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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1990
- Erscheinungsdatum
- 1990
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-199000007
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19900000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19900000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
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- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 1990
-
- Ausgabe Nr. 1, 12.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 2, 19.01.1999 1
- Ausgabe Nr. 3, 26.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 4, 05.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 5, 12.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 6, 19.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 7, 26.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 8, 05.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 9, 12.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 10, 19.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 11, 26.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 12, 02.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 13, 09.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 14, 23.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 15, 30.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 16, 07.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 17, 14.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 18, 21.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 19, 28.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 20, 05.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 21, 11.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 22, 18.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 23, 25.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 24, 02.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 25, 09.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 26, 16.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 27, 23.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 28, 17.09.1990 1
- Ausgabe Nr. 29, 25.09.1990 1
- Ausgabe Nr. 30, 01.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 31, 08.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 32, 15.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 33, 22.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 34, 29.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 35, 05.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 36, 12.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 37, 19.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 38, 26.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 39, 03.12.1990 1
- Ausgabe Nr. 40, 10.12.1990 1
- Ausgabe Nr. 41, 17.12.1990 1
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Band 1990
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H allo, wer es noch nicht ge schnallt hat — die größte Restau ration aller Zeiten ist in Schuß fahrt: über das Chaos der Abschaf fung des real existierenden Sozialis mus, den wir bestens kennen, zur Demokratie mit freier sozialer Marktwirtschaft, die wir Wen dehälse nicht kennen. Das ist hart, selbst für einen sehr wendigen Wen dehals. Zeitungen von gestern sind Schnee von gestern, Berichte von vor drei Monaten stammen aus der Steinzeit, nur die aktuelle Meldung zählt. Viele" haben sich seit der Wende zu Wort gemeldet, aber wir, die Wendehälse aus dem Bereich Medizin, brüten schweigsam wie man das so tut, sind schon emsig in Sachen „Wissenschaftskooperation“, sprich Aufstöbern generöser Spon soren („Wer zu spät kommt, den be straft das Leben.“), oder tun ganz einfach geschäftig als .wäre nichts gewesen. Die Funktionen in Äm tern,’ Gremien, Gesellschaften — fast alle stehen zur Verfügung; Rück tritte aus „persönlichen Gründen“. Wir sind ja regelrecht erleichtert, wenn einer von uns ein gelernter Demokrat ist und nicht das Kains mal trägt, weder das bekannte rote noch das anderer Couleur der 40 Jahre Märtyrerqualen leidenden „Blockparteien“; ihm liegt der Be reich zu Füßen. Als wir- Wendehälse ganz klein waren, fing das mitunter so an: „Händchen falten, Köpfchen sen ken, an den lieben Führer denken!“ Der liebe Führer hinterließ später ein durch Bomben zertrümmertes, moralisch geächtetes Deutschland. Da waren wir Wendehälse noch nicht flügge. Als wir es langsam wurden, hieß es: Nie wieder ein Gewehr anfas sen! Aufbruch! Bau 'auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend bau auf — mit den integren, edlen Antifaschi sten an der Spitze, die aus Na zizuchthäusern oder den KZ kamen oder gar vom Moskowiter Gralshü ter des Kommunismus persönlich zu uns gesandt wurden. Jetzt war nicht mehr die arische Großmutter wich tig, nein, der Arbeiterpapa mußte her oder Beziehungen, sonst Ober schule oder gar Studium?? Wir klei nen Wendehälse schafften es irgend wie. Wenn schon nicht über die ABF oder mit Sonderreifeprüfungen (Kaderschmiede für die rauchhärte sten Wendehälse), dann wenigstens über die muffige Oberschule mit Ur- alt- oder Neulehrern; die mittleren waren zwecks Löschung eines Kains mals (Entnazifizierung) weg vom Fenster. Bei den Uraltlehrern lern ten wir „de bello gallico"? bei den Neuen „Biografia Stalina“. Beides sitzt noch (Altgedächtnis!). Medizinstudium, der Traum, das höchste der Gefühle. Wir waren seinerzeit so etwa 750 Jungwendehälse im Studienjahr, mußten den Hals ganz schön dre hen, damit wir alles mitbekamen bei dem Gedränge in der Kolonie. Examen. Die Lenkung. Alles ganz toll demokratisch. Da zeigte sich schon, was ein "rechter Wendehals ist. Aber, aber: auf Arbeitergro schen studiert und nicht Mitglied der Arbeiterpartei? Ab in die Prä rie! Nur das Parteibuch ist die Ein trittskarte für die erstrebte alma mater, die segenspendende Mutter namens Karl Marx, die Universitas litterarum. Zertifikate, Urkunden, Lehrgänge, Wendejahre. Verzeihung. Lehrjahre - nicht Wilhelm Meisters, nein, die ' der Partei. Gründlich und regelmä ßig. Keine Entschuldigung. Teil nahmepflicht! Nichts geschenkt. Frühjahr 90 - Brutzeit für Wendehälse Nichtbiologische Brütereien eines solchen aus dem Bereich Medizin der KMU Wendehals, denk an Deine Vorbild wirkung! Inzwischen blühte und blühte die Deutsche Demokratische Republik, nach der Errichtung des antifaschi stischen Schutzwalls ganz beson ders, die BRD schüttelte es zwi schen zyklischer, und allgemeiner Krise hin und her. Der RGW: die dy namischste Wirtschaftsregion der Welt - 40 Jahre lang. Die EWG: Streit, Mißgunst, nationaler Egois mus — 40 Jahre lang. Manch in zwischen gestandener Wendehals stutzte aber nun bisweilen doch schon mal, vielleicht weil er gar den „Sputnik“ las; dagegen sind Fälle der Übelkeit und Würgereiz beim Lesen Hagerscher Elaborate öfter bekannt geworden, denn der Wen dehals kann an sich gut herein-, und herauswürgen, wenn er sich beim Schlucken übernommen hat. Ja, selbst Stürme im Wasserglas der Parteiversammlungen toben nun öf ter. Dann wurde das ausgewürgte Gewölle zu Hause im stillen Käm merlein zum miserere. Das war das Warnsymptom: Der Wendehals kränkelt. Aber unser Gesundheitswesen blühte bis zuletzt und war gesund. Es entwickelte sich regelrecht zu „einem der besten der Welt“. Auch „der Bereich Medizin konnte gut mithalten“. In allen drei universi tätsspezifischen Säulen. Beachtlich, wie unsere Chefwendehälse (mitun- ser aller Zuarbeit) ihre Einrichtun gen präsentierten. Noch ganz vor kurzem! Das UZ-Archiv steht allen offen. Der Kaiser ging, die Generäle blieben, so hieß es nach der No vemberrevolution von 1918. Wir vielen kleinen und großen Wendehälse bleiben auch. Die Ge nossen haben sich schon etwas ge dacht, wen sie wann und wo einsetz ten. „Eingesetzt“ auf jeden Fall. Spectabilis gab tapfer nach neun Amtsjahren zu: Er habe immer nur genickt bei den Berufungen, nichts vorgeschlagen oder zur Diskussion gestellt. Das Kaiserreich Wilhelms bestand reichlich 40 Jahre. Auch Walters und Erichs "blü hende Zeit: wieder 40 Jahre. Das ist verdammt lang. Da muß sich der Wendehals schon einrichten, er hat doch seinen Beitrag zu den großen Erfolgen geleistet. Die paar Dreck ecken in Leipzig und die kleinen Mängel im Bereich 1 Medizin — „es ist nichts so willkommen, daß man es nicht verbessern könnte“. Was aber Fakt ist und heute dem durchs Brüten erstarrten Wende hals so tief im Kropf sitzt, was er immer noch nicht wahrhaben will nach dem Motto „je perfekter die Fehleinschätzung, desto beharrli cher deren Verteidigung“, ist doch folgendes: — das gute Väterchen Stalin hatte schon vor dem Krieg Millionen Landsleute und Genossen durch Hunger und Terror liquidiert und im Krieg gleich weitergemacht, zu sammen mit dem guten Führer (Ka tyn, das Baltikum) — nachzulesen im Sputnik, — die direkte Auswechslung des Hit- lerismus zum Stalinismus war das Furchtbarste, was einem Volk ange tan werden konnte (Gerhard Zwerenz). Das bürokratisch-stalini stische System unserer integren deutschen Aktivisten der ersten Stunde war von Anfang an korrupt und unsauber (Wolfgang Leon hardt), — der neue Kaiser und der Gene ralstab verloren alsbald völlig den Kontakt zum Volk (Wandlitzeffekt), alle waren oder wurden echt miese Typen, — ganze Ketten von systematischen Fehlentscheidungen, die allesamt wissenschaftlich-eloquent bewiesen wurden, kamen als Ukas heraus und wurden entsprechend durchge setzt. Der Klassenfeind veränderte ja seine raffinierte Taktik in immer schnellerem Tempo. Da half nur Standhaftigkeit, Verzeihung, Wen- dehälsigkeit. Also keine blühende Gesund- heits-. Sozial-, Hochschulpolitik? Es sieht so aus. Unserem guten Prof. Dr. h. c. Kurt Hager ist gerade der Titel aberkannt worden. Unser ver ehrter Prof. Kurt «Seidel sitzt in U- Haft. Mir kämen die Tränen, wenn ich nicht ein Wendehals wäre. Gesundheitswesen: Dienstlei ¬ stungsgroßkombinat (Anruf genügt, Arzt zur Stelle), Prestigeverlust, V ertrauensverlust Motivations Ver lust, Beförderungsstau, Gleichma cherei, Chancenlosigkeit. Unter bü rokratisch-stalinistischer Admini stration der Wendehälse ein Aus hängeschild. Jetzt sind wir Wendehälse eigent lich nur noch ein kleiner Schwarm: die Schwestern, die MTA, die Ärzte wo sind sie geblieben? Sie, die „Ver räter“, die „Abgehauenen“ (manch gestandener Wendehals mit dickem Kainsmal darunter) halben auch un ser schönes Gesundheitswesen fer tiggemacht, haben „uns“ in die Knie gezwungen und uns (!) die Augen geöffnet — nicht die Märty rer und Dulder — oh, wie haben wir Wendehälse am meisten geduldet. Nicht barmherzig gespendete Ein malspritzen oder ein paar Sankas helfen uns im Gesundheitswesen, nein: neue Menschen, neue Moral, neue Ideen, neue Strukturen! Also die alte Tour aufs neue: keine Leute, keine Leute? Keine Leute ha ben wir, wenn wir edle seit eh und je praktizierende Demokraten unter uns suchen, die schon immer alles .richtig gemacht und alles gewußt haben, wie es so gekommen ist. Eine Kolonie Wendehälse ist hier geblieben und hat die Patienten fälschlicherweise nicht verlassen. Viel besser stünden sie da, hätten sie es nur getan. Der echte Wende hals ist offenbar reviertreu und trägt hier sein Kainsmal ab. So müs sen unsere armen Patienten und Stu denten erstmal weiter mit uns Wen- dehälsen vorliebnehmen. Daß un sere „eingesetzten“ Chefwendehälse wirklich die besten sind, könnte ja sein, so ein Zufall. In Gondar las ich eines Nachts, mal in einer amerikanischen Zeit schrift: „If you want to change the world — start with yourself" (a Ger man writer). Recht so! Fangen wir aber auch an unserer alma mater na mens Karl Marx an. Ein Trümmer haufen, diesmal ohne Bomben. Weg mit Müll, was Müll ist. War eben nichts mit dem Sozialismus des größ ten Sohnes usw. Daran haben nun schon seit 100 Jahren drei Genera tionen vergeblich gebastelt. Ich Wendehals kann .ihn nicht mehr ver bessern, habe alles versucht, mein Hals macht nicht mehr mit: er kann nur noch Stützorgan eines Wen demenschen, vielleicht sogar eines Menschen sein. Brutzeit für Wen dehälse? Tempi passati. Doz. Dr. sc. med. K.-W. HAAKE, (Mitglied des UZ-Beirates Wissenschaft) G ratulieren möchte ich der Redaktion der Studenten- bzw. Universitätszeitung zu dem Mut, Teile des Interviews „Ich bin rechtsradikal“ gegen alle Widerstände hinweg zu ver öffentlichen. Mut gehört wohl im mer noch dazu, sich dem Thema Faschismus/Neofaschismus in dieser Art (ohne pauschale Ver urteilung) zu nähern, da weiter hin verdrängt und verharmlost wird. Als Historikerin möchte ich in diesem Zusammenhang und mit meiner Zuschrift auf eine Gefahr jedweder „Ge schichtsbewältigung“, die auch heute wieder ansteht und mög licherweise schon vor 1945, keinesfalls jedoch erst 1989 an setzen darf, aufmerksam ma senen und vor allem Jugendli chen übrig? Was scheint heute notwendig? Aufklärung und Erziehung. Anti faschismus muß — nach all den Phrasen — neu als ein der Epo che nach Krieg und Faschismus adäquater humanistischer Wert (der Toleranz, Völkerverständi gung, Gewaltlosigkeit u. v, m. beinhaltet), getragen von Men schen verschiedenster weltan schaulicher Richtungen, begrif fen werden. Dafür ist aber auch Wissen über die Bestandteile und Funktionsmechanismen des Faschismus/Neofaschismus not wendig. Das Interview zeigt solche auf, die Aussagen sprechen für sich selbst, führen diese in ihrer Wi / Bitterer Lernstoff (Zu UZ/05 1990) chen. Symptomatisch scheint mir der von U. (einer der Interview partner — d. Red.) angedeutete politische Werdegang seines Großvaters: vom Rittergutsbesit zer und Angehöriger der Waf fen-SS zum Mitglied der SED. Die „Auseinandersetzung“ mitfa- schistischen Ideen Vollzog sich nach 1945 wohl im wesentlichen über Verbote aller nazistisch orientierten Schriften, erlassen von den Verwaltungsorganen der einzelnen Länder. Oberflächlich würde bereinigt: „Brandenbur ger! Schaut aufmerksam in Eure Bücherschränke und Spielzeug kisten !... Schmeißt alle Über reste des Nazismus heraus! Die Ausmerzung der faschistischen Ideologie ist eine nationale Auf gabe, die jeden Deutschen an geht, denn nur durch gründliche Säuberung von allen Überresten aus der Zeit des Faschismus kann das deutsche Volk den Weg zu einem gleichberechtigten Platz in der Familie der Völker beschreiten.“ — So hieß es in einem der vielen Aufrufe von 1945. Ein von Angst ums Überleben motivierter Anpassungs- und Verdrängungsprozeß wurde in Gang gesetzt. Was aber blieb in den Köpfen der durch die faschi stische Ideologie zu Völkerhaß und Krieg getriebenen Erwach dersprüchlichkeit, Irrationalität und Gefährlichkeit ad absurdum.. Zum anderen — so bitter es klin gen mag, — werden wir lernen müssen, mit neofaschistischem Gedankengut zu leben, mit Dum men, Unbelehrbaren, Aggres siven. Was .selbstverständlich,, nicht heißen soll, dies unwider sprochen zu aktzeptieren und walten zu lassen. Verbote, allein können hier aber wiederum nicht vom „Ge genteil überzeugen, schlimm stenfalls lassen sie faschistoide Vorstellungen unter der Oberflä che wuchern. Was notwendig ist, sind gesellschaftliche Strukturen sowie Wert- und Normkatego rien, in denen neofaschistische, ausländerfeindliche, aggressive Haltungen bestenfalls keinen Nährboden finden, mindestens aber keine Möglichkeiten, sich massenhaft auszubreiten. Das je doch wird einen permanenten ge samtgesellschaftlich (nicht allein staatlich) getragenen Erziehungs prozeß erfordern, der sich u. a. auch frei macht von einem idea lisierten Menschenbild, das da von ausging, daß sich mit der ; Veränderung (Verbesserung) der materiellen Lebensumstände quasi gesetzmäßig auch das Den ken und Handeln der Menschen (zum Guten) wandelt. Dr. CHRISTIANE GRIESE Chance für gewerkschaftliche Mitbestimmung noch nutzen Ergänzung zum Betriebsdokument B 330 vorgeschlagen Unser Land steht in einem Prozeß grundlegender Veränderungen, de ren Tragweite wir noch gar nicht voll erfassen. In diesen Prozeß ist auch unsere Universität hineinge stellt, und so werden sich in ihr ebenfalls große Veränderungen voll ziehen. Als Vertrauensmann meiner Ge werkschaftsgruppe spüre ich täglich die Hoffnungen und die Beunruhi gungen de Hochschullehrer und wissenschaftlichen Mitarbeiter mei nes Bereiches. Die Hoffnungen betreffen grö ßere Möglichkeiten selbstbestimm ten wissenschaftlichen Arbeitens, die Erwartung, daß hohe Leistun gen in Lehre und Forschung gesell schaftliche Anerkennung erfahren und nicht durch Reglementierungen und inkompetente Entscheidungen entwertet werden. Die Befürchtungen kreisen - wie auch bei anderen Bürgern der DDR - um die Sicherheit des Arbeitsplat zes, um die soziale Verträglichkeit in Zukunft zu erwartender Entschei dungen übergeordneter Organe. Die Mitteilung, daß . in allen Berei chen der Universität diejenigen Planstellen gestrichen wurden, die zu diesem Zeitpunkt nicht besetzt waren, wird als Vorbote künftiger Stellenplankürzungen verstanden. Im Betriebsdokument B 330 ist un ter 5. festgelegt: „Bei Verlagerung von Schwerpunktaufgaben, bei Ver änderung der Struktur oder des Pro fils, bei Überschreitung der Kennzif fern sowie bei Verletzungen arbeits rechtlicher oder normativer Bestim mungen ist der Rektor berechtigt, Stellenplanänderungen anzuweisen sowie Planstellen zu sperren." Das Fehlen finanzieller Mittel ist ein Grund für die Streichung von Planstellen, ermöglicht aber keine begründete Entscheidung darüber, welche konkreten Stellen gestrichen werden können oder sollen. Dafür gibt es noch keine Kriterien. übrigens hilft da auch ein Blick in die BRD nicht weiter. In einer wis senschaftlichen Untersuchung zur Effizienz von Universitäten (etwa 30 Professoren westdeutscher Universi täten, die vorwiegend in hohen Äm tern ihrer Hochschule tätig waren, wurden einbezogen) lesen wir: „Wo bei reduzierten Mitteln Stellenstrei chungen vorkommen, fallen die Kri terien dafür sehr unterschiedlich aus; manchmal gibt es von den Lan desministerien beschlossene Pläne (so z. B. einen Personalentwick lungsplan, Universitätsentwicklungs plan oder einen Struktur- und Ent wicklungsplan); manchmal werden die Stellenstreichungen den Fakul täten überlassen; manchmal scheint es überhaupt keine Krite rien zu geben,' denn es wurde pau schal oder willkürlich gekürzt; frei werdende Stellen werden nicht mehr besetzt." (Konkurrenz der Kopfarbeiter: Universitäten können besser sein; ein internationaler Ver gleich / Walter Rüegg, (Hrsg.) Zürich: Edition Interfrom; Os nabrück: Fromm, (in Komm.) 1985, S. 141) Wir befürchten, daß bei uns der gleiche Zustand eintreten wird. Wenn wir uns nicht selbst dafür Kri terien erarbeiten, kann uns in Zu kunft eine solche Verfahrensweise hart treffen. Als Mitglieder der Gewerkschaft Wissenschaft erwarten wir deshalb von unserer Universitätsgewerk- | Schaftsleitung, unverzüglich mit dem Rektor der Karl-Marx-Universi tät in Verhandlungen einzutreten, um das Betriebsdokument zu er gänzen, das dem Rektor das Recht vorbehält, je nach Notwendigkeit Planstellen zu streichen. Die Ergänzung müßte einen Kri- terienkatalog enthalten und Grund sätze formulieren, nach welchen Planstellenstreichungen sich richten müssen. Diese Vereinbarungen soll ten allen Mitarbeitern der Universi tät zur Kenntnis gebracht werden. Sie könnten in Zukunft eine rechtli che Grundlage sein, um gegen un gerechtfertigte Streichungen von Planstellen Einspruch zu erheben. Dr. FRIDEL LATSCHEV, (Vertrauensmann der Gewerk schaftsgruppe Hoch- und Fachschulpädagogik) VAlorauf zielt die einer W Helsinki-Gruppe ■ in Leipzig ab? Eines der wesentlichsten Ziele der von Leipzig ausgegangenen re volutionären Umwälzungen in unse rem Land War die Gewährleistung demokratischer Grundrechte und -freiheiten, die Entwicklung eines Rechtsstaates. Viele dieser Forde rungen sind in der Schlußakte von Helsinki und den nachfolgenden KSZE-Vereinbarungen bereits in ternational vereinbart. Wir wollen darauf hinwirken, daß die voran schreitenden Veränderungen in der DDR in Übereinstimmung mit die sen Vereinbarungen erfolgen. Woher nehmen Sie das Mandat für die Bildung einer solchen Gruppe? Erstens aus dem Wiener KSZE- Dokument. Dort wurde „das Recht von Personen, die Durchführung der KSZE-Bestimmungen zu be obachten und sich mit anderen zu diesem Zwecke zusammenzuschlie ßen“ verankert. Dies ist praktisch unsere „Rechtsgrundlage“. Zwei tens berufen wir uns auf unsere Sachkompetenz. Die drei Wissen schaftler, von denen die Initiative zur Gründung der Helsinki-Gruppe ausgeht, haben den KSZE-Prozeß seit Jahren intensiv beobachtet und kritisch begleitet, sie haben sich durch national wie international an erkannte Forsehungsleistungen auf dem Gebiet der Menschenrechte, der Kultur und der Information weltweit einen Ruf als Experten auf diesem Gebiet erarbeitet. Dies wol len wir nun stärker in die nationale Aus für bescheidene Echos Interview mit dem Koordinator der Helsinki-Gruppe in Leipzig, Doz. Dr. Hans-Joachim Heinze Diskussion in der DDR einbringen. Alle drei Wissenschaftler — Dr. Raaz, Prof. Kleinwächter und Sie selbst — sind vom Institut für inter nationale Studien der Karl-Marx- Universität. Ist dies zufällig? Nein, überhaupt nicht. An diesem Institut wird seit Jahren zu diesen Themen ernsthaft geforscht. Bereits in den späten 70er Jahren wurde von uns die These entwickelt, daß zur Vertrauensbildung in den inter nationalen Beziehungen nicht nur militärische Maßnahmen gehören, sondern auch und gerade Maßnah men auf humanitärem Gebiet. Seit den frühen 80er Jahren beschäftigt sich eine Forschungsgruppe speziell mit der humanitären Dimension in ternationaler Sicherheit. Viele der dort erforschten Ergebnisse fanden in der Vergangenheit zwar Eingang in die wissenschaftliche Diskussion, leider aber häufig nicht in die poli tische Praxis in unserem Land. Die Publikationen über die beiden Semi nare zu vertrauensbildenden Maß nahmen im nichtmilitärischen Be reich, die wir mit der Universität Tampere 1986 und 1988 durchführ ten, wurden so z. B. von unserem finnischen Partner auf der Wiener KSZE-Konferenz verteilt und hat ten dort auch einen Effekt. Das Echo in der DDR hingegen war be scheiden. Wie will die Helsinki-Gruppe ar beiten? Unsere Arbeit zielt in drei Rich tungen. Erstens auf die Beobach tung des Fortganges des KSZE- Prozesses und die Erfüllung der be reits eingegangenen Verpflichtun gen. Einmal im Jahr wollen wir für die Sachgebiete, wo wir uns kompetent fühlen — Menschenrechte, Kultur und Kom munikation — in einer öffentli chen Veranstaltung eine kritische Bilanz des Erreichten vorlegen und Vorschläge für weiterführende Ak tionen unterbreiten. Zweitens wollen wir als ein Dis- kussionsforum in Erscheinung tre ten. In einer losen, aber regelmäßi gen Folge wollen wir öffentliche Se minare zu dieser Thematik durch führen, die wir unter die Sammel überschrift „Die humanitäre Di mension internationaler Sicherheit“ stellen. Drittens schließlich wollen wir auch beratend und informierend tä tig werden. Nach unseren Erfahrun gen sind zwar die KSZE-Empfeh- lungen im allgemeinen bekannt, der Informationsstand über die Details, um die es ja häufig geht, ist jedoch oftmals niedrig. Hier sehen wir auch eine Funktion unserer Gruppe.
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