Volltext Seite (XML)
MU „Wie soll uns anders geholfen werden?" Unter den Gästen war leise Erregung. „Uns soll nicht geholfen werden," antwortete Sohr, „selbst müssen wir uns helfen! Ich sagte schon: Vielleicht mit un gewöhnlichen Mitteln. Auf diese einzugehen, ist hier nicht der Ort. Ich werde anderswo Gelegenheit nehmen, das zu tun. Heute habe ich nur unsere Einladung zu rechtfertigen und das glaubtL ich mit dem Hinweis auf unsere wirtschaft liche Lage am besten zu können. Diese Lage und ihre Bes serung zwingen uns zu gemeinsamem Handeln. Gemein sames Handeln zwingt zu näherem Zusammenrücken. Und näheres Zusammenrücken bedingt gegenseitiges Bertrauen. Das wieder gewinnen wir nur durch freundschaftlichen Ver kehr und offenen Gedankenaustausch." Sohr machte eine Pause. Seine Augen suchten Claus Dessen Blick hielt er fest und sprach weiter: „Von allen Unsitten, die sich mit der Zeit auch bei uns eingefunden haben, ist es die übelste, daß wir Männer die wichtigsten Dinge am Biertisch beraten und so die Frauen ausschließen. — Wenn der Mann der Kopf eines Betriebes ist, so ist die Frau seine Seele. Wir Männer dürfen nicht nm bestimmen wollen, wir müssen auch hören können. Der Rot einer klugen Frau, ist oft wertvoller, als des Mannes ganze Jahresarbeit. Eine Frau kann mehr erhalten, als ein Mann zu verdienen imstande ist. Eine. Familie ist eine Gemein schaft, die Mann, Frau und Kinder gleichermaßen ein schließt. Wer das Gemeinschaftsgefühl verleugnet, wer an gemeinsamer Freude wie an gemeinsamem Leid nicht teil nehmen will, stellt sich ebenso außerhalb der Familie wie der, der sich die Seinen immer nur mit vollendeten Tatsachen ab finden läßt. Hinsichtlick unserer Beratungen tun wir Männer das. Leider! — Ich hoffe deshalb, daß wir uns in Zukunft unserer Frauen mehr erinnern und daß auch unsere Frauen uns nicht vergessen. Es muß nicht sein, daß den Männern die Kneipe und den Frauen die Spinnstube Vorbehalten bleibt. Rufen Sie uns, meine Damen, wir werden kommen. Ich hoffe ferner, daß wir uns allerwegen und in allen Dingen auf unsere Zusammengehörigkeit besinnen und dem Trennenden nicht Raum geben. Die Heimat binde uns! Gleiche Not eine uns Der Treue weihe ich mein Glas!" Die Gäste hatten sich erhoben. Die Gläser klangen zu sammen. Sobr aina reihum und stieß mit jedem an. ' Man. inachte nicht viel Begebenheit mit ihr. An der Stirnseite der Tafel thronte der Vastgeber und ihn» gegenüber, am anderen Ende, Sophi Liebetrau. Rechts und links von ihm saßen Carla und Hinzelmann. Gerade den Alten hatte Sohr neben sich gesetzt, um die Gäste erkennen zu lassen, daß er ihn achtete und aurzeichnen wollte. „Du hättest das nicht tun sollen," sagte Hannjörg leise zu Sohr. „Ich komme mir vor wie der Vogelschreck im Weizen." In der Tat fühlte sich Hannjörg nicht wohl. Alles war ihm ungewohnt. Am ungewohntesten der Kragen, den er trug. Das mörderisch steife, weiße Ding behinderte ihn. Zur Hoch zeit hatte er es umgehabt, dann am Begräbntstage seiner Frau und heute hatte das scheußliche Instrument zum dritten ! Male hervorgeholt werden müssen. ; Aber nie wieder! Das verschwor er sich im stillen. Mit seiner Pein versöhnte ihn der Fisch. Schleie hatte er f noch nie gegessen in seinem langen Leben. Es ging ganz gut. Sohr war ihm Vorbild. Wie er den Fisch aß, aß er ihn auch. Er half sich glänzend aus der Verlegenheit. Ueb- rigens: mit der rechten Hand — Kunststück! „Paß' auf, Hannjörg," raunte Sohr ihm zu, „jetzt steigt die erste Rede." „Waaas," sagte Hannjörg, „beim Essen wird doch nicht gesprochen." „Hier schon," sagte Sohr und klopfte mit dem Messer rücken ans Glas. i Augenblicklich wurde es still. Sohr erhob sich. - Vom andsren Ende der Tafel leuchteten ihm Sophis Augen entgegen. Strahlend und stolz. Wie der Himmel sind diese Augen, dachte er und nickte ihr zu. Dann begann er: „Liebe Gäste! Herzlich willkommen und aufrichtigen Dank für ihr Erscheinen. Sie werden sich gewundert haben, daß wir noch mitten in der Ernte zum Feste feiern einluden, überhaupt, daß wir es taten. Für ländliche Begriffe un gewöhnlich, das gebe ich zu. Das Ungewöhnliche aber dürfte gerechtfertigt werden können. — Unsere Not ist ihnen bekannt. Ich brauche sie ihnen nicht zu schildern. Sie erleben sie täg lich neu und schwerer. Und werden sie immer schwerer er leben müssen. — Aus unserer ländlichen Abgeschiedenheit wurden wir aufgeschreckt. Die Stadt rückte an uns heran. Zwischen die Güter schieben sich bereits die Fabriken ein. Wir verlieren Land, wir verlieren Leute. Die Industrie wird reicher, wir werden ärmer. Das bessere Absatzgebiet, das die Nähe der Industrie bringt, gleicht den Verlust nickt aus. Die Stadt zahlt Preise aber sie nimmt uns die schaffenden Hände. Dieser aber kann kein denkender Kopf entbehren, weil keine Maschine den Menschen zu ersetzen vermag." Die Gäste lauschten. Was Sohr sagte, ging sie im tiefsten Inneren an. Jeden Satz empfanden sie als erschreckende Wahrheit. „Wir werden zu ungewöhnlichen Mitteln greifen müssen," fuhr er fort, „um uns zu halten. Erfreulicherweise und auch wieder bedauerlicherweise wandeln sich die Verhältnisse zum Schlechteren nur langsam. Sie werden uns dadurch zur Ge wohnheit. Die Zeit lullt «ms ein. Das langsame Abwärts lv. Asrtfetzang „Erkenne das Richtige, Söhr und laß dir nicht dreinreden Der Junge war anders, also kann er auch wieder werden, wie er war." „Dreinreden, sagen Sie, Hinzelmann. Denken Sie dabei an mich? fragte Carla. „Nur an Sie, Frau, denke ich," gab er offen zu. „Sie »ollen hoch hinaus. Das haben Sie immer gewollt Und me Liebetraus sind nicht die reichsten!" „Das weiß ich, Hinzelmann. Sonst aber irren Sie. Es i^das erstemal seit vielen Jahren, daß wir einer Meinung Hannjörg traute seinen Sinnen nicht. Fiel der Himmel ein? Er war so perplex, daß er „ach nee" sagte. „Es ist so, Hinzelmann. Ich bin dafür, den Claus bei A-ster Gelegenheit zurückzurufen. Ich mag auch Fräulein Sebetrau sehr gern." Ueber Hannjörg Hinzelmanns Gesicht huschte die Sonne. Die Frau war eins mit ihm. Man erlebte doch immer noch Ueberraschungen. Da trat er noch einmal vor seinen Herrn hin und legte ihm Hie Hand auf die Schulter. „Nun träum nicht, Sohr! Jetzt kommt alles in Ordnung," sagte er und humpelte hinaus. 8. Schwer, langsam und beschaulich gingen die Herren vom Wlug mit ihren Damen auf dem Festplatz im Park des Groß- fteinauer Rittergutes umher. Was Sophi Liebetrau geschaffen hatte, war ein Ereignis und daß sie es geschaffen hatte, ein willkommener Gesprächs- ^^as Essen allein tut's freilich nicht, man will auch geistig angeregt sein oder wie man in Steinau sagte: Was für's Herz haben. Das hatte man. So richtig was zum Auswinden. Die Damen machten ausgiebigen Gebrauch davon. Ueberall standen sie in Gruppen zusammen und tuschelten. Nicht bösartig! Es lag Wohlwollen auf ihren Zügen und das war erfreulich. Man hörte oft die Worte „schön" und „hübsch" und „nicht geglaubt." Und gerade als die Frau vom Hoek zur Frau vom Platztor sagte: „Das wird wohl eine Verlobung geben," schmetterte eine Fanfare auf. Die vom Platztor knickte zusammen und sagte: „Ach Gott!" Und eine Stimme rief von irgendwoher: „An die Gewehre!" Das verstanden alle und arrangierten sich. Es ging leid lich rasch. Der Ausweis für jeden lag in Gestalt einer wirk- lrch geschmackvollen Tischkarte neben den Tellern Die Stuhlreihen waren voll besetzt. Nur eine Sitzgelegen- hett stand unbenutzt. Der Geladene war verhindert. Erich Wetter konnte nicht kommen, er hatte getrunken. Nun litt er an den Folgen. Dafür war Grete Wetter, seine Frau anwesend und saß rin wenig bedrückt zwischen den Gästen. - merken wir nicht. Nur das Rückerinnern zeigt uns den - Unterschied gegen früher. — Wer von uns kann heute noch Reserven sammeln? 'Wer kann zurücklegen? Wer sparen? Niemand! Oder doch nur ganz wenige. Unsere Väter konnten es. Schulden, Hypotheken und Steuern, das ist das, was wir kennen. Die Hilfe, die uns von Staatswegen wird, ist nur eine scheinbare, bestimmt keine dauernde und noch weniger eine gründliche. Sie besteht in Geld! In dar geliehenem Geloe, also auch in rückzahlbarem Gelds. Sie erhöht unsere Verschuldung, mithin auch unsere laufenden Ausgaben. Sie ist eine gefährliche Hilfe, denn sie entwertet unseren Besitz. Und mehr noch: Sie belastet unsere Kinder! — Ich begrüße dankbar den guten Willen, die Hilfe als solche ß ich ablehnen." .Bravo!", rief der Niederneidberger und der vom Hoek sagte: