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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1990
- Erscheinungsdatum
- 1990
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-199000007
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19900000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19900000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 1990
-
- Ausgabe Nr. 1, 12.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 2, 19.01.1999 1
- Ausgabe Nr. 3, 26.01.1990 1
- Ausgabe Nr. 4, 05.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 5, 12.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 6, 19.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 7, 26.02.1990 1
- Ausgabe Nr. 8, 05.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 9, 12.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 10, 19.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 11, 26.03.1990 1
- Ausgabe Nr. 12, 02.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 13, 09.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 14, 23.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 15, 30.04.1990 1
- Ausgabe Nr. 16, 07.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 17, 14.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 18, 21.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 19, 28.05.1990 1
- Ausgabe Nr. 20, 05.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 21, 11.06.1990 1
- Ausgabe Nr. 22, 18.06.1990 1
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- Ausgabe Nr. 24, 02.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 25, 09.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 26, 16.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 27, 23.07.1990 1
- Ausgabe Nr. 28, 17.09.1990 1
- Ausgabe Nr. 29, 25.09.1990 1
- Ausgabe Nr. 30, 01.10.1990 1
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- Ausgabe Nr. 33, 22.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 34, 29.10.1990 1
- Ausgabe Nr. 35, 05.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 36, 12.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 37, 19.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 38, 26.11.1990 1
- Ausgabe Nr. 39, 03.12.1990 1
- Ausgabe Nr. 40, 10.12.1990 1
- Ausgabe Nr. 41, 17.12.1990 1
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Band 1990
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11. Juni 1990 UZ/21 6 UZ-Extra Der „dies“-Abend brach an. Zwei mal Geschichtshewältigung machen anstrengende Forum-Stunden wa- und sie sollen irgendwelche alten ren geschafft. Die Zeit — wie immer Denkstrukturen überwinden. Dabei - knapp. Trotzdem baten wir Gregor Gysi noch einmal vor das Mikrofon. Zu vieles schien uns nur angetippt, zu wenige wichtige Fragen ausdisku- tievt. Erneuerung und Geschichtsbewäl tigung heißen die neuen Schlagwör ter, oft nur gegen die Partei des De mokratischen Sozialismus im Munde geführt. Wir aber wollten nicht abschießen, sondern nachha ken. Nicht Schlagabtausch provo- zljeren, sondern miteinander reden. Angemerkt: Wir bitten unsere Le ser um Nachsicht, daß es uns aus terminlichen Zwängen heraus nicht möglich war, dieses Gespräch (ge führt am 9. Mai) durch Dr. Gregor Gysi aktualisieren zu lassen. Zum Zwecke der Ausgewogenheit haben wir uns — bisher leider vergeblich — auch um Interviews mit weiterer Politprominenz bemüht. UZ bleibt dran. Die PDS wird in Fragen der Ge schichtsbewältigung immer in eine Art Verteidigungsrolle gedrängt, woraus auch irrationales Vorgehen entsteht. Das heißt, Vergangenheits bewältigung wird oft für eine Frage der völligen Abgrenzung gehalten. Das mag richtig sein, wenn es um stalinistische Strukturen geht, aber wohl kaum bei der politischen Beur teilung Von Personen und Entschei dungen. Wie, denken Sie, kann man zu einer rationalen Beurteilung kom men? Gregor Gysi: Ich bin auch der Meinung, daß man politische Vor gänge und Entscheidungen, wenn inan sich mit ihnen beschäftigt, dif ferenziert beurteilen muß. Bei den Personen wird es tatsächlich schwie rig. Da, denke ich, braucht man nun wirklich einen bestimmten histo rischen Abstand, um eine gerechte politische Biographie zu schreiben. Das ist einem auch subjektiv gar nicht möglich in der gegenwärtigen Phase. Aber zum Beispiel was die Vorgänge, nehmen wir mal an, vom 13. August betrifft. Da bin ich schon sehr dafür, sie bereits jetzt hi storisch differenziert zu beurteilen. Es ist ja kein Zufall, daß viele in un serer Partei — und dazu gehöre ich auch — den Hauptkritikpunkt bei der alten Führung nicht etwa in den 50er oder 60er Jahren ansetzen, sondern im Jahre 1985. Kann es sein, daß mit dem Ab bruch der leidlichen Auflösungsdis kussion innerhalb der PDS zugleich ein Einschnitt erfolgte, weniger in der. eigenen Parteivergangenheit zu graben als den Blick nach vorn zu wenden, um bei der Lösung anste hender Aufgaben Zeichen zu set zen? Glauben Sie, daß das aus heu tiger Sicht nachteilig ist? Gregor Gysi: Sie hätten die Auf lösungsdiskussion auch fortsetzen können und die Auflösung dann be treiben müssen. Weitere 24 oder 48 Stunden, und die PDS wäre am Ende gewesen. Und das, glaube ich, wäre nun wirklich ein großer, nicht wieder gut zu machender histori scher Fehler. Aus vielen Gründen: Erstens, weil Sie damit das Ideal zer stört hätten. Zweitens, weil Sie zum Beispiel 1,9 Millionen Wählern ihre Chance genommen hätten. Drittens, weil der Haß ja gar nicht beendet wäre. Er hätte sich nur einen neuen Adressaten gesucht, die Regierung wahrscheinlich oder andere. Und wir wären raus gewesen aus der Verantwortung. Denn das zeigt sich doch ganz deutlich: Die, die ausge treten sind, haben es viel leichter. Das heißt: Wir haben uns sogar be wußt entschieden stehenzubleiben und den Haß auszuhalten. Damit er sich nicht auf andere überträgt, die es gar nicht verdienen. Zumindest nicht in dieser Form. lebeadie in Halblegalität! Das ist ja in Berlin ein bißchen einfacher. Ich will damit sagen: Diejenigen, die uns das am meisten vorwerfen, sind diejenigen, die. es am ehesten ver hindern. Denn für eine Vergangen heitsbewältigung brauchen Sie auch ein bißchen Ruhe. Zum Beispiel zum Durchdenken von Fragen. Und Sie müssen sich eben auch wagen können, Geschichtsbewälti gung zu betreiben, ohne Gefahr zu laufen, daß Sie damit andere in Si tuationen bringen, die sie möglicher weise gar nicht überstehen. Dafür brauchen Sie eine bestimmte äußere Atmosphäre. Die aber ist ja bisher nicht gegeben. Abgesehen davon, sehe ich natürlich, daß wir in Fra gen der Vergangenheftsbewältigung noch lange nicht am Ende sind ... Sie sind als Mensch bekannt ge worden, der — auch beruflich be dingt — realistischer gewirkt hat als vielleicht manch anderes Parteimit glied. Deshalb, denke ich, müssen Sie sich auch nicht in so großem Maße Inkonsequenz bzw. fehlerhaf tes Verhalten vorwerfen. Glauben Sie, daß sich der Umstand, daß ge rade eine Person wie Sie an der Par teispitze steht, negativ oder zumin dest mindernd auf die Vergangen heitsbewältigung auswirken kann? Weil Sie die Schuldfrage zwar rein rational nachvollziehen können, aber emotional nicht so stark damit verbunden sind? Gregor Gysi: Also Zunächst mal: Die Frage, ob sich die Tatsache, daß ich Vorsitzender der Partei bin, überhaupt nachteilig auf die Partei auswirken kann, würde ich sofort bejahen. Weil auch jede andere Ant wort eine Unverschämtheit wäre, wenn man sie selber gibt. Zum zwei ten: Diesen spezifischen psycholo gischen Zusammenhang, den Sie se hen, halte ich deshalb für bedenk lich, weil Sie sich natürlich auch die umgekehrte Variante vorstellen. müßten. Die umgekehrte Variante wäre nun, daß Sie einen Erich Hon ecker an die Spitze stellen. Weil Sie sagen; der hal rBe ScHwiefigkel- ten damit, seine eigene Vergangen heit zu bewältigen. Und das wirkt sich dann entsprechend positiv auf die Partei aus.; Da ’ habe ich dann auch meine Bedenken! Das wäre ein Extremfall, zuge geben. Gregor Gysi: Aber es wäre ja die andere Variante, Sie müssen ja nicht ihn persönlich nehmen. Trotzdem gibt es doch noch ein „Dazwischen“. Nehmen wir Hans Modrow, bei ihm ist der Bezug zur Vergangenheit ganz anders da. Gregor Gysi: Ja, insofern find' ich es ja gut, daß Hans Modrow der Eh renvorsitzende der PDS ist. Das hat auch Auswirkungen! Ebenso finde ich das Präsidium gut zusammenge setzt. Da ist eben jemand dabei, der immer Schwierigkeiten mit der Par tei hatte. Wenn ich an Hegewald denke oder an Andre Brie. Aber auch jemand wie Klaus Höpcke, der zwar ebenfalls Schwierigkeiten mit der Partei hatte, aber gleichzeitig beachtliche Verantwortung in die sem Lande trug. Insofern denke ich, daß im Präsidium unterschiedliche Haltungen, zum Beispiel zu Persön lichkeiten, zur Vergangenheitsbe wältigung überhaupt bestehen. Nur, wissen Sie, es gibt einen großen Un terschied zwischen einem Jägerbe wußtsein und einem Bewußtsein zur Geschichtsbewältigung. Das sind zwei Völlig ' verschiedene Dinge: Wir sind alle keine Jäger. Und das wäre auch unter dem Niveau, das es zu erzielen gilt. Glauben Sie trotzdem, daß bei al lem Wahlkampftrubel der Blick in die Parteivergangenheit zu kurz ge riet? Gregor Gysi: Also, wenn Sie einen Wahlkampf führen wollen in einer so entscheidenden Wahl, brau chen Sie in dieser Zeit auch eine Konsolidierung. Außerdem führen die permanenten Angriffe von außen natürlich zu einer bestimm ten Solidarisierung. Teilweise sicher lich zu einem sogenannten falschen Schulterschluß. Aber Sie müssen mir das auch ml vormachen! Ge hen Sie doch mal nach Plauen, wo von 11000 Mitgliedern der SED noch 263 in der PDS sind. Und dann erzählen Sie denen, sie müssen erst Im Sinne der Erneuerung der PDS wäre solch ein kritisches Klima notwendig, das ein Umden ken tatsächlich auch täglich einfor dert. Denken Sie nicht, daß' der in nere Druck im Moment etwas zu wünschen übrig läßt? Gregor Gysi: Das hängt doch ganz davon ab ... Sie machen ja offen sichtlich Druck! Andere wieder ver suchen, ihn zu verhindern. Aber die Auseinandersetzung innerhalb der Partei muß natürlich stattfinden. Ich mag bloß eines nicht: diese Un terteilung in dort ist der neue Den ker und hier ist der alte. Ich denke, von beidem steckt in jedem etwas. Scherlich in unterschiedlichem „Ich werde ihnen nicht verbieten, mich zu umarmen!" Maß, aber in jedem! Nur- in kriti scher Solidarität miteinander be steht die Chance, dieses alte Denken zu überwinden. Und altes Denken gibt es nun weiß Gott bei vielen, nicht nur bei Mitgliedern der PDS! Ich will noch ein letztes dazu sa gen; Wenn Sie so viele Tagesfragen zu klären haben, istees natürlich im mer schwieriger, sich mit grundsätz lichen Fragen zu beschäftigen. Des halb hoffe ich, daß wir jetzt mehr Gelegenheit und Zeit dafür bekom men. Wobei: Der,wirklich schlimme Teil der Partei hat uns im großen und ganzen verlassen, glaube ich. Von Ausnahmen abgesehen. Da hat natürlich der äußere Druck wieder seinen Nutzen gehabt. Ohne ihn wäre das wahrscheinlich so kom plett und schnell nie gelungen. Bei manchen PDS-Mitgliedern ist im Moment eine gewisse Hilflosig keit zu spüren bis hin zu solchen Aussagen in Richtung Parteivor stand: „Ihr werdet das schon ma chen“. Was, glauben Sie, hält die PDS zusammen außer Ihre eigene Person, also wenn Sie nicht mehr Parteivorsitzender wären, was würde die Partei da zusammenhal ten? Gregor Gysi: Ich halte die Frage für nicht zulässig, weil ich sie auch nicht beantworten kann. Das müßte man praktisch ausprobieren. Aber ich bin überzeugt: Die PDS würde bleiben. Das Problem liegt doch ein fach darin, daß wir erst noch eine moderne Partei werden müssen. Na türlich verlassen sich, viele Basis- gruppen noch auf Direktiven von oben. Dabei müßte eigentlich die Ba sis den Parteivorstand zwingen, sich mit bestimmten Fragen zu beschäf tigen ... Wir wollen die nächste Zeit nützen, um Diskussionsange bote für die Basisgruppen zu ma chen, um beispielsweise Fragen des demokratischen Sozialismus in der gesamten Partei zu diskutieren. Da mit wir' inhaltlich vorankommen. Denn das scheint mir im Moment das wichtigste zu sein. Und strukturelle Dinge? Gregor Gysi: Ja. Über Strukturfra gen denke ich auch sehr nach. Ich glaube, wir brauchen jetzt verstärkt Interessengemeinschaften. Und zwar entweder wirklich nach Inter essen oder aber nach Beruf. Also, ich könnte mir sehr gut vorstellen, daß in einem Kreis oder in einem Bezirk zum Beispiel alle, die im Be reich. Gesundheitswesen zu tun ha ¬ ben, alle Wirtschaftsleute, Künstler und Kulturschaffenden eine Inter essengemeinschaft. bilden. Weil wir nur so die Möglichkeit bekommen, das intellektuelle Potential der Par tei auch wirklich auszuschöpfen. Deshalb hoffe ich. daß diese Inter essengemeinschaften in Zukunft eine große Bedeutung erhalten — ne ben den Arbeitsgemeinschaften, die ich ebenfalls für ganz wichtig halte. Und zwar alle vier, die wir gegen wärtig haben: die Arbeitsgemein schaft junge Genossinnen und Ge nossen, Frauen, Christen in der PDS und inzwischen auch die Arbeits-. gemeinschaft Lesben und Schwule. Die war natürlich für ein paar Alt stalinisten ein schwerer Schocker, wodurch wir auch wieder einige Mitglieder verloren haben. Wissen Sie, Sie müssen die Erneuerung gar nicht immer so direkt machen, Sie können das auch indirekt machen und haben dieselbe Wirkung... Ich bin trotzdem zufrieden mit der Arbeitsgemeinschaft Lesben und Schwule, weil ich glaube, daß sie ganz gute Vorstellungen ent wickelt. Wobei das eben eine Ar beitsgemeinschaft ist, deren Haupt ziel letztlich darin bestehen muß, daß sie überflüssig wird. Gleiches gilt im wesentlichen auch für die Arbeitsgemeinschaft Frauen. . Wo würden Sie persönlich die Grenze ziehen, Integratiönsfigur, also Hoffnungsträger, oder Kultfi gur zu sein? Und was glauben Sie, wo Sie sich im Moment befinden? Gregor Gysi: Also, da muß ich mindestens zwei allgemeine Sachen sagen. Ihre Frage läuft ja auf , Per sonenkult hinaus: Und Perso nenkult ist natürlich nur dann über haupt lebensgefährlich, wenn er mit Macht verbunden ist.' Das aber kön nen Sie nun in meinem Fall unter Ulk verbuchen. Das hat sich sozusa gen . erledigt. Die große Gefahr des Personenkultes, den wir zum Bei spiel bei Ulbricht und Honecker kannten, bestand eben darin, daß*er eigentlich dec,. Unterstreichung des Absolutistischen galt. Das hatte ja auch was .systemimmanentes : Staats eigentum statt Volkseigentum, über Staatseigentum verfügt der Staat, und, der Staat war letztlich einer. Das war ja im Grunde genommen die höchste Form der Privatisie rung, mit. ejnem Unterschied: Er. kann enteignet, werden — ganz theo retisch - durch Sturz oder Abwahl. Also sage ich: Das Gefährliche am Personenkult ist erstmal, wenn er mit Macht, verbunden ist. Das ist aber nicht der Fall. Zweitens ist das Gefährliche daran, daß dieser Kult ja überhaupt keiner Stimmungslage entspricht, sondern einfach organi siert wird. Und zwar genau zur Un terstreichung und Bewahrung die ser Machtverhältnisse. Weil es eben zum Bild gehört. Insofern hatte das ja nichts mit wirklichen Sympa thiebekundungen zu tun. Wobei ich gar nicht bestreiten will, daß ein zelne tatsächlich diese Sympathie empfanden. Ich hab ja auch zum 1. Mai gesehen, daß „ihm“ irgend welche aufgeregten Frauen die Hand schüttelten — nach gründli cher Kontrolle. Das also vorab. Und jetzt kommen wir zum nächsten. Und da muß man sich mit den Ur sachen beschäftigen, denn nur so kann man sehen, wie diese Erschei nungen wieder abzubauen sind. Da gibt es ja Leute wie Freya Klier — und solche Unsachlichkei ten liest man öfter — die die Sympa thien für Ihre Person vor allem der „Erotik eines Gregor Gysi“ zuschie ben wollen... Gregor Gysi: Ich denke, der Arti kel von Frau Klier, auf den Sie Be zug nehmen, zeigt deutlich, daß hier jemand versucht, seine eigenen Pro bleme auf Kosten anderer zu lösen. Indem vor allem eine ungeheure Be leidigung von ganzen Gruppen von Personen stattfindet. Die Jugendli chen sind alle dumm, und die Frauen haben natürlich alle nur das eine im Kopf! Und■ das ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit ge genüber diesen Personen und bringt doch eigenen Frust deutlich zum Ausdruck. Und ich bin auch nicht bereit, die Sympathien auf eine so billige, wirk- lieh billige und unangenehme Va riante zurückführen zu lassen. Zu mal das auf die 70- und 80jährigen ganz bestimmt nichtzutrifft, daß sie erotisch So wahnsinnig angehaucht sind... ’ J 3 Die Ursache ist doch einfach fol gende: Diese Partei war solchen An griffen ausgesetzt;- daß sie eigentlich am Ende war. Berghofer, der öffent lich. die Auflösung -gefordert, ge meinsam mit vielen anderen aus- getreten war, wollte"der Partei den Todesstoß--ausgerechnet in der ARD versetzen. Dagegen aber standen diejenigen, die diese Partei erhalten wollten, weil sie an das sozialisti sche Ideal glauben, weil sie nicht wollten, daß Vergangenheit, einfach geleugnet und völlig undifferenziert betrachtet wird. Weil sie nicht wol len, daß plötzlich nichts mehr ir gendetwas wert sein soll, was Men schen 40 Jahre lang getan haben. Diesen Menschen war klar, daß der Erhalt der Partei in diesem Moment auch ein bißchen an einer Person hing. Und für damals mag das zu treffen, was Sie vorhin für jetzt be hauptet haben und ich nicht glaube: Wenn ich damals auch noch zurück- getreten Wäre, wäre das möglicher weise tatsächlich das Ende gewesen. Zumindest haben es viele so emp funden. Hinzu kommt nun, daß es sozusagen eine subjektiv ' eher un verständliche . Entscheidung war, denn gerade zu dieser Zeit hätte ich natürlich ebenso die Flucht in mei nen Beruf zurück antreten und mir selbst viele Unannehmlichkeiten er sparen können. Da hätte ich eben einen netten Versuch gemacht von so vier Wochen, eine Episode in meinem. Leben ... Die hätte man doch phantastisch vermarkten kön nen. nicht? Andere gehen ja mit sechs Wochen auch ganz anders um... Gab es denn solche. Rückzugsge danken? Gregor Gysi! Nein. Aber selbst, wenn man sich das nicht überlegt, ist es ja irgendwie da. Und dann sagt man sich: Das alles hat der nicht gemacht. Er hat nicht die kom merzielle Strecke beschritten, er hat sogar den Haß ausgehalten, der eigentlich ihn- am wenigsten treffen dürfte, wenn man mal an die Zeit vorm Herbst 1989 denkt. Nicht, daß ich nicht auch Verantwortung trage, aber im Vergleich zu anderen, viel leicht sehr viel weniger. Aber es wurde eben geschrien: „Gysi an die Wand, Deutschland einig Vater land!“ — nicht irgendein ehemaliges Politbüromitglied sollte ja an die Wand., Und das führt dann dazu, daß natürlich viele' in solch einem Moment einen hohen Grad an Sym pathie entwickeln. Und ' jetzt ver langen Sie eigentlich von mir, daß ich diese Sympathie abbaue. Ich finde das ungerecht. Ich finde, das überfordert mich dann auch .* . Sie sehen für sich selbst über haupt keine Chance, der Gefahr einer Idealisierung entgegenzuwir- ken? Gregor Gysi: Was ich machen kann, und das tu ich auch, ist, daß vom Apparat in dieser Hinsicht nichts läuft. Denn das können Ihnen alle meine Mitarbeiter bestätigen: Wenn ich in einen Kreisvorstand komme, und dort hängt zu meiner Begrüßung ein Bild, dann krieg ich einen Tobsuchtsanfall! So etwas werde ich auch nicht zulassen. Aber wenn ich in einen Raum komme, und da sind solche Menschen, die das so sehen und so empfinden, dann werde ich ihnen nicht verbie ten zu weinen und auch nicht ver- bieten, mich zu umarmen. Das kann ich nicht. Ich wüßte auch gar nicht wie, das muß ich noch dazu sagen. Außerdem glaube ich, daß es Kom promisse in der Politik gibt, die da mit Zusammenhängen, daß man auf die Mentalität der Menschen in ge wisser Hinsicht Rücksicht nehmen muß. Und im Augenblick ist es wahrscheinlich so, daß eine linke Bewegung in Deutschland tatsäch lich Hoffnungsträger an der Spitze braucht. Wenn Sie sich mit der Per son nicht identifizieren können, wird es nicht laufen. Und da kommt dann die Frage auf, ob man das ak zeptiert oder nicht. Und dann will ich noch etwas sa gen: Diese Idolisierung kommt über haupt nicht von hier. Die kommt von der Westpresse. Die matcht nun: Ob ich die unangenehmste deutsche oder halbdeutsche oder was weiß ich für Variante bin. Vom Drahtzieher, also der eiskalte Ma cher von hinten, bis Guru oder wie die das auch immer nennen. Jeder zieht das auf seiner Strecke ab. Hauptsache, es macht Schlagzeilen. Das ist dann aber schon wieder das andere Extrem, der Haß, von dem Sie vorhin sprachen ... Gregor Gysi: Sicher, ich scheine ja jemand zu sein, zu dem man sich nicht gleichgültig verhallen kann. Wobei das allerdings wirklich ein merkwürdiger Vorgang ist. Und der macht mich auch kränk: Entweder, ich stoße auf tiefe Ablehnung oder auf tiefe Sympathie. Ich würde ml gern auf jemanden stoßen, dem das einfach schnurz ist. Und deshalb will ich noch ein letz tes zum Thema sagen: Ich finde es unfair, nach der Sympathie zu fra gen, ohne gleichzeitig den Haß zu se hen. Denn der Haß hat natürlich auch diese gegenteilige Wirkung. Das macht doch einen großen Un terschied, ob man ein unangefoch tener Staatsmann ist mit allen Machtpositionen und sich dazu noch den entsprechenden Kult organi siert bzw. organisieren läßt, oder ob Sie jemand sind, der Morddrohun gen kriegt, der mit übelsten Ver leumdungen und Beschimpfungen leben muß. Der also auch auf Ver anstaltungen kommt, wo nur Schil der zu sehen sind, daß ich ver- 'schwinden soll. Das alles erleben ja nur die anderen. Auch Sie erleben das. Und es emotionalisiert Sie doch!,.. So gibt es eben viele, die dem sozusagen emotional ein Stück entgegensetzen wollen. Sie sagen sich: Na, dafür werden wir ihm ge rade einen heißen sympathischen Empfang machen. Auch als Aus gleich ein bißchen dafür. Dann re sultiert das auch aus einein Stück Gerechtigkeitsbewußtsein. Weil sie sagen: Das ist nicht fair, diese Art Umgang mit ihm. Das hat er eigent lich gar nicht verdient. Weder durch seine eigene Biografie noch durch das, was er macht und sagt. Und das finde ich, müßte man we nigstens immer noch dazu erwäh nen. Sie können nicht so tun, als ob ich nur von irgendjemanden ideali siert werde und den Haß einfach wegstreichen. Mit dem muß ich a auch leben. Aber danach fragt mich kein Mensch! (Das Gespräch führte Annett Schwarz) Kommentar Gregor Gysis zum Ge spräch: „Also, so richtig nach vorn haben Sie mich eigentlich noch nichts gefragt... Wie Sie daraus ein Interview machen wollen, frag ich mich?“ Antwort des Autors heute: „Den Versuch zumindest war's wert!“ Foto: GOZBAJAR RENZEN- DORDSH
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