Suche löschen...
Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1991
- Erscheinungsdatum
- 1991
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-199100000
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19910000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19910000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 1991
-
- Ausgabe Nr. 1, 07.01.1991 1
- Ausgabe Nr. 2, 14.01.1991 1
- Ausgabe Nr. 3, 21.01.1991 1
- Ausgabe Nr. 4, 28.01.1991 1
- Ausgabe Nr. 5, 04.02.1991 1
- Ausgabe Nr. 6, 11.02.1991 1
- Ausgabe Nr. 7, 18.02.1991 1
- Ausgabe Nr. 8, 25.02.1991 1
- Ausgabe Nr. 9, 04.03.1991 1
- Ausgabe Nr. 10, 11.03.1991 1
- Ausgabe Nr. 11, 18.03.1991 1
- Ausgabe Nr. 12, 25.03.1991 1
- Ausgabe Nr. 13, 01.04.1991 1
- Ausgabe Nr. 14, 08.04.1991 1
- Ausgabe Nr. 15, 15.04.1991 1
- Ausgabe Nr. 16, 22.04.1991 1
- Ausgabe Nr. 17, 29.04.1991 1
- Ausgabe Nr. 18, 06.05.1991 1
- Ausgabe Nr. 19, 13.05.1991 1
- Ausgabe Nr. 20, 21.05.1991 1
- Ausgabe Nr. 21, 27.05.1991 1
- Ausgabe Nr. 22, 03.06.1991 1
- Ausgabe Nr. 23, 10.06.1991 1
- Ausgabe Nr. 24, 17.06.1991 1
- Ausgabe Nr. 25, 24.06.1991 1
- Ausgabe Nr. 26, 01.07.1991 1
- Ausgabe Nr. 27, 08.07.1991 1
- Ausgabe Nr. 28, 15.07.1991 1
-
Band
Band 1991
-
- Titel
- Universitätszeitung
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
UZ/07 18. Februar 1991 DISPUT 5 Den Widerstand m ■ ■ m ■ ee w gem ggm pa pem I Eed I p A m A gp ■ ■ #g ■mm E #g Gd i 59 H ■ s ff U f ■ V VI VVvIMIIvl IVI I Interview mit der Teologin und Schriftstellerin Dorothee Solle Seit ihren „Politischen Nachtge- j sprächen“ von 1969 ist Dorothee Solle i aus der europäischen Kritik am Kapita lismus nicht mehr wegzudenken. In Zahlreichen Büchern entwickelte sie das I Prinzip einer feministischen Theologie, eine über die Institution Kirche weit hin ausgehende Anfrage an die bisherige Gesellschaft. Am Weihnachtsabend hast du bei ÖT 64 über dein Verständnis von Glauben gesprochen, über ein Ver ständnis jenseits der ernüchternden Weihnachtstümelei im ganzen Land. Könntest du ganz kurz hier beschrei ben, was für Dich Glauben ist? Dorothee Solle: Glauben ist eine Le- ; bensperspektive, die vom Üblichen ab- | weicht, weil sie sich andere Ziele setzt, als einfach nur zu überleben. Es ist ein I Sich-berufen auf eine Gewißheit, die ; auch Reich Gottes genannt wird, daß wir zwischen Vergangenheit und Zukunft ein kleines Glied einer Kette sind und nicht nur ein verlorenes Individuum. Und glauben ist eigentlich ganz nah an I Hoffen und an Lieben, gemeinsam be- i schreiben diese ein mögliches Verhält- | nis zu den Menschen, zur Kreatur i schlechthin. Davon abgesehen möchte ich einfach ' sagen, daß das da bei diesem Radiosen der in Berlin ein sehr gutes, ein fast phi- ■ losophi sches Gespräch war, von der Art, wie es hier im Westen nicht mehr mög- ■ lieh ist. Tut es dir weh, von diesem Ge spräch, von der DDR zuu reden? D. Solle: Es tut mir weh die geschei- I terte Hoffnung auf einen menschlichen Sozialismus. Es tut mir weh für uns hier, aber fast noch mehr für die zwei Drittel der Menschheit, die vom Kapitalismus nur die negative Seite haben. Das ist ein Problem, mit dem ich eigentlich nicht fertig werde. Ich habe sehr darüber nachgedacht. Was eigentlich passiert ist, und ich habe I mich dabei einem Begriff angenähert, den ich früher immer verabscheute - das ist ein Begriff aus der amerikanischen Diskussion, der Begriff des demokrati schen Kapitalismus. Man muß, so glau be ich, gerechterweise sagen, daß dieser demokratische Kapitalismus gesiegt hat. Die Leute wollten Menschenrechte und Bananen. Sie wollten also sowohl das demokratische Element dieses Ka pitalismus als auch das kapitalistische, beides ist eben merkwürdigerweise, auch wenn uns das nicht passen mag, miteinander verkoppelt. Aber ich muß auch sagen, daß das Scheitern des I Staatssozialismus für die Menschen in der Dritten Welt eine Hoffnungslosig- keit mehr bedeutet. Dort nämlich hat der Kapitalismus seine demokratische Ver packung gar nicht nötig, dort ist das Sy- Stem absolut antidemokratisch. Für die- Se Menschen war z. B. vieles an der DDR sehr erstrebenswert. Im kapitalistischen System konnten sie nur die Gegner ih- Tes Überlebens erkennen. Während sie "11 Ostblock ja immer auch eine Hilfe gesehen haben. Und das ist jetzt vorbei. Wenn Du von einer gescheiterten Hoffnung sprichst, tut Dir das auch Persönlich sehr weh? D. Solle: Es tut weh, und es zwingt hatürlich auch zur Revision, es führt zu i einem philosophischen Neuüberdenken ■wo liegt denn eigentlich der Fehler? Ich habe da sehr viel von den Lateinameri- Canern gelernt, die also den Marxismus als eine analytische Methode betrach- len, das System zu verstehen, aber die den Marxismus nicht als eine Weltan- Schauung begreifen. Und das Scheitern dieses osteuropäischen Staatssozialis- Tus macht sicher eine Sache klar - daß Jeder Versuch, den Sozialismus mit Pan- aufbauen zu wollen, ein für allemal Rescheitert ist. Auf diesem Boden Wächst nichts mehr. Hu mußt also nicht umdenker? D. Solle: Ich habe mich da mit ver- schiedenen Freunden auseinanderge- Setzt, manche sind in so einem Büßer- SeWand herumgelaufen. Ich konnte mir 4s nicht anziehen. Ich meine, daß wir such schon früher die Exzesse des dlaatssozialismus kritisiert haben. Um- dsnken auf die sozialistischen Wurzeln, d.e demokratisch sind, aber nicht Um- Mnken im Sinne einer Totalrevision. Mißbrauch sagt nichts darüber, was ei- &ntlich gemeint ist, ähnlich wie beim Ehristentum und seinen unzähligen Ver- brechen. Es gab bei verschiedenen linken Gruppen seit Jahren - z. B. bei Nicaragua - die Hoffnung, daß aus den Ländern der 2/3-Welt selbst eine neue Bewegung für den Sozialismus, gegen den Kapitalismus kommen würde. Nun entsteht eine solche Emanzipationsbewegung tatsächlich, aber sie trägt nicht das weiche Antlitz des nicaraguanischen Dichters Ernesto Cardenal, sondern das Gesicht des irakischen Diktators Saddam Hussein. D. Solle: Ich denke, daß sehr viel von dem grauenvollen Diktator Hussein, der Vergleich mit Hitler beispielsweise, ganz einfach eine Propagandaerfindung ist. Vielleicht muß man sich noch mal fragen, was eigentlich Sozialismus ist. Ich hatte vor vier Jahren ein interessan chen? Sind Versuche, beispielsweise die Theologie der Befreiung in einen mitteleuropäischen Kontext zu set zen, solche Ansätze? D. Solle: Es gibt ja eine westeuropäi sche Form der Theologie der Befreiung, das ist die feministische Theologie, die ich als einen Aufbruch aus der bisheri gen Herrschaft von Bildern, Gedanken und Institutionen der Männer verstehe. Ich glaube schon, daß da Hoffnungen sind, die Glauben auch näher an Kämp- ,fen heranbringen können. Ich denke, daß wir weiterkommen, indem wir uns im Sinne des Christentums auf die Seite der Opfer schlagen und von den Opfern aus zu denken und zu leben versuchen. Wie kann ich auf Seiten der Armen leben, wenn ich 5000 DM im Monat „Die Frage, ob wir noch so viel Zeit haben, ist für mich die Frage des Kaninchens vor der Schlange.“ Zur Person: Dorothee Solle, geboren 1929, studier te in Köln Philosophie, Germanistik und Theologie, Theologin und freie Schriftstellerin, ab 1975 Pro fessorin für Systematische Theologie an der Uni versität von New York, vielfältige Veröffentlichun gen im In- und Ausland, vier Kinder tes Gespräch mit dem damaligen Innen minister Nicaraguas Tomas Borge, in dem er mir sagte, daß der europäische Marxismus zwei Fehler habe. Er hat nicht begriffen, was Nation ist, und er hat nicht begriffen, was Religion ist. Und natürlich ist das bei Saddam Hus sein ähnlich, Nationalismus und Reli giosität stellen für ihn ungeheure Kräf te dar. Und diese Kräfte setzt er nach sei nem Verständnis dafür ein, sich gegen die Gewaltherrschaft des Westens zu wehren. Ein Fakt, den ich auch noch nicht wußte, ist, daß der Irak im Som mer I990 in Paris angeboten hatte, sei ne sämtlichen Chemiewaffen zu ver nichten, wenn die Supermächte ihre Atomtests einsteilen würden. Das haben die USA abgelehnt. Und das ganze Ge rede des Irak von seinen Giftwaffen be ruht auch auf der Angst, sich unter den Stiefel einer Weltmacht fügen zu müs sen. Und von da aus verstehe ich ganz gut, wie die denken. Dort wird die westliche Kultur als oberflächlich und geistlos verstanden, diese Dinge beängstigen die Menschen des Islam elementar. Das mag in den Eli ten anders sein, aber für die breite Mas se der Bevölkerung ist die westliche Kultur kein Ziel. Wir sollten eigentlich daran denken, wie wir mit dieser Le bensform des westlichen Kapitalismus nun weiter umgehen. Denn eins ist doch wohl vollkommen klar - dieser Kapita lismus ist kein Menschheitsmodell. Natürlich, wenn man eine solche Ener giepolitik betreibt wie die Amerikaner, mit einer bloßen Belohnung des Mehr verbrauchs, mit einer seit Beginn der 80er Jahre systematischen Zerstörung der Umweltbehörden, dann muß man ei nen Krieg fürs billige Öl führen. Genau das passiert, die hochgerü steten Armeen des Nordens und des Südens stehen sich gegenüber, und letztlich sind wir es, die unterliegen. Wo aber sind Ebenen einer möglichen Verständigung mit dem Süden zu su verdiene? D. Solle: Wir sollen ja nicht die Ar mut als Armut verklären. Ein Mensch ist nicht deswegen besser, weil er arm ist. Aber wenn wir das Evangelium der Ar men predigen, werden wir notwendiger weise mit den Herrschenden in dieser Gesellschaft in Konflikt kommen. Es werden Zellen des Widerstands entste hen müssen. Darauf hoffe ich. Nun trägt die lateinamerikanische Theologie der Befreiung ja eine sehr radikale und umstrittene Komponen te in sich - die Komponente der Ge walt zu Zwecken des Widerstands ge gen das System. Wie kann eine Theo logie der Befreiung im europäischen Kontext mit Gewalt im Widerstand umgehen? D. Solle: Diese Diskussion ist doch ei gentlich gelaufen. Die Träger der Theo logie der Befreiung, sofern sie in den neuen sozialen Bewegungen engagiert sind, haben ja alle gewaltfreie Methoden des Widerstands entwickelt und haben versucht, diesen zivilen Ungehorsam auszubauen. Ich glaube, daß nur dies die Methode der Zukunft sein kann. Wir werden in Europa überflutet wer den von Flüchtlingen vor Hungersnöten, Kriegen, ökologischen Katastrophen und Diktatoren. Wir werden uns zur Fe stung entwickeln. Wie gehen wir denn damit um? Wir müssen lernen, auch im klaren und bewußten Übertreten der Ge setze, diese Leute aufzunehmen. Wir müssen uns also aus der Definition des Gehorsams unter den Staat lösen. So sol len Christen in dieser Situation ameri kanische Soldaten zur Desertion auffor dern und ihnen dabei helfen. Ich meine, Christ-Sein heißt, bestimmte Formen des Widerstands zu entwickeln, die die gewaltfreie Aktion als zivilen Ungehor sam betreiben. Und da ist nicht eine Guerilla-Theorie der Vater des Gedan kens, sondern eher Gandhi und Martin Luther King. Ich glaube aber nicht, daß da eine Diskussion abgeschlossen ist. Wir ha ben die Mainzer Straße, wir haben die Zuspitzung hier in Hamburg um die Hafenstraße, wir haben ein zuneh mendes Gewaltpotential bei den Rechten. Wie soll mit dieser Gewalt denn umgegangen werden? D. Solle: Bei uns ist ja nur eine Form der Gewalt verboten, die Gewalt der Waffen. Die weiße Gewalt, das Geld al so, erhält diese Gesellschaft eigentlich aufrecht. Der Internationale Währungs fonds, eine Organisation, welche die Säuglingssterblichkeit in der Dritten Welt systematisch erhöht, wird belobigt. Ich will noch mal zurückfragen. Die Gewalt ist da, hier bei uns, und sie wird wohl spätestens in ein paar Jah ren offen auftreten. Dies auf der einen Seite. Andererseits bricht bei immer mehr Leuten eine riesige Mut- und Hoffnungslosigkeit aus. D. Solle: Wenn solche Gewaltpoten tiale tatsächlich zum Ausbruch kom men, dann müssen wir uns doch zurück fragen lassen, warum es uns nicht ge lungen ist, eine gewaltfreie Hoffnung zu vermitteln, eine Hoffnung auf den ge waltfreien Kampf, die gewaltfreie Ag gressivität. Diese Formen kämpferi schen Lebens müssen wir einfach deut licher machen, weil sie tatsächlich auch ganz andere Formen von Hoffnung mit sich bringen. Ich aber sehe weniger die Gefahr der Gewalt als vielmehr die ei nes mehr oder weniger fidelen Zynis mus, der überall wächst. Dagegen, so meine ich, sollten wir unsere Kräfte sammeln. Wir sollten unsere Mittel stär ker entwickeln - den Boykott, den Streik, die Verweigerung. Wir müssen die Themen bestimmen, und das passiert schon jetzt mehr und mehr - die Fragen sind unsere. Wir müssen den Widerstand verweiblichen, wenn ich das mal so sa gen darf. Die Methode der Männer ist gescheitert. Ihre Wissenschaftsmethode ist gescheitert, es hat sich einfach her ausgestellt, daß diese Wissenschaft überhaupt keine Zielreflektion, keine Grundreflektion hat, das ist eine Lust am Penetrieren, und das sagen die auch so. Diese Wissenschaft hat keinen Lebens kontext mehr. Und da hilft keine Gewalt, denn Gewalt ist ja das, was es überall schon gibt, das ist doch im Konzept der Herrschenden eingeplant. Ja, ist denn für soviel behutsames Verändern überhaupt noch die Zeit vorhanden? Werden wir nicht in un seren tiefsinnigen Gesprächen ein fach ausgelöscht werden? D. Solle: Ich sehe diese Frage auch und kann an diesem Punkt eigentlich nur theologisch antworten. Die jüdische Tradition sagt, daß die Umkehr vor der Erschaffung der Welt geschaffen wor den ist und von jedem Menschen zu je der Zeit getan werden kann. Daran muß man einfach glauben. Mir fällt das natür lich auch sehr schwer, ich weiß nicht, ob ich Herrn Bush die Umkehr glauben kann. Aber die Möglichkeit der Umkehr ist tatsächlich in diesem Sinne da, und zwar für jeden Menschen. Die Frage, ob wir noch so viel Zeit haben, ist für mich die Frage des Kaninchens vor der Schlange. Diese Perspektive bringt uns aber nicht voran. Wir müssen die For men von Umkehr erkennen, die ständig unter uns stattfinden. Du sprichst viel von der christlich- jüdischen Tradition. Gibt es für dich Ansätze der Verwischung von Gren zen zwischen Christentum und ande ren Religionen? Ist die Suche nach der vierten Dimension, der Spiritualität, ein möglicher Beginn der Auflösung der Religion? D. Solle: Ich sehe eine Bewegung der Weltreligionen aufeinander zu. Aber ich glaube nicht an ein religiöses Esperan to. Wir sollten unsere Heimatsprache lernen, unseren Heimatdialekt. Das heißt substantiell gedacht, was die spe zielle jüdisch-christliche Tradition an Einzigartigem in die Weltreligionen ein zubringen hat. Und dies ist wirklich die ses Ding mit der Gerechtigkeit. Das ist in den anderen Religionen nicht so drin. Die Gotteserfahrung innerhalb der jü disch-christlichen Tradition ist die Er fahrung, daß es möglich ist, Gerechtig keit wie Wasser und wie einen rau schenden Strom fließen zu lassen. (Das Gespräch führten Jan Peter und Lothar König von der DAZ.) In der Hoffnung, unrecht zu behalten Ich bin kein Soziologe. Aber ich kann mir in etwa das Ergebnis einer Befragung der „Neu-Bundesbürger“ (oder nur der Leipziger oder nur der Mitarbeiter in den „Geisteswissen schaften“ unserer Universität) darüber vorstellen, was ihnen derzeit die größ ten Sorgen bereitet. Und fast könnte ich wetten, daß in der Werteskala zwei Stichworte an der Spitze stünden: 1. der soziale Abstieg bzw. die „Ab wicklung“, 2. der „Golfkrieg“. Diese nicht sehr geglückten Bezeichnungen beinhalten die gewiß größten, aber keinesfalls einzigen Sorgen einer größeren Zahl von Menschen. Daß die Rangfolge sich so und nicht umge kehrt darstellt, ergibt sich ganz einfach daraus, daß „das Hemd“ vor „dem Mantel“ kommt. Ich gestehe offen, daß mir vor Jahresfrist der Gedanke absurd er schienen wäre, die Menschheit könn te sich nach den Jahren erfolgreicher, mit dem Namen Gorbatschow verbun dener Abrüstungs- und Entspannungs politik und nach den vorliegenden - auch wissenschaftlichen - Erfahrun gen in das verbrecherische Abenteuer eines möglicherweise 3. Weltkrieges treiben lassen. Schließlich war der Ost-West-Konflikt „entschärft“, und es gab mit der UNO ein internationa les, auf friedliche Konfliktlösungen orientiertes und mit Öffentlichkeit wie mit weitreichender Kontrollbefugnis ausgestattetes Gremium. Und für völlig abwegig hätte ich den Gedan ken erklärt, wir, die wir absolut friedlich zum Zusammenschluß mit unseren „Brüdern und Schwestern“ in einem „einig Vaterland“ bereit waren, könnten schon bald nach erfolgtem (so auch nicht erwarteten) „Anschluß“ erzwungenermaßen zu Komplizen eines solchen blutigen Wahnsinns werden. Schließlich glaubten wir nach den eigenen schlimmen Erfahrungen von Krieg und Nach krieg, die Warnung unseres verehrten Bert Brecht mit dem Hinweis auf das große Karthago verstanden zu haben, das drei Kriege führte und nach dem dritten nicht mehr auffind bar war. Warum werden Warnungen und Er fahrungen so eklatant mißachtet? Oder müssen wir, die wir als Lehrende jungen Menschen die Vision (Illusi on?) eines endlichen Sieges der Ver nunft und eines baldigen Eintritts in ein neues, von „vorgeschichtlicher“ Barbarei befreites Zeitalter predigten, uns des Delikts einer schweren Täu schung schuldig bekennen? Darüber nachzudenken wäre wohl lohnens wert. Ganz gewiß habe ich Illusionen in anderer Hinsicht nicht geteilt: Die Er wartung, alles könne nach Umbenen nung und einigen kosmetischen Kor rekturen einschließlich einiger „Bau ernopfer“ (worunter sowohl unbe quem gewordene und allgemein „vor ruhestandsbereite“ Kollegen als auch bisherige Kooperationspartner aus der ehemaligen ML-Sektion und dem FMI verstanden werden dürfen) im Prinzip so weiterlaufen, mußte sich als irrig er weisen. Dem schien zunächst die Tatsache zu widersprechen, daß bis gegen Jah resende 1990 - von einem Rektoren wechsel, einigen Ablösungen und Neuwahlen auf Sektionsebene sowie einigen mehr oder minder niveauvol len Diskussionen öffentlich sehr we nig geschah. Als dann kurz vor Weih nachten der neue alte Wissenschafts minister Meyer seine Kahlschlagver ordnung als eine Art „Ei des Kolum bus“ auf des Hauses Tisch warf, trieb die m. E. brutale und selbstgefällige Art und Weise, mit der die frisch ge wählte neue Landesmacht sich hier präsentierte, die Studenten massenhaft auf die Straße und in die Öffentlich keit. Thermoplane Die Moskauer wissenschaftliche Produktionsvereinigung „Prognosti- ka“ bei der Akademie der Wissen schaften der UdSSR hat eine Aktien gesellschaft zur Entwicklung von Thermoplanen, d. h. einer „Kreuzung“ von Hubschrauber und Luftschiff, ge gründet. Derartige.Flugapparate wer den zur Erschließung schwer zugäng licher Gebiete im Hohen Norden der UdSSR sowie in Sibirien dringend benötigt. Mit Hilfe von Thermoplanen kann bei Bauarbeiten direkt „vom Rad“ montiert werden, d. h., „Hub schrauber-Luftschiffe“ transportieren die montagefertigen Raumblocks di rekt vom Herstellerwerk zur Baustel le, wo die Großmontagemodule aus der Luft montiert werden. Auf diese Weise können auch Rohrfernleitungen und viele andere Arbeiten verrichtet werden. Nein, sie hatten keine Schützenhil fe für belastete und inkompetente Hochschullehrer und Mitarbeiter, für „Parteikarrieristen“ und „Stasi-Infor manten“ im Sinn. Aber es empörte sie, wie ich weiß, die sowohl Rücksichts- wie Einfallslosigkeit einer solcherart rechtswidrigen und undifferenzierten „Lösung" Es entstand auch nach den ersten Diskussionsrunden der Ein druck, die immer recht habende Partei habe nur die Farbe gewechselt und schiede weiter die Gerechten und die Ungerechten nach ihrem Mitglieds buch... Aber gerade das beschwor doch die Gefahr herauf, daß jetzt viele von de nen, die zu einem wahrhaft demokra tischen Neubeginn bereit und fähig waren und sich nun mit den o. g. Be lasteten in einen Topf geworfen sahen, die Lust zu weiterer Teilnahme an ma kabren Spielen verloren und persönli che Konsequenzen zogen. Bietet doch eine Atmosphäre von Argwohn, Furcht, Denunziation und Verstellung wenig Raum zu schöpferischer Arbeit und zum Sichwohlfühlen. Deshalb vor allem lehnt Magnifizent Prof. Fink von der HUB dieses Verfahren konsequent ab und verweist auf bessere Lösungen. Daß inzwischen Betriebe und Men schen im ganzen Land „flächen deckend“ von „Abwicklungen“ erfaßt sind, macht die Sache und die Zu kunftsängste noch schlimmer. Ich sehe wie Prof. Wittich (LVZ vom 273. 2. 91) die Gefahr, daß Schema tismus und Nichtöffentlichkeit des Verfahrens letztlich keine größere Ef fektivität und Leistungsfähigkeit der betreffenden Bereiche, sondern Ge- schichtslosigkeit hervorbringt: Durch ein übergestülptes „abkopiertes“ In halts- und Strukturmodell der Traditi on und vieler wertvoller Mitarbeiter beraubt, wird bisher Erreichtes mögli cherweise achtlos im Müll landen, bleibt ein Stück wichtiger Geschichte seitens der Beteiligten unaufgearbei tet, werden notwendige historische Lehren wiederum nicht gezogen. Doch verheerende Wirkungen unbe wältigter Vergangenheit und fehlen den exakten Geschichtswissens sind am Anwachsen des Rechts- wie auch des Linksradikalismus bestürzend er kennbar: Neofaschismus wie Neosta linismus sind letztlich Resultate poli tischer Versäumnisse und Inkonse quenzen. Die zahlreich geäußerten klugen Gedanken (z. B. zu Kompetenz- und Integritätskriterien) sowie konkreten Forderungen z. B. nach Chancen gleichheit, Fairness, Öffentlichkeit und Transparenz bei der „Eva luierung“ (mir fallen auf Anhieb die Namen Bramke, Grahn, Okun, Ahbe, Astrid Franzke, Petra Welz und ande re ein) sind genau dann in den Wind geschrieben, wenn, der bisherigen Lo gik folgend, zunächst nach konformen „Altbundesländlern" Ausschau gehal ten und der Rest durch eilfertig ge wendete Biedermänner und -frauen sowie „Graue Mäuse“ aus hiesiger Landschaft ergänzt wird, die mit ihren Akten wie mit ihrer Vergangenheit längst „im Reinen“ sind. „Genau die sen würde ja eine wie immer geartete Wende am wenigsten anhaben kön nen“, schreibt D. Wittich, und dies kann ich aus eigener Beobachtung und Erfahrung auch mit meinem „Ecker mann“ nur bestätigen. Es bleibt zu befürchten, daß nach er folgter „Abwicklung“ das kritische Potential fehlen wird, dessen ein er folgreicher demokratischer Neube ginnander „Alma mater“ dringend be dürfte. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß ich unrecht behalten werde. Dr. HEINZ SÄNGER Licht-Migräne Die Hauptursache von Migräne kön nen Tageslichtlampen, Leuchtstoff röhren sein. Dies erklärte Dr. Arnold Wilkins, Mitarbeiter der Abteilung Angewandte Psychologie am medizi nischen Forschungszentrum der engli schen Universität Cambridge. Nach langem Aufenthalt in nur mit Leucht stoffröhren beleuchteten Räumen er müden die Augen, und Migräne setzt ein, und in einigen Fällen tritt sogar verstärktes Herzklopfen auf. Nach Meinung des Wissenschaftlers wirken auf gleiche Weise auch Computerterminals auf den mensch lichen Organismus ein. Dr. Wilkins ist der Auffassung, daß Leucht stoffröhren durch moderne Glüh lampen ersetzt werden sollten, deren Effektivität bedeutend erhöht werden kann.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)