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Beilage Mr Weitzeritz-Zetwng . Nr. 213 Donnerstag, am 12. September 1829 95. Jahrgang M»« ' . ' Chronik des Tages. — Reichspräsident v. Hindenburg empfing den deut schen Botschafter in Paris, v. Hoesch. — Die Reichsregkerung ernannte den Staatssekretär a. D. v. Simson zum Führer der deutschen Delegation für die Saarverhandlungen. — Im weiteren Verlaufe der Fahndungen nach den Sprengstoffattentätern wurden in Holstein und Berlin zahl reiche Verhaftungen vorgenommen. — Die Prämie von 500 000 Mark der Klassenlotte-- rie fiel auf die Nummer 127 183. — Die Schauspielerin Hedwig Mangel, die sich seit Jahren um die Besserung des Loses der entlassenen weib lichen Strafgefangenen bemüht und ihnen in HubertuShühe am Storkower See ein Heim, „Das Tor der Hoffnung", einrichtete, hat dieses Heim geschlossen. — Die bisher im Wasserturm von Aumühle im Sachsenwald untergebrachte Bismarcksammlung von Emil Specht soll demnächst in Hamburg versteigert werden. — Bei einer Schiffsexplosion auf der Wolga sind über dreißig Personen ums Leben gekommen. — In Spanien entgleiste ein Schnellzug im Bahn hof von San Esteban de Area infolge eines Erdrutsches, der durch die wolkenbruchartigen Regenfälle der letzten Tage verursacht worden war. Die Zahl der Opfer ist noch nicht bekannt. Blücher greift a«. Lie russisch-chinesischen Einigungsverhand lungen, um deren Eröffnung der deutsche Botschafter in Moskau sich eifrig bemüht hat, sind auf Schwierig keiten gestoßen, noch ehe sie richtig begonnen haben. Moskau beharrt dabei, gestärkt durch die stille Billigung der großen Mächte, daß China noch vor der Einigungs konferenz die ausgewiesenen russischen Direktoren der Ostchinesischen Bahn wieder in ihre Aemter einsetzen müsse, während China es darauf angelegt hat, sich diese Mederlage zu ersparen. Dem Mißerfolg der Diplomaten folgten neue Kämpfe an der russisch-chinesischen Grenze auf dem Fuße. Ein russisches Flugzeuggeschwader bewarf den Ort Pogranitschnaja mit Bomben und zerstörte den Bahn hof sowie Las Telegraphenamt. 40 Soldaten und etwa 20 Eisenbahnbeamte wurden getötet oder verletzt. Kurz danach erschien ein russisches Militärflugzeug über dem chinesischen Stabsquartier aus dem Bahnhof Mandschuria und warf ebenfalls eine Bombe ab. Ler Salonwagen des chinesischen Generals Tschang wurde zerstört; vier Soldaten büßten ihr Leben ein. Tie chinesische Regierung hat nunmehr zwei wei tere Divisionen nach der Mandschurei entsandt, gleich zeitig hat sie die Militärs der auswärtigen Mächte eingcladen sich durch eine Reise in die Mandschurei von dem Umfang der russischen Verwüstungen zu überzeugen. Rußland beantwortet die Nachrichten über rus sische Vorstöße mit Meldungen über chinesische An griffe auf russische Truppen. Chinesische Kavallerie soll die Grenze überschritten und russische Soldaten nicdergcmacht haben, ferner soll chinesische Artillerie in Tätigkeit getreten sein. Es wäre müßig, wollte man die Schuld frage untersuchen. Sehr wahrscheinlich ist auf beiden Seiten gesündigt worden. Wenn dabei die von den Russen angerichteten Verheerungen ernster sind, als die, für die China verantwortlich zu machen ist, dann liegt das nur daran, daß die Russen den Chinesen militärisch überlegen sind. Tas; diese Kämpfe in einen regel rechten Krieg ausartcn werden, ist nicht zu befürchten. Tie Kriegserklärung scheuen die Russen sowohl als die Chinesen, und dann: der Winter in der Mandschurei steht bevor! Abgesehen von diesen „großen Aktionen" ereignen sich an der russisch-chinesischen Grenze aber auch zahl reiche Zwischenfälle, von denen nicht gesprochen wird, und die doch Menschen das Leben kosten und die Be völkerung in Schrecken versetzen. Tas sind die Ban deneinfälle! General Blücher, der Oberkommandierende der russischen Ostasicnarmec, scheint seinen Gegner durch einen Kleinkrieg zermürben zu wollen. Wenn man den Berichten aus Mulden glauben darf, hat Blücher zahlreiche fliegende Kommandos gebildet, die im Tunkel der Nacht über die Grenze gehen, Vorposten über fallen, Schienen zerstören und Gebäude in die Luft sprengen. Glückt den Banden ihr Werk, dann sind ihre Mit glieder gemachte Leute, scheitern sie, d. h. fallen sie den Chinesen in die Hände, dann macht man ihnen den Prozeß und stellt sie an die Wand. Tie Finan zierung der Banden soll schon Hunderte von Mil lionen Mark erfordert haben! Ter Zweck, der mit diesen Bandcncinfällen ver folgt wird, ist der, die chinesischen Truppen zu beun ruhigen, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen, damit sic in Furcht vor neuen Bedrückung.u und Plagen ihren Unwillen gegen die chinesischen Machthaber kehrt, die diese Einfülle nicht verhindern können. Ter Kleinkrieg stellt somit einen Umweg dar, den Rußland macht, um China zum Nachgeben zu zwingen! Nachzuweisen ist dem russischen Oberkommando die Zusammenarbeit mit den Banden natürlich nicht. Dazu ist General Blücher, einer der sähigsten Offiziere Rußlands, zu vorsichtig. Zu billigen sind die Methoden, mit denen jetzt in der Mandschurei Politik gemacht wird, nicht. Eine Aenderung der Lage ist jedoch nur dann zu erhoffen, ' wenn endlich auch China auf den Weg des Rechts zurückfindet. Verlassen hat es ihn in dem Augenblick, als es sich über den russisch-chinesischen Vertrag hin wegsetzte und die Ostchinesische Bahn in eigene Regie übernahm. Für die deutsche Diplomatie, die den Schutz der russischen und der chinesischen Interessen übernommen hat, ist die Entwicklung des Mandschurei-Konflikts höchst unangenehm. Grausamkeiten und harte Strafen scheinen leider in den russischen als auch in den chinesischen Konzentrationslagern nicht selten zu sein: aber beide Regierungen sollten doch anerkennen, daß die deutschen Vertreter in Ostasien manche Ver besserungen für die Gefangenen durchgesetzt haben. Vorwürfe gegen die deutsche Negierung sind deshalb unangebracht! Tas, worauf es jetzt ankommt, ist, daß Rußland und China sich endlich an den Verhandlungs tisch setzen. Die Bombenleger verhaftet. In Holstein und Berlin. — Tie Fahndungen gehen weiter. Im weiteren Verlaufe der Untersuchung der ge heimnisvollen Sprengstoffanschläge in Schleswig-Hol stein, Hannover und Berlin hat die Polizei zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. Cs wurden verhaftet: in Krempe der frühere Polizeihanptmann Nickels; in Itzehoe: der Verantwort liche Redakteur der Landvolk-Zeitung, Bruno von Sa lomon, der zweite Redakteur Kiihl, der frühere Ge schäftsführer des Landbundcs, Syndikus Lr. Guido Weschke, ein Angestellter sowie der Kunden- nnd An- zeigenwcrdcr Plöhn; in Berlin: Ernst von Salomon, Tr. Salinger, Laß, Hans Gerd Techow — der Bruder des am Ratheuaumord beteiligten Günther Techow — und die Privatsekretärin Ehrhardts. Handgranaten beschlagnahmt. Im Zusammenhang mit den Verhaftungen wurven tn Itzehoe bei Anhängern der Landvolkbeweguirg Haus suchungen vorgenommen. Tie Polizei beschlagnahmte umfangreiches Material, das noch gesichtet wird. In Haft genommen wurden noch der Kaufmann Leopold Dohnsen-Itzehoe und der Landwirt Klaus Heim aus St. Anne». Gesucht werden der Laudvolkfiihrer Ham- kens-Tetenbüll und Hermann Volk, der bei Ber- wandten in Rönne -ei Winsen wohnhaft war. Bei einer Haussuchung in der Wohnung Volks wurden mehrere Handgranaten beschlagnahmt. Taneben wurden in Berlin einige Personen vor läufig festgenommen, die sich mit der theoretischen und praktischen Vorbereitung von Sprengstossanschlägen befaßt haben. Ob diese Personen mit den Anschlägen noch etwas zu tun haben, bedarf nach einer amtlichen Mitteilung noch der Aufklärung. Es sind dies: der Hilfsrevisor Erich Timm, der Arbeiter Herbert Mittelsdorf, der Schlosser Kurt Roßteutscher und der Mechaniker Heinrich Bauder. Weitere Verhaftungen stehen bevor. Tie in Itzehoe verhafteten sind gefesselt in ein Auto gebracht und ! »ach Altona übergeführt worden. Lie Vernehmung i »er Verhaftete» ist größtenteils noch im Gange. Alle verhafteten bestreiten ihre Mittäterschaft; nur Nickels zibt zu, eine Bombe von Heide nach Hamburg ' gebracht zu haben. j Haftbefehle wurden inzwischen noch gegen den Fahnenträger von Neumünster, Muthmann, sowie gegen ; Frau von Salomon und Frau Weschke erlassen. Frau ; von Salomon konnte bisher nicht aufgesunden wer- > Sen; von einer Verhaftung der Frau des Syndikus ! Lr. Weschke wurde Abstand genommen, weil die Frau hochschwanger ist. „Tu zehn Minuten explodiert eine Bombe." Als der Polizeipräsident von Altona mit dem Landrat im Landratsamt über die Bombenanschläge sprach, wurde telephonisch angerufen und ihm mit geteilt, daß in zehn Minuten eine Bombe vor dem Landratsamt explodieren würde. Da sich der Anrufer - eines Selbstanschlußamtes bedient hatte, konnte er nicht - ermittelt werden. ; * - Die Vorgeschichte. Ueber die Vorgeschichte der Verhaftungen ! führte Polizeipräsident Eggerstedt-Altona bei einem ! Presseempfang aus: ! Bereits nach den ersten drei SPrengstofsanschlägen - richtete sich der Verdacht auf einen bestimmten Per- ; sonenkreis, der der Polizei schon von früher bekannt - war, und zwar aus dem Nathenaumord und aus dem ' Anschlag auf Severing im Jahre 1923. Diese Per- ; sonen wurden nun ständig beobachtet. Insbesondere ! richtete sich das Augenmerk der Polizei auf die Ve- j obachtung der Landstraßen und der auf ihnen ver- ; kehrenden Kraftwagen. Bei dieser Kontrolle der Land- straßen fielen bestimmte Kraftwagen auf, die j immer dann auftauchten, wenn sich neue Sprengstoff- j anschläge ereignet hatten. Nach dem Anschlag auf das Reichstagsgebäude ' und nach den: Bomöenattentat in Lüneburg wurde : dann aus Anordnung des preußischen Innenministers ! eine großzügige Fahndung nach den Attentätern ! eingeleitet. Leitende Persönlichkeiten der Berliner politischen Polizei wurden mit einem Stabe besonders i vorgcbildeter Beamten nach Holstein entsandt und haben dort mit Hilfe der lokalen Polizeibehörden die ' Ermittlungen ausgenommen. , In der letzten Woche kam die bestimmte Nachricht von den Ucbrrwachnngsstellen, daß aus der Heivcr Gegend ein Kraftwagen mit einem verdächtigen Gege»- penv unterwegs sei. Lie Altonaer Polizei beobachtete und verfolgte den Wagen, verlor ihn jedoch wieder au» den Ange», da der verfolgende Beamte eine P«m«e hatte. Am Montagnachmittag aber wurde gemeldet, daß der verdächtige Wagen in Krempe gesichtet wor- den fei und dort ohne Führer stehe. Lie Ermittlung«» ergaben dann, daß es sich bei dem Führer des Wagens um einen Mann namens Hans Friedrich Nickels handelte« Eine Höllenmaschine gefunden. Lie Spnr Nickels führte «ach Hamburg. Hier wurde in Zusammenarbeit mit der Hamburger Polizei festgestellt, daß Nickels eine« verdächtigen Gegenstand bei einem Hamburger Bankbeamten namens Karl Al fred Pünjer abgegeben hatte. Bei einer Haussuchung, die überraschend bei Pünjer borgens,nmen wurde, fand man dann in einem Schrank verborgen eine Höllen- maschiue, wie sie bei den verschiedenen Sprongstoff- anschlägen Verwendung gefunden hat. Tie Höllenmaschine war in eine kleine Zigarren kiste eingebaut. Auf der einen Seite der Kiste befand sich eine Konservenbüchse mit einer Sprengladung im Gewichte von 1V- Pfund. Auf der anderen Seite der Kiste waren drei hintereinander geschaltete Taschen lampenbatterien angebracht, die eine Spannung vonj insgesamt 12 Volt hatten. Die Zündungsvorrichtung bestand aus einer Weckuhr und zwei Drähten, die mit der Ziffer zwölf und dem kleinen Zeiger und einem Glühdraht in der Sprengmasse in Kontakt steht. Neber die Persönlichkeit des angeblichen Polizeihaupt- manns a. D. Nickels besteht noch keine völlige Klarheit. Die Altonaer Polizei hat bisher nur festgestellt, daß Nickels 1890 geboren ist und eine Zeitlang als Supernumerac tn der Kieler Verwaltung tätig war. ES ist wett« fesd- gestellt worden, daß Nickels an den Verteidigungskämpfev in Oberschlesien als Offizier teilgenommen hat. Eine Erklärung der Nationalsozmlisten. Die Pressestelle der Reichsta^ftaktion der Na tionalsozialisten betont in einer Erklärung, die Partei habe mit den Verhafteten nicht das geringste gemein, auch wenn der eine oder andere sich im Besitz eines Mitgliedsausweises befinden sollte. Nach den strengen Parteibesehlen, die seit langer Zeit in Kraft seien, schließe sich jedes Mitglied dn Augenblick der Betei ligung an illegalen Aktionen automatisch selbst aus. Zur Organisation Consul selbst habe die Partei nie mals Verbindungen irgendwelcher Art gehabt, sie hab« zu ihr stets im denkbar schärfsten Gegensatz gestanden. Insgesamt 22 Verhaftungen. Au», Hamkes und Muthmanu festgenommen. — Wer sind die Verhafteten? Wie amtlich mitgeteilt wird, ist es der Polizei inzwischen gelungen vier weitere Personen sestzu- nehmen. In Breslau wurden Hamkes und Muthmann verhaftet, in Berlin der Inhaber eines Türschließer- gefchäftes und der Feuerwerker Wilsle. Am stärksten belastet scheint bisher der Polizei- Hauptmann a. D. Nickels zu sein. HamkenS ist aus verschiedenen Bauernprozessen als Angeklagter bekannt. Btuthmann gilt als einer Ler Teilnehmer an den Atten tatsvorbereitungen gegen Severing im Jahre 1923. Ernst v. Salomon und Hans Gerd Techow fungierten in der Rathenau-Affäre als Beihelfer. Ernst v. Salo mon hatte deswegen eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren erhallen, Techow eine Gefängnisstrafe von vier Jahren, wobei ein Teil der Strafe durch eine Amnestie erlassen wurde. Die Nationalsozialistische Partei veröffentlicht eine neue Erklärung und betont darin, das ausweislich der Mitgliederkartothek des Gaues Berlin und der Reichs leitung in München die Verhafteten nicht Mitglieder der NSDAP, seien, noch überhaupt gewesen seien. Stresemann aus Genf abgereift. Unterredung mit -e» Führer» -er -eutsche» Minder, heile». RcichSautzenminister Dr. Stresemann hat am Mitt woch Genf verlassen und verbringt gegenwärtig einen kurzen Erholungsurlaub in der Schweiz. Vor seiner Abreise empfing Minister Dr. Stresemann noch den österreichischen Bundeskanzler Dr. Streeruwitz sowie den bekannten Führer des Deutschtums in Südslawren. Dr. Krafft, und den deutschen Abgeordneten des lett- landuchen Parlaments Paul Schiemann. Es kann angenommen werden, day Dr. Kraffr die Lage der Deutschen in Südslawien Dr. Strese mann eingehend geschildert hat, und daß hierbei ins besondere die Stellungnahme Der südslawischen Re gierung zu den deutschen Minderheiten eingehend auch hinsichtlich der neuen Schulpolitik der südslawischen Regierung durchberaten worden ist. Die Revision -er urwnwe»v-ar geworbene» Verträge. Der chinesische Botschafter Wu beantragte in Genf die Einsetzung eines Ausschusses, der prüfen fol, wie der Artikel 19 der Völkerbundssatzung, der von der Revision unanwendbar gewordener Berttäge handelt praktisch zur Anwendung kommen kann. Bundeskanzler Streeruwitz unterstrich Stresemanns Ausführungen zur Minderheitenfrage. Keveuktage für den 14. September. 1683 * Der Feldherr Albrecht von Wallenstedt, Her zog von Friedland, tn Schloß Nachod if 1SS4) — 17KO * Der Komponist Luigi Cherubini in Florenz 1842t — — 176S * Der Naturforscher Alexander v. Humboldt in