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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1990
- Erscheinungsdatum
- 1990
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-199000007
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19900000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19900000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 1990
-
- Ausgabe Nr. 1, 12.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 2, 19.01.1999 1
- Ausgabe Nr. 3, 26.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 4, 05.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 5, 12.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 6, 19.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 7, 26.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 8, 05.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 9, 12.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 10, 19.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 11, 26.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 12, 02.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 13, 09.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 14, 23.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 15, 30.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 16, 07.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 17, 14.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 18, 21.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 19, 28.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 20, 05.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 21, 11.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 22, 18.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 23, 25.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 24, 02.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 25, 09.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 26, 16.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 27, 23.07.1990 1
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- Ausgabe Nr. 29, 25.09.1990 1
- Ausgabe Nr. 30, 01.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 31, 08.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 32, 15.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 33, 22.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 34, 29.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 35, 05.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 36, 12.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 37, 19.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 38, 26.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 39, 03.12.1990 1
- Ausgabe Nr. 40, 10.12.1990 1
- Ausgabe Nr. 41, 17.12.1990 1
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Band 1990
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Liebe Leser! Die Urlaubszeit ist da, und ein ungeahntes neues Lebens gefühl durchströmt uns. Beim Koffer-, Auto- und Rucksackpacken kommt man jedoch irgendwann einmal — nachdem man seine „Packli ste“ abgearbeitet hat — zu dem Punkt „BÜCHER“! Was einpacken? Die Lek türe sollte im doppelten Sinne nicht zu schwer sein. Also, versuchen wir, Ihnen bei der Auswahl ein wenig be hilflich zu sein. Wir bieten Ih nen etwas zum Vorlesen für Enkel und Kinder, auch et was zur eigenen Belustigung, wenn diese schon schlafen. Wir rezensieren nicht, son dern wollen durch die nach folgenden Textproben reizen — zum Weiterlesen natürlich. Die Brille Großmutters Augen beka men Mucken. Sie sahen die Stäubchen auf der Sonntags bluse und die Nähnadellöcher nicht mehr. Wir Kinder fä delten ihr die Näh- und Stopf nadeln ein. „Ob ich mir eine Brille zulege?“ „Zum Schwatzen braucht man keine Brille“, sagte Groß vater. Eines Tages würzte Groß mutter die Kohlrübensuppe statt mit Pfeffer mit Schieß pulver, das Großvater für das OSTERSCHIESSEN im Kü chenschrank aufbewahrte. Großvater spie, und die Kohl- rübenstückchen flogen in der Stube umher. „Das Weib ver giftet mir!“ Der Suppentopf flog zum Fenster hinaus. Großmutters Brille wurde fällig. Großvater gab ihr eine abgelegte von sich. Die Brille paßte nicht für Großmutters Augen. „Mir wird schwinde lig“, sagte sie. „Freilich, freilich“, sagte Großvater, „durch die Brille sieht man auch den Schwin del größer.“ Großmutter war beleidigt. Sie fuhr mit der Post zum On kel in der Kreisstadt und blieb eine Woche dort, und der Großvater, der gern pro zessierte, schrieb ihr einen Brief: „Hiermit fordere ich, der Endesunterfertigte, Dir auf, sofort hierselbst zurück zukehren, andernfalls ich Mir in den Fall der Anklage ver setze! Matthäus Kulka, Kossät.“ Und über das Briefblatt schrieb Großvater: „Letztma lige Aufforderung.“ Großmutter kam mit einer Brille zttrück. Große, runde Gläser saßen in einem ver nickelten Gestell, rechts und links von Großmutters Punkt nase. Großmutter sah aus wie ein Schleiereulchen und machte einen Rundgang durchs Dorf. Sie besuchte ihre Klatschkumpankas und besah sie sich durch die Brille. „Gott. Bertka, was bist du alt geworden, die Zeit, wo ich nicht hier war!“ Die Klatschbase besah sich Großmutter. „Der Herr steh mir bei, ein Zentner Brille und keine Nase!“ Großmutter kam recht un zufrieden von ihrem Rund gang zurück. „Wie alt und runzelig sie alle Schon sind, und unsereins immer fidel und jung, fast eine Schande!“ Sie besah sich mit der neuen Brille im Spiegel und wurde still; sie drehte sich und be sah sich von der Seite und wurde noch stiller. „Amen!“ sagte Großvater. Da tat Großmutter die Brille herunter und setzte sie fortan nur beim Strümpfestop fen und beim Essenzubereiten auf. (Erwin Strittmatter, Schul zenhofer Kramkalender, Auf bau Verlag 1969) Ich würde gerne etwas sa gen. Was dir gerecht wird und ge nügt. Du hast mich, wie ich bin, er tragen Und mir, was fehlte, zuge fügt. Es ist nicht leicht, mit mir zu leben. Und oft war ich dir unge recht. Und nie hab ich mich ganz er geben. Du hattest auf ein Ganzes Recht ... (Eva Strittmatter, aus „Ich mach ein Lied aus Stille“, 1973) Lilli Lilli saß klein und winzig am Fen ster. Klein und winzig aber nur des halb, weil Lilli im 21. Stockwerk eines Hochhauses wohnte, und da sieht ja jeder von unten klein und winzig aus, sofern man ihn über haupt sieht. Ansonsten war Lilli so groß, wie man eben mit zehn Jahren groß ist. Lilli saß seit einigen Wochen so am Fenster, denn sie hatte die Gelb sucht und durfte deshalb nicht zur Schule gehen. Gelbsucht gehört zu den langweiligsten Krankheiten der Welt... Lillis Eltern waren tagsüber ar beiten. Mama, eine schmucke runde Per son mit sehr tiefer dunkler Stimme, arbeitete als Kellnerin in einem Cafe. Und Papa Fünf baute Hochhäu ser. Lilli (eigentlich hieß sie Liliana) war ein bißchen frühreif. Das hing mit den Verschiedenen Vätern zu sammen, die sie im Laufe ihres klei nen Lebens kennengelernt hatte. Diese kamen als liebe Onkels, be schenkten Lilli mit Schokolade und mit Puppen und richteten sich nach und nach häuslich ein, indem sie ihre Pfeifen, Socken und Rasierpin sel in der Wohnung verstreuten und allmählich zu Papas wurden. Aber die meisten blieben nicht länger als ein Jahr. Lilli kannte schon die Tragik des Abschiedes in der Liebe, denn Mama heulte jedesmal jämmerlich und mehr als drei Tage, wenn wie der so ein Mannskerl, wie sie sagte, oder Onkel-Papa, wie Lilli sagte, das Weite gesucht hatte. Denn Lillis Mama hatte kein Glück mit den Männern. Vielleicht lag es daran, daß sie so ein überschäumendes Temperament hatte. Zum Beispiel schmiß sie, wenn sie sich ärgerte, gleich mit Schuhen oder Schüsseln. Das haben Männer nicht gern. Und wer anders mußte dann Mama trösten, die schmerzlich auf dem Sofa lag und vergeblich die Wimperntusche aus dem schwarz verschmierten Gesicht wischte. Dann war Mama hilflos wie ein kleines Mädchen, und Lilli kam sich sehr erwachsen vor und kochte Kaf fee. Sie tranken beide eine Kanne Kaf fee aus und stopften sich voll Ku chen und schimpften auf alle Män ner der. Welt....Und Lilli schwor dann Mama zuliebe, daß sie nie so einen Mannskerl heiraten würde. Im ganzen Leben nicht. Meist räumten sie dann die Woh nung gewaltig auf, so als wollten sie auch noch den verbliebenen Geist des geflüchteten Mannskerls weg schrubben. Und wenn Lilli noch irgendwel che vergessene Sachen von ihm fand, wie eine Socke unterm uett, einen Rasierpinsel oder eine Bade hose, da warf sie das frohgemut aus dem Fenster des 21. Stockwerkes. Und Mama sah wohlwollend zu. Meist ging es danach wieder auf wärts. So war Lilli bei Papa Fünf an gelangt. Er hieß Karl. Lilli nannte ihn Papa Karl. Nur wenn sie wütend auf ihn war, nannte sie ihn Papa Fünf. Allerdings bekam Lilli dann einen bösen Blick von Mama. Papa Karl war ein kleiner Mann mit einer großen Nase und einem großen Herzen. Ruhig war er und schüchtern. Und er war kein Was sertrinker. Wenn er Bier oder Schnaps ge trunken hatte, bekam er eine laute Stimme und einen großen Gang und wirkte gar nicht mehr schüchtern. die Schuhe, den Hochhauskindern natürlich. I^och da flog das Weiße noch ein mal vorbei. Aber der Moritz, den ich meine, der lebte erst neun Jahre und hatte auch bestimmt nicht vor, sich mit dem Kaiser zu zanken. Als Moritz geboren wurde, fiel gleich etwas an ihm auf: Er hatte sehr große Ohren und sehr große Augen. Großmutter Hulda, die das Leben kannte, sagte: „Das Kind hört und sieht alles.“ Ganz so war es natürlich nicht, denn im ersten Jahr des Lebens hatte Moritz meist' nur geschlafen. Im zweiten hatte er das Laufen ge lernt und im dritten das Sprechen in Sätzen. Im vierten und fünften Jahr, so konnte sich Moritz noch er innern, gab es immer Krach um den Nuckel. Denn Moritz konnte sich nicht von seinem Nuckel trennen, der war in seinem Munde wie an- getvachsen, und sogar beim Spre chen schob er ihn wie eine Zigarette von einem Mundwinkel zum ande ren. „Für alle, die die Welt noch mit drei Augen sehen können.“ (Christa Kozik) Erst als im Haus ein neues Mäd chen einzog, mit schwarzen Pup penzöpfen und etwas älter als Mo ritz, und sie im Treppenhaus in ein meckriges Gelächter ausbrach, als Moritz mit Nuckel an ihr vorbei kam, erst da trennte sich Moritz da von und warf den Nuckel ins Klo. Im sechsten Jahr beschäftigte sich Moritz sehr damit, was für ein Leben er führen wollte, wenn er groß war. An drei Berufe dachte er: Clown, Tierforscher oder Seeräuber. Seeräuber übte er mit seinem Wenn doch endlich mal was ganz passieren buchverlag Berlin, 4. Auflage 1989) Sieht austwt ein Nachthentd: geklaut, und wem schiebt man’s in Marktplatz stand. lin) Am Abend vorher hatte er sich die Schulmappe auf den Rücken ge schnallt und sich im großen Spiegel betrachtet. Die Schulmappe machte ihn älter, fand Moritz, als er sich sel ber im Spiegel in die Augen sah ... Lilli kannte das Leben, und sie wußte: Nur ganz selten passiert et was Außergewöhnliches. Eine Anakonda müßte friedlich über den Alexanderplatz schleichen, oder das Hochhaus könnte sich in ein Geisterschloß verwandeln mit geheimnisvollen Gängen und Spinn weben und Geheimzimmern. Oder ein Stern müßte auf das Fen sterbrett fallen. Außergewöhnliches würde! Sie wollte gerade ihren Fenster platz- verlassen, da sah sie etwas Weißes an der Fensterscheibe, vor beifliegen. ... . . Freund Markus in einer alten Zink badewanne einen ganzen Sommer lang. Aber dieser Beruf schien sehr anstrengend zu sein. Im siebenten Jahr fing eine neue Zeitrechnung an: Moritz kam in die Schule. war. Nein, nein. Die Stadt hieß so er schrieb langsam und zog sich näch einem attefEiese der . langsam am,und aus. Böse Zungen Sich : Tcr nandertoderzwethundett behaupteten sogar, Moritz pinkele Nie gewußt, daß Nachthemden so hoch fliegen ... Mit Erstaunen entdeckte Lilli: Das Nachthemd hatte Hände und Füße und einen Kopf. Der Kopf hatte schwarze lange Haare, die sich regennaß ringelten. Unter der Nase blitzte es golden. Das war ein goldener Schnurr bart .. . (Christa Kozik, Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart, Der Kinder- Morify unterschied sich also, wie schon gesagt, durch seine großen Augen und Ohren von anderer. Kin dern seines Alters. 11^4 eine merk würdige und auffallende Eigen schaft hatte er noch: Er tat alles gerne schrecklich langsam. Er lief . Nun müßt ihr nicht denken, daß die’Stadt nach Moritz so benannt langsam, er aß und trank langsam. dachte Lilli.'Wahrscheinlich hat 'es' Jcthfe'n 'mal mit einem Kaiser ge- langsam. der Wind von der Leine gelöst. Und zankt hatte und der jetzt auf seinem (Christa Kozik, Moritz in der Lit- dann sagen sie wieder, Wäsche wird dicken Pferd als Denkmal auf dem : faßsäule, Der Kinderbuchverlag Ber- Moritz Moritz lebte in Moritzburg. Man kann nie wissen, ob ein Schiff, das mit Waren nach Israel unterwegs ist, auch wirklich an kommen wird. Vielleicht läuft es auf eine Sandbank auf oder wird durch eine Meuterei oder sonst et was am Ankommen verhindert. So erklärt sich die frenetische Kaufhy sterie, die unter der Bevölkerung ausbrach, als der erste Supermarkt — ein weiteres Zeichen unserer kul turellen Verbundenheit mit dem We sten — in Tel Aviv eröffnet wurde. Drei Tage lang übten meine Frau und ich heroische Zurückhaltung. Man hätte anhand der dort aufge stapelten Sardinenbüchsen eine kleine Weltreise zusammenstellen können: Es gab französische, spani sche, portugiesische, italienische^ ju goslawische, albanische, zyprioti sche und heimische Sardinen, es gab Sardinen in Öl, in Tomaten sauce, in Weinsauce und in Le- benija. Meine Frau entschied sich für nor wegische Sardinen und nahm, noch zwei Dosen von ungewisser Her kunft dazu. Auf dem Supermarkt Dann war es vorbei. Wir hatten ge rade noch die Kraft zu einer letzten Vorsichtsmaßregel: Um dem Schick sal einiger unserer Nachbarn zu ent gehen, die. an einem einzigen Ein kaufsnachmittag Bankrott gemacht hatten, ließen wir unsere Brief taschen zu Hause und nahmen statt dessen unseren Erstgeborenen, den allgemein als „Rafi“ bekannten Knaben, auf den Supermarkt mit. Gleich am Eingang herrschte le bensgefährliches Gedränge. Wi r wurden zusammennevreßt wie — tat sächlich, da war es auch schon: „Sardinen!“ rief meine Frau mit schrillem Entzücken und machte einen sehenswerten Panthersatz di rekt an den strategisch postierten Verkaufstisch, um den sich bereits zahllose Hausfrauen mit Zähnen und Klauen balgten. „Hier ist alles so viel billiger“, sagte sie. „Aber wir haben doch kein Geld mitgenommen?“ „In meiner Handtasche war zu fällig noch eine Kleinigkeit.“ Und damit bemächtigte sie sich eines dieser handlichen Einkaufsge stelle auf Rädern, um die elf Sar dinenbüchsen hineinzutun. Nur aus Neugier, nur um zu sehen, was das eigentlich sei, legte sie eine Dose der Aufschrift „Gold-Syrup“ dazu. Plötzlich erbleichte sie und be gann zu zittern. „Rafi! Um Himmels willen — wo ist Rafi?!“ Der ge neigte Leser ist gebeten, sich die Pa nik zweier Eltern auszumalen, de ren knapp achtzehn Monate altes Kind unter den Hufen einer ein hertrampelnden Büffelherde ver schwunden ist. So ungefähr war uns zumute. „Rafi!“ brüllten wir beide aus vol lem Hals. „Rafael! Liebling!“ „Spiel warenabteilung zweiter Block links“, informierte uns ein erfahre nes Mitglied des Verkaufsstabes. Im nächsten Augenblick zerriß ein betäubender, explosionsartiger Knall unser Trommelfell. Der Su permarkt erzitterte bis in die Grund festen und neigte sich seitwärts. Wir seufzten erleichtert auf. Rafi hatte sich an einer kunstvoll aufge richteten Pyramide von etwa fünf hundert Kompottkonserven zu schaf fen gemacht und hatte mit dem un trüglichen Instinkt des Kleinkindes die zentrale Stützkonserve aus der untersten Reihe herausgezogen. Um unseren kleinen Liebling für den er littenen Schreck zu trösten, kauften wir ihm ein paar Süßigkeiten. Ho ¬ nig, Schweizer Schokolade, hollän dischen Kakao, etwas pulverisier ten Kaffee und einen Beutel Pfeifen tabak. Während ich den Überschuß auf unserem Einkaufswägelchen ver staute, sah ich dort noch eine Fla sche Parfüm, ein Dutzend Notizbü cher und zehn Kilo rote Rüben lie gen. Weib!“ rief ich aus. „Das ist nicht unser Wagen!“ „Nicht? Na wennschon.“ Ich müßte gestehen, daß diese Antwort etwas für sich hatte. Es war im ganzen kein schlechter Tausch, den wir da machten. Außer den bereits genannten Objekten ent hielt unser neuer Wagen noch eine erkleckliche Anzahl freundlich ge rundeter Käsesorten, Kompotte in verschiedenen Farben, Badetücher und einen Besen. „Können wir alles brauchen“, er klärte meine Frau. „Fragt sich nur, womit wir’s bezahlen sollen.“ „So ein Zufall.“ Ich schüttelte ver wundert den Kopf. „Eben habe ich in meiner Hosentasche die Pfund note entdeckt, die ich neulich so lange gesucht hatte.“ Von Gier getrieben, zogen wir wei ter, wurden Zeugen eines mitreißen den Handgemenges dreier Damen, deren Laufkarren in voller Fahrt zu sammengestoßen waren, und muß ten dann aufs neue nach Rafis Ver bleib forschen. Wir fanden ihn am ehemaligen Eierverkaufsstand. „Wem gehört dieser Wechsel balg?“ schnaubte der Obereierver käufer, gelb vor Wut und Eidotter. „Wer ist für dieses Monstrum ver antwortlich?!“ Wir erteilten ihm die gewünschte Auskunft via facti, indem wir unse ren Sohn eilig abschleppten, kauf ten noch einige Chemikalien für Haushaltzwecke und kehrten zu un serem Wagen zurück, auf den ir gend jemand in der Zwischenzeit eine Auswahl griechischer Weine, eine Kiste Zucker und mehrere Kan nen Ol aufgehäuft hatte. Um Rafi bei Stimmung zu halten, setzten wir ihn zuoberst auf den Warenberg und kauften ihm ein japanisches Schaukelpferd, dem wir zwei Paar reizende Hausschuhe für Rafis El tern unter den Sattel schoben. „Noch!“ stöhnte meine Gattin mit glasigen Augen. „Mehr!“ Wir angelten uns einen zweiten Wagen, stießen zur Abteilung „Fleisch und Geflügel“ vor und er standen mehrere Hühner, Enten und Lämmer, verschiedene Wurst waren, Frankfurter, geräucherte Zunge, geräucherte Gänsebrust, Rauchfleisch, Kalbsleberpastete, Gänseleberpastete, Dorschleberpa- 'stete, Karpfen, Krabben, Krebs, Lachs, einen Mosche Rabenau, einen Alexander den Großen, einen halben Wal und etwas Lebertran. Nach und nach kamen verschiedene Eierkuchen hinzu, Paprika, Zwie beln, Kapern, eine Fahrkarte nach Capri, Zimt, Vanille. Vaseline, va somotorische Störungen, Bohnen, Odol, Spargel, Speisesoda, Äpfel, Nüsse, Pfefferkuchen, Feigen, Dat teln, Langspielplatten, Wein, Weib, Gesang, Spinat, Hanf, Melonen, ein Carabineri, Erdbeeren, Him beeren, Brombeeren, Blaubeeren, Haselnüsse, Kokosnüsse, Erdnüsse, Nüsse, Mandarinen, Mandolinen, Mandeln, Oliven, Birnen, elektri sche Birnen (sechzig Watt), ein Aqua rium, Brot, Schnittlauch, Leuko plast, ein Flohzirkus, ein Lippenstift, ein Mieder, Ersatzreifen, Stärke, Ka lorien, Vitamine, Proteine, ein Sput nik und noch ein paar kleinere An schaffungen. Unseren aus sechs Wagen be stehenden Zug zur Kasse zu dirigie ren war nicht ganz einfach, weil das Kalb, das ich an den letzten Wagen angebunden hatte, immer zu seiner Mutter zurück wollte. Schließlich waren wir soweit, und der Kassierer begann schwitzend die Rechnung zusammenzustellen. Ich nahm an, daß die ungefähr dem Defizit der israelischen Handelsbi lanz entsprechen würde, aber zu meinem Erstaunen belief sie sich auf nicht viel mehr als viertausend Pfund. Was uns am meisten beein druckte, war die Geschicklichkeit, mit der, die Verkäufer unsere Wa renbestände in grojle, braune Pa piersäcke verpackten. Nach weni gen Minuten war alles fix und fer tig. Nur Rafi fehlte. „Haben Sie nicht irgendwo einen ganz kleinen Buben gesehen?“ frag ten wir in die Runde. Einer der Packer kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Augenblick ... Einen blonden Bu ben?“ „Ja. Er beißt.“ „Da haben Sie ihn.“ Der Packer öffnete einen der großen Papier säcke. Drinnen saß Rafi und kaute zufrieden an einer Tube Zahnpasta. „Entschuldigen Sie“, sagte der Packer. „Ich dachte, Sie hätten den Kleinen hier gekauft.“ Wir bekamen für Rafi zweitau sendsiebenhundert Pfund zurücker stattet und verließen den Super markt. Draußen warteten schon die beiden Lastautos. (Ephraim Kishon, Der Blaumilch kanal, Verlag Volk und Welt Berlin, 2. Auflage 1988) Bitterer Abschied „Die Architekten“ — Film für eine Randgruppe? Ein Abend kurz vor dem DM- Exzeß, doch das Schmuddelkino „Freundschaft" ist erstaunlich gut besucht. 60 oder 70 Leute, Studen ten zumeist, umsonst die Hoffnung auf Preisnachlaß. Wie durch ein Wunder bleibt uns wenigstens die Infamie des Chesterfield-Spots er spart. Ein Stück Abschied von der DDR und ihrer DEFA beginnt zu flim mern. Ein bitteres End-Spiel, wie ver sprochen „historisch" und frap pierend nah zugleich. In keiner Se- guenz langweilig. Szenarist Thomas Knauf: „Mit 38 Jahren bekommt der Architekt Daniel endlich eine Auf gabe, die seinen Fähigkeiten ent spricht. Mit großem Enthusiasmus entwerfen er und seine Mitstreiter ein Großprojekt für eine menschen freundliche Neubaustadt. Der Ent wurf scheitert an staatlicher Bevor mundung und einer Planwirtschaft, die nur auf Quantität setzt. Verzwei felt kämpft Daniel um seine Idee von einer DDR-Heimat, aus der die Menschen nicht davonlaufen. Doch es gelingt ihm am Ende nicht ein mal, die eigene Frau zu halten. Der Film ist all jenen gewidmet, die das Beste für unser Land im Sinn hatten und Mitschuld an seinem Elend tra gen, weil sie Verantwortung nicht scheuten." Insofern besitzt er hohen publi zistischen und psychotherapeutischen Wert. In Sätzen, Gesichtern, Bildern spiegelt sich der Geist des vergan genen Jahres. Unversöhnlich, zornig die Abrechnung mit der vor dem Herbst herrschenden gesellschaft lichen Realsatire. Senilität, Ar roganz und Korruption verteidigen ihre Macht, die Jüngeren kämpfen ein letztes Mal um Luft zum Atmen, Zeit tut ihr übriges. Genau beobach tete Alltagsmomente werden zu Me taphern des Konflikts, der damals alle anging, rufen seine Unerträ glichkeit wieder wach. Hervorra gend Greese und Hegewald als Planwirtschafts-Apostel, überzeu gend auch Rita Feldmaier als Da niels Frau, der kein anderer Aus weg bleibt als die Friedrichstraße. Sogar sentimentale Passagen kön nen als Zwischentöne spannungsge ladener Dialogflut beeindrucken. Tatsächlich anrührend zum Beispiel das weise, spitzbärtige Professor- chen oder Johanna, ein knubbelna siges, gut geführtes DEFA-Kind. Et was unglaubwürdig andererseits der anfangs gar zu überschwengliche Optimismus des Titelhelden (Kurt Naumgnn) und der erst eisenharte, dann geläuterte und urplötzlich erblindende Ökonom. Unterm Strich knüpfen „Die Ar chitekten" noch einmal und sehr konsequent an beste DEFA-Tradi- tionen an. Und zwar nur ganz ne benbei, weil die plastische Darstel lung hohler Fest-, Sitzungs- oder Agitationsrituale überdeutlich an Si mon und Misselwitz erinnern. (Es ist tragisch und folgerichtig, daß sich Fragen, Figuren und Bilder der letz ten Gegenwartsstoffe immer mehr gleichen.) Kahane und Knauf konn ten einen Schritt weiter gehen, denn während der Dreharbeiten be gann der Herbst. Wer kann ihnen das Pathos ihrer Ausreise- und Mauer-Szenen verdenken? Den Haupthelden ließen sie schließlich zugrunde gehen, als um Babelsberg herum jede Reformierbarkeit des al ten Systems ■ ad absurdum geriet. Nichts geht mehr, ein neuer Berg von Fragen schüttet die Tragödie zu. Wo und wie baut Daniel Brenner heute? Die gescheiterten Idealisten jener fast getilgten, schizophrenen deutschen Republik verdienen noch viele Filme und viele Zuschauer. Ihre Gegner nicht minder. Daniels klassisch herabgezogene Mundwin kel sprechen für seine und für spä tere Generationen. Bei der Masse jedoch müssen Resignation und Ver drängung augenscheinlich viel schneller funktioniert haben. Immer hin war nach kurzer moralischer Aufwallung flugs der Ersatz vor Trauer durch den Tanz ums Gol dene Kalb demokratisch legitimiert. Die Chancen für eine kollektive Rückbesinnung stehen miserabel. Hatte de Sade recht, der im Bewußt sein radikaler Isolation den Gipfel des Lebensgenusses sah? Noch ist der Film gut für ein langes Ge spräch und zwei Flaschen Wein. Wer nimmt sich die Zeit dafür? Und in welchem Leipziger Kino findet man „Die Architekten“ im Juli? V. GELDNER
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