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„Sie wird sich hüten", hohnlachte der Untersuchungs richter, ein junger, schneidiger Herr, der sehr überlegen, mit der Miene eines alten, erfahrenen Beamten, seinen Dienst versah. „Die Miß glaubt es natürlich nicht! Es müßte keine Frau sein!" Immerhin besaß man durch das Telephongespräch bereits eine Spur des vermutlichen Mörders! „Welches war der Zweck des Telephongespräches aus Ostende?" forschte der Untersuchungsrichter. „Miß Bagenstecher richtete die Bestellung aus, daß die Herrschaften heute abend nicht nach hier zurückzukehren gedenken, sondern erst morgen früh wieder hier ein treffen!" Der Untersuchungsrichter machte ein sehr befriedigtes Gesicht. — Natürlich! Wie konnte es anders sein! Der Mörder sollte in Sicherheit gebracht werden! „Von wo würde das Gespräch geführt?" „Vom Kursaal in Ostende." Die Vernehmung war beendet. Das Gepäck Fred Bronnens und Theodor Hooffts wurde beschlagnahmt. Dann verschwanden die Beamten bis aus den Photo graphen und den Polizeiarzt, die noch an der Leiche zu tun hatten. * * ' Fred Bronnen, der neben Miß Blank in dem ele ganten grünen Wagen saß, wunderte sich, daß Miß Blank den Wagen auf die westwärts aus Ostende führende Land straße steuerte und hier bald die höchste Geschwindigkeit einschaltete. „Was tun Sie, Miß Blank?" fragte er erschrocken, als sie über einen Bahnübergang sausten und höchst unsanft durchgeschüttelt wurden. 'Miß Blank schwieg. Sie hatte das frische, jugendliche Gesicht hochmütig verzogen und blickte unentwegt gerade aus auf das weiße Band der endlos in die Ferne gehenden Straße. Dörfer huschten vorüber, Wälder kamen und gingen. Kanäle wurden überquert, Städte passiert. — In sau sender Fahrt ging es westwärts. „Wohin?" forschte Fred Bronnen wiederholt, mit leichtem Unbehagen. „Wohin Miß Blank?" „In Sicherheit", antwortete Miß Blank zwischen den Zähnen hindurch unwillig und beschleunigte das Tempo des schnellen Wagens noch mehr. In Sicherheit? — In Sicherheit? — durchfuhr es Fred Bronnen. — Wer brauchte Sicherheit? — Warum Sicherheit? Er fand keine Erklärung für die Fragen und saß mit zusammengekniffenen Lippen stumm neben Miß Blank und ließ sie widerstandslos gewähren. — Was sollte ihm passieren! Eine flüchtige Laune der Dollarprinzessin, nichts weiter! So spottete er heimlich und kam doch nicht los von dem reizenden Bilde, das die Fahrerin bot. In Brügge änderte Miß Blank plötzlich, als habe sie einen Entschluß gefaßt, die Richtung und steuerte den Wagen nach Norden, zur Küste zurück. Man durchfuhr die engen Gassen des in seinem ältesten Teile ärmlichen Fischerdorfes und Badeortes Heyst-sur-mer und strebte dann, bei einer neuen Aenderung der Richtung, nach dem schon fast holländischen, sauberen, netten Knocke-sur-mer. Als man in das Dörfchen einbog, begann es zu dunkeln. Miß Blank steuerte den Wagen zur Straße, die zum nahen Strande hinabführte. Als man von hoher Düne das Meer und die breit aus- fließende Schelde ganz fern am Verschwimmenden Hori zont erblickte, bremste Miß Blank den Wagen. Sie sicherte das Fahrzeug und stieg aus. Fred Bronnen folgte ihr nnt erwartungsvoller Spannung. Sie schritten nebeneinander wortlos zum Strande hinab und setzten sich abseits von der in der Abend dämmerung völlig verlassenen Straße in den Sand, als sich Miß Blank vergewissert hatte, daß sie niemand be» lauschen konnte. „Sie müssen heute nacht noch über die Grenze, Herr Bronnen!" begann Miß Blank ohne Umschweife gm- geschäftsmäßig und kalt. Der Schwimmer machte große Augen. Er verstand Miß Blank nicht. Was geschah ihm? WaS plante sie mit ihm? — Gleich war ein Verdacht da. „Warum?" forschte er stockend und hielt den Atem an. „Die Polizei sucht Sie!" „Die Polizei! — Mich? Nicht doch, Miß Blank! Ein Irrtum! Ich bin mir keiner ernstlichen Verfehlung bewußt!" Miß Blank schwieg eine Wette. Dann rief sie dumpf in die letzten Abendschatten, die über das Meer auf fie eindrangen: „Sie haben Herrn Hoofft ermordet!!" Nun fuhr der Schwimmer auf. Wes Blut wich aus seinem Gesicht. In der Dämmerung funkelten seine Augen drohend und gefährlich. Die Hände hatten sich in Abwehr und trotzigem Zorn zu Fäusten geballt. „Miß Blank " „Sie leugnen die Tat?" „Miß Blank treiben Sie Ihren Scherz nicht zu weit mit mir! Was wollen Sie von mir? — WaS planen Sie? — Weshalb bringen Sie mich hierher in diese Einöde?" Miß Blank senkte das seine Köpfchen und saß regungs los im Sande, der noch warm war vom heißen Nach mittag. Fred Bronnen ließ den Blick nicht von dem Ge sicht Miß Blanks. — Da schien es ihm plötzlich, als fielen Tropfen aus ihren Augen in den Sand. Es gab ihm einen Ruck. Er streckte die Hände aus in Sehnsucht und mit der Bitte um Vergebung. „Miß Blank, verzeihen Sie, wenn ich unbedacht " Miß Blank wich ihm aus. Sie sprach leise, mtt leicht zitternder Stimme, ohne ihn anzusehen: „Ich habe den festen Glauben, daß Sie unschuldig sind! Aber der Ermordete hat vor seinem Tode gegen Sie auS« gesagt — und der Schein ist gegen Sie , nicht zuletzt durch die Autofahrt, zu der ich Sie heute mittag einlud. So fühle ich mich mitschuldig und übernahm eS freudig, Sie in Sicherheit zu bringen! „Miß Blank —, mein Freund Hoofst sollte wirklich — aber " „Er ist heute kurz vor unserer Autofahrt ermordet und beraubt in seinem Hotelzimmer aufgefunden worden!" „Ich habe ihn doch weggehen sehen mtt seinem Koffer " „Eine Täuschung . Fred Bronnen stützte den Kopf in die Hände. Es schien ihm unfaßlich. Er zweifelte und hatte eigentlich keinen Grund dazu. Miß Blanks Anteilnahme war echt. Und doch Er fuhr auf. „Woher wissen Sie das?' „Zum Glück erfuhr es Miß Bagenstecher am Telephon, als sie das .Palace - Hotel' in Dünkirchen davon ver ständigte, daß wir am Abend nicht mehr zurückkehren würden!" Fred Bronnens Kopf fiel schwer herab auf die Brust. Er erinnerte sich jetzt deutlich an das abweisende, leicht furchtsame, fast entsetzte Gesicht Miß Bagenstechers, als sie ihn flüchtig anblickte. Er sah. wie sie in weitem Bogen um ihn herumschritt , hörte ihr erregtes Tuscheln zu Miß Blanks geneigtem Ohr „Wo sind wir hier?" fragte er in entschlossenem, wildem Trotz. „Dicht an der holländischen Grenze. — Da unterdessen zweifellos alle Grenzämter verständigt worden sind, müssen Sie versuchen, heimlich von hier nach Holland zu ent weichen. Dort sind Sie zunächst in Sicherheit, und es kann