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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1990
- Erscheinungsdatum
- 1990
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-199000007
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19900000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19900000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
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- SLUB Dresden
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-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 1990
-
- Ausgabe Nr. 1, 12.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 2, 19.01.1999 1
- Ausgabe Nr. 3, 26.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 4, 05.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 5, 12.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 6, 19.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 7, 26.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 8, 05.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 9, 12.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 10, 19.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 11, 26.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 12, 02.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 13, 09.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 14, 23.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 15, 30.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 16, 07.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 17, 14.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 18, 21.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 19, 28.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 20, 05.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 21, 11.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 22, 18.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 23, 25.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 24, 02.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 25, 09.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 26, 16.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 27, 23.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 28, 17.09.1990 1
- Ausgabe Nr. 29, 25.09.1990 1
- Ausgabe Nr. 30, 01.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 31, 08.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 32, 15.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 33, 22.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 34, 29.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 35, 05.11.1990 1
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- Ausgabe Nr. 37, 19.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 38, 26.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 39, 03.12.1990 1
- Ausgabe Nr. 40, 10.12.1990 1
- Ausgabe Nr. 41, 17.12.1990 1
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I ch habe die Einladung zu dieser Diskussion angenommen in der Hoffnung, daß die zugespitzte pu blizistische Polemik durch sachliche Auseinandersetzung und persönliche Meinungskonfrontation ersetzt wer den kann; das zu ermöglichen, was Christian Meier die „Gleichheit im Gespräch“ genannt hat. Vielleicht könnte daraus ein ständiges Forum Pro historia nova erwachsen, um der Debatte eine breitere Basis und ge eignete Öffentlichkeit zu geben. Ei ne Bemerkung zur eigenen Person: Daß ich ein Vertreter der marxisti schen Geschichtswissenschaft bin, kann als bekannt vorausgesetzt wer den. Bei dieser Option haben mich zwei Schlüsselerlebnisse beeinflußt: Als Umsiedler gehörte ich zu den In sassen des Lagers Lambsdorf, das wegen der dort begangenen Verbre chen in jeder Dokumentation zur Völkerwanderung nach 1945 einen zentralen Platz einnimmt. Ich arbei tete in einem jener Kommandos, de ren Aufgabe es war, die Verhunger ten, an Seuchen Gestorbenen und Er schlagenen notdürftig zu verschar ren. Es war die Rache für Auschwitz. Seitdem kreisten meine Gedanken um die Frage, wie dieser Teufelskreis Von Krieg — Gewalt — Gegengewalt und womöglicher neuer Krieg zu durchbrechen sei. In der daraus er wachsenden Entscheidung für den Sozialismus bestärkten mich meine akademischen Lehrer Markov, En gelberg, Mayer, Bloch, Frings, W. Krauss, der Sinologe Erkes. Jeder gesellschaftliche Zusam menbruch trifft die Geistes- und So zialwissenschaften, insofern sie Herrschaftswissen und Legitimati onsfunktion repräsentierten, auf be sondere Weise. Diese historische Er fahrung durchlebt'die Geschichts wissenschaft der DDR in dramati scher Form. An selbsternannten Richtern fehlt es nicht. Dem Histori ker, der sich der Macht verschreibt, wird — im Unterschied zum Medizi ner, dem eine Operation mißlingt — nicht das Recht auf Kunstfehler zu gestanden. Auch die Naturwissen schaftler und Techniker, die für einen Phantomchip 15 Mrd. verbrauchten und damit die ehemalige DDR-Wirt schaft an den Rand des Ruins trieben, brauchen keine Rechenschaft zu le gen. Nicht allein die aufbrechenden Emotionen blockieren die sachliche Auseinandersetzung. Die Situation ist durch Schock und Traumatisie rung gekennzeichnet: vom Verlust des Wert- und Weltbildes bis zur nackten materiellen Angst. Die ei gentliche Crux der Debatte um die ehemalige DDR-Geschichtsschrei bung besteht aus meiner Sicht im ho hen Grad aus der Abstraktion, der dif ferenzierte Einschätzungen nicht zuläßt. In nicht geringem Grade wer den vor allem Berliner Erfahrungen und Konfliktsituationen verallge meinert. Das Bemühen um Verände rung und Erneuerung an den einzel nen Universitäten hat aber einen recht unterschiedlichen Stand er reicht. Auffällig ist das Unvermögen, dieses Bemühen gegenüber der Öf- Pro historia nova fentlichkeit transparent zu machen. Im Falle Leipzigs gilt das z. B. für die intensiven Aktivitäten des akade mischen Mittelbaus gegen die mini steriell protegierten Tendenzen zur Restauration der traditionellen Ordi- narienuniversität.Nicht nur „alte“, auch „neue“ Kräfte bremsen. Ande rerseits wurden und werden Mög lichkeiten der Erneuerung ver schenkt. Ich denke an die gescheiter ten Versuche, die Historikergesell schaft der ehemaligen DDR auf neue Grundlagen zu stellen oder die .späte Initiative für eine Neuprofilierung der ZfG. Auf völlig neue Weise muß der Umgang mit „Ideologie“ geübt werden, die ich in diesem Falle nicht als „falsches“, sondern wertgebunde nes Bewußtsein verstehen möchte. Die ideologische Hypertrophierung breiter Bereiche der Geschichte im Zeichen des dogmatisierten Staats marxismus birgt die künftige Gefahr einer Theorieverdrossenheit und des Rückzugs auf einen positivistischen Empirismus in sich. Wie dem zu be gegnen ist, können wir am besten von französischen und nordamerikani schen Historikern lernen. Einer Ver sachlichung bedarf die Debatte um das Verhältnis von Forschung und Lehre an den Universitäten. Von ei nem „Austrocknen“ der Universitä ten zu Lasten der Akademie zu spre chen, schematisiert die reale Situati on. Eine Analyse der Pro-Kopf-Pro- duktion an Publikationen zeigt, daß die Universitäten produktiver gewe sen sind, als Akademieinstitute. Auch der Qualifizierungszwang an den Universitäten wirkte viel inten siver. Schließlich bleibt festzustellen, daß die administrative Forschungs lenkung an den Universitäten we sentlich weniger einschränkend wirkte als im Akademiebereich. Zu den Gebieten, in denen die Univer sitäten der Akademie überlegen oder zumindest gleichwertig blieben, gehörte z. B. die Müntzer- und Lu- therforschung, die Landes- und Agrargeschichte, die Geschichte des Frühsozialismus, die Universal- und Revolutionsgeschichte, die Welt kriegsgeschichte, die Regionalwis senschaften (Afrika, Nahost, Asien, Lateinamerika). Nicht zuletzt wegen des Widerstands an den Universitä ten konnte sich das sowjetische Sy stem der Trennung von Forschung und Lehre nicht durchsetzen, ganz abgesehen davon, daß es — wie im Falle Leipzigs - eine gute Zusam menarbeit von Universitäts- und Akademieinstituten gab, die dank persönlicher Initiativen administrati ve Schranken überwand. Thema: „Herrschaftswissen ¬ schaft“. Der Vorwurf ist berechtigt und verlangt trotzdem eine kritische Differenzierung. Im jüngsten „Welt“-Interview von Wolfgang J. Mommsen findet sich dazu die nicht unbedeutende Einschränkung: „in bestimmten Grenzen“. Tatsächlich bestand das Dilemma gerade der deutschen Geschichte bzw. der Ge schichte der Arbeiterbewegung dar in, die von der politischen Führung getroffenen Entscheidungen a priori oder ex post zu rechtfertigen. Poli tikfähigkeit in dem Sinne, daß die Geschichtswissenschaft auf strategi sche Beschlüsse Einfluß genommen hätte, besaß sie nie. Thema: „Legitimationsfunktion“. Hier handelt es sich um kein DDR- spezifisches Problem. Über Legiti mationsverständnis, -funktion und - krisen der Geisteswissenschaften als Grundfrage ihrer gesellschaftlichen Gebundenheit ist ausführlich in der Konstanzer Denkschrift vom Mai 1990 nachzulesen. Die Frage ist nicht, daß legitimiert wurde — unter „Legitimationszwang“ steht letztlich jeder Historiker —, sondern was und wie legitimiert worden ist. Mit dem Primat der dogmatisierten Politik ging der Anspruch auf Wissenschaft lichkeit verloren. Von der Politik an gefragte Wertsysteme, die nicht kri tikfähig sind, erfüllen die Funktionen von bedingungsloser, letztlich teleo logischer Systemrechtfertigung, ver lieren die Fähigkeit zu alternativ-plu ralistischer Vielfalt, die Geschichte als offenen Prozeß begreift. Die vor gesehene „Durchmischung von Hi storikern der Noch-DDR und Histo rikern der Noch-Bundesrepublik“ begrüße ich. Nicht nur wegen der nötigen methodologischen und in haltlichen Erneuerung der DDR-Ge schichtswissenschaft. Es geht auch um das Verständnis, wie sich Prozes se des Umdenkens vollziehen. Con versio und mutatio im Geschwind schritt dürften kaum überzeugen. Weniger spektakulär verlaufende Neubesinnung — eine über 40 Jahre gewachsene Identität läßt sich nicht wie eine Schlangenhaut abstreifen, obwohl es an Beispielen dafür nicht mangelt, — gebiert den rasch formu lierten Vorwurf, ein „Stalinist“ zu sein. Ein bestimmter Denkansatz für die Erneuerung der Geschichtswis senschaft zielt auf die „biologische“ Lösung. Die heute meist sechzi gjährigen Inhaber der Lehrstühle gel ten per se und pauschal als Vertreter des „alten Diskurses“ („jene, die Macht ausgeübt haben“), der „neue Diskurs“ könne nur mit der jüngeren, ein- und anpassungsfähigeren Gene ration geführt werden. Angesichts der Tatsache, daß nicht wenige jün gere Historiker mit originellen For schungsergebnissen auftreten (und das nicht erst seit Herbst 1989), soll te die Frage erlaubt sein, welche „al ten“ Persönlichkeiten, aus deren Schule sie kommen, dafür anregend gewirkt haben. Da die Aufgabe, eine Wissenschaft zu erneuern, kein Ver ordnungsakt (wie momentan ange strebt), sondern einen Prozeß dar stellt, steht jetzt schon außer Frage, daß die junge Historikergeneration dabei die Schlüsselstellung einneh men wird. Dieser Generationswech sel hat in der DDR zwar politische Priorität. Gleichzeitig steht aber auch international ein Generationsum bruch an. Für die jüngeren Historiker Ostdeutschlands stellt sich die Frage, wie sie der einen Bevormundung ent kommen können, ohne der anderen Majorisierung zu erliegen. Jeder Hi storiker, der zur Selbstprüfung bereit ist muß zugeben, damit erst am An fang zu stehen. Ich zitiere aus einem Text, den ich verfaßt habe, um mir über meine eigene Entwicklung klar zu werden. Darin heißt es: „Zu mei nen Lehrern gehörten Persönlichkei ten, die aus Zuchthäusern und Kon zentrationslagern des NS-Regimes oder der Emigration an das Pult tra ten... Trotz unguter Erfahrungen mit der Macht und vieler interner Debat ten über die sich aufstauenden Pro bleme erfolgte dennoch kein offenes oppositionelles Handeln. Welche Mechanismen wirkten hier? Selbst disziplinierung? Hoffnung auf die „biologische“ Lösung? Trägheit des Etablierten? Illusion einer Erneue rung von innen heraus? Zufrieden heit mit der geschaffenen Nische, die in nicht wenigen Fällen—dazu gehör te die Universalgeschichte — einen beträchtlichen Grad an Freizügigkeit ermöglichte? Wissenschaft als Ersatz für eine von der Realität zunehmend widerlegte Vision (oder der von Er ich Loest schon 1953 attackierte „El fenbeinturm mit der roten Fahne“)? Das Wissen um die Gebrechen einer marktwirtschaftlichen Alternative mit ihrer europäischen Zweidrittel bis zur außereuropäischen Einfünf telgesellschaft, die ich in meiner La teinamerikazeit kennenlernte?" So weit der Auszug aus meinem eigenen Fragenkatalog. Bleibt die Frage, was kann die DDR-Historiographie „einbringen“? Die Antwort hängt davon ab, inwie weit im Unterschied zur Politik, nicht der „Königsweg“ nach Artikel 23 GG, sondern Artikel 146 GG die Ge staltung der allgemeinen Wissen schaftslandschaft bestimmen wird. Das Einzubringende könnte umfas sen: - ein in bestimmten Bereichen so lides Leistungsangebot, das sich durchaus einer fairen nationalen und internationalen Evaluierung stellen kann; — eine beträchtliche Zahl von hochmotivierten, z. T. bereits über internationale Erfahrung verfügen den Nachwuchskräften; - das Wissen um eine vor allem so zial dimensionierte DDR-Identität,, die nicht mit dem 3. Oktober ver schwinden wird, sondern in einem komplizierten Prozeß der Erkenntnis historisch aufgearbeitet werden muß; — die Herausforderung, daß künfti ge deutsche Geschichtswissenschaft mehr ist als die Übertragung bundes deutscher Modelle auf den Osten Deutschlands, sondern daß das über längere Zeit dauernde innere Zusam menwachsen des bisher geteilten Deutschlands eine qualitativ neudi mensionierte Geschichtswissen schaft hervorbringen wird; — die Erfahrung mit der Macht in ihrer repressiven wie deformierend verführerischen Funktion; — die Notwendigkeit, aus jener ge genseitigen Selbstblockade zwi schen den vermeintlichen „Siegern“ und den vermeintlichen „Verlierern“ der Geschichte herauszufinden; — die 1. Warntafel: das fast bism- arckianisch zu nennende Bild von Nationalgeschichte des alten Sy stems kann unter der Einigungseu phorie in einen Prozeß der Renatio- nalisierung umschlagen, der das Be kenntnis zum postnationalen Verfas sungsbürger in Frage stellt; e — die 2. Warntafel: den Europaen thusiasmus nicht in einen neuen Eu ropazentrismus als geistige Mauer gegen den „Rest“ der Welt auswach sen zu lassen, sondern Geschichte in den Dienst der Idee der EINEN WELT zu stellen; — die 3. Warntafel: sich entschieden dem Prozeßder Enthumanisierung (= Funktionalisierung) der Geisteswis senschaften, der im Sozialismus ex trem ausgeprägt war, aber nicht nur ihm, sondern jeder modernen Gesell schaft tendenziell eigen ist, entge genzustellen; — die enge Berührung der ehemali gen DDR-Geschichtswissenschaft mit den Historikern Ost- und Südost europas, die „Veröstlichung" der DDR, umschließt für die gesamt deutsche Zukunft ein wertvolles Ka pitel für eine Brückenfunktion; — den Anspruch auf die Pervertie rung der sozialistischen Gesellschaft nicht mit einer Ghettoisierung des materialistischen Historismus zu rea gieren, sondern dieser Methode einen Platz im pluralistischen Geschichts- verständnis zu geben, der sich durch Leistung und wissenschaftliche Ak zeptanz rechtfertigen muß, d. h. nicht nur (wie auch schon empfoh len) den Sparringspartner für die De monstration einer pluralistischen Wissenschaftslandschaft abgibt. Prof. Dr. M. KOSSOK (Positionspapier für die Diskussion auf dem Deutschen Historikertag, Bochum, 27. 9. 1990) Demokratisierungsprozeß an der Sektion Geschichte Versuch einer Zwischenbilanz Die Gerüchteküche scheint noch das ein zige zu sein, was an unserer altehrwür digen Alma mater Lipsiensis zur Zeit wirklich zuverlässig funktioniert. Und so geht denn seit geraumer Zeit die Kunde von den besonderen Schwierigkeiten der Sektion Geschichte mit der Umorientie rung auf eine neue Zeitrechnung, seit Monaten fleißig verbreitet durch die „FAZ" und erst kürzlich von Spektabilis Prof. Wartenberg in öffentlicher Diskus sionsrunde einer Veranstaltung des aka demischen Mittelbaus freundlich ange merkt. (Übrigens als wohl nicht ganz be friedigende - Antwort auf die wohl be rechtigte Frage nach eigenen inhaltli chen Gestaltungskonzepten der Univer sitätsleitung für die Zukunft der Leipzi ger Hohen Schule). Nun ist wohl unbestritten: Historiker le ben von der Beschäftigung mit der Ver gangenheit, haben ein besonderes Ver hältnis zu ihr. Aber heißt das auch, sie kleben unkritisch an überkommenen Verhältnissen,haben - schon von be- rufswegen - besondere Probleme mit den anstehenden notwendigen Umori entierungen? Nachfragen sind gestattet, aber ja! All zugroße Empfindlichkeiten sollten wir uns nicht leisten. Auch nicht gegenü ber solchen, etwas locker formulierten und wohl kaum einer Prüfung stand haltenden, weil zu umdifferenzierten Pauschalurteilen. Vielmehr sollten auch sie Anlaß sein zu immer wieder notwendiger ernster Selbstbefragung über den erreichten Stand wirklich de mokratischer Neuorientierung an un seren Struktureinheiten an der Basis der Universität. Was also hat sich be wegt bei den Historikern in den ver gangenen Monaten? Oder schärfer nachgefragt: Hat sich überhaupt schon etwas bewegt? Zugestanden: Der Schock über Spon tanität, Rasanz und schließlich Rich tung der Entwicklung seit Herbst 1989 sitzt tief und die Sprach- und Hand lungslähmung, die er bei den Wissen schaftlern der Sektion Geschichte zunächst auslöste, dauerte zu lange. Trotz Gorbi-freundlichem Allgemein klima und Möglichkeit zu offener und kritischer Diskussion über die Schwachstellen des real-existierenden Sozialismus unter der Käseglocke der Sektion, immer ängstlich nach außen abgeschirmt, sahen sich die Historiker überrollt von der so nicht erwarteten Flut der historischen Ereignisse. Auch an der Sektion Geschichte kam - wie an der Universität überhaupt - der stärkste Druck in Richtung ernster und vor allem selbstkritischer Prüfung des Vergangenen und möglichst ra scher, wirklich struktureller und in haltlicher Neugestaltung aus den Rei hen der Studenten. Selbstbewußt und hartnäckig hatten sie schon lange vor dem Herbst 1989 ihr Mitspracherecht in allen die Sektion betreffenden An gelegenheiten eingefordert. Und sie trafen nicht auf taube Ohren. Der Dia log zwischen Studenten und Wissen schaftlern an der Sektion Geschichte ist also keine Sturzgeburt der Herbste reignisse. Er war schon zuvor in Gang gekommen und wurde von beiden Sei ten mehr und mehr als unverzichtbar für die Gestaltung eines anspruchsvol len wissenschaftlichen Lebens an un serer Einrichtung begriffen und ge nutzt. Diesem Vorlauf beim Abbau von Berührungsängsten war es wohl auch zu danken, daß die seit Herbst 1989 mit Nachdruck erhobene Forderung der Studenten nach Überwindung der fata len und destruktiven Sprachlosigkeit der Masse der Wissenschaftler und nach Beginn einer grundsätzlichen De batte über Vergangenheit und Zukunft der Sektion Geschichte nicht zum Eklat und zu Abgrenzungen der ein zelnen Gruppen, sondern zur Fortset zung des Dialogs führte. Erstes greifbares Ergebnis dieses ge meinsamen Nachdenkens war die noch im Herbst 1989, unmittelbar nach Stu dienbeginn erfolgte Diskussion zur Neubestimmung von Lehr- und Prü fungsinhalten, allerdings zunächst nur mit Blick auf die anstehenden Herbst semesterabschlußprüfungen. Aber: Über diese unbedingt im Inter esse unserer Studenten rasch praktisch zu lösenden Fragen geriet der bitter ■notwendige Prozeß tieferen Nachden kens und offener, selbstkritischer Dis kussion über die Vorwendehaltung der Historiker unserer Sektion zur Politik von SED und Staat, über den Grad ih rer Angepaßtheit an die alten Struktu ren und die Auswirkungen auf die Wis senschaftlichkeit von Lehre und For schung sowie auf die moralische Inte grität des einzelnen Wissenschaftlers in den Hintergrund. Wieder waren es vor allem Studenten, aber auch ein Teil der jüngeren Wissenschaftler, die hier auf ernste Aufarbeitung der Vergan genheit und Diskussion zu Struktur und inhaltlicher Ausrichtung von Leh re und Forschung drängten. Man war sich einig, daß dazu zunächst ein de mokratisch legitimiertes Gremium zu schaffen war, das Öffentlichkeit dieses Nachdenkens und die Einbeziehung al ler Gruppen der Sektion in diese De batte ermöglichte. Zweiter konkreter Schritt und wichti ge Vorbedingung für einen ernsthaften Neubeginn war daher die im April durchgeführte demokratische Wahl ei nes neuen Sektionsrates, der erstmals in der Geschichte der Sektion das pa ritätische Mitbestimmungsrecht von Studenten und akademischem Mittel bau in diesem bislang von Hochschul lehrern dominierten Gremium sicher stellte. Vor diesem neugewählten und überwiegend neu besetzten Rat stellten der Sektionsdirektor und sein Stellver treter für Bildung am 17. 4. 1990 die Vertrauensfrage und wurden mit Stim menmehrheit in ihrem Amt bestätigt. In gleicher Sitzung wurden auch die Sprecherderdrei Gruppen gewählt, die seither in enger Kooperation mit dem Sektionsdirektor den Versuch unter nehmen, den Prozeß der Vorbereitung, Diskussion und Entscheidungsfindung für die weitere Entwicklung der Sekti on von Beginn an auf eine breite Basis zu stellen, alle Gruppen einzubezie hen. Bereitete die Handhabung des neu ge schaffenen demokratischen Instru mentariums auch keine außergewöhn lichen Schwierigkeiten, so gab es an fangs doch einige Irritationen. So et wa, als durch Votum vor allem des Mit telbaus ein von der Mehrheit der Hoch schullehrer befürworteter Pesonalvor schlag abgelehnt wurde. Das war eine völlig neue Erfahrung für alle Betei ligten. Der Umgang mit solchen Er gebnissen demokratischer Mehrheit sentscheidungen wollte erst gelernt sein, notwendige Toleranz, auch bei Nichtakzeptanz der Entscheidung des anderen, mußte erst „geübt“ werden. Als wesentlich komlizierter erwies sich der Prozeß der notwendigen gründlichen Bilanzierung der vergan genen Entwicklung der Sektion, der Diskussion um Neustrukturierung und der Erarbeitung neuer inhaltlicher Konzepte für Lehre und Forschung in den einzelnen Wissenschaftsberei chen. Und das sollte nicht verwundern, war doch nicht eine rasche, clevere und elegante Wende - wie so vielfach in der politischen Praxis der vergangenen Monate zu beobachten -, sondern viel mehr eine wirklich kritische, ja auch schmerzhafte Selbsterkenntnis jedes einzelnen Wissenschaftlers gefordert. Das braucht Zeit. Da sind psychologi sche Barrieren zu überwinden, das klappt kaum im ersten Anlauf. Da ist vor allem falsch verstandener ideolo gischer Ballast erst einmal als solcher zu erkennen, da ist das eigene politi sche und wissenschaftliche Handeln an dieser schmerzlich gewonnenen neuen Erkenntnis zu prüfen. Erst auf dieser Grundlage sind wirklich ernsthafte und durchdachte Neuansätze für künftiges niveauvolles wissenschaftliches und hochschulpädagogisches Wirken der Historiker der Leipziger Universität möglich. Dieser Prozeß hat begonnen. Auftakt war eine sektionsoffene Diskussion über Vergangenheit und Zukunft unse rer Einrichtung am Abschluß des Stu dienjahres im Juli, die auch die Öf fentlichkeit über den Sektionsrahmen hinaus nicht scheute. Am Ende dieses ersten öffentlichen gemeinsamen Nachdenkens war klar: Es war ein Be ginn. Die Diskussion muß weiterge hen, muß alle einbeziehen und muß ra scher zu greifbaren Ergebnissen in Form von realistischen Konzepten zur Gestaltung der Zukunft der Ge schichtswissenschaft an der Leipziger Universität führen. Weitergeführt wurde die Auseinander- Setzung im Rahmen der einzelnen Wis senschaftsbereiche im Zusammen hang mit den Diskussionen um die Ver trauensfrage. Es ist nur natürlich, daß der erreichte Erkenntnisstand sowohl hinsichtlich Vergangenheitsbewältigung als auch konkreter Zukunftskonzepte in den Bereichen sehr unterschiedlich ist. Ei ne am 10. September auf Initiative des Studentenrates der Sektion veranstal tete Diskussionsrunde mit dem ehe maligen Wissenschaftsbereich DDR- Geschichte machte deutlich, wie kom pliziert sich gerade für die Zeitge schichte die Überwindung alter Denk- muster und die Erarbeitung neuer theo retischer Konzepte gestaltet, wenn man ernsthaft und ehrlich selbstkri tisch an die Neugestaltung von Lehre und Forschung geht. Daß es richtig und für alle Beteiligten notwendig und fruchtbar ist, diesen Auseinanderset zungsprozeß in den Bereichen für die gesamte Sektion transparent zu ma chen, darin hat diese Veranstaltung wohl alle bestärkt. In der konsequen ten Beförderung dieser Diskussion in den Wissenschaftsbereichen und in der gesamten Sektionsöffentlichkeit sehen Rat der Sektion und Sektionsleitung ih re weitere Aufgabe. Dr. sc. MONIKA GIBAS (Sprecher akad. Mittelbau im Rat der Sektion Geschichte)
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