Volltext Seite (XML)
Z Lem die Tat geschah —, ohne sich umzusehen, eilte sie davon. Der junge Mensch stand in seinem Schlupfwinkel und wußte nicht recht, was er beginnen sollte. Dann brach Las Unwetter los, das, wie Sie sich entsinnen werden, großen Schaden anrichtete. Der Vagabund kroch, so gut es gehen wollte, in den Schutz der Hecke. Als das Un wetter nachließ, lag der Tote noch da. Er truo guten Aö», eine Weste, ein paar Schuhe, die ihm nichts mehr nützten. Der Vagabund nahm sie, schob die Leiche noch etwas mehr unter die Zweige und Blätter, die auf den Weg geprasselt waren, und entfernte sich, so eilig er konnte. Hätte er nicht bald die Uhr verkauft, die Felderns Namen trug, er wäre nicht so schnell gesaßt worden. Wie gejagt, wir haben ihn jetzt, aber wir möchten ihn Wohl des Raubes, aber nicht des Mordes beschuldigen. Er ist aus guter Familie, aber verkommen. Vielleicht kann er sich noch bessern, wenn er in die richtigen Hände kommt. Jedenfalls bin ich der Ansicht, daß er bei dieser Sache die Wahrheit spricht. Darf ich nun an Sie, geehrtes Fräu lein, die Frage richten, ob Sie es waren, die von dem Baume stieg und ohne sich weiter umzusehen, nach Hause Hing?' „Ich war es!* erwiderte Florinde, und ihre Stimme schwankte. „Und was haben Sie gesehen von dem Drama, das sich zu Ihren Füßen abspielte?* Florinde holte tief Atem. „Fast gar nichts. Ich war «ingeschlafen, es war so heiß. Die Stimmen erweckten mich, sie schienen sich zu zanken. Als der Schuß fiel, fuhr ich auf und lief weg.* „Sie haben nichts gesehen?* „Ich sah einen Augenblick eine Frau. Sie trug ein Tuch um den Kopf —* „Welches Kleid?* „Ich kann es nicht genau sagen. Das Tuch um den Lop,' war weiß. Mehr habe ich wirklich nicht gesehen.* „Sie hörten Wohl Stimmen, aber keine Worte?* Florinde legte die Hände an die Stirn. „Es war mir, als sagte er: »Fräulein Minchen!' Aber ich kann es nicht beschwören!* setzte sie ängstlich hinzu. „Ich danke Ihnen vielmals, verehrtes Fräulein!* Der Staatsanwalt legte seine Amtsmiene ab. „Wir machen diese Untersuchung ganz in der Stille. Womöglich soll sie nicht in die Zeitung kommen, bis wir feste Be weise in Händen haben. Sie kennen natürlich niemanden, Ler hier Minchen heißt, nicht wahr?* „Ganz gewiß nicht!* Florinde, die immer blasser ge worden war, brach in Tränen aus, der Staatsanwalt klopfte sie beruhigend auf die Hand. „Bitte, glauben Sie nicht, daß Ihnen irgendwelche Unannehmlichkeiten aus diesem kleinen Verhör erwachsen werden. Für mich handelt es sich nur darum, fest- Hüstelten, daß der Vagabund die Wahrheit gesprochen hat. Seine Strafe wird wohl leicht sein. Hoffentlich kann man ihm weiter helfen, daß er auf bessere Wege kommt! Die «ndere Angelegenheit ist sehr verworren —, es bedarf noch vorsichtiger Arbeit, um hier einige Klarheit zu er- kangen!* Der Staatsanwalt war sehr liebenswürdig geworden. Er sprach mit Florinde von allen möglichen Dingen, be hauptete, einen Verwandten von ihr zu kennen, und be ruhigte die alte Dame sichtlich. Als er sich empfahl, war sie ganz erleichtert. Diese Episode, deren unfreiwillige Zeugin sie gewesen war, hatte so schwer auf ihr gelastet, daß sie nicht einmal mit Leontine darüber gesprochen haue. Sie wußte ja auch nichts Genaues und hatte nichts Ordentliches gesehen. Nur die weibliche Gestalt mit dem weißen Kopftuch. Wer war sie? Ach, möchte es nie herauskommen l Feldern war tot —, niemand konnte ihn wieder leben« Lig machen. Sein Leben war kein gutes und nützliches gewesen. rr Florinde berichtete ihrer Schwester sticht« von dem Besuche des Staatsanwalts. Sie konnte nicht gut über dieses Erlebnis sprechen. Herr Petrich saß am andern Tage in seinem Bureau und ließ den Kriminalkommissar kommen. „Sie müssen herausfinden, wer in Fritzenhagen und in der Ümgegeiw Tcmchen heißt!* sagte er ihm, nachdem er ihm die Aussage des Fräulein Baumann vorgelese». hatte, aus der, nach Ansicht beider Herren, nur das zn^ entnehmen war, daß Feldern von einer Frau getötet Watz- und daß sie Minchen hieß. Man wollte vorsichtig forschen.! Weiter ging der Sommer. Es fielen gelbe Blätter von den Bäumen, und die Tage wurden kürzer. Aber e-^ war meistens schönes Wetter, und wenn Doktor Glauber' den Weg nach Fritzenhagen ging, blieb er wohl vor dem kleinen Hause stehen, das „Friedheim* hieß, und hätte gern Florinde Baumann besucht. Aber dann schickte er nur Helga Bering, die immer meldete, daß es Frau von Lörrach und den beiden Damen gut ginge. Fräulein Florinde saß nicht mehr in der großen Ulm«. Diese war vom Unwetter arg mitgenommen, und außer», dem war ja auch hier der Mord begangen worden. St» arbeitete meistens im Garten und ging selten auf di« Landstraße. Es gab einen Weg, der hinter dem Kirchhof nach de«^ freien Felde und dann nach dem Moor führte. Er war, nicht so schön und schattig wie der andere, aber er hatte! frische Luft und von hier sah man die Kirche von Fritzen hagen sehr gut liegen. Als sie hier einige Male gegangen war, begegnete sie . plötzlich Glauber, der sehr überrascht tat, dann aber ohne weiteres sich seiner einstigen Verlobten anschloß. Sie ließ es sich ruhig gefallen. Wenn man alt wird, brennt manches nicht so schmerzhaft in der Seele, und der alte, kümmerliche Mann löste in ihr nicht mehr bittere Er innerungen aus. Die Unterhaltung der beiden war ziemlich lebhaft. Florinde wollte sich für den Wein bedanken, kam aber nicht dazu. Sie erzählte plötzlich von dem Besuche des Staatsanwalts und was sie gesagt hatte. Es drückte sie, sich nicht mit Leontine aussprechen zu können, aber diese würde zu erregt werden. Glauber wurde nicht erregt. Er hörte schweigend zu und tat nur zuletzt einige Fragen. „Sie haben wirtlich nicht erkannt, wer die Frau war?' „Gewiß nicht! Erstens war ich ganz verstört, dann kenne ich hier wirklich fast niemanden. Als ich vom Baum stieg, sah ich mich nicht um. Ich hatte Wohl einen Schuß gehört, konnte mich aber auch geirrt haben. Ich war schwindlig von der Hitze und hatte wohl geschlafen? erst allmählich, als ich von Felderns Ermordung hört«,' wurde mir klar, daß ich vielleicht etwas von dem Morde erlebt hatte. Nun bin ich sehr ängstlich! Denken Sie, wenn man mich vor Gericht holt? Ich weiß doch eigent lich nichts! Wie soll ich mich da benehmen?' „Sie müssen immer wieder betonen, daß Sie Nicht wissen!' erwiderte Glauber. „Es ist vernünftig, daß Sie Ihrer Schwester nichts gesagt haben! Je weniger man über diese Geschichte spricht, desto besser! Vielleicht wird sie totgeschwiegen!* „Ach, der Staatsanwalt scheint ein recht unangenehmer Mann zu sein! Ich fürchte, er wird alle Hebel in Be wegung setzen, um das Geheimnis herauszufinden!* „Lassen Sie ihn Hebeln! Das ist seine Sache! Unsere Sache ist, den Mund zu halten!* Glauber sprach von anderen Dingen. Er erzählte, daß er verheiratet gewesen wäre. Seme Frau war im Irren- Hause gestorben. Das war lange her; er war immer ein sam gewesen, hatte bald hier, bald dort gelebt, bis ihn der Zufall aus den Besitz in Fritzenhagen aufmerksam machte. Er fühlte sich wohl hier, seine Bücher waren seine Freunde. Einige Aufsätze, die er geschrieben, hatten ihn»^ die Anerkennung gelehrter Kreise eingetragen.