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Beilage zur Weitzeritz-Zeilung Nr. 44 Donnerstag, am 21. Februar 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Das Reichskabinett wird in den nächsten Tage» ein« Entscheidung über das Etnretsegesuch Trotzkis treff«,. — Dr. Eckener verhandelte in Berlin mit dem Ms« wärtigen Amt über den Orientflug des „Graf Zeppelin". — In Köln traten der Rheinische Landbund und der Rheinische Bauernverein zu einer gemeinsamen Tagung zm sammen. 77- Am 12. März soll ein japanisch-amerikanische« Achtedsvertrag unterzeichnet werden. — Im Zentrum Berlins hat ein Grobfeuer schivere Schäden angerichtet. — Bet einer Explosion auf der Ferdinandgrubc in Kattvwitz wurden vier Personen getötet. — In Trier starben drei Personen an Gasvergiftung, tue aus einen Rohrbruch zurückzusühren ist. — Fitzmaurice beabsichtigt, im Juni einen neuen Ost» West-Ozeanflug zu unternehmen. — Bei einem Brand im Tunnel der Untergrundbahn! in New Uork wurden über 150 Personen verletzt. Südtirol als Reiseland. — Bozen, 20. Februar. LS herrscht der weitverbreitete, bedauerliche Irr tum, ein Deutscher dürfe nicht nach Südtirol reisen, denn dadurch nütze er nur den Italienern und schade den Deutschen. Das ist grundfalsch! Gewiß haben die Italiener Vorteil durch die Be nutzung der Eisenbahn — das Visum ist aufgehoben —, und manche» andere noch, wie z. B. die ÄufenthaltS- steuer, bringt Geld in den italienischen Staatssäckel. Aber da» ist minimal gegenüber dem Schaden, den wir den Deutschen zufügen durch unser Ausbleiben: Das gesamte Wirtshaus- und Pensionswesen Südtirols ist i« deutschen Händen; bis jetzt! Von den Gästen ent fällt der weitaus größte Prozentsatz auf die Deutschen, bleiben nun auch die Deutschen aus, was dann? Dann geschieht, was in den beiden letzten Jahren leider schon ost geschehen ist: Die Leute halten ihre Häuser einige Zeit mit Verlust offen; denn die geringe Anzahl der Gäste macht den großen Aufwand an Kosten — vor allem auch der Steuern — nicht wett. Und dann schließen sie ihre Häuser ganz, um sie schließlich zu verpachten oder zu verkaufen. Aber an wen? Natürlich au Italiener, die auf den guten Fang schon warten. Ist ihnen doch nichts lieber, als einen der Ihren an die Stelle eines Deutschen gerückt zu sehen. Der Deutsche aber nimmt mit seiner Familie den Wanderstab und gibt so uralten deutschen Kulturboden au» Not preis. Mit ihm wandert ein Stück Deutschtum aus Südtirol hinaus; der Wel sche aber triumphiert; denn das hat er gewollt! Wenn aber die deutschen Wirtshäuser leer stehen wie leider jetzt meistens, dann gibt es auch keine Käu fer in den Läden, keine Aufträge in Kun st, Hand werk und Kunsthandwerk, keine Arbeit für die vielen, die vom Gastgewerbe in Südtirol bis jetzt lebten. Dann wächst die Not für das deutsche Südtirol ins Un endliche. Und der Hungrige erliegt fremden und schlech ten Einflüssen viel schneller, als der, der durch Ar beit vor äußerer Not geschützt ist! Dazu kommt der starke seelische Druck, den der neue, land- und rassen fremde Herrscher in jedem bodenständigen Tiroler auS- löst. Unter diesen Umständen muß jeder, der nun einmal von den Auslandreisen nicht lassen will, zuerst zu den Deutschen in Südtirol gehen! Und was für eine schöne Pflicht ist es, in diesem von Gott mit Schönheit begnadeten Lande zu sein — im heißen Sommer in den Bergen, im Frühling, Herbst und Winter aber in Bozen und in Meran. Hunderttausend Apfelbäume blühen in üppigster Fülle; die Gegend rund umher erscheint wie ein Meer von Blüten. Die Pfirsichbäume haben ihr strahlendrotes Kleid angezogen. Unter den Weinreben blüht der bild hübsche Milchstern; auf den grünen Wiesen wechseln Vergißmeinnicht und Primeln wie in einem Wett streit um den Preis der Lieblichkeit ab! Und rund umher ein Kreis von Bergen, deren weiße Schnee häupter auf all die Frühlingsschönheit herabsehen! Ueber allem aber die strahlende Sonne, die eine Welt von farbiger Herrlichkeit bestrahlt, die Menschen aber beseligt, weil sie's schafft, daß sie unter dem blauen Himmel, in der warmen, klaren Luft, körperlich und seelisch sich neugeboren fühlen. Wer so bevorzugt ist, den Fuß in das Südtiroler Paradies setzen zu dürfen, der wird mit einem innigen Dank gegen Gott zurück kehren in sein Heim und an seine Arbeit. Darum Überwinder, mir alle Bedenken wegen der traurigen Eindrücke, die gerade in Südtirol nicht aus bleiben werden. Unsere Schwestern und Brüder dort müssen sie jahraus, jahrein fühlen und die schweren Folgen tragen. vS gilt hier, zu helfen, in einem schier verzweifelten Kamp/ um deutschen Boden, deutsche Art und deutsche Kultur! Wer beute »eine Ferien außerhalb Deutschlands verbringen zu Müssen glaubt, und dann nach Südtirol geht, nicht in die großen internationalen Hotels; sie kommen ja für die Stützung de» Deutschtums nicht in Betracht — son dern in die kleinen deutschen Häuser, der tut eine deutsche Tat! Feuer in der A°Bahn F«rcht-are Panik infolge eine» Brandes in der New Korker Untergrundbahn. — ISO Personen verletzt. — Der Führer de» Zuge» tot. Auf der U-Bahnstrecke Manhattan—Hoboken, die dt einem Tunnel unter dem Hudson hindurchfährt, geriet der Triebwagen eine» Zuge», der mit etwa i5oo Personen besetzt war, 300 Meter bom Hudson entfernt, m Brand. Der Zug -lieb stehen. Alle Lichter gingen an», und ein furchtbare» Gedränge der um Hilfe schreienden Menschen folgte. Alles strebte de« Ende de» Zuge» zu Die New Yorker Untergrundbahuwagen schließen bekanntlich automatisch, so daß ei« verlassen des Zuge» unmöglich ist. In den letzten Wagen drohten die Eingeschlossenen zu ersticken, bi» endlich die Fenster ein, geschlagen waren. Bald nach dem Bekanntwerden des Unglücks trafen Hilssmannschaften mit Lampen ein, und die Türen wurden geöffnet. Dann konnten die unverletzten Passa giere durch den Tunnel zur nächsten Station geführt werden, während die Verletzten aus Tragbahren fort- geschasft wurden. Vielen Reisenden waren die Klei der buchstäblich vom Leibe gerissen. Die Panik hatte geradezu phantastische Formen angenommen. Viele« die auf eigene Faust zu flüchten versuchten, liefen nach der falschen Richtung und irrten in dem Tunnel um her, bis es der Polizei gelang, die Verirrten zu sammeln. Auch dann boten sich dem Abtransport noch große Schwierigkeiten, weil hinter dem in Brand ge ratenen Zug sich eine ganze Reihe weiterer Züge angesammelt hatte und wegen der Enge des Tunnel» die Zurückgeleiteten ihren Weg durch die Mittelgänge der haltenden Züge nehmen mutzten. Die Opfer. Der Führer des Zuges ist tot. Verletzt sind m»- geführt 150 Menschen, darunter 50 schwer. Von de« Schwerverletzten schweben sechs in Lebensgefahr; man erwartet jeden Augenblick ihr Hinscheiden. Die amtliche» Stellen geben als Ursache Kurz, schluß an. Demgegenüber erkläre« einige Augenzeuge«, daß Holzteile an der Strecke brannten und der Zug das Feuer durchfuhr, wodurch der vorderste Wagen in Brand gesetzt wnrde. ES wird auch behauptet, daß sich, bevor der Zug zum Halten kam, eine schwere Explosion ereignete, die den ganzen Zug erschütterte und die Beleuchtung zum versagen brachte. Die Panik fei «och dadnrch erhöht worden, daß der Zug über« füllt war« Auflösung der Artillerie. Scharfer Machtkampf in Spanien. — Ler ehemalige Kammerpräsident Villanueva verhaftet- Der spanische Ministerpräsident Primo de Rivera hat schärfste Maßnahmen zur Unterdrückung der Un ruhebewegung in der spanischen Artillerie ergriffen. Mit Zustimmung deS Königs wnrde die gesamte Artillerie mit Ausnahme der AuslandSgarnisonen auf gelöst. Sämtlich« Kommandeure und Offiziere werden als Zivilpersonen betrachtet. Sie haben kein Recht auf Bezüge und auf das Tragen der Uniform, solange nicht ihre Wiedereinstellung erfolgt ist. Die Komman deure und Offiziere, -ei denen die Regierung es für nötig oder angebracht hält, müssen innerhalb 24 Stun den von ihrem bisherigen Aufenthaltsort nach einem Wohnort abreisen, der ihnen zwangsweise angewiesen wird. Die Artillerie-Akademie wurde geschlossen. Di« Neuorganisation der Artillerie soll vor dem 1, Juni durchgeführt sein. Um ihre Wiedereinstellung in di« Truppe zu erreichen, müssen sämtliche Offiziere einen neuen Eid leisten, in dem sie insbesondere auch der gegenwärtigen Regierung Treue geloben. In der Wohnung des ehemaligen Präsidenten des spanischen Parlaments, Villanueva wurde, ZeitungS- meldungen zufolge, eine Haussuchung vorgenommen; mehrere Dokumente wurden beschlagnahmt. Villanueva gilt als verhaftet, wenn man ihm auch mit Rücksicht auf sein Alter — er steht im 78. Lebensjahr — das Verbleiben in der Wohnung gestattet hat Politische Rundschau. — Berlin, den 21. Februar 102- — Dl« preußische Staatsregierung veranstaltete in den Sälen der Staatsoper einen parlamentarischen Abend * :: vstpreutzendenkschrift de» Ernähr« ngSminifter». ReichSernährungSminister Dietrich-Baden hat eine Denk schrift über die Lage der Landwirtschaft in Ostpreußen und über Hilfsmaßnahmen fertiggestellt und dem Reichs kabinett zugeleitet. :: Das Einrcisegesuch Trotzki» ist bei den zustän- mmN», Denkt an die Reichr-Unsalloerhütungs-Wochel lügen Stellen in Berlin eingegangen. Das ReichSkü- binett wird sich in den nächsten Tagen mit der An gelegenheit befassen. — In den Zeitungen wird der Verdacht ausgesprochen, daß Trotz» sein Gesuch hinter dem Rücken der Sowjetbehörden gestellt hat. .. Rundschau im Auslande. ; Der Direktor de» Internationalen Arbeitsamtes ist von seiner Asienreis« nach Genf zurlickgekehrt. verbot der Kinderheiraten i« England. x Da» englisch« Oberhaus hat in zweiter Lefung da« Wiederverbot von Heiraten «heschlteßender Personen unter 16 Jahren angenommen. ES wurde betont, daß Heiraten von - jugendlichen Mädchen und Jünglingen im Alter von 14 Jahren gegen die guten Sitten verstießen. Albrecht v. Roou. z«m so. Todestage des Mitschöpfer» »er deutsche» Einheit. Am 23. Februar werden es fünfzig Jahr«, daß oer ehemalige Kriegsminister, Generalfeldmarschall v. Roon, seine Augen schloß. Im Herzen de» deute! schen Volkes lebt der Name v. Roon fort; wir feier»! in dem Feldmarschall und Minister den Mitschötzf»^ der deutschen Einheit. Don dem Dreigestirn Bismarck, Moltke und Röötl sind die Namen Bismarck und Roon am engsten mi« eiander verbunden. Beide beseelte ein gleichgerichtete« politischer Wille. Roon, 1859 als jüngster Division«^ kommandeur zum preußischen Kriegsminister ernannt^ vertrat seine Auffassung im Kabinett, Bismarck, deck damals seine Stunde noch nicht für gekommen glaubte« beschränkte sich daraus, offiziell als Diplomat und iws offiziell als Ratgeber des Königs zu wirken. Die Heeresvorlagen des KrieaSminister» v. Roon führten dann in den sechziger Jahren zch heftigen parlamentarischen Kämpfen. Das Kabinett — mit Ausnahme Roons — glaubte, eine weitere Dev« schärfung der Lage nicht riskieren zu dürfen; der Königs entschloß sich zur Abdankung. Verhindert wurde fick dadurch, daß Bismarck und Roon sich dem Königs zur Verfügung stellten. Bismarck wurde Minister präsident, Roon blieb Kriegsminister und organisiert«! darauf da» Heer, das 1864, 1866 und 1870 dick siegreichen Schlachten schlug. 1873 übernahm er ftip kurze Zeit auch noch das Amt des preußischen Mi nisterpräsidenten. Den Keim zu feiner Todeskrankheit holte sich Graß Albrecht v. Roon am 8. Februar 1879 bei einem! Besuch des König» in Berlin. Auf der Wagenfahrij zog er sich zu der Krankheit, die ihn seit einigens Tagen befallen hatte, noch eine Erkältung zu. Uebe« den Ernst der Lage war er sich bald im klaren; zwvj Wochen später, am Sonntag, den 23. Februar, schloß er die Augen. Die sterbliche Hülle des Feldmarschall» wurde in der Familiengruft im FrievenSthal bek Krobnitz beigesetzt. Tagung des Kirchensenats. Einmütiger Wille zur knappsten Bemessung de» Haus haltsbedarfs. Der Kirchensenat der evangelischen Kirchen der Altpreutzischen Union war in Berlin zu einer zwei tägigen Sitzung versammelt. ES bestand Einverständnis über die Notwendigkeit knappster Bemessung des Haus haltsbedarfs der gesamten Kirchen, um den Kirchen- gemeinden bei der Senkung der Kirchensteuerbelastung zu helfen. Die ordentliche Tagung der im Laufe dieses Jahres von den Provinzialsynoden neu zu wählenden Generalsynode wurde für Februar 1930 in Aus- sicht genommen. Geheimer Konststorialrat 0. Rahl- wes erstattete über eine mehrmonatige BestchtigunaS- reise zu den deutschen evangelischen Gemeinden in Ar gentinien, Brasilien und Chile Bericht, die insgesamt eine halbe Million Seelen und etwa 150 Pfarrer umschließen. Einheitsfront der Landwirtschaft Der Appell an di« Regierung. — Eine gemejnfam« Tagung in «öl«. — Da» Notprogramm varf n«r ein Anfang fein. In parlamentarischen Kreisen sieht man in dem gemeinsamen Aufruf des Deutschen Landwirtschaft»-