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Während ste diese Gedanken in sich herumtrug, kam ihr dicht bei Fritzenhagen ein Herr entgegen, von dem sie gleich ahnte, daß es Doktor Glauber sei. Er war klein und häßlich, hatte eine vornüber geneigte Haltung und ein wenig freundliches Gesicht mit sehr scharfen Augen. Mit diesen Augen wars er ihr einen Blick zu, der Frau Wen ninger veranlaßte, still zu stehen. „Entschuldigen Sie, aber sind Ste vielleicht Doktor Glauber?" „Allerdings!" Der Angeredete blieb gleichfalls stehen und maß Mine Wenninger mit einem kühlen Blick. Aber Mine Wenninger war nicht bange, wie sie sich selbst zur Aufmunterung sagte. „Geehrter Herr Doktor, wenn ich Ihnen vielleicht mit einem Anliegen kommen könnte —" begann ste und wurde nach diesem schönen Satz unterbrochen. „Wie heißen Sie?" Ach, daß Mine Wenninger vergessen hatte, sich vor zustellen! Sie tat es jetzt mit großer Lebhaftigkeit. Sie war die Schwiegermutter von Lutz von Lörrach und wohnte auf dem Lörrachhof, und sie hatte einen fehl be gabten Sohn, und da Harald Feldern ja leider eines plötzlichen Todes verblichen war und ihr Sohn Eduard sich gern als Nachfolger vorstellen wollte „Kannten Sie Herrn Feldern?" wurde ste wieder unterbrochen. „Aber gewiß, Herr Feldern hatte doch damals, wie lange war es her, bei ihnen gewohnt. Bei der Familie Wenninger, die, wie so viele feine Familien in Berlin, Zimmer vermietete. Er war immer recht leicht gewesen, aber dies Ende war doch schade." Glauber ging jetzt neben Frau Wenninger her, und ste suchte eine gewisse Verlegenheit wegzusprechen. Wirklich schrecklich, solch ein Mord und dann hier in der stillen Gegend! In Berlin kam so etwas ja täglich vor, aber hier war es grauenvoll! Glauber ließ sie eine Zeitlang reden, dann blieb er stehen und machte eine kurze Bewegung. „Vorläufig werde ich keinen Sekretär mehr nehmen, Frau Denninger! Also braucht Ihr Sohn sich nicht zu bemühen! Leben Sie wohl!" Er war gegangen, und Mine Wenninger sah ihm ver dutzt nach. Sie hatte sich doch ganz gut mit dem Herrn unterhalten, und nun ließ er sie stehen! Eigentlich war ste ärgerlich, und als sie in der Ferne Leontine Baumann gehen sah, warf sie ihr einen zornigen Blick zu. Was wollten die alten Schachteln hier? Konnten die nicht dort bleiben, wo sie ehemals gewohnt hatten,? Es war gut, daß der Briefträger des Weges kam. Ein netter Mann, mit dem man immer ein Wort sprechen konnte. Er brachte verschiedene Zeitungen an seine Be steller, tat hier und dort einen Blick hinein und wußte immer viel Neues. Er hatte für Mine Wenninger einen zu weiten Schritt, aber einige Minuten hielt ste sich doch neben ihm, und als sie wieder nach Hause kam, war ste zufrieden, ihrer Hilde eine Neuigkeit mitteilen zu können. Hilde lag ja meistens, und auch heute lag sie zwischen Kiffen und Decken, obgleich es schön warm war. Ihre Mutter sand, daß sie sich zu sehr gehen ließ, aber sie wagte dies nicht zu sagen, und eines war gewiß, HUde war sehr nervös. Auch heute, als Frau Wenninger plötzlich vor der Tochter stand, fuhr diese zusammen und wurde blaß. Mine setzte sich gemütlich. „Denk' mal, Hilde, nun ist Felderns Mörder entdeckt, der ihm noch dazu Rock und Weste ausgezogen hat. In der Weste steckte natürlich die Uhr. In der Uhr stand Felderns Name, das hat der Mörder Wohl nicht beachtet; er hat die Uhr zum Verkauf angeboten, und da ist alles herausgekommen. Es soll ein ziemlich junger Mann sein, und er sitzt jetzt im Gefängnis. Man gut, daß ste ihn haben, nicht wahr? Das ist doch immer ein unsicheres Gefühl mit solch einem Mörder!" Frau Wenninger erging sich noch in einigen Betrach tungen über diese Mordtat, dann begann ste von Glauber zu sprechen. Sie war ihm begegnet, und er hatte mit ihr gesprochen. Von Eduard und seinem Brief sagte ste lieber nichts. Hilde war jetzt manchmal komisch; sie brauchte es nicht zu wissen, daß Eduard gern Sekretär hier werden wollte. Besonders, da Glauber ihr Anerbieten gleich ab gelehnt hatte. „Also sie haben den Mörder?" fragte Hilde. Aus die anderen Worte ihrer Mutter hatte sie nicht geachtet. Sie setzte sich aufrecht hin und strich sich die wilden Haare aus dem Gesicht. Das war sehr eingefallen; wie jetzt das Tageslicht ins Zimmer schien, sah Frau Wenninger es. »Ja, ja, sie haben ihn! Das ist gut, nicht wahr? HUde, du siehst kümmerlich aus! Du solltest mal was Ordens liches essen!" „Das will ich auch!" Hilde stand auf und reckte sich. „Ich bin ganz hungrig!" Sie schien wirklich besser. Sie aß bei Tisch mit Appetit und war freundlicher als seit langer Zeit. Sie hatte ein Weißes Kleid angelegt, und Lutz sah sie mit einem flüch tigen Wohlgefallen an. Aber nach dem Essen ging er doch gleich wieder aufS Feld. Daß Felderns Mörder gefaßt war, hatte ihn wenig interessiert. Solche Dinge kamen meistens heraus, früher oder später wurden die Täter entdeckt. Ihn beschäftigte mehr, daß einer seiner Knechte von einem giftigen Insekt gestochen worden war und zum Arzt geschickt werde« mußte. Gerade jetzt, wo man alle Hände bei der Ernte gebrauchen konnte. Hilde legte sich zum Schlafen hin. In dieser Zett hatte sie so schlecht geschlafen, jetzt würde es wohl besser werden. Der Mörder war ja gefaßt. Dieser Mensch hatte natür lich schon viele Verbrechen auf dem Gewissen, also war es kein Unglück, wenn er für einen Mord bestraft wurde,, den er nicht begangen hatte. Wahrscheinlich würde er be gnadigt werden, heutzutage wurden die meisten Mörder begnadigt, und einige Jahre Gefängnis schadetxn ihm gewiß nicht. Die ganze Sache tat ihr natürlich sehr leid. Wäre Feldern nicht so abscheulich gewesen, würde sie ihm nicht mit dem Revolver gedroht haben, denn ganz gewiß, sitz - wollte ihm nur drohen. Daß das dumme Ding geladen war und dann losging und Feldern so unglücklich traf, war wirtlich nicht ihre Schuld. Aber es war eine Be ruhigung, daß Feldern nicht mehr kommen und ste quälen