Volltext Seite (XML)
28 Leider war seine Gesundheit schlecht. Er lag oft des Nachts wach und dachte darüber nach, weshalb er eigent lich noch lebte. Stürbe er, würden seine Erben sich die Hände reiben! „Pfui!" Florinde blieb stehen. „So etwas dürfen Sie nicht sagen!" „Ist es nicht wahr?" fragte er dagegen- „Heißt es nicht in irgendeinem Gedicht: Keine Seele weint um mich? So ist es mit mir, und ich kann mich kaum beklagen. Ich habe es nicht verstanden, mir Freunde zu erwerben. Im Gegenteil, ich habe verstanden, die, die mich lieben wollten, von mir zu stoßen, so daß sie nichts mehr von mir wissen wollten." .Es geht alles vorüber!" sagte Florinde leise, und Glauber grifs an seinen Hut. .So sagt man!" erwiderte er kurz, und dann war er gegangen. Florinde sah einen Augenblick hinter der- kleinen, gebeugten Gestalt her, die mit langen Schritten über das Feld ging. Sie konnte ihm nicht mehr böse sein; er war beklagenswert und einsam. Sie hatte ihre Schwester und hier gute Freunde gefunden, mehr brauchte sie nicht. Als ausrichtige Schwester berichtete sie nachher, daß sie mit Glauber etwas spazieren gegangen wäre. Auch, was er ihr von seinem Leben erzählt hatte. Leontine schüttelte den Kopf, sagte aber nicht viel. .Daß Glauber sich an uns drängt, finde ich überflüssig. Aber wenn er dir nicht unangenehm ist, kann es mir einerlei sein. Gewiß verdient er Mitleid, hat sich aber sein verdorbenes Leben selbst zuzuschreiben." , Seit der Zeit ging Florinde manchmal ein Stückchen Weges mit Glauber, und Leontine klagte gegen Frau von Lörrach: „Es ist gerade so, als wollte er wieder etwas von Florinde. Ich dulde aber nicht, daß er sie beunruhigt. Sie soll mit ihren fünsundsechzig Jahren in Ruhe ge lassen werden!" Frau Agathe tröstete. Ihr schien dieser flüchtige Ver kehr nicht gefährlich. Alte Leute mußten sich einmal aus sprechen dürfen. Aber Leontine war manchmal unfreund lich gegen die geliebte Schwester, und wenn sie Glauber begegnete, grüßte sie ihn kaum. Auf dem Lörrachhof ging das Leben weiter. Die Ernte erforderte jetzt alle verfügbaren Kräfte, dann aber war eine kleine landwirtschaftliche Ausstellung in der Kreisstadt, die Lutz mit einigen Tieren beschickte. Der alte Verwalter wurde etwas besser, und Lutz tonnte mehrmals Weggehen, um einige Verkäufe ab- zuschließen und fogar einen Preis in Empfang zu nehmen. Den hatte seine Mutter natürlich verdient, wie er gleich sagte, aber sein Name stand doch unter den prämiierten Landwirten, und ihm wurde Glück gewünscht. Er hatte einen kleinen silbernen Brotkorb erhalten, den er seiner Mutter bringen wollte, aber vorläufig war er noch in der Stadt und mußte ein Essen mitmachen, das die Aussteller untereinander veranstalteten. Lutz ging zum Schneider, um sich einen kleinen Schaden an seinem Rock ausbessern zu lassen. Hilde achtete nicht auf seine Kleider, und seine Mutter mochte er nicht darum bitten. Im Hause des Schneiders befand sich ein kleiner Anti- quiiätenladen, in dessen Fenster, allerlei Dinge lagen, die von Leuten, die einst bessere Tage gesehen hatten, ver äußert wurden. Lutz warf einen zerstreuten Blick aus kleine Flakons, Porzellanteller und Tassen, die hier aus gestellt waren. Er hatte keinen Sinn für Altertümer, er freute sich, wenn die Karre bei ihm einigermaßen ging. Aber dann blieb er stehen. Hatten die zwei Sevres- tassen, die auf einem Sammetkissen lagen, nicht in seinem Eßzimmer auf dem Büfett gestanden? Wie kamen sie hierher? Er wollte in den Laden gehen, dann fiel ihm sein Rock ein; er hatte wenig Zeit, der Schneider mußte ihm eme geplatzte Naht wieder nähen. Der Meister war natürlich zur Ausbesserung bereit, fand noch einen Schaden, und Lutz muhte inzwischen halb ausgezogen bei ihm sitzen. „Für den Feldern habe ich auch gearbeitet!" erzählte der Schneider. „War sehr verwöhnt, nichts war fein genug. Mein Geld soll ich noch haben. Ob wohl etwas aus dem Nachlaß herauskommt?" Lutz war ungeduldig. Sobald er fertig war, ging er, wollte sich noch einmal die Tassen ansehen, vergaß es dann aber doch. Aber in seinem Kopfe spielten allerlei Ge danken miteinander — übe: die Tassen wunderte er sich. Während er weg war, saß Hilde im Garton, und ihre Mutter neben ihr. Es war herrliches Wetter, man muhte die frische Luft genießen. Frau Wenninger redete sehr zu, daß Hilde nicht immer im Zimmer läge. Das arme Kind hatte so schlechte Nerven. Es war wirklich schön im Garten; die Dahlien standen prachtvoll in ihrer bunten Schönheit, die blauen Ritter sporne blühten zum zweiten Male. Frau Wenninger, die sich sonst nichts aus Blumen machte, fand es doch an genehm, hier unter Blumen zu sitzen und zugleich -in bequemes Leben zu haben Sie hatte sich daran gewöhnt, daß Hilde nichts tat, st» selbst fand es auch bequemer, sich bedienen zu lassen, und Fräulein Herrlich wollte lieber allein regieren, als daß sie die Mutter der jungen Frau in die Wirtschaft ein- blicken ließ. An diesem Tage, da Lutz weg war, fuhr Besuch auf den Hof. Ein kleiner Wagen, den eine junge Dame selbst lenkte, und die von Fräulein Herrlich lebhaft begrüht wurde. Frau Wenninger war sehr neugierig. Wer war diese junge Dame und was wollte sie? „Sie muß es uns doch sagen, wenn Besuch kommt!« sagte sie zu Hilde, die gleichgültig von ihrem Buche aufsah. „Ich erwarte keinen Besuch!" erwiderte sie. Nach einer Weile fuhr der Wagen wieder weg. Unter sehr herzlichen Abschiedsworten der Herrlich, die nachher in den Garten kam, um Hilde eine kleine Mahlzeit zu bringen. „Wen hatten Sie denn da?" erkundigte sich Frau Wenninger, und die Haushälterin lachte. „Das war Fraulein Minchen Hammer, die mit dem Herrn Amtsrichter Lösflein verlobt ist. Ich bin bei ihren Eltern lange in Stellung gewesen, habe Fräulein Minchen als Kind gekannt. Sie wollte einige Kochrezepte haben." „Und darum lachten Sie so?" fragte die Wenninger. Fräulein Herrlich lachte wieder. „Ach nein, deswegen nicht. Es war so komisch, daß Fräulein Minchen von einem Herrn besucht wurde, der versuchte, sie auszufragen. Es heißt ja jetzt, daß dieser Herr Feldern nicht von einem Manne, sondern von einem Mädchen ermordet ist, und sie soll Minchen geheißen haben. Darüber haben wir gelacht. Denn mein Fräulein Minchen ist erst vor ein paar Tagen von einer längeren Reise zurückgekehrt, und sie Weitz gar nichts von diesem Feldern. Der Herr ist auch gleich wieder weggegangen!". Die Herrlich hatte eilig und noch in ihre eigenen Ge danken vertieft gesprochen. Nun sah sie, daß Frau W ninger sie mit einem starren Blick betrachtete. „Das ist natürlich nur alles erücht!" sagte sie halb beruhigend. „Man braucht deswegen nicht alles zu glauben, was gesagt wird! Soll ich noch etwas Kakao bringen, gnädige Frau?" Als Hilde den Kopf schüttelte, lief sie eili^ davon. Sie hatte ewig in der Wirtschaft zu tun. Hilde hatte hastig gegessen und getrunken. Dann mur melte sie etwas Unverständliches, erhob sich und ging ins Haus. Auf der Treppe, die nach ihrem Zimmer führte, mußte sie sich festhaltcn, so schwindlig war sie. Und ihre Mutter starrte hinter ihr her, wollte lachen und etwas sagen, aber konnte es nicht. Es konnte doch nicht sein, und es war Unsinn, an solches Geschwätz zu glauben! (Fortsetzung folgt.)