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Beilage zur Weitzeritz-Zeitung Nr. 113 ' Freitag, am 17. Mai 1929 98. Jahrgang — Die Reichsanleihe wird voraussichtlich am 24. Mai zu 99 v. H. zur Zeichnung aufgelegt. Die Zeichnungsfrist läuft bis zum 31. Mai. — Der Reichstag hat das Gesetz über die Ostpreußen- Hilfe angenommen und sich dann bis zum 3. Juni vertagt. — Der neue Reichsgerichtspräsident Dr. Bumke hat den Vorsitz in dem dritten Strafsenat des Reichsgerichts übernommen, auf dessen Tagesordnung die Revision des zum Tode verurteilten Eisenbahnmörders Hopp steht. — Die Sachverständigen der Gläubigerländer hatten am Donnerstag mit Owen Young eine Besprechung über den Konferenzbericht. — Nach den letzten Meldungen aus Afghanistan soll Aman Ullah mit einem Teil seiner Truppen umzingelt fein. — Bon den auf der Zeche Königsborn bet Dortmund geraubten Lohngeldern in Höhe von 234 090 Mark sind bis jetzt 200 OVO Mark wieder herbeigeschafft worden. - In Exter bei Herford ist die Möbelfabrik Hoberg vollständig niedergebrannt. — In England nehmen die Erkrankungen an Blat tern »u. Der Schlutzbericht Endlich ist man in Paris der Entscheidung einen wesentlichen Schritt nähergekommen, wobei dahin gestellt bleiben mag, ob sie in positivem oder nega- f tivem Sinne aussallen wird. Der von dem englischen Delegationsführer Sir Josuah Stamp in Gemein schaft mit Reichsbankpräsident Dr. Schacht aus gearbeitete Schlußbericht über die drei Monate wäh renden Arbeiten des Pariser Sachverständigenausschus ses ist am Mittwoch nachmittag dem Vorsitzenden der Konferenz, Oiven Young, übergeben worden, der ihn alsbald den alliierten Abordnungen übermittelt hat. Der Bericht ist nach Angaben der Pariser Presse ein 60 Folio-Seiten starkes Schriftstück, das 20 Kapitel und, „wie Freunde der Statistik" errechneten, über 17 000 Worte enthält. An Stelle der Ziffern für die deutschen Jahreszahlungen sind vorerst noch weiße Lücken, die erst während der Schlußberatun gen mit den in Frage kommenden Beträgen ausgefüllt werden sollen. Nach der Prüfung des Berichtes und seiner Abänderung durch die Gläubigergruppen wird eine Vollversammlung einberufen werden, in der nach amerikanischer Auffassung. Reichsbankpräsident Dr. Schacht Erklärungen über die Annahme des Young schen Zahlungsplanes auf der Grundlage des vorlie- ' genden Berichts abgeben wird. In den Bericht sind sämtliche Fragen aufgenom- j men worden. Er enthält infolgedessen alle diejenigen : Punkte, über die man sich einigte, aber gleichzeitig auch ; drei deutsche Vorbehalte in deutscher Form». < lierung, die in der letzten Nacht hinzugefügt wurden, ' ohne daß über sie aus Zeitmangel mit Herrn Stamp eine Formulierung gefunden werden konnte. Es han delt sich um die Frage der Eisenbahnschuld. Verschreibungen, der Höhe des transfer freien Teiles und um die Aufbringung der Zahlungen während der letzten 21 Jahre, die nach deutscher Auffassung zum Teil den öfter, reichisch-ungarischen Nachfolgestaaten zur Last fallen, zum Teil durch die Gewinne der neu zu errichtenden Reparations-Zentralbank aufgebracht werden sollen, während die Alliierten dafür, falls die Gewinne der Bank nicht ausreichen sollten, eine deutsche Ausfall, bürgschaft fordern. Dem übrigen Bericht sind die zahlreichen Beilagen noch nicht hinzugefügt, die rein technischer Natur sind und sich u. a. auf die Satzun gen der Zentralbank für Internationale Zahlungen, auf die Sachlieferungen und einige andere technische Fragen beziehen. Diese Beilagen sind jedoch fertig formuliert und sollen umgehend nachgeliefert werden. Die so oft erwähnten 12 deutschen Vorbehalte sind alle in den Bericht ausgenommen worden. Auch die ! Kolonialfrage ist in einem besonderen Absatz be rührt, in dem auch die Rohstofsarmut des kolonie- losen deutschen Reiches erwähnt wird. Ausdrücklich sei noch einmal darauf hingewiesen, daß die Auf. nähme dieser Vorbehalte noch keineswegs ihr« Annahme bedeutet, ganz abgesehen davon, daß die Redigierung des Berichtes noch die vorgenannten Lücken aufweist. Der Bericht wurde noch in den Abendstunden von den Sekretariaten der verschiedenen Abordnungen aus der englischen Fassung übersetzt und einer ersten Prü- fung unterzogen. Ueber seinen Inhalt macht der Pariser „Matin" bereits sehr eingehende Mittetlun- gen. Danach schlage der Bericht vor, nach Jnkraft- treten des neuen Systems die Kontrolle des Dawes planes fallen zu lassen. Indessen sehe er vor, daß di« Reichsbahn eine unabhängige Gesellschaft bleiben könne, in der die Gläubiger Deutschlands vertreten sein wür- »en. Der Bericht schließe mit sehr beredten allgemeinen Betrachtungen über den „großen Wert dieser freund schaftlichen Regelung, die unter die Frage der Kriegs entschädigungen einen Schlußpunkt setze". Die Schluß folgerung drücke die Hoffnung aus, daß durch eine gerechte Behandlung der deutschen Bürger das Reich genügend Mittel finden werde, seine Verpflichtungen m erfüllen. Der Bericht enthalte keine Ziffern als § zahreszahlungen mit Ausnahme der für die Sach- i ieistungen festgesetzten Grenzen. Die Sachleistungen > folgten einer wahrend zehn Jahren absteigenden Staff : fetung von etwa 700 bis 300 Millionen Mark. Wie der „Matin" Wetter mitteilt, ist dem Bericht ein sehr wichtiger Brief Dr. Schachts an Owen s Young beigefügt. Zn diesem Briese nehme der Führer - »er deutschen Abordnung im Namen seines Landes I die am 6. Mai von dem amerikanischen Vorsitzenden des Ausschusses vorgeschlagenen Ziffern an, d. h. eine JahreSzahluna von 2050 Millionen Mark auf die Dauer von 37 Jahren und außerdem eine den inter ¬ alliierten Schulden entsprechende Jahreszahlung wäh rend 21 Jahren. Dr. Schacht lege dar, daß er feiner Regierung empfehlen könne, von dem Betrag dieser JahreSzaylungen ohne jede Bedingung und Einpel- mng solwende Summen zu transferieren: 500 Mil lionen Mark jährlich zuzüglich des Dienstes für Dawes- anleihe, die rückständigen Besatzungsrosten des ameri kanischen Heeres und die Entschädigung an Amerika, was zusammen etwa 630 Millionen Mark ausmacht. Diese Summe könne der Kommerzialisierung zur Grundlage dienen. Den Gläubigern Deutschlands, (ausschließlich Amerika) komme letzten Endes unmit telbar nur eine gerade runde Summe zur Mobilisie rung von 50 Milliarden Papierfranken zu, falls man sie zu einem Zinsfuß von 5 Prozent und 1 Prozent Amortisierung mobilisieren kann. Soweit der „Matin". Im übrigen legt sich die Pariser Presse in ihren Bemerkungen zur Ueber- gabe des Stamp-Berichtes im allgemeinen eine gewisse Zurückhaltung aus und wartet genaue Inhaltsangaben des Berichtes ab. In den englischen Berichten aus Paris werden die Aussichten über die Einigungsmög lichkeit verschieden beurteilt. Im allgemeinen über wiegt aber doch die Ansicht, daß trotz der sicheren Ab lehnung des Berichtes durch Belgien und wahrschein licher Schwierigkeiten Italiens mit der Annahme nach kleinen Abänderungen und Ergänzungen zu rechnen sein wird. Im „Daily Telegraph" wird von dem Franzosen Pertinax eine gewisse Abschwächung des französischen Widerstandes angekündigt, der feststem, daß die französische Abordnung gewisse Abänderungen in den deutschen Vorbehalten verlangen werde, daß aber der allgemeine Eindruck dahin gehe, daß sie den Bericht als Ganzes annehmen (?) wolle. Die fran zösische Abordnung habe endgültige Entscheidungen noch nicht getroffen, aber sie scheine der Ansicht zuzu neigen, daß Dr. Schachts Vorbehalte in ihrer gegen wärtigen Form kein großes Hindernis für die Priva tisierung der Reparationsschuld bildeten. Mau wird gut daran tun, die Prophezeiungen des französischen Journalisten mit großem Mißtrauen und berechtigtem Argwohn aufzunehmen. Es mag im Be reich der Möglichkeit liegen, daß die Franzosen den Bericht in seiner gegenwärtigen Fassung annehmen and sich mit den deutschen Vorbehalten abfinden wer- > den. Der Bericht enthält aber, wie nochmals betont sei, noch keine zahlenmäßigen Angaben über die deut schen Jahresleistungen. Und in diesem Punkte zeigt sich Frankreich heute immer noch so unnachgiebig wie Belgien, das nach wie vor darauf besteht, daß der Youngsche Zahlungsvorschlag von 2050 Millionen um mindestens 50 Millionen erhöht wird. Um die Höhe »er deutschen Zahlungen wird sich also letzten Ende? »er ganze Kampf drehen. Der Brief Schacht» an Young. Wie von zuständiger Stelle mitgeteilt wird, ist eS richtig, daß Dr. Schacht an Owen Young ein Schreiben gerichtet hat. Der vom „Matin" veröf fentlichte Inhalt trifft jedoch in wesentlichen Teilen nicht zu Die Auflegung der Anleihe. Zeichnung sfr ist vom 24. bis 31. Mai. Steuerfreiheit bis zu 15 Jahren. Wie verlautet, wird die siebenprozentige Reichs- i anleihe am 24. Mai zu SS Prozent zur Zeichnung aufgelegt werden. Di« Zeichnungsfrist läuft bis zum S1. Mai. Di« Nnkündbarkeitsfrist ist entgegen den Erwartungen nicht verlängert worden. Sie beträgt fünf Jahr«. Danach wird mit zehn Jahren jeweils ein gleicher Betrag, also ein Zehntel anSgelost und dein Zeichner die Möglichkeit gegeben werde», dnrch ent- , sprechende Stückelung ans kleine Beträge für die ein zelne,» Teile seiner Zeichnung, falls keine Kündigung ! erfolgt, »och weitere zehn Jahre die St«»erbefrei«ng ? z» genießen. Die Anleihe wird auf SS« Millionen - Reichsmark ohne Goldklausel gestellt. Neber die Ge- ; Währung des Bankenvorschusses auf die Anleihe wird ! noch verhandelt. ! Der Reichsfinanzminister soll die Absicht haben, ° nicht den vollen Betrag der vom Reichstag bewilligten Anleihe zu begeben, sondern zunächst pur 300 Millionen, und den Rest der Anleihe zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Kassenlage es erforderlich machen sollte. i Das BerhältnlS bei der Auleiheabstimmung. Wie aus den Abstimmungslisten hervorgeht, waren j bei der namentlichen Abstimmung des Reichstags über ! das Anleihegesetz 381 von 490 Abgeordneten anwesend. ! Es fehlten also 109 Abgeordnete, darunter rund 80 - Mitglieder der Regierungsmehrheit. Von den 381 § abgegebenen Stimmen lauteten 197 auf Ja und 173 ; auf Nein bei 11 Enthaltungen. Die Minderheit setzt sich zusammen aus den Deutschnattonalen, den Christ lich-nationalen Bauern, den Nationalsozialisten und Deutschen Bauernparteilern. Außerdem haben von der Regierungsmehrheit ein Bayerischer Volksparteiler so wie 10 Mitglieder der Deutschen Bolkspartet gegen die Vorlage gestimmt. Ferner haben sich sechs Bolks- parteiler, vier Bayerische Volksparteiler und ein Deutsch-Hannoveraner der Stimme enthalten. ; Poltttsche Rundschau. — Berlin, den 17. Mai 1929. — Unter großer Beteiligung fand in Kiel die Bei setzung des Admirals Max v. Fischel statt. — Der Haushaltsausschuß des Reichst««» hat aus An- traä der Regierungsparteien die Mittel für di« Tech nische Nothilfe auf eine Million gesenkt. — Als letztes deutsches Land hat jetzt auch Braun schweig den Roten Frontkämpserbund verboten. — Der aus dem Fememordprozeß bekannte Leutnant a. D. Heines ist entsprechend dem Beschluß des Stettiner Oberlandesgerichts nach Stellung einer Kaution von 5000 Mark aus der Haft entlassen worden. — Die Hamburger Bürgerschaft hat der» Staatsvertrag zwischen Preußen und Hamburg über die Bildung einer Hafengemeinschaft endgültig genehmigt. * :: Die Jahrhundertfeier der Technischen Hochschule Stuttgart hat zahlreiche Vertreter von Reichs- und Staatsbehörden, der deutschen und ausländischen Hoch schulen und Universitäten und der Industrie in der württembergischen Hauptstadt zusammengeführt. Im Namen der Reichsregierung nahmen Reichskanzler Müller und Reichsinnenminister Severing an der Feier teil. Reichspräsident v. Hindenburg hat an den Rektor der Technischen Hochschule in Stuttgart ein in herzlichen Worten gehaltenes Glückwunschtelegramm zum Jahrhundertjubiläum gerichtet. Die Technische Hochschule Stuttgart hat aus Anlaß ihres 100 jährigen Bestehens dem Staatssekretär im Reichsverkehrsmini- fterium Gutbrod die Würde eines Dr.-Jng. ehren halber verliehen. ——— 1 Rundschau im Auslande ! Der 50. Jahrestag der Befreiung Bulga riens wurde in Sofia mit einem Festgottesdienst und einer großen Parade festlich begangen. k Der griechische Staatspräsident Admrial Konduri» otis hat sich aus Drängen der Parteien entschlossen, das Prästdentenamt weiter zu behalten. ! Die Genesung des englischen Königs hat so befriedigende Fortschritte gemacht, daß er nach Schloß Wind sor bet London übersiedeln konnte. * Der Papst und die faschistisch« JttgendeMechung. ! Der Papst wandte sich beim Empfang von Zög lingen des Jesuitenkollegiums von Mondragon« in scharfer Weise gegen di« Richtlinien der Jugenderziehung, wie sie von Mussolini in dessen Red« am Montag gezeich»«t worden sind. Er erklärt« etwa folgendes: „Die Familie und die Kirche haben natürliche und göttliche Rechte. Die kirchliche Erziehung hat ein älteres Re<m «ÄS die staatlich« Erziehung. Natürliche und göttliche Besitze geben der Fanrllie und Kirche die hauptsächliche Verantwortlichkeit. Erst wenn diese Er ziehung abgeschlossen worden ist, tritt der Staat in seins Rechte «in und beendigt die Jugendeyietzrng. Dann kann der Staat beenden, was Kirche und Familie begonnen haben." Pius XI. b«stveitet also die von Mussolini betont« Allgewalt des Staates und sein ausschließliche« Reckt, über die Erziehung der Jugend zu wach«,. Der Stand der Siedlungspolitik. Insgesamt 21 061 Reusiedlerstell«,. Auf der Salzburger Tagung des Deutschen Schutz bundes berichtete der preußische Landtagsabgeordnet« Geheimrat Dr. Ponfick über den Stand der deut schen Siedlungspolitik. Nach den Feststellungen des Statistischen Reichsamts sind in der Zeit von 1919 bis 1927 von den Siedlungsträgern insgesamt 423 035 Hektar zur Besiedlung angekaust worden. Von dem gesamten Landerwerb in Höhe von 423 035 Hektar waren am Ende des Jahres 1927 noch rund 128 000 Hektar in den Händen der Siedlungsträger. Somit find in den Jahren 1S1S bis 1S27 rund 205 000 Hektar der ländlichen Siedlung zugeführl worden. Und auf diesen rund 205 000 H«Äar sind insgesamt 21V61 Reusicdlerst«!len mit einer Gesamt- fläche von 207 869 Hektar geschaffen Word««. Dazu müss«» noch gerechnet werde» die rund S2 000 Kleln- steNe», di« auf dem Wege der Anllegersiedl»«g mit z» Eigentum erworbenen La„dzulagen »m insgesamt 61000 Hektar vergrößert worden sind. Interessant ist es auch, sestzustellen, wieviel von den Neusiedlerstellen als wirklich landwirtschaftliche Siedlungen anzusprechen sind. Bon den insgesamt 21961 Neusiedlerstellen haben nur 11 439 Stellen, also nur etwas mehr als die Hälfte, «ine Größe von mehr als 2 Hektar, und nur 9816 Stellen eine Grüße von mehr als 5 Hektar, so daß nur knapp 50 Pro zent aller im Reich in den neun Jahren von 1919 bis 1927 geschaffenen Siedlerstellen als landwirt schaftliche Siedlungen zu bezeichnen sind. Und dabei muß man noch einen Teil der Arbeiter-, Hand werker- und Gärtnerstellen zu den eigentlichen Bauern- siedlungen hinzurechnen, um auf diesen Prozentsatz zu kommen. Die Hilfe für Ostpreußen. Vertagung des Reichstags. — Berlin, d«n 16. Mai 103v. Der Reichstag ist heute in die Pfingstferien ge gangen. Die Plenarsitzungen sollen am 3. Juni wieder ausgenommen werden. Vorher jedoch, entweder am 27. oder 31. Mai, sollen die Arbeiten des Ha«S- haltsausschusses am Etat wieder beginnen. Non der zweiten Juniwoche an soll die Etatsberatung im Ple num dann energisch gefördert werden. Um den Beginn der Ferien heute schon z« ermög lichen, war die gestrige Vollsitzung bis in die spä ten Abendstunden ausgedehnt worden. NaO>ern da» Anleihegesetz in der Schlußabstimmung mit einer knap pen Mehrheit von 24 Stimmen endgültig verabschiedet worden war, nahm man anschließend die dritte Bera tung des Gesetzentwurfes zur Aenderung de» Brann tweinmonopolgesetze.« in AngrM. Nach kurzer Debatte, bet der sich Vie Avbg. Frhr. v. Richt hofen (Dntl.) und v. Sybel (Ehr.-Uts. Btz») SiLW