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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1991
- Erscheinungsdatum
- 1991
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-199100000
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- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
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Zeitschrift
Universitätszeitung
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Band
Band 1991
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UZ/12 25. März 1991 DISPUT 3 Gigant oder Wurzel des Bösen? Für die einen war er ein überdi mensionales Stand- und Sinnbild, Leitstern in eine vorausbestimmte ge sicherte Zukunft, erster von drei Gi ganten, auch „Klassiker“ genannt, mit dem die eigentliche Menschheitsge schichte begann. Seinen Worten, durch die Partei entsprechend inter pretiert, ausgewählt und verkündet, kam das Prädikat ewiger und unfehl barer Wahrheit zu. Für die anderen war er ein schlim mer Demagoge, Menschheitsverder ber und falscher Prophet, der perso nifizierte „Antichrist“ und die eigent liche Wurzel alles Bösen, insbeson dere des gescheiterten Kommunis mus, notwendig mit Stumpf und Stil auszureißen. Nun wer ihn, sein Leben und Werk näher kannte - im Gegensatz zu den o. g. Scharfrichtern und bedingungs los Gläubigen - oder sich zumindest ernsthaft darum bemühte, wertete ihn als einen großen tätigen Menschen und einen bedeutenden streitbaren Wissenschaftler mit Wortgewalt und scharfem Verstand und nicht minder großen Schwächen und Irrtümern: Auch darin befand er sich in guter Ge meinschaft mit anderen Großen der Geschichte. Kurz vor seinem 108. Todestag hat sich die Leipziger Universität von sei nem Namen getrennt, um sich wieder oder erneu(er)t als „Alma mater Lip- siensis“ zu präsentieren. Dieser Akt ging relativ schmerzarm über die Bühne, zumal die (Noch-)Unimit- glieder wie die Leipziger insgesamt und die meisten Neu-Bundesländler gegenwärtig ganz andere Sorgen ha ben. Auch Karl Marx, der nunmehr von den Kopfbögen der ehrwürdigen Institution Verwiesene, hat sich nicht im Grabe herumgedreht. Warum also noch darüber reden? Soll etwa die de mokratisch mit Stimmenmehrheit ge troffene Konzilentscheidung nachträglich angezweifelt werden? Keineswegs! Sie war - trotz vor ausgegangener (uniöffentlicher) Dis kussion, bei der die Argumente „Pro“ und „Kontra“ sich ziemlich die Waa ge hielten, und trotz etwas Nachhilfe durch ein „Kömpromißpapier" mit ei ner relativ vagen Absichtserklärung - gewiß eine kluge Entscheidung, zu mal vorerst kein anderes Idol an die se Stelle trat. Sie war im Prinzip auch unvermeidbar, insofern ja die Sektio nen und Wissenschaftsbereiche, de ren besondere Beziehung zum Na menspender schon rein äußerlich deutlich erkennbar war, sich sehr viel früher sang- und klanglos von diesen getrennt hatten, allen voran die (mar xistisch-leninistische) Philosophie. (Ein Brief der Sektionsdirektorin in der UZ 1/91 gibt dazu eine interes sante Begründung.) Die Um- oder Neubenennung der Universität kam allerdings vielen ent gegen: Den führenden Politikern des „wiedervereinigten“ Deutschlands, die mit dem Abbau der alten Macht symbole einen Schlußstrich ziehen, Erinnerungen an SED- und DDR- Vergangenheit auslöschen und den Blick vor allem den Jüngeren „nach vorn“ richten möchten; der neuen Universitätsleitung, die sich mit dem Wegfall eines belasteten Namens größere Entwicklungschancen für Leipzigs Alma mater erhofft; den am bitionierten Bilderstürmern, die man gels echter Köpfe wenigstens die von den Statuen und Denkmälern rollen sehen wollen; all denen, die in Marx den (zumindest ideologischen) Ur heber für „40 Jahre DDR-Irrweg und Mißwirtschaft“ erblicken; und nicht zuletzt auch denjenigen, denen ein schneller Abschied von Marx oppor tun erscheint, zugleich auch ihr eige nes unbequemes Erinnerungsgepäck (ihr Gewissen?) über Bord zu werfen. Doch wie wenig Bilderstürmerei (von der sich die Universitätsleitung zu Recht distanziert) und „Schluß striche“ zur echten Problemlösung taugen, mag ein Blick zurück ins Jahr 1956 bestätigen: Den Stalinismus in der DDR zu konservieren, erklärte Walter Ulbricht nach dem XX. Par teitag der KPdSU Stalin zum „Nicht klassiker“, ließ stillschweigend und quasi über Nacht Stalindenkmale und -bilder sowie dessen Namen aus Straßen und Gebäuden entfernen und verbot „nach rückwärts gerichtete Fehlerdiskussion“, da es bei uns zu keiner Zeit Stalinismus und „Perso nenkult“ gegeben habe und geben könne. Unter Opferung seines Na mens wurde so Stalins System (sprich: die unbeschränkte Herrschaft des „Apparats") in der DDR erhalten, bis es diese endgültig ruiniert hatte. Alle Vergleiche hinken, und Marx ist nicht Stalin. Eine Indentität oder irgendwie Gleichsetzung zu behaup ten, wäre ebenso falsch wie die Leug nung eines (allerdings exakt zu be stimmenden) Zusammenhangs. Daß sich Stalin auf Marx berief und Marx im Sinne Stalins (auch an der Leipzi ger Karl-Marx-Universität) mißbraucht wurde, ist eine vielfach zu belegende Tatsache. Marx für diesen Mißbrauch mitverantwortlich zu ma chen, hieße allerdings, die Dinge auf den Kopf stellen. Mißbrauch und Mißbrauchsmöglichkeit den jeweili gen „Urvätern" anzulasten, hätte die Konsquenz, das Verbrecheralbum Geschichte mit den Namen großer Wissenschaftler zu füllen: Eine Ab surdität, wie nicht nur jeder Jurastu dent im 1. Semester weiß. Bleibt der Vorwurf, der Verfasser der „Grundrisse“ und des „Kapital“ sei eben nicht nur Wissenschaftler, sondern auch „visionärer Utopist“ ge wesen. Doch war sein Zukunftsbild, das dem gescheiterten System des realen Sozialismus nur sehr entfernt ähnelte, nicht das Resultat exakter wissenschaftlicher Analysen des Ka pitalismus und der ganzen bisherigen Menschheitsgeschichte? Und wer heute und morgen über die Zukunft dieser Erde nachdenkt, kommt an Marx nun mal nicht vorbei. Was gesagt, .werden soll, ist. dies; Karl Marx aus dem Leipziger Uni versitätsnamen zu streichen, ist allein weder eine historische Tat noch Indiz für einen besseren Neubeginn. Bisher gegebene Argumente und Absicht serklärungen sind unzureichend, künftige Märtyrer- und sonstige Le genden auszuschließen. Will man, um mit Marx zu sprechen, „sich den ganzen alten Dreck vom Halse schaf fen", erfordert dies weitere kluge Schritte in Richtung ernsthafter Auf arbeitungen der Geschichte eben die ser Karl-Marx-Universität. Das heißt, Ursachen, Mechanismen und Resultate stalinistischen Mißbrauchs von Karl Marx konkret aufzudecken. Dieses ist zu leisten von Beteiligten, die sich offen auch zu ihrem Schuldanteil bekennen und, so weit persönlich integer, eine Chance erhalten, unter neuen Bedingungen Wiedergutmachung zu leisten. Unter den Bedingungen der „Abwicklung“ wird diese Geschichte jedoch eher verdrängt, vergessen, verfälscht. Wel che Chance der Weiterbeschäftigung hatz. B. ein Philosoph, der 1989 Marx gegen stalinistische Verfälschungen seitens des SED-Politbüros verteidig te und dafür Parteiausschluß und Be rufsverbot auf sich nahm? Ungeprüfte Pauschalurteile sind der Wahrheitsfindung abträglich. So ist z. B. das sogen. „Marxistisch- leneinistische Grundlagenstudium“ (MLG) sehr differenziert einzuschät zen: Das ergibt sich u. a. aus dem Wi derspruch von geforderter Märxschen kritischer Analyse und gewünschter Apologetik im Sinne der Partei- und Staatsführung. Wo dogmatisch ge handhabt, produzierte es Langeweile und war fast wirkungslos. Sehr viel häufiger aber wurden in letzten Jah ren kritische Haltung und Nonkon formismus toleriert und z. T. unter stützt und gefördert. Das bestätigen nicht zuletzt auch Studenten der Theologie, die darauf hinwiesen, daß es zwischen Marx und Christus, Christen und Marxisten bei allen Gegensätzen manche Parallele gibt: Denn auch Christus wurde für 30 Silberlinge verraten und bei Gefahr verleugnet, und auch sein Name wur de von Inquisitoren und intoleranten Glaubenskriegern mißbraucht. Sicher gibt es noch weitere! Demokratischer Neubeginn an der Alma mater Lipsiensis - der Zukunft wie der eigenen Vergangenheit ver pflichtet, der Wahrheit dienend. Na- mesmißbrauch wie Vorurteil über windend? Man wird sehen! Dr. HEINZ SÄNGER Uber Irrtümer und Zweifelhaftes in der Wissenschaft Dr. rer. nat. GOTTFRIED ZIRNSTEIN Einheit haben, deutschen verrechnet und die Notwendigkeit der Mineralstoff düngung begründet. Er meinte aber zu erst, daß der Dünger möglichst unlöslich sein müßte. Lösliche Dünger sollten rasch mit dem Niederschlagswasser ins Grundwasser abgeführt werden. Aber Liebigs unlöslichen Dünger blieb der Er folg versagt. Im Jahre 1850 schrieb der Engländer Thomas Way über seine Be obachtung, daß die Bodenteilchen, Hu mus wie Ton, verschiedene Substanzen, auch die Düngesalze (deren „Ionen“ nach flissentlich? - Auf Neuguinea aber hatte Haeckel nicht geweilt, Papuas nicht ken nengelernt. Die wohlwollende Beschrei bung der Papua mit ihrer Gartenkultur durch den Zoologen und Reisenden Otto Finsch (1839-1917) nahm er augen scheinlich nicht zur Kenntnis oder korri gierte seine Ansicht nicht. Finsch be schreibt hölzerne Kultbauten der Papua, die einer mecklenburgischen Dorfkirche keineswegs nachstehen. Der oft als reak tionär betrachtete christliche Kieler Bo Anthropologe Fritz Lenz (1887-1976), damals Professor in Berlin, unter dem Ti tel „Über die genetischen Grundlagen der Blondheit bei den europäischen Völkern und bei den Juden“ in der bekannten Zeit schrift „Forschungen und Fortschritte“, 16 (1940) 1, S 22 - 24, zum besten gab und auch auf der 95. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte in Stuttgart 1938 vortrug, Das nördliche Klima hätte durch Auslese da hin gewirkt, daß auch ein Teil der dorthin Zu fragen ist aber auch, ob wir uns nicht einen Ruck geben und den ost deutschen Gemeinden, Kreisen und Ländern gegenüber sehr viel großzügi ger sein müssen, als es bisher notwendig (und möglich) schien. Angesichts der Lastenverteilung in Deutschland nach dem Krieg wäre das nur für gerecht und vernünftig. Doppelt gibt, wer schnell gibt. Es ist besser und im Zweifelsfalle auch billiger, einmal großzügig als zehn mal kleinlich zu sein... Es wäre die ein fachste Weise, unseren neuen Mitbür gern zu zeigen, daß sie wirklich dazu gehören.Es wird immer wieder gesagt, es gäbe im Westen Probleme genug. Wer will das bestreiten! Und trotzdem sind sie nicht annähernd mitdenen in den neu en Ländern zu vergleichen. Gewiß haben zum Beispiel auch wir viele Arbeitslose, aber es macht einen Unterschied, ob ei ner mit der Möglichkeit des Arbeitsver lustes hat rechnen müssen oder ob sie ausgeschlossen zu sein schien. Und es macht auch einen Unterschied, ob sie vornehmlich einzelne und eventuell ge wisse Gemeinden massiert betrifft oder ganze Länder, und die noch dazu in Ra ten, die diejenigen der ausgehenden Wei marer Republik übertreffen. gewanderten Juden blond und blauäugig wurde. Sie sähen damit äußerlich wie die edlen Germanen aus, hätten aber ihre gei stigen Eigenschaften nicht mitgewandelt. Gewiß kann man auch über die Entste hung der Merkmale der verschiedenen Menschen diskutieren. Aber im Jahre 1940 mußte ein solcher Artikel mit einem derartig spekulativem Sujet schrecklich wirken und mußte dem allgemeinen anti semitischen Wahn dienen. Zu allen Ver folgten sollten also auch noch weitere Menschen verfolgt werden, die man un geachtet ihres Aussehens noch als nicht germanisch herausfinden müßte. Kann man sich hierauf Naivität berufen? Woll te Lenz sich hier übel anbiedem? Ent schuldigen kann man das in keiner Wei se, auch nicht auf dem Hinweis auf an dere, wissenschaftlich wertvollere Arbei ten des Autors. der Bevölkerung der ehemaligen DDR vor sich geht; vor welchen Problemen sie steht und wie wir zurZeit dabei sind, die se Probleme zu verschärfen. So könnten wenigstens einige Taktlosigkeiten ver mieden, einige Blockaden aufgelöst und sehr viel mehr Verbindungen geknüpft werden, wie eine zusammenwachsende Gesellschaft, zumal unter solchen Um ständen, sie braucht. Denn es gilt hier et was zu leisten, was moderne Staaten und Gesellschaften normalerweise aus guten Gründen zu tun sich scheuen: bewußt zu arbeiten an der mentalen Infrastruktur der eigenen Gesellschaft. Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag ist (leicht gekürzt) der „FAZ“ vom 5. 3. 1991 entnommen. Der Aktualität des Themas wegen haben wir uns zum Abdruck bei uns entschieden und nicht, wie eventuell geargwöhnt werden könnte, wegen Manuskript- „Flaute“ beim UZ-Posteingang. So müs sen sich z. B. folgende Autoren noch ein wenig gedulden wie Prof. Jürgen Becher, Dr. Helge-Heinz Heinker, Prof. Günter Katsch... Wir bitten die genannten und ungenannten Autoren sowie auch unse re Leser um Verständnis. te war erforderlich und die Vorstellungen über die Zeiträume der Erdgeschichte konnten endlich auf eine sichere Grund lage gestellt werden. Der aktive Wissen schaftler muß öfters umdenken, immer einmal „Wendehals“ sein - oder er bleibt ein erstarrter sturer Trottel. In der ehe maligen DDR waren manche gegenüber dem Fortgang der Wissenschaften in an deren Ländern viel zu wenig „Wende-, hals". Lächerlich wirkt heute, daß nun so vieles „Wenden" so rasch nachgeholt werden muß, es gibt eben viel verspätete „Wende“, die auch vom Leben bestraft wird. Mit dem Fortgang der Wissenschaft er scheint Vorangegangenes als Irrtum. Aber „Irrtümer“ sind nicht alle auf die gleiche Stufe und unter dieselbe Bewer tung zu stellen. Einige Beispiele sollen das demonstrieren. Justus Liebig hatte sich 1837 den Fra gen der Ptlanzencmährung zugewandt I ch fürchte, daß jeder Tag, an dem wir zögern, eine radikale Wende in unserer Politik ge genüber den neuen Ländern vor zunehmen, die Kosten steigen läßt, die auf die Dauer doch ent stehen. Und er wird Kräfte ab blocken, die wir dringend brauchen — und ein Vertrauenskapital verschleißen, aus dem die Integration des künftigen Deutschland erwachsen muß. Man mag auf die Dauer fürchten, daß die Not - und die Wut - in Ostdeutschland sich zu hef tigen Reaktionen zusammenballt. Doch das ist nicht das schlimmste, denn dabei kann die Luft sich klären, dabei können Ost und West sich schließlich zusam menraufen. Mir scheint, daß die Resi gnation und der daraus resultierende Mangel an Umstellungs-, an Tätigkeits bereitschaft, die Resistenz und all die Folgen, die das im Verhältnis zwischen Ost und West haben wird, sehr viel schlimmer sind. D ie wesentliche Aufga be der Wissenschaft besteht darin, „Neues“ zu finden. Das „Neue" ergänzt oder ersetzt bisheriges Wissen. Ei ne „Wende“, vielleicht gar eine wissenschaftliche Revolution kann jede wissenschaftliche Disziplin er fassen. Wieviel änderte sich, als die Ra dioaktivität bekannt wurde! Eine völlig neue Definition der chemischen Elemen CHRISTIAN MEIER (Der Autor lehrt alte Geschichte an der Universität München.) taniker Johannes Reinke (1849-1931), Mitglied des preußischen Herrenhauses, rief Haeckel mit vollem Recht 1907 ent gegen: „Die Leichtfertigkeit dieser drei mal wiederholten Behauptung, daß die Seele der Naturmenschen denen der Hun de, Pferde usw. näher stünde als der des Kulturmenschen, halte ich für eine unge heuerliche. Haeckel hat auch nicht den Schatten eines Beweises zu erbringen ge sucht. Ist das etwa wissenschaftlich?“ Dem ist wohl nichts hinzuzufügen. Ein Wissenschaftler darf in der Tat keine Be hauptung aufstellen, die er nicht begrün den kann. Literatur mit andersartiger Aussage lag zudem vor. Wie verhängnis voll konnte sich bei einem Kolonialsol daten die Lektüre von Haeckels Behaup tung auswirken! Sollte er Wesen als Menschen achten, die der hochgestellte Wissenschaftler Ha eckel derartig abwertete? Ebenso wenig entschuldbar ist, was der späterer Erkenntnis), adsorbieren. Das Wasser konnte die Düngesalze also gar nicht rasch wegführen. Liebig mußte um lernen, und er lernte um. In Beachtung von Erfahrungen anderer Wissenschaft ler hätte Liebig von Anfang an etwas vor sichtiger und weniger apodiktisch an die Formulierung seiner Überzeugungen tre ten sollen. Aber die Eigenschaft der Bö den, Salze zu adsorbieren, konnte er kaum voraussehen. Der Irrtum muß entschul digt werden. Schwerer entschuldbar aber ist die An sicht von Emst Haeckel (1834-1919), daß manche überseeischen Völker noch Übergangsstufen zwischen den äffischen Vorfahren der Menschheit und der weißen Rasse, der angeblich höchsten, sind. Vor allem die Papua auf Neuguinea stellte Haeckel auf eine primitive Stufe. Die oft dichte Körperbehaarung europäi scher Männer übersah Haeckel als auch äffisch zu deutendes Merkmal wohl ge- — sollten wir uns nicht damit begnügen, die fehlenden Gelder vom Westen her zu erlegen. Wenn man durch derart Unvorhergesehenes über rascht wird, tut man gut daran, nicht nur zu reagieren, sondern sich zu fragen, ob man nicht zugleich seine Erwartungen zu überdenken hat. „Wer das Übel erst erkennt, wenn es schon sichtbar gewor den ist, ist kein kluger Staatsmann“, heißt es bei Macchiavelli. Wer nur das ins Auge Stehende daran wahrnimmt, so könnte man ergänzen, auch nicht. Ich möchte behaupten, daß wir alle samt noch weit davon entfernt sind, auch nur die Problematik zu begreifen, die uns mit der Vereinigung aufgegeben ist. Die Geschichte kennt kein Beispiel dafür; sie ist völlig neu. Und es wird sich bitter rächen, wenn unsere Politik, ja unser ganzes Verhalten weiterhin so arg zu kurz greift, wenn immer erst reagiert wird, wenn es schon fast zu spät ist: Man sollte vielmehr das Ganze dieser Verei nigung neu überdenken. Dann wird sich vermutlich erweisen, daß wir gegenüber der ehemaligen DDR radikal anders an zusetzen haben. Der Befund in den neuen Ländern ist alles andere als einheitlich, er ist sogar höchst widersprüchlich. Aber aufs Ganze gesehen scheinen immer wieder bestimmte Eigenschaften sich' in unser Bild zu drängen. Man hört von man gelnder Initiative, von Unselbständig keit; von wenig Lernbereitschaft; ja von Anmaßung, Undankbarkeit, Verstockt heit. Kaputt seien sie: der Sozialismus habe auch an der menschlichen Substanz Raubbau getrieben. An all dem ist - wer wollte es leug nen? - einiges wahr. Und trotzdem tun wir, meine ich, mit diesen und ähnlichen Urteilen unseren neuen Mitbürgern bit ter unrecht... Drei Komplexe scheinen sich heraus zuschälen. a sich nun zeigt, wie grob wir uns in Hin sicht auf die finanzi ellen Kosten der E rstens sind die ungeheu ren Defizite zu vermer ken, die daraus resultie ren, daß ihnen unsere Ordnung weithin unbe kannt ist: das Steuer-, das Sozialsystem, das ganze Wegenetz des Rechtsstaats, all die für den Neuling hochkomplizierten Ver fahrensweisen von Verwaltung, Banken, Kreditwesen, Versicherungen und so weiter. So kommt es leicht zu Überfor derung und Widerwillen und - zum Ab schalten ... Zweitens sind die Bürger aus der DDR, auf Ganze gesehen, stark okku piert und in ihrer Integration behindert durch den Verlust des Bodens, den sie unter den Füßen hatten. Bei aller Ableh nung des SED-Staates: Sie hatten sich auf ihn eingerichtet. Auch wo die Ord nung im Ganzen unrecht ist, pflegt man sich Ordnungen im Kleinen zu schaffen, die als normal erscheinen. Das Ende der DDR hat zwei Seiten: Man ist eine Dik tatur los, aber es lösen sich große Teile der eigenen Basis auf. Wer die DDR nicht verlassen wollte (und konnte) und nicht außerordentliche Fähigkeiten hatte, ihren Forderungen zu widerstehen, mußte seine Kompromisse schließen. Und das geschah nicht ein mal, sondern immer neu, so daß auch an fängliche Vorbehalte abgeschliffen wur den. Man suchte sich an positive (oder scheinbar positive) Seiten des Staates zu klammern, die zum Teil heute angesichts Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, Zer- dadurch nicht eher größer werden. Denn dasbil det die dritte Gruppe von Schwie- 8 ei cn. das Zusammenkommen mit unsin einem Staat. Es ist dadurch be- j-in v aß wir drei, die Ostdeutschen ein.) iertel der künftigen Bürgerschaft ausmachen. Und wir sind in jeder Hin- sicht überlegen... ten, auch Befürchtungen erweisen sich als nichtig, und das ist gravierend trotz der Chancen, die sich gleichzeitig eröff nen. Das eigene Denken, Fühlen, Urtei len ist zutiefst verunsichert, da man an gesichts der ganzen Aberwitzigkeit des Regimes entdeckt, wie sehr man sich hat betrügen lassen. Unendlich vieles ist neu zu überdenken, aufzuarbeiten (und zwar zumal für die einzelnen, jeden für sich; an die Öffentlichkeit gelangt das selten)’ Vor allem sind unsere neuen Mitbürger ei nem ungeheuren Ver änderungsdruck aus gesetzt. Denn es wird dort ja nicht eine staatliche, wirt schaftliche, gesellschaftliche Ordnung reformiert - gleichsam auf der beste henden Basis -, sondern die Ordnung wird abgebrochen, und eine total andere tritt an ihre Stelle. Das aber bedeutet, daß zugleich Teile von ihnen selbst abgebro chen werden... Während sich sonst der Wandel der eigenen Person eher un merklich vollzieht, entsteht hier plötz lich die Notwendigkeit, völlig neu zu denken, zu fühlen und zu handeln. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, und das eigene Beispiel wirkt mehr als tausend Worte. Wir müß ten sehr viel Verständnis für die uns ganz unvertraute Situation aufbringen. Statt dessen verlangen wir schlicht und ver waltungsmäßig, daß die Menschen sich der neuen Ordnung fügen. Eine Gesell schaft, zu deren Eigenschaften bekann termaßen nicht zuletzt die Angst gehört, ist nicht bereit, all die Ängste ernst zu nehmen, die nach so viel Unterdrückung mit Verwaltungsnötigungen notwendig verknüpft sind. Wir wollen uns mit ihren seelischen Kompliziertheiten nicht ab geben. Was ihnen existenziell ist, stört uns nur in unserer Routine. Wo sie zu uns querstehen, vermissen wir unsere Strom- linigkeit. Wohl sind sie willkommen, aber nicht als die, die sie sind. Wir sagen, daß sie froh sein könnten, daß anders als etwa Polen und Ungarn für sie eine westliche Teilnation vorhan den ist und sich ihrer annimmt. Aber man sollte sich einmal ernsthaft die Frage stellen, ob zumindest die Übergangs schwierigkeiten, bei all unserem Einsatz, Z udem finden wir, daß al les bei uns gut und alles bei ihnen schlecht war. Entsprechend darf an unserer Ordnung nichts und muß an ihrer Ord nung alles geändert wer den. Noch wenn sie aus ihren Leiden Konsequenzen ziehen wollten (was die beste Weise wäre, diesen Leiden einen Sinn zu geben), werden wir sie ihnen je denfalls nicht abnehmen. Indem unsere Politiker sich in ihrer Mehrheit scheuen, Berlin wirklich zur Hauptstadt zu ma chen, suchen sie die Berührung mit „den Menschen fern in den neuen Ländern“ nach Möglichkeit zu vermeiden. 16 Mil lionen Menschen sind also umzuschu len. Und wir neigen dazu, das primär für ein technisches Problem zu halten. Daß zugleich ihr Stolz, ihr Wunsch, wenn auch unter Veränderungen, sie selbst zu sein, daß ihr Anspruch, von gleich zu gleich behandelt zu werden, kaum berücksichtigt wird, scheint uns nicht sehr zu stören. Da sie (trotz des großzü gigen Umtauschkurses) vergleichsweise viel ärmer sind, da überall in den öffent lichen Kassen bei weitem zu wenig Geld ist, muß vieles geschlossen werden, wor an zum Teil ihre Liebe hing, was auch ihr Überleben ermöglichte: Theater, Orche ster, Museen, alle möglichen Einrich- tungen, die für einige kulturelle Identität sorgten. Anscheinend haben sie darauf zumeist kein Recht (während wir alles, was wir haben, natürlich behalten). Nicht mal die Steuern können ja ihret wegen erhöht werden, sondern höch stens für den Golfkrieg. All diese Schwierigkeiten zusammen genommen, müssen, ganz abgesehen von fehlenden Kenntnissen und Fähig keiten, zu Lernblockaden führen. Es ist außerordentlich schwer, sich mehr oder weniger umstandslos auf das Neue ein zustellen, wenn wir kommen und nicht nur sagen, daß alles Bisherige bei ihnen falsch war, sondern zugleich insinuieren, daß wir in jeder Hinsicht die richtigen Verfahren haben... „Wir lähmen sie und grollen, daß sie hinken“, um es mit Grill parzer zu formulieren. Wir könnten sehr viel mehr Energie und Interesse an den Versuch wenden, zu verstehen oder zu mindest zur Kenntnis zu nehmen, was in Störung von unendlich viel Gewohntem in hellerem, gar nostalgischem Lichte er scheinen können. Man war vielfältig von diesem Staat geprägt. Anders gesagt: die Zugehörigkeit zu ihm ging, trotz aller Ablehnung, in die eigene Identität ein. Denn ganze Biographien werden jetzt in Frage gestellt, Lebenspläne, Aussich
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