Forderung nach „Parteilich keit“ in der Wissenschaft schwebte si cherlich wie ein gefürchtetes Schwert über manchem, der sich ehrlich qua lifizieren wollte. Sollte er doch einer Wissenschaft spezifischer Art dienen. Gibt es das und kann es gelingen, Wissenschaft im Interesse bestimm ter Gruppen und damit auch von Par teien anders zu betreiben, als sie an sonsten überall betrieben wird? In der Geschichtsschreibung, vor allem wenn für die weitere „Öffentlichkeit“ bestimmt, gibt es leider wohl nur sel ten unparteiische Schilderung und Faktorenanalyse. Selbst dann, wenn über den lange zurückliegenden Sie benjährigen Krieg zwischen Preußen und dem Habsburgerreich 1756-1763 geschrieben wird, schimmert bis in unsere Zeit Parteinahme für die eine oder andere Seite durch. Den Nach kommen könnte das Ergebnis doch längst gleichgültig sein. Offenbar sol len noch immer nationale Gefühle, vielleicht Gruppeninstinkte, ange sprochen und damit Regieren, mögli cherweise auch Herrschen erleichtert werden. Aber selbst für die Natur wissenschaften wurde „Parteilich keit“ gefordert! Gewiß, Regierungen und auch der vielzitierte „Steuerzah ler“ nahmen nicht zu Unrecht auf die Auswahl von zu erforschenden Pro blemen Einfluß. Die Seefahrernation England ermutigte und stimulierte ih re Gelehrten öfters, Verbesserungen für die Navigation zu bringen. Als mit der Entwicklung der Bakteriologie Grundlagen für die Bekämpfung epi demischer Krankheiten geschaffen waren, hat auch der Staat durch Be gründung einschlägiger Institute da zu beigetragen. Schließlich sollte die Armee gesunde Soldaten zum Tot schießen bekommen. Der Erkenntni sprozeß selbst wurde mit solcher För derung nicht beeinträchtigt. Von „Parteiinteresse“ kann bei der katho lischen Kirche gesprochen werden, wenn sie Galilei verbot, das helio zentrische Weltbild zu verkünden. Die Widerlegung stand dabei keines wegs im Zentrum der Auseinander setzung. Ein gläubiger Christ im 19. Jh. und auch im 20. Jh. war auch von selbst bereit, Argumenten gegen die Abstammungslehre ein offeneres Gehör als ein Atheist zu schenken. Es ist wohl auch kein Zufall, daß an der Wiederlegung der Urzeugungsauffas sung im 19. Jh. besonders Forscher beteiligt waren, die sich als religiös zu erkennen gaben. Zu nennen sind der aus Delitzsch stammende Christi an Gottfried Ehrenberg (1795- 1876), der Rheinländer Theodor Schwann (1810 - 1882), der Franzose Louis Pasteur (1822 - 1895). Für die Mate rialisten Ludwig Büchner (1824 - 1899) und Carl Vogt (1817 - 1895) war die Urzeugung die natürliche Er klärung für die im 19. Jh. nicht mehr wegzuleugende Tatsache, daß zu ver schiedensten Zeiten in der Erdge schichte neue Arten von Lebewesen in Existenz traten. Würde die Urzeu gung widerlegt, was ja richtig war, dann war die Entstehung von Orga nismen wieder eine offene Frage, wenn auch die biblische Schöpfungs geschichte damit nicht bewiesen war. Aber die Offenhaltung der Frage schien christlichen Forschern schon günstig zu sein. Darwin hat 1895 mit seiner Abstammungslehre der Frage sowieso eine neue Wendung gegeben. Weltanschauliche Bindung kann al so die Zuneigung zu der einen oder anderen Hypothese oder Lehre be günstigen. Ein Kriterium zur Verifi zierung oder Falsifizierung aber darf die größere Kongruenz mit einer Weltanschauung nicht sein. Aber wenn der Wiener Physiologe Sieg mund Exner (1846 - 1926) an seinem Vorgänger Ernst Brücke (1819- 1892) 1891 lobte, daß dieser „frei von jeder vorgefaßten Meinung, unbestechlich durch Sympathien oder Antipathien, unbedingt dem Stern der Wahrheit folgend“ forschte, dann mochte das parteigebundenen Gelehrten als un möglich, gar als Zynismus erschei nen. Wissenschaft ohne Sympathie oder Antipathie mag bei näherer Un tersuchung oft ein Illusion sein, aber das Streben nach Objektivität sollte zumindest angestrebt werden. Sonst wird Wissenschaft sinnlos! Sicherlich ist diskutabel, was unter Objektivität und Realität zu verstehen ist. Der „Lyssenkoismus“ nutzte auf jeden Fall nur dem damaligen „Klassen feind“, denn unter der offentsichtlich falschen Lehre litt die Landwirtschaft der Sowjetunion. Wird Begabtenwahl abgelehnt, dann wird jener Staat im Vorteil sein, der sie betreibt und sei ne führenden Positionen mit besseren Managern besetzt, wenn es denn Be gabtenunterschiede gibt. Widerlegt waren diese nie, nur oft nicht gern dis kutiert. Wenn jemanden nach einem guten Vortrag der Tadel nicht erspart wurde, daß er den auch in Bonn hätte halten können, dann wäre das nur ein Tadel gewesen, wenn in „Bonn“ Un sinn vorgetragen worden wäre. Verschweigen hat keiner Tauben zecke geschadet, wohl aber den be troffenen Menschen. Und von Scha den war auch Parteinahme für Offen ställe, für überdimensionale und bo denschädigende Ackerbaugeräte, für wenig einträgliche Verfahren in der Industrie. Parteilichkeit konnte da auch Verantwortungslosigkeit wer den. Dr. rer. nat. GOTTFRIED ZIRNSTEIN
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