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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1990
- Erscheinungsdatum
- 1990
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-199000007
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19900000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19900000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
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- SLUB Dresden
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Zeitschrift
Universitätszeitung
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Band
Band 1990
-
- Ausgabe Nr. 1, 12.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 2, 19.01.1999 1
- Ausgabe Nr. 3, 26.01.1990 1
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- Ausgabe Nr. 5, 12.02.1990 1
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- Ausgabe Nr. 7, 26.02.1990 1
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UZ/01 12, Januar 1990 STUDIE 5 Natürlich muß die Partei, will sie in der Gesellschaft führen, nicht zu letzt den staatlichen Entscheidungs prozeß beeinflussen. Diese Fähigkeit darf aber nicht durch ein Ver schmelzen mit dem Staatsapparat, sondern muß durch aktiven Einfluß auf die Öffentlichkeit und den staat lichen Willensbildungsprozeß er worben werden. Es ist Sache der Partei, in einem offenen Dialog gleichberechtigter Partner um die Hegemonie des eigenen Programms und damit um die Mehrheit zu rin gen. In der internationalen Debatte wird dies unter dem Stichwort Tren nung von Partei und Staat bzw. Ge waltenteilung zwischen Partei und Staat diskutiert. Die UdSSR hat mit der Verfas- sungsänderung vom Dezember 1988 ein starkes Moment der Kontrolle der Partei durch den Kongreß der Volksdeputierten verankert. Die Par tei ist durch diesen Mechanismus nunmehr mit ihren politischen Ak tivitäten auf die Volksvertretungen orientiert. Erst wenn diese Schritte gegan gen werden, bekommt die Diskus sion um den „sozialistischen Plu ralismus“ ihren Sinn, weil nun das politische System wirklich aufnah mefähig wird für neue und andere Interessen und zugleich auch die Fähigkeit erwirbt, diese bei Ent scheidungsprozessen zu verarbeiten. Dabei geht es generell um die Frage, wie die differenzierten und widersprüchlichen Interessen in der Gesellschaft im politischen Sy stem artikuliert werden, wie sie auf den staatlichen Entschei dungsprozeß einwirken, und wie der für die politische Stabilität not wendige gesellschaftliche Konsens hergestellt wird. Neu ist. daß grund sätzlich über die Rechtsstellung der Politischen Kräfte nachgedacht wird. In der UR, in Polen und der UdSSR sind dazu neue gesetz liche Grundlagen für politische Ver einigungen geschaffen worden. Die UR kündigt darüber hinaus ein Par teiengesetz an. Alle Länder ver suchen praktisch im Rechtssetungs- Prozeß und darüber hinaus, stärker das Referendum zu nutzen. Beson dere Bedeutung hat in diesem Kon text auch die Erweiterung bzw. Ver besserung des Durchsetzungsme chanismus der klassischen poli tischen Grundrechte (Versamm- lungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Gewissensfreiheit). Darüber hinaus gibt es in mehre ren Ländern das Bemühen, Rechts grundlagen und Rechtsschutzme chanismen für die öffentliche Mei nung zu schaffen. Konkrete Gesetz gebungsprojekte zur Regelung der Stellung der Massenmedien und der Wissenschaft werden im Moment je doch nur in der UR und der UdSSR diskutiert. Man kann deutlich einen Zusammenhang zwischen der Plu- ralisierung des politischen Systems und der Entwicklung von Rechts staatlichkeit konstatieren. Mit dem Auftreten neuer politischer Grup pierungen entsteht bereits bei der Zulassung jeweils die Frage nach den allgemeinen Rechtsgrundlagen Politischer Organisationen. Verfas sungsbindung und Verfassungsfeind lichkeit müssen rechtlich qualifi ziert werden und in einem rechtlich geregelten Verfahren festgestellt Werden können. Mit der Schaffung von Rechtsgrundlagen für den poli tischen Prozeß entsteht die Situa tion, daß die Subjekte dieses Pro zesses selbständig darüber entschei den können, ob und wie sie ihre politischen Rechte wahrneh men. Die Lebensfähigkeit von poli tischen Organisationen wird so durch die politische Handlungsfähig keit ihrer Mitglieder entschieden. Die Gesellschaft und der Staat ge währleisten auf diese Weise ihre Autonomie und unternehmen nicht den Versuch, per staatlichem Ent scheid neue Organisationen zu kon stituieren. Auf diese Weise trennt das Recht die politisch or ganisierte Gesellschaft vom Staat. Der Staat ist in jeder interes sendifferenzierten Gesellschaft der Träger der Souveränität im Inneren wie nach außen. Auch eine politisch sehr differenziert organisierte Ge sellschaft muß. will sie handlungs fähig bleiben und sich nicht in wi derstreitenden Interessen verzeh ren, die Macht des Staates, verbind liche Entscheidungen für alle Gesell schaftsmitglieder treffen zu können, gewährleisten, Verfassungs- und Ge setzgebungsverfahren sind dabei die wichtigsten Entscheidungsprczedu- ren des Staates. Auf ihrer Grund lage müssen Rechtssetzung, Rechts verwirklichung und Rechtsanwen dung basieren. Bei allen Versuchen, das Rechtssetzungsverfahren neu zu ordnen, geht es deshalb darum, Kri terien festzulegen, die diejenigen ge- Fortsetzung der Studie Überlegungen zu Problemen und Perspektiven des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels sellschaftlichen Verhältnisse bestim men, die nur durch Gesetz geregelt werden können. Dahinter steht, ge nerell das Bemühen, die Rolle der Volksvertretungen zu erhöhen, sie tatsächlich zu den machtvollkom mensten und obersten Staatsorga nen, die sie auch nach der bisheri gen Verfassungsordnung sein sollen, zu machen. Gegenwärtig leidet ihre Machtvollkommenheit unter der von der Partei praktizierten Macht ausübung und der Dominanz der staatlichen Exekutivorgane gegen - über den Volksvertretungen. Die Er höhung der Rolle der Volksvertre tungen wird in allen Ländern an gestrebt. Folgende sehr unterschiedlich praktizierten Maßnahmen dienen dem: — Veränderungen im Wahlrecht, die den Einfluß der Wähler auf die personelle Auswahl der Kandidaten und ihre inhaltliche Ausrichtung er höhen. In der UdSSR wurde im Pro zeß der Wahlen zum Obersten Sowjet eine größere unmittelbare Einbezie hung der Wähler in den Proz eß der Aufstellung von Kandidaten (Auf stellen von alternativen Kandida ten, keine zentralen Vorgaben zur sozialen Zusammensetzung u. a.) er reicht. Bei einer sich vertiefenden Krise sind Wahlen immer für die Regierenden nur mit Stimmenver lusten zu überstehen. Zugleich aber bilden die Wahlen den eigentlichen Zugang zum staatlichen Entschei dungsprozeß. Die Einflußnahme poli tischer Organisationsformen auf den staatlichen Entscheidungspro zeß, ihre politische Legitimation, die Feststellung, ob sie mehrheitsfähig sind, kann nur über Wahlen er reicht werden. Das angestrebte Ziel, ein selbständig lernendes politisches System, ist eng mit der Installation funktionierender Wahlen verbun den. Die Aufnahme von Ideen, Mei nungen, Widersprüchen durch das politische System von unten nach oben ist letztlich nur durch die Bin dung der gewählten Funktionäre und Organe an den Willen der Mit glieder zu erreichen. Bis heute ken nen wir keine anderen Mittel als Wahlen, Abberufung und Begren zung der Dauer der Amtsperiode von Funktionsträgern, um dies zu gewährleisten. Die Wahlen in Polen vom Juni 1989 haben nun zum ersten Mal eine kommunistische Partei abgewählt und in die Opposition gebracht. Ob damit in Polen der Sozialismus seine Perspektive verloren hat, wird die Geschichte zeigen. Erst dann kann man die Frage beantworten, ob Wahlen im Sozialismus einen Sy stemwechsel herbeiführen können. Die These, daß die Macht immer und unter allen Umständen zu hal ten ist, unabhängig von der Wahl der dazu nötigen Mittel, ist neu zu durchdenken angesichts der realen Abläufe politischer Krisen. - Erweiterung ihrer rechtlich gere gelten ausschließlichen Kompeten zen und ihrer Kompetenzen gegen über den Exekutivorganen. Zu den wichtigsten ausschließlichen Kom petenzen gehört neben dem Ver fassungs- und Gesetzgebungsver fahren das Budgetrecht. Seine Aus übung ist bisher kein souveräner Akt des Parlaments. Unter den Kompetenzen gegenüber den Exe- kutivorganen ist das bisher am mei sten tabuisierte zweifellos die Frage nach parlamentarischen Kontroll rechten gegenüber Polizei- und Si cherheitsorganen. Im Verhältnis von Legislative und Exekutive ist das zugleich am kompliziertesten zu gestaltende Problem, zu sichern, daß die Volksvertretung alle zur Entscheidungsfindung benötigten In formationen erhält. Die Exekutive kann durch die Monopolisierung von Informationen den Entschei dungsprozeß der Volksvertretung vorbestimmen. Damit ist den Ab geordneten die Möglichkeit ge nommen, wirklich zwischen Hand lungsalternativen auszuwählen. — Übergang zu einem Berufsparla ment (UdSSR, UR, Polen). Das findet gegenwärtig seinen Ausdruck in einer Verlängerung der Sitzungspe riode; damit verbunden ist die Mög lichkeit der längeren Freistellung von der Arbeit und der Beginn von Lohnausgleichszahlungen aus dem Staatshaushalt. Die Rolle der Volksvertretun gen wird auch erhöht, indem die Verwaltungen in ihrem Um fang abgebaut werden und die ge sellschaftliche Bedeutung der Justiz gestärkt wird. In einigen Ländern kam es zu einer Neustrukturierung, teilweise einer bedeutenden Redu zierung des staatlichen Verwaltungs apparates. In der UdSSR ist die Zahl seiner Angehörigen von 2,38 Millionen auf 1,83 Millionen (Ende 1988) gesun ken. Überall gibt es Schritte, das Verwaltungshandeln auf einheit liche rechtliche Grundlagen zu stel len und damit die Rechtsstellung des Bürgers gegenüber den Ver waltungsorganen zu stärken sowie das Verwaltungshandeln rechtlich zu legitimieren. In der DDR sind die Arbeiten an einer Verwaltungsver fahrensordnung im Gange. Im Gefüge der staatlichen Macht ausübung wird das Gerichtssystem ausgebaut. Generell wird die Ver waltungsgerichtsbarkeit entwickelt. In der DDR ist festzustellen, daß der bisherige Umfang der Verwal tungsentscheidungen, die der ge richtlichen Nachprüfung unterlie gen, erweitert werden muß. Es müs sen konsequent Rechtsgründe ge schaffen werden, die der richterli chen Entscheidung zugrunde gelegt werden können, das Verfahren ist kontradiktatorisch auszugestalten. Darüber hinaus gewinnen Elemente der gerichtlichen Verfassungskon trolle bzw. ähnliche Formen an Ge wicht. Die UdSSR hat ein Komitee zur Verfassungsaufsicht eingeführt, die UR wird ein Verfassungsgericht schaffen und die CSSR hat ange kündigt, daß ihr bereits 1968 ge schaffenes Verfassungsgericht nun mehr aktiv werden wird. In Polen und der SFRJ gibt es funk tionierende Verfassungsgerichte. Zur Erhöhung der Rolle der Ge richte ist auch der rechtliche Aus bau des Schutzes der Unabhängig keit der Richter und der Rechtsspre chung zu zählen. Die angekündigten Arbeiten am Gerichtsverfassungsge- setz dienen dem. Die DDR kann an einn vergleichsweise hohen Stand der Rechtskultur, wozu auch die Ge richtskultur zählt, anknüpfen. Drin gend ist die Erhöhung des sozialen Ansehens der Richter, wozu nicht zuletzt ihre höhere Bezahlung ge hört. Fester Bestandteil der politischen Reformen ist auch weiterhin der Ausbau der Selbständigkeit der ört lichen Organe der Staatsmacht mit dem Ziel, eine effektive Wahr- nähme der Verantwortung der Volksvertretung für die Befriedi gung der Bedürfnisse und der ter ritorialen Reproduktionserforder nisse zu ermöglichen. Die Kontrolle der örtlichen Volksvertretungen über ihre vollziehend-verfügenden Organe soll u. a. durch die Schaf fung von Präsidien der örtlichen Volksvertretungen (UR, UdSSR) ver stärkt werden. Die materiell finanzielle Basis für ihre Tätigkeit wurde durch eine Reihe von Schrit ten gestärkt, so durch die Übergabe von Betrieben und Einrichtungen an die örtlichen Volksvertretungen (VRB, Polen u. a.) bzw. die Schaf fung von Betrieben der örtlichen, Wirtschaft (u. a. UR, Polen, CSSR). Vorgesehen ist in einigen Ländern die Abführung von Mitteln aus dem Gewinn der den Volksvertretungen nicht unterstellten Betriebe an den örtlichen Haushalt. In der VRB, UR, Polen und UdSSR wird über das kommunale Eigentum als eine Form des gesellschaftlichen Eigentums dis kutiert. Weitere rechtliche Regelun gen der Tätigkeit der örtlichen Volksvertretungen sind in der UdSSR beispielsweise für eine dritte Etappe der Reform des poli tischen Systems angekündigt wor den. In der DDR wird seit langem die Stärkung der örtlichen Ebene avisiert. Das Gesetz über die örtli chen Volksvertretungen vom 4. 7. 1985 hat diesbezüglich noch keinen Durchbruch gebracht. Über eine ex tensive Interpretation der Verfas sungsartikel 41 ff ist u. E. eine Wende nicht zu erzielen. Die Über legungen sollten die verfassunsrecht- liche Regelung des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung in der Verfassung von 1949 zum Aus gangspunkt nehmen für eine wei tere gesetzgebende Lösung. Damit wäre das bisherige Verständnis des Prinzips des demokratischen Zen tralismus sehr stark verändert. Es würde auf der Ebene der Kommu nen einen autonomen Entschei- dungs- und Handlungsspielraum ak zeptieren. Daß dies nicht ohne Fol gen für die anderen örtlichen Ebe nen des Staatsaufbaus (Bezirke, Kreise) bleiben kann, ist wahr scheinlich. Für die Kommunen ist dazu unbedingt eine materielle Ba sis, über die sie selbständig verfü gen können, zu schaffen. Uns scheint eine Dreiteilung der Finanz quellen sinnvoll zu sein. Zum einen müssen normative Grundlagen für die jährliche Zuführung aus dem Staatshaushalt geschaffen werden. Zum zweiten müssen direkte Ab gaben der nichtunterstellten Wirt schaftseinheiten an die Kommunen erfolgen. Die bisherige Praxis des Kommunalvertrages braucht des halb nicht aufgegeben zu werden, sondern sollte weiter wie bisher er gänzend gehandhabt werden. Die selbständigen Einnahmen der Kom munen können natürlich nur dann sinnvoll genutzt werden, wenn das bisherige Bilanzierungssystem geän dert wird. Kommunales Eigentum und kommunale Wirtschaft schei nen dehalb notwendig zu sein. Zum dritten sollte auf Republiksebene jährlich ein Fonds zur Verteilung an die Kommunen gebildet werden. Ein Gremium (vielleicht der Städte- und Gemeindetag), sollte dazu je weils einen Vorschlag an die Volks kammer unterbreiten, wie mit die sen Mitteln schwachen Regionen zu sätzlich geholfen werden kann. Innerhalb der politischen Reform ¬ strategie der Parteien der europä ischen Länder gewinnt die Rechts- reform eine selbständige Bedeutung. Im Mittelpunkt steht die praktische Verwirklichung der von den Par teien erarbeiteten Konzeption der Entwicklung eines sozialistischen Rechtsstaates. Dabei geht es nicht um die Umetikettierung des bishe rigen Zustandes, sondern es geht um eine grundsätzliche Aufwertung der Rolle des Rechts im Leben der Gesellschaft. Rechtsstaatlichkeit be deutet im klassischen Verständnis zuallererst, in den Grundrechten des einzelnen und ihres Schutzes den Sinn staatlicher Machtaus übung zu sehen. Für staatliches Handeln bedarf es deshalb generell der rechtlich gere gelten Kompetenz. Die DDR- Diskussion hat Übereinstimmung darüber erbracht, daß ein neues qua litatives Verhältnis von Staat und Recht, von Politik und Recht her ausgebildet werden muß. Recht soll Instrument und Maß der Politik sein. Im Kern geht es darum, daß keine politische Maßnahme dem In halt des von den Volksvertretungen gesetzten Rechts widersprechen darf. Bei der Änderung oder Auf hebung des bestehenden Rechtssy stems müssen die dafür vorgesehe nen staatlich-rechtlichen Verfahren von allen Rechtssubjekten eingehal- te- werden. Das hat Rückwirkun gen auf die Neuregelung des Gesetz- geburigsverfahrens und die Schaf fung von Rechtsgrundlagen für den gesellschaftlichen Willensbildungs prozeß. Dabei geht es in der inter nationalen Debatte auch um die juri stische Regelung der Verteilung der Machtbefugnisse in Staat und Ge sellschaft. Das klassische Gewalten teilungsprinzip, welches die Rechts bindung aller drei staatlichen Ge walten (Legislative, Exekutive, Ju risdiktion) an das vom Parlament beschlossene Gesetz verankert und mittels Recht die unterschiedlichen Kompetenzen der einzelnen Ge walten voneinander abgrenzt, soll zum Verfassungsprinzip erklärt wer den. In der UdSSR und der VRB wird dies ergänzt um die Diskussion zur Gewaltenteilung von Partei und Staat. Generell werden dabei wie be schrieben die legislative Gewalt (Volksvertretungen) und die Juris diktion (Gerichte) zu ungunsten der Exekutive (Räte) aufgewertet. In besonderem Maße ist die Art und Weise der Menschenrechtsver wirklichung in den sozialistischen Ländern mit der Idee und der Reali sierung des Rechtsstaates verbun den. Neben der bisher als dominant vertretenen These von den Grund rechten als Gestaltungsrechte wer den sie nun, in der DDR wie inter national, immer stärker auch als Schutzrechte des Individuums bzw. sogar als Abwehrrechte begriffen und ausgestaltet. Von daher wird ein wichtiger Schritt getan, um den Mitwirkungsmöglichkeiten, die durch das Verständnis als Gestal tungsrechte betont werden, die Selbstbestimmungsmöglichkeiten zur Seite zu stellen. Die für die De mokratieentwicklung notwendige Mitentscheidung setzt Selbstbestim mung voraus. Das juristische Garantiesystem von Grundrechten ist in fast allen sozialistischen Ländern bei den wirt schaftlichen und sozialen Grund rechten ungleich stärker als bei den politischen und persönlichen Grund rechten. Im Rechtsstaat dürfen Grundrechte nur mit Gesetzen aus gestaltet werden. Auch bei einer ge setzlichen Regelung der Grund rechte darf nur ihre staatliche Ge währleistung, nicht jedoch ihre Be schränkung Regelungsinhalt sein. So wichtige politische Grundrechte unserer Verfassung wie Versamm- lungs-, Vereinigungs- und De monstrationsfreiheit sind bisher nicht gesetzlich, sondern in Verord nungen ausgestaltet. Das bedeutet, daß ihre Gewährleistung ausschließ lich in die Kompetenz von Verwal tungsorganen fällt. Im Rahmen der Verfassungsgebung muß insbeson dere in der UR, VRP und der UdSSR mit der Kodifizierung der dritten Grundrechtsgeneration ge rechnet werden. Dies ist auch in der DDR eine ungelöste Aufgabe, bei der eine Grundrechtsgestaltung be sonders für den Umwelt- und In formationskomplex gefunden wer den muß. Innerhalb der sozialistischen Rechtsstaatsentwicklung führen die UR, die VRB, die CSSR, die VRP, die UdSSR und die RSFR eine grundsätzliche Verfassungsreform durch. Eine Verfassung ist ein Ein griff in das politische Machtgefüge. Die Parteien sehen den Zusammen hang von Rechtsstaats- und Verfas sungsentwicklung vor allem darin, daß die Verfassung zum Maßstab für jegliches politisches Handeln wird. In der sozialistischen Verfas sungstheorie fehlen bislang die da für notwendigen juristisch qua lifizierten Maßstäbe des verfassungs gemäßen bzw. des verfassungsfeind lichen Handelns. Ebensowenig ist der Verfassungsbruch und seine Ahndung Gegenstand sozialistischer Verfassungstheorie. Die Verfassungsdiskussionen in der UR und der VRP sind deutlich vom Bemühen der Parteien gekenn zeichnet, die Verfassungsordnung als verbindlichen Rahmen für alle auseinanderstrebenden Kräfte durchzusetzen. Die Logik liegt darin, daß in einem gegebenen insti tutioneilen Rahmen der Konsens über die Veränderungen des insti tutionellen Gefüges erreicht werden soll. Angesichts der bedeutenden Eingriffe des ungarischen Parla ments in die gültige Verfassung und auch der 1991 in Polen zu erwar tenden Verfassungsänderungen stellt sich sehr scharf die Frage nach den unverzichtbaren sozialisti schen Verfassungsinhalten. Grund rechte, Eigentumskonstruktionen, Wirtschaftsverfassung, verfassungs rechtliche Verankerungen des poli tischen Systems, Grundlagen des Staatsaufbaus, all dies ist angesichts des Modellwechsels bisher in den Grundkonturen noch nicht juristisch bestimmbar, sondern nur in den ten denziellen Bewegungen zu erfassen. In der UdSSR bewegt die Verfas sungsdiskussion den Erneuerungs prozeß des Sozialismus. Allerdings stößt die angekündigte zweite Etappe der Änderung, die die Beziehungen zwischen der Union und den Unionsrepubliken zum Inhalt hat, auf sehr schwierige Probleme. Der bisherige Verlauf der Verfassungsdiskussion in der VRB und der CSSR läßt es noch nicht zu, zu beurteilen, welche Impulse da von für den politischen Umgestal- tungsprozeß ausgehen werden. In der SFRJ hingegen hat die letzte No vellierung der Verfassung im No vember 1988 gezeigt, daß die Ver fassungsänderungen unvermeidlich zu grundsätzlichen gesellschaftli chen Diskussionen über die Aus formung des gesamten gesellschaft lichen Institutionsgefüges führen, die im Ergebnis immer politische Kräfteverhältnisse der gegebenen Gesellschaft widerspiegeln. Die bisherigen Ankündigungen und die dabei gewonnenen Erfah rungen über den Verlauf der Ver fassungsdiskussion lassen es wahr scheinlich erscheinen, daß sich zu Beginn der neunziger Jahre die ge sellschaftstheoretischen' Debatten über das neue Sozialismusmodell in besonderer Weise in den Verfas sungsdiskussionen zusammenfassen wird. Die DDR wird, wenn sie sich konsequent dem gesellschaftlichen Erneuerungsprozeß, einschließlich der dazu notwendigen politischen Reformen, stellt, um eine Verfas sungsänderung nicht herumkom men. Die im September 1989 durch geführte Staats- und Rechtswissen schaftliche Konferenz der DDR, die sich mit den Grundfragen unserer Verfassungsentwicklung beschäf tigte, bestätigte in den Arbeitskreis diskussionen alle skizzierten Grund tendenzen der internationalen Ver fassungsentwicklung als für die DDR notwendige Entwicklungen. Dies stand noch im Gegensatz zu der im Referat vertretenen Auffas sung, daß unsere Verfassung allen Entwicklungsansprüchen genügt. Unseres Erachtens ist es besonders der Mangel an institutioneilen Ver ankerungen von Bewegungsformen des Widerspruchs und der Mangel an Konfliktregulierungsmechanis men, der die Veränderung und kon zeptionelle Neugestaltung der Ver fassung auf Dauer erforderlich ma chen wird. Bei der Änderung der Verfassung am 7. 10. 1974 wurde zwar das Wort von der sozialisti schen Menschengemeinschaft gestri chen, der damit verbundene Geist einer sich harmonisch, gleichsam wi derspruchsfrei entwickelnden Ge sellschaft blieb jedoch in ihr enthal ten. Bei der begonnenen Verfas sungsdiskussion spielt die Rückbe sinnung auf das Konzept der ersten DDR-Verfassung von 1949, die nach dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung von 1919 geformt war, eine große Rolle. Der rechts staatliche Grundsatz, daß dem Men schen alles erlaubt sein soll, was nicht ausdrücklich verboten ist und dem Staat nur das erlaubt ist, was ihm rechtlich gestattet wurde, ist in ihr schon auf eine moderne Weise umgesetzt gewesen. Eingeordnet in die internationale Strategiedebatte sollte sich die DDR konsequent zu allen aufgeworfenen Fragen kon- struktiv verhalten und ihre im Ver gleich zu anderen sozialistischen Ländern durchaus reichen Erfah rungen der Rechtstradition und -ent- Wicklung konsequent nutzen. 5. Probleme des Übergangs Eins der schwierigsten Probleme der Weiterentwicklung unserer Stra tegie ist der Übergang von den vor handenen zu antizipierten neuen so zialen. politischen und wirtschaftli chen Strukturen. Tendenzen, Rege lungen und Mechanismen. Bei allen dabei zu vollziehenden Schritten müssen erstens die Funktionsfähig keit der Wirtschaft und die politi sche Stabilität der Gesellschaft ge sichert werden, und zweitens müs sen Reformen ergebnisorientiert sein. d. h. an den erreichten sozia len. politischen und ökonomischen Resultaten gemessen werden. Die Reorganisation des poli tischen Systems und des Systems der Leitung. Planung und Regula tion der Wirtschaft ist mit zu be denkenden Unsicherheiten verbun den: 1. Die Veränderungen der sozialen Ausrichtung und der politischen und ökonomischen Regulation der Wirtschafts- und Gesellschaftsent wicklung werden Auswirkungen auf die soziale Lage, die Einkom men. die Arbeits- und Lebensbedin gungen praktisch aller Werktätigen in der DDR haben. Schon die be absichtigten Veränderungen, die ja auf Veränderungen im Verhalten der Subjekte zielen, erfordern Um stellungen. für die eine breite Ak zeptanz nicht von vornherein ge geben ist. 2. Die erforderlichen Verände rungen sind in einer Situation zu machen, in der fast kein Spielraum besteht. Es ist daher schwer, die so ziale Progressivität der Verände rungen für alle relevanten sozialen Gruppen und Individuen sofort und spürbar zu gewährleisten. Es ist nicht möglich, sie mit bedeutenden Zuwendungen akzeptabel zu ma chen. 3. Soziale Instabilitäten sind unter den außenpolitischen und innenpo litischen Bedingungen der DDR mit der Gefahr der Formierung antiso zialistischer Kräfte verbunden. Nur ein Teil der Politiker der BRD und anderer NATO-Staaten geht davon aus, daß eine Destabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Si tuation in Europa oder in der Welt heute die Lösung der anstehenden globalen Probleme weiter verzögert oder ganz unmöglich macht, nur ein Teil ist daher wirklich an Entspan nung, politischer Stabilität und pro gressiver Erneuerung des Sozialis mus interessiert. Ein anderer, Start ker und temporär dominierender Teil geht nach wie vor davon aus, daß die beste Stärkung der eigenen Position die Schwächung der der an deren ist. und betreibt von daher eine Politik der politischen und wirt schaftlichen Destabilisierung. Sie würden innerhalb von Reformpro zessen auftretende Instabilitäten zur Schwächung des Sozialismus nutzen. Diese Gefahr wird von Befürwor tern schneller Reformen oft unter schätzt. Unter diesen Voraussetzungen ber gen Reformprozesse die Gefahr des Aufbrechens nicht mehr beherrsch barer Interessenkonflikte, mit de nen sich politische Bewegungen ge geneinander formieren, die Lösun gen zum eigenen Vorteil auf Kosten anderer durchsetzen wollen und die sozialistischen Prinzipien des Re formprozesses ablehnen oder in Frage stellen. Derartiges ist z. B. in nationalistischen Bewegungen oder in der Ausbreitung von Schatten wirtschaft und Schwarzmarkt in verschiedenen sozialistischen Län dern zu beobachten. Sie stellen ein ernsthaftes Hindernis erfolgreicher Umgestaltung in der UdSSR dar. Solche Tendenzen können polizei lich kaum kontrolliert oder gar ver hindert werden. Eine große Gefahr für den Re formprozeß sind die Nutzung des entstehenden ökonomischen und po litischen Spielraums für die egoisti sche Interessendurchsetzung gegen andere, der Verlust solidarischen Verhaltens und des gesellschaftli chen Konsens sowie der damit ver bundene Boden antisozialistischer Bewegungen. Erfolgreich kann eine Reform strategie nur sein, wenn ein breites Vertrauen in die Funktionsfähig keit. die soziale Progressivität und die Perspektive der Umgestaltungs- Prozesse besteht. Neue Regelungen. Spielräume und Selbständigkeit wer den nur zu einer positiven Entwick lung neuer, innovativer Verhaltens weisen führen, wenn die Subjekte, die handelnden Individuen, Kollek tive und Wirtschaftseinheiten auf ihre Wirksamkeit vertrauen. Anson sten werden sie diese Spielräume nutzen, um Regelungen zu unterlau fen und aus den gesellschaftlichen Bindungen auszubrechen. Statt inno vativer Wirtschaftsentwicklung ent stehen dann Schattenwirtschaft und Korruption, der egoistische Miß brauch von Reformen. Analoges gilt für die Nutzung politischen Spiel raums. Eine Reorganisation des poli tischen und wirtschaftlichen Sy stems der sozialistischen Gesell schaft und der sozialen Ausrichtung der Wirtschaftsentwicklung erfor dert unter diesen Voraussetzungen ein schrittweises und jeweils gut vorbereitetes Vorgehen. Einheit von Kontinuität und Erneuerung. Dabei darf aber aus den skizzierten Ge fahren nicht die Schlußfolgerung ge zogen werden, daß im Zweifelsfall lieber alles unverändert bleiben soll. Ein Verzicht auf die Umgestal tung würde stagnative Tendenzen in der Entwicklung der Produktiv kräfte und der sozialen Lage und im wirtschaftlichen Wachstum zur Folge haben. Fortsetzung auf Seite 6
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