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Schlußgedanken, folgt ein Scherzo, eine Art ,,Allegro barbaro“, das nicht nur von der Form her in der Mitte des Werkes steht. Man könnte sagen, daß der erste Satz nur im Hinblick auf das Scherzo geschrieben werden konnte. Alles drängt zu ihm hin: der äußere Bewegungsablauf, aber auch die innere Bewegung, um nicht zu sagen „der Handlungsver lauf“ der Musik. Darüber hinaus scheint der rondoartige Mittelsatz mit einem langsamen Trioteil gleichsam den entspannenden Charakter des abschließenden langsamen Satzes vorauszuahnen. Mit Entspannung meine ich das langsame Tempo, denn in der Intensität der Aussage stellt speziell der letzte Satz an die Spieler und an die Hörer die größten An forderungen. Die kompositorische Eigenart des zweiten Bartok-Quartettes läßt sich nur in Stichworten andeuten. Wollte man ausführlich darüber schreiben, würde eine Broschüre entstehen. Da ist die für Bartok typische Verwandlung der Motive, die nicht — wie in der Klassik — nur Teile der Themen sind, sondern — mehr dem Motiv der Barockmusik ähnelnd — so etwas wie die Grundsubstanz darstellen. Dann ist bei Bartok zum anderen die ganz bewußt angewendete Vormachtstellung einzelner Intervalle zu erwähnen: Im zweiten Quartett bei spielsweise gewinnt melodisch und harmonisch die Quarte besondere Bedeutung, vor allem in den Ecksätzen, während der Mittelsatz wesentliche Bewegungs- und Konstruktionsimpulse durch die Terz erhält. Polyphonie und Homophonie werden von Bartok als gleichberechtigt empfunden und dem gemäß angewendet, wobei sich die Bartoksche Polyphonie zur reinen Linearität bekennt, die auf die funktionale Harmonik keinen Bezug nimmt. Bartoks Harmonik bekennt sich in freier Weise zu einer Haupttonart, die durch bestimmte, immer wiederkehrende Töne festgelegt wird. Durch diese freie Tonalität werden aber die anderen Klänge nicht zu einer funktionalen Bezogenheit zusammengefaßt: ,,Bartoks Musik steht also“, lesen wir bei Roswitha Traimer, „in einem Zwischenbereich des ,Tonalen' und ,Atonalen', das heißt zwischen einer rein funktionalen Harmonik und einer a-tonikalen, im Bereich der zwölfstufigen Chromatik frei vagierenden Musik.“ Man hat die Bartokschen Quartette einmal „Ereignisse“ in der Musik der Gegenwart genannt. Sie sind bis heute Ereignisse geblieben! PAUL HINDEMITH hat in seinem reichen und vielfältigen Schaffen wohl alle Besetzungen und Klangkombinationen berücksichtigt, die möglich sind. Als eines seiner letzten Werke (1957/1958 entstanden) veröffentlichte er ein Oktett, das außer der zweiten Bratsche die gleiche Besetzung aufweist wie das bekannte Septett von Beethoven und das durch eine zweite Geige verstärkte Oktett von Schubert: zwei Violinen, Viola, Cello, Kontrabaß, Klarinette, Fagott und Horn. Die gemischten Streicher-Bläser-Besetzungen ohne Klavier erinnern an die Ständchen haften Freiluftmusiken der Klassik. Hindemith faßt diesen Begriff allerdings viel weiter: wir erkennen sowohl Anregungen der Barockmusik einschließlich der Fugenform, als auch der Sonate mit der Technik der klassischen Durchführung. Der erste Satz wird durch eine breite Einleitung von 15 Takten eröffnet, die an das Grave der Lullyschen Ouvertüre erinnert. Zwei kontrastierende Themen werden auf gestellt und durchgeführt. Dann folgt ein drittes Thema und — statt der erwarteten „großen Durch ¬ führung“ — noch ein viertes, das als Fuge verarbeitet wird. „Was nun folgt“, lesen wir bei K. II. Wörner, „ist spiegelbildlich auf die Fuge als die geistige Mitte des Satzes bezogen: die vorausgegangenen Teile kehren formal als Krebs wieder“ : drittes Thema, Durchführung, zweites und erstes Thema, das zugleich die Coda einleitet. Der zweite Satz — Varianten — entspricht einem Intermezzo. Das Thema wird von der Geige vorgestellt, um sechsmal notengetreu, jedoch verändert instrumentiert, wiederholt und variiert zu werden. Der langsame dritte Satz ist rein lyrisch und durch seine klare dreiteilige Liedform leicht zu überschauen. Der vierte Satz entspricht dem Scherzo. Anregungen Beethovens sind nicht zu überhören (Presto aus dem Streichquartett B-Dur, op. 130): Thema-Gegenthema- Mittelsatz und Wiederholung des Scherzoteiles. Die ausgelassene Stimmung des vierten Satzes charakterisiert auch das Finale, das mit einer Fuge beginnt (das Thema steht in Beziehung zum ersten Thema des ersten Satzes). Es schließen sich drei altmodische Tänze an: Walzer, Polka und Galopp. Fuge und Suite werden überlegen verschmolzen und mit einander gekoppelt: ein brillantes, geistsprühendes Meisterstückchen handwerklich-musi- kantischer Vollkommenheit! Gottfried Schmiedel LITE RATU R HINWEIS E Rudolf Wagner-Regeny: Lexikon der Neuen Musik von Fred K. Prieberg, Verlag Alber, Freiburg 1958 Paul Hindemith: Zeitschrift ,,Melos“, November 1958, (Analyse von K. H. Wörner), Verlag Schott, Mainz Bela Bartok: Bela Bartok von Serge Moreux, Atlantis Verlag, Zürich 1952 Bartoks Kompositionstechnik von Roswitha Traimer, Verlag Bosse, Regensburg 1956 Ludwig van Beethoven: Reclams Kammermusikführer, Stuttgart 1956 VORANKÜNDIGUNG Nächste Konzerte im Anrecht A am 2. und 3. April 1960 Nächste Konzerte im Anrecht B am 9. und 10. April 1960 jeweils 19.30 Uhr, Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr 6066 Ra III-9-5 360 0,5 It-G 003/60/29 3. KAM M E R M U S I KAB E N D Anrecht C 1959/60