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16 »Ich freue mich, dich vor meiner Abreise noch einmal zu sehen, Olga. Wie geht es dem Vater, ist er gesund?" .Natürlich ist er gesund", kam es brummig von deren Lippen. .Aber wohin willst du denn reisen?" setzte sie dann schnell in sichtlicher Neugier hinzu. Christa berichtete der Schwester von ihrem großen Glück, und bemerkte dabei gar nicht, wie deren Miene einen heimtückischen, neidischen Zug annahm. .Vater wird sich freuen, wenn ich ihm erzähle, daß du allein einem Herrn in die Welt nachreisen willst", ant wortete sie dann, schrill auflachend. «Olga, weshalb ziehst du alles, was mich betrifft, in den Schmutz und gibst allem einen häßlichen Anschein? Sowie ich in Kairo eintreffe, findet meine Trauung mit Matthias Brech» statt. Ueberdies werde ich noch heute selbst zum Vater gehen, um Abschied von ihm zu nehmen. Wer weiß, ob ich ihn noch einmal wiedersehe', entgegnete Christa Wald traurig. .Laß das lieber bleiben, er wirst dich doch sofort hinaus", war die schnippische Antwort der anderen. Empört wandte sich Christa ab und ging ohne Gruß davon. Hinter ihr her klang das harte, böse Lachen ihrer Stiefschwester. Christas eben noch freudig erregtes Gesicht war jetzt bleich und bedrückt. Wie ein Rauhreif hatten sich die Worte Olgas auf ihr glückgeschwelltes Herz gelegt. Trotzdem eilte sie jetzt zur Untergrundbahn und suhr zur Dorotheenstraße. Eine halbe Stunde später betrat Christa Wald zum ersten Male nach langer Zeit wieder das Haps ihres Vaters. Langsam und mit ängstlich beklommenem Gefühl im Herzen stieg sie die vier Treppen empor und klingelte zögernd an der Wohnungstür. Drinnen vernahm sie Olgas Stimme. Also war die Schwester noch vor ihr heimgekehrt. Gleich darauf vernahm sie die wuchtigen Schritte des Vaters, die sich der Tür näherten. Die Tür ging auf, und Vater und Tochter standen sich gegenüber. .Vater, lieber Vater!" rief Christa, freudig erregt, als sie den alten Mann sah, den sie dennoch immer herzlich liebte; und sie streckte ihm, einem inneren Impuls folgend, beide Hände entgegen. «Vater, ich komme, um Abschied von dir zu nehmen und um deinen Segen und deine Ver gebung zu bitten. Morgen früh fahre ich in die Welt, um die Frau Matthias Brechts zu werden. Vater, kannst du noch immer hart gegen mich sein, jetzt, wo ich vielleicht für immer scheide?" Auf Emil Wald schienen diese flehenden Worte für einen Moment doch Eindruck zu machen, und es hatte den Anschein, als wenn ihn eine weiche Regung überkommen wollte. Dann aber drehte er sich plötzlich wortlos um und schlug die Tür hinter sich zu. Christa Wald stand eine Weile in fassungsloser Be stürzung, dann wandte sie sich stumm ab und ging langsam die Treppe hinab. In der kleinen Portierloge am Turemgang saß der alte Gotthold Wendelin, der sie freudig begrüßte. .Ich habe dem Vater Lebewohl sagen wollen, lieber Herr Wendelin, er hat mich aber wieder abgewiesen", sagte Christa, ihm traurig die Hand reichend. .Nun sag' ich auch Ihnen Lebewohl." «Also ist's doch Wahrheit, daß Sie den berühmten Pro fessor heiraten und ins Ausland gehen. Nun, ich gönne es Ihnen, liebes Fräulein Christa; Emil Wald ist ein Eisen- kopf, ich sagte es schon damals. Ich fürchte nur, daß er seine Hartherzigkeit einmal bereuen wird", entgegnete der Mte kopfschüttelnd. Christa erwiderte nichts und nickte nur stumm. »Der Fritz Kraft ist gestern auch davongesahren, nach -amMrg, und dann mit dem Schiff nach Indien", erzählte der Alte weiter. Christa zuckte leicht zusammen. „Lebt wohl, lieber alter Freund", sagte sie dann schnell und eilte davon. Draußen auf der Straße begegnete ihr Fritz Krasti Vater, der alte Klempnermeister. Christa wollte aus ihr zugehen, aber er wandte sich ab und schritt schnell vorüber Christa war der Vorwurf in seinen Augen nicht enr gangen, der wohl so viel sagen sollte: Weshalb hast dr mir den einzigen Sohn in die Fremde getrieben? „Ueberall, wohin ich komme, stifte ich Unheil", dacht« sie traurig. Und doch, die Liebe zu Matthias Brecht war stark genug, um all dies zu ertragen. Christa Wald schlief in dieser Nacht nicht. Der Abschied von Frau Alvens wurde ihr schwer, uni allmählich beschlich sie ein seltsam bängliches Gefühl vor der langen Reise, die sie allein zurücklegen sollte. So stand sie zur Abfahrtstunde auf demselben Bahn steig, auf dem sie damals von dem Geliebten Abschied ge nommen hatte; diesmal aber lebte ein anderes Gefühl in ihrer Brust. Der Zug rollte langsam in die Halle. Frau Alvens half Christa bis zur letzten Minute ge treulich; sie sorgte auch dafür, daß sie einen guten Platz bekam. Dann noch ein letzter kurzer Abschied, von vielen, guten Zukunftswünschen begleitet, und der Zug rollte aus der Halle. Christa Wald sah nicht mehr zurück; sie ließ nichts Liebes hinter sich, sie fuhr dem großen ersehnten Glück ent gegen. In rasender Schnelligkeit fuhr der V-Zug dahin. Christa saß träumend am Fenster. Ihre Gedanken eilten dem Zuge weit voraus, sie dachte an Matthias Brecht. Stunde um Stunde verrann. Neue Coupeinsassen kamen, andere stiegen aus, sie be merkte es nicht. Langsam senkte sich die Nacht hernieder, als sie in Prag ankam. Nach einer Stunde Aufenthalt setzte der Zug die Fahrt fort. Christa machte es sich in ihrer Ecke bequem und ver suchte zu schlafen, aber die innere Unruhe schreckte sie immer aufs neue auf. Verstohlen betrachtete sie die Coupöinsassen. Direkt ihr gegenüber schnarchte ziemlich geräuschvoll ein älterer Herr, und rechts in der Türecke saß eine alte Dame, die ebenfalls die Augen geschlossen hielt. Christa versuchte durch das Fenster in die Nacht hinaus zuspähen. Gespenstisch jagten Stationslichter und erleuchtete Ort schaften an ihr vorüber. Weiter, nur weiter, drängte ihr klopfendes Herz; jede Minute brachte sie ja dem Glück näher. Gegen ein Uhr nachts hielt der Zug auf einer un bekannten Station. Eine elegante junge Dame betrat nach einigem Zögern und nach kurzem prüfenden Blick das Abteil, und es dauerte eine geraume Zeit, ehe der nach folgende Gepäckträger ihre vielen Koffer verstaut haue.. Langsam setzte sich dann der Zug wieder in Bewegung. Christa saß mit halbgeschlossenen Augen, und beob achtete heimlich das Treiben der Fremden, die jetzt eifrig ihr Gesicht puderre. Die Frau war schön, dunkelhaarig und glutäugig. Christa glaubte nie im Leben Schöneres gesehen zu haben. -Ein feiner Duft von Parfiim durchschwäugertc die Luft des Abteils. Christa riet in Gedanken, was für eine Landomännin die Fremde wohl sein könne. Polin, Tschechin oder Ungarin? Letzteres erschion ihr am wahrsch*i,Uichft«n