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Beilage zur Weitzeriy-Zeilung Nr. 6? Mittwoch, am 20. März 1829 95. Jahrgang - . — >— V , — — Chronik des Tages. — Reichspräsident von Hindenburg ließ dem Groß- admiral v. Tirpitz zum 80. Geburtstag ein persönliches Handschreiben zugehen. — Unter Vorsitz Hindenburgs tritt das Reichskabinett unter Hinzuziehung preußischer Minister zusammen, um das Gesetz über die Ostpreußenhilfe zu beraten. — Der preußische Ministerpräsident Braun hat einen Erholungsurlaub angetreten und sich dem Vernehmen nach in die Schweiz begeben. — Im Auswärtigen Ausschuß des Reichstags er stattete Staatssekretär v. Schubert Bericht über die Genfer Verhandlungen. — Generalleutnant Hasse wurde zum Kommandeur des Reichswehrgruppenkommandos I in Berlin ernannt« - In Berlin starb im Alter von 64 Jahren Prof. Dr. Phil. Hans Helmolt, der sich als Historiker und Jour nalist einen Namen gemacht hat. In den letzten Jahren fand seine „Hindenburg-Biographie" größte Beachtung. — In seiner Besitzung Jannowitz im Riesengebirge ist der 56 Jahre alte Graf Eberhard zu Stolberg-Wernige rode mit einem Kopfschutz tot aufgefunden worden. — Die Verbindung Satznitz—Trelleborg ist in vollem Umfange wieder ausgenommen. Auf der Fährlinie Warne münde—Gjedscr konnte auch der Güterverkehr wieder zu- gelassen werden. Das Arbeitslosenheer. Der Etat der Arbeitslosenversicherung im Gleich gewicht, wenn die Arbeitslosenkurve steil fällt. pgz. Nach eingehenden Erörterungen hat der Verwaltungsrat der Neichsanstalt für Arbeitsvermitt lung und Arbeitslosenversicherung seine Beratungen über den Haushaltsentwurf für 1929 abgeschlossen. Zum ersten Male hatte der Verwaltungsrat der jungen Neichsanstalt über einen vollen Jahresetat zu befinden. Naturgemäß waren die Beratungen erschwert durch die Unsicherheit der Grundlage, auf der die gewaltigen Zahlensäulen sich aufbaucn. Es fehlt auch noch die langjährige Erfahrung und Ueberlreferung, welche die Zusammenstellung anderer öffentlicher Haushalte er leichtert; viele und wichtige Faktoren sind geschäht worden. Denn wenn auch die Finanzierung insofern festgelegt ist, als für Beiträge und Leistungen das Ge setz einen Rahmen gibt, so hängt doch die Rechnung von den schwer übersehbaren und beeinflußbaren wirtschaftlichen Verhältnissen ab. Das haben die Er fahrungen der jüngsten Zeit besonders deutlich ge macht. Durch die abnormen Anforderungen des eben beendeten Krisenwinters ist die Arbeitslosenversiche rung in eine schwierige Lage gekommen. Die Aus gaben übersteigen alle Erwartungen! Der Notstock war schon um die Jahreswende aufgebraucht, so daß auf die im Paragraphen 163 des Arbektslosen- versicherungsgesetzes vorgesehenen Reichsdarlehen zu- rückgegriffcn werden mußte. Die Einnahmen aus Versicherungsbeiträgen sind nach dem Durchschnitts-Bruttoaufkommen von §1928 auf monatlich 70,8 Millionen, für das Jahr also auf 850 Millionen M., geschätzt. Dieser Schät zung ist wieder eine Beitragserhöhung von 3 Proz. zugrunde gelegt. Nach diesem Voranschlag ergibt sich für den Schluß des Haushaltsjahres beim Reiche eine Schuld von 136 Millionen M. Ohne neue Schulden ausnahme im nächsten Winter wird die Arbeitslosen versicherung kaum auskommen. Denn wenn auch im Sommer die übliche saisonmäßige Entlastung eintritt, so sind doch starke Schulden abzudecken,- und außer dem ist der Notstock aufgebraucht! Für eine Beitragserhöhung ist keine Stimmung vorhanden, und sie wird auch zu vermeiden sein, wenn der Retchsanstalt keine Lasten aufgebürdet werde», die nicht zu den natürlichen Aufgaben eines auf Ver sicherungsgrundlage aufgebautcn Instituts gehören. Insgesamt schließt der Voranschlag der Neichsanstalt aus der Einnahmen- wie auf der Ausgabenscite mit je 1288 Millionen Mark ab. Die fortdauernden Ausgaben sehen an persön lichem Aufwand vor: Für die Zentrale 1,2 Millionen Mark, für die Landesarbeitsämtcr 4,2 Millionen, für die Arbeitsämter 58,9 Millionen, insgesamt 64,3 Mil lionen M. Die sachlichen Ausgaben sind mit zusammen 29,1 Millionen M. in Rechnung gestellt. Setzt man diesen Personal- und Sachaufwand zu den Einnahmen in Beziehung, so ergibt sich, daß die Verwaltungs- losten zirka 8 Prozent r gen. Der Personal bestand ist durch Mehranforr;. rangen der Berufsbera tung und der Fachabteilungen gegenüber dem Vor jahr um ein geringes größer geworden. Von den 13 209 Beamten und Angestellten, die in der öffentlichen Arbeitsvermittlung tätig sind, entfallen 166 auf die Zentrale, 733 auf die Landesarbeitsämter und 12 310 auf die Arbeitsämter. Hauptausgabeposten im Haushalt der Reichs- anstatt ist selbstverständlich die Arbeitslosenversicherung. Hier wurde cm Monatsdurchschnitt von 740 000 Ar. beitslosen mit einem durchschnittlichen Unterstüt zungsaufwand von 75 M. im Monat angenommen, was eine Jahresausgabe von 666 Millionen M. ver ursacht hätte. Dieser Betrag wurde aus 700 Mil lionen M. erhöht. Grundlage der Berechnung bildet die konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Soll die ver- anschlagte Jahressumme ausreichen, dann muß die Ar beitslosenkurve - am 28. Februar zählte man noch stL und - „„v Kosten für Maßnahmen zur Verhütung der Arbeitslosigkeit erscheinen u. a. die Aufnahme von Arbeit an ^^?M' tleuen Arbeitsort, die Beschaffung von Arbeits ausrüstungen, die «osten für Umschulung und Fortbil dung. Hier zeigt sich das begrüßenswerte Streben nach individueller' der Arbeitsvermitt- PoliLische Rundschau. — Berlin, den 20. März 1929. — Das Umgemeindungsgesetz für Brandenburg fand im Landtogsausschub die grundsätzliche Zustimmung fast aller Fraktionen. — Der Justizminister der südafrikanischen Union, Tiel» mann-Roos, traf in Hamburg ein und begab sich von dort nach einem deutschen Kurort. * General Hasse übernimmt das Gruppenkom mando 1. Der Reichspräsident hat den Generalleut-, nant Hasse mit Wirkung vom 1. April zum Besehls-, Haber des Reichswehrgruppenkommandos I, Berlin, als Nachfolger des aus dem Heeresdienst ausscheidenden Generals v. Tschischwitz ernannt. :: Geßler schwer erkrankt. Der frühere Reichs wehrminister Geßler erkrankte an Gelenk-Rheumatis- mus. Die Erkrankung nahm einen so schweren Charak- kcc an, daß Dr. Geßler in ein Berliner Krankenhaus! libergeführt werden mußte. r' Kreuzer „Berlin" lief nach 15 monatiger Abwesenheit wieder in seinen Heimathafen Kiel ein. «um Empfang hatten sich der Stationschef Konter- admiral Hansen, eine Kompagnie der ersten Matrosen- Artillerre-Abteilung sowie zahlreiche Familienangehö rige der Besatzung eingefunden. Saarregiernng hat abermals einen Aus länder mit der Stellvertretung des Präsidenten der Regierungskommission beauftragt, obwohl das saar ländische Mitglied der Kommission noch niemals mit einer solchen Funktion beauftragt worden ist! Graf Stolberg-Wernigerode ermordet. Lin rätselhaftes Verbrechen. - Keine Spur der Täter. . In der Nacht wurde auf seiner Besitzung in JaNnowitz im Riesengebirge, Kreis Schönau d« Katzbach, der Majoratskerr Eberhard Graf zu Stol berg-Wernigerode im 66. Lebensjahre ermordet. «r ist durch zwei Schüsse in den Hiuterk-pf getötet worden, offenbar wnrden die Schüsse an» Mchsten Nähe aus de« Grafen abgegeben. Ler Mörper hat Handschreiben, in dem er seine herzlichsten Glückwünsche zum Ausdruck brachte. Glückwunschtelegramme gingen ein von dem Reichswehrminister Groener, dem bayeri schen Ministerpräsidenten Held, ferner von den Füh-> rern verschiedener Parteien und Verbände. Die Marinevereiuigungen des süddeutschen Ber« bandeS, die N-Bootskameradschaft, der Stahlhelm, St«» pentenverbindungen und zahlreiche andere Organisa» tionen brachten dem Großadmiral in Feldafing einen Fackelzng dar. Insgesamt waren über 1800 Deilneh» mer mit Fackeln erschiene,». Unter Vorantritt einer Stahlhelmkapelle mit devj Seekriegsslagge bewegte sich der Zug durch das Dor« rum Hause des Großadmirals, vor dem dieser den Fak-» kelzug erwartete. Der Führer des Verbandes der süd- deutschen Marinevereinigungen, Kapitän Teichmann» hielt eine Ansprache, in der er der Verdienste de« Großadmirals gedachte. Tirpitz habe die Seewaffe ge» schmiedet; aber das Schwert sei in einem anderem Sinne gebraucht worden, als der Schmied es gewoW habe. Dem Wollen und Streben des Großadmirals seh der Erfolg versagt geblieben; aber seine Idee gingH nicht verloren. Nachdem die Mnfik das Deutschland» Lied gespielt hatte, dankte der Großadmiral in beweg-,, te» Worten und begrüßte die Geekriegsflagge. LÄ sprach den Wunsch aus, jeder solle an seinem Platz« für die Wiedererstarknng Deutschlands Mitwirken. I Nach der Ansprache des Großadmirals überbraW ten die Führer des Zuges ihre Gratulationen. Mk- dem Präsentiermarsch wurde die Feier beendet Die Gläubiger streite« sich, llnterrednug Schachts mit Owen Äsung. — Die Kon« ferenz soll nächste Woche in ihr kritisches Stadimm treten! Die Reparations-Sachverständigen halten am heu^ tigen Mittwoch eine neue Plenarsitzung ab. Nach dey Darstellung der Havas-Agentur will Reichsbankprä» sident Dr. Schacht danach abermals nach Berlin rei-, sen, um an einer Sitzung des Verwaltungsrates der» Reichsbank teilzunehmen. Die Verhandlungen der De-, legierten untereinander sollen jedoch weitergehen und! die delikate Frage der Höhe der deutschen Zahlungen! und der Anzahl der Jahresraten betreffen. Am Mon-, tag, so sagt man in Paris, werde dann mit der Rück-, kehr Dr. Schachts die „kritische Phase der Konferenz^ beginnen. MS „interessantestes Ereignis der letzten 2U i Stunden" glaubt die englische Zeitung „Daily Dele» ! graph" eine Unterredung Schachts mit vwe« Nomig melde« zu können. Einzelheiten über diese Bespre» : ch»ng vermag das Blatt jedoch nicht auzuführeu. Die Pariser Presse trägt heute ihre Hoffnungs» l freudigkeit weniger deutlich zur Schau, rechnet abey auch jetzt noch mit einem erfolgreichen Verlauf der Konferenz. Der Kampf um die Ziffern und Zahlest sei nun aus den unverbindlichen Besprechungen in dio Phase der offiziellen Verhandlungen eingetreten. Dey Endkampf habe begonnen. Es gewinnt de» Anschein, als wenn der Kamps gegenwärtig nicht zwischen der deutschen und de» ! Delegationen der Gläubiger ausgefochten wird, son» der» zwischen den Alliierten untereinander. Mast streitet sich über die Verteilung der Milliarde», wo« bei dio Franzose» de» Engländer» »nd Belgier» vor-, werfe», z» sehr a»f ihren eigene» Vorteil bedachk zu sein. lung sehr deutlich. Wenn das Gesetz von dem Ar beitslosen mit Recht verlangt, daß er um so weniger wählerisch in der Auswahl seiner Arbeitsstelle sei, je länger er schon arbeitslos ist, so muß andererseits! alles getan werden, um die Arbeitsaufnahme auch un ter schwierigen Verhältnissen zu ermöglichen, ohne daß der wieder in Arbeit Getretene eine erhebliche Schul denlast aus sich zu nehmen braucht. In dem Gesamt kapital der Maßnahmen zur Verhütung und Beendi gung der Arbeitslosigkeit sind auch die Darlehen und Zuschüsse für die Grundförderung in der produktiven Arbeitslosenfürsorge enthalten. In dem Bestreben, die produktive Arbeitslosensürsorge in den Vorder-, arund zu rücken, hat der Berwaltungsrat die Mittel hierfür erheblich über die vorjährigen Aufwendungen erhöht. Nimmt man für die übrigen Maßnahmen 12 Millionen M. an, so bleiben nach dem Voran schlag 68 Millionen M. allein für die Grundförde rung übrig. Alles in allem waren die Beratungen über den Hallshalt der Arbeitsvermittlung und -Arbeitslosen versicherung ausgezeichnet durch starken Verantwor tungswillen aller Beteiligten. Von seinem Recht zur Kritik und zur Antragstellung hat der Verwaltungsrat ausgiebigen Gebrauch gemacht und dabei eine Reihe wertvoller Verbesserungen vorgeschlagen, die sich zum Vorteil der Arbeitsvermittlung und damit der ge samten Volkswirtschaft answirken werden. Wer will für den Etat stimmen? Der Rcichsfinanzminister verhandelt mit den Parteien. Auf dem Wege znr Einigung. - Berlin, den 20. März. NeichSfinanzminister Dr. Hilferding nahm mit dcir Finanzsachverständigen einzelner Fraktionen Füh lung, um festzustellen, welche Forderungen für die im RcichShaushaltsgcsetz vorzunehmenden Streichungen von den Parteien geltend gemacht werden. Zunächst hatte der Minister Unterredungen mit Abgeordneten der sozialdemokratischen, der volksparteilichen und der Zentrumsfraktion. Im Anschluß daran sand eine ge meinsame Besprechung von Vertretern des Zentrums, der Bayerischen Volkspartei und der Sozialdemokraten statt. Die Besprechungen über die endgültige Gestaltung des neuen Reichshaushaltsgesetzes sind insofern von erheblicher politischer Bedeutung, als die Mehrheit, die sich im Parlament für die Verabschiedung des Etats zusammenfindet, auch die Verantwortung für die wei tere Politik der Reichsregierung mit übernehmen dürfte. In den Kreisen der Regierung ist man of fensichtlich bemüht, das Zentrum für die Aufgabe seiner Oppositionsstellung zu gewinnen. Wenn alles gut geht, kann die Mehrheitsfrage hinsichtlich des Etats noch vor dem Beginn der Aus« schußberatungen über das Reichshaushaltsgesetz geklärt werden. Gegenwärtig stehen einer Einigung jedoch noch große Schwierigkeiten im Wege. Entscheidende Bedeutung sür den Ausgang der Verhandlungen kommt übrigens auch der Haltung der Deutschen Volks- Partei zu. -i- Der Haushaltsausschuß des Reichstags stimmte vem Bericht des Rcchnungsausschusses über den Etat 1927 zu und genehmigte einstimmig eine Reihe voy Beschlüssen, durch die u. a. die Haushaltsüberschreitun gen nachträglich gebilligt werden. Deutschland gegen den Gaskrieg. Der Auswärtige Ausschuß stimmt dem Giftgas-Proto koll zu, — Schubert berichtet über Genf. Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags hielt am Dienstag eine neue Sitzung ab. Zunächst wurde der Gesetzentwurf über das Genfer Protokoll wegen Ver bots des Gaskrieges behandelt. Staatssekretär v. Schubert begründete den Ent wurf und führte aus, das Protokoll fei 1925 von 38 Regierungen unterzeichnet und bis heute von acht Mächten bestätigt worden, u. a. von Belgien, Frank reich, Italien und Rußland. Die Auflegung der Protokolls sei auf deutsche Anregung erfolgt. Das Protokoll sei geeignet, das Mißverständnis zu zer streuen, als ob Deutschland auf dem Gebiet des chemi sche» Krieges Anlaß hätte, etwas z» verbergen. Die Reichs» egicrung lege besonderen Wert darauf, die Rati fizierung noch vor der Tagung der vorbereitenden Ab rüstungskonferenz vorzunchmen, um damit auf eine»» neuen Schritt in« Sinne der Abrüstung Hinweise,» zu können. Dazu komme, daß die Fragen der Schutzmaßnah men gegen den Gaskrieg auf einer Ende April in Rom stattfindenden Konferenz durch das internationale Ko mitee vom Roten Kreuz behandelt werden sollen. Auch im Hinblick aus diese Konferenz erscheine es nützlich, die Ratifizierung des Protokolls noch vor dem Zu sammentritt dieser Konferenz vorzunehmen. An die Erklärung des Staatssekretärs schloß sich eine Aussprache. Der Gesetzentwurf wurde sodann angenommen. Hierauf beschäftigte sich der Aus- schuß .mit den Verhandlungen der letzten Ratssitzung des Völkerbundes, worüber Staatssekretär von Schubert ein eingehendes Referat erstattete. Ehrungen für Tirpitz. Handschreiben des Reichspräsidenten. — Kackelzug i» Feldafing. Am Dienstag feierte Großadmiral v. Tirpitz in Feldafing seinen 80. Geburtstag. Reichspräsident von Hindenburg sandte dem Großadmiral ein persönliches