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Bettage zur Weiheritz-Zeilung Donnerstag, am 14. Februar 1929 Nr. 38 v5. Jahrgang Chronik des Tages. - Der Reichspräsident und die Reichsregierung haben dem päpstlichen Nuntius und dem italienischen Botschafter ihre Glückwünsche zu der Beilegung der römischen Frage an«gewr^en.Sachv„stzndigenronferenz Paris beschäf tigte sich am Mittwoch mit der Frage der steuerlichen Be lastung Deutschlands. ' — Die Berliner Wetterdienststelle rechnet mit einem langsamen Abflauen des Frostwetters. — In Möhringen in Württemberg wurde die Süd deutsch« Harzleimfabrik ein Raub der Klammen. — Bei einem Eisenbahnunglück in der Nähe von Wie« wurden 35 Personen verletzt. — Engelhardt, Deutschlands 800-Meter-Meist«, zog sich beim Boxen in der Deutschen Hochschule für Leibes übungen durch einen k.o.-Schlag mit darauffolgendem Sturz einen schweren Schädelbruch zu und mutzte besinnungslos ins Krankenhaus eingeliefert werden. — In Padua ist der Justizpalast mit allen Archiven einem Brand zum Opfer gefallen. — In Rumänien sind ganze Familien erfroren. Die Saar erneut gefährdet! — Berlin, 14. Februar. Die Sachverständigen im Hotel Georg V. in Paris sind an der Arbeit. Haben sie Erfolg, wird uns die Konferenz die Lösung der Reparationsfrage bringen und — die Befreiung der besetzten Gebiete! Nach rechtlichem und sittlichem Gesetz hat die Besatzung schon beute nicht» mehr am Rheine zu suchen. Ein rechtlicher Zusammenhang zwischen der Reparatrons- und der Räumungsfrage besteht nicht, vielmehr liegt der Grund für die Aufrechterhaltung der Besetzung le diglich darin, dah die Franzosen solange am Rhein bleiben wollen, wie sie glauben, durch die Besatzung Deutschland zu tieferen Griffen in den Geldbeutel ver anlassen zu können. Nach der Beilegung der Repara tionsfrage kann diese Taktik von den Franzosen jedoch nicht mehr fortgesetzt werden. Mit der Zurückziehung der fremden Truppen wird ab« noch eine andere Frage lebendig. DaS Saar- aebiet gehört nicht zum besetzten Rheinland! Im Versailler Vertrag hat Deutschland das Saargebiet sich selbst überlassen müssen. Seitdem wird das Land von einer internationalen Kommission regiert, di« Gruben befinde« sich in französischer Verwaltung und den Saarmarkt beherrscht die französische Industrie. 1936 soa die Bevölkerung darüber entscheiden, ob sie zum Rotche zurück oder m Frankreich aufgehen will. Ueber den Ausfall der Volksabstimmung gibt man sich tu Paris kaum noch Illusionen hin. Die fran zösische Propaganda im Saargebiet ist kläglich gescheitert und an der deutschen Gesinnung des Landes abgeprallt. Immer wieder bekundet das Saar gebiet seine Treue zum Reich und seinen Willen, lieber heute als morgen in das deutsche Vaterland zurück- zukehren. Eine Zeitlang hatte es den Anschein, als ob auch Frankreich seine Sache im Saargebiet verloren gegeben habe und gegen die sofortige Zurückgabe der Amr nichts mehr einwenden würde. Um so befremd lich« ist die jetzt wieder auflebende Agitation gegen die Rückgabe des Saargebietes. , Vor wenigen Wochen erblickte in Paris eine „Ver einigung zur Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs im Saargebiet" das Licht der Welt, die sofort eine sehr rührige Agitation entfal tete und sogar den Versuch unternahm, in den Ver einigten Staaten für ihre Projekte Stimmung zu machen. Die Vereinigung arbeitet mit dem Argument, das Saargebiet habe jahrhundertelang zu Frankreich ge hört, seine Bewohner neigten auch heute noch zu Frank reich und wagten eS nur nicht, aus Angst vor deutschen Zwangsmaßnahmen, sich offen zu Frankreich zu be kennen. Man brauchte sich mit dieser Organisation nicht zu befassen, wenn nickt einflußreiche Kreise der am Saar gebiet stark interessierten französischen Schwerindu strie hinter der Vereinigung stünden, und wenn nicht nur führende Männer des französischen Wirtschafts lebens, sondern auch der Regierung selbst nahestehende Persönlichkeiten — z. B. der Unterstaatssekretär Fran cois Poncet — dem Vorstande der Bereinigung an gehörten. Die Vereinigung will zwar das Saargebiet Politisch wieder an das Reich zurückgeben, wirtschaftlich aber soll da» Saargebiet den Franzosen verbleiben Außerdem scheint man nach dem in Oberschlesien an gewandten System einen Teil des Saargebietes vom Reiche losreißen zu wollen. Kennzeichnend für die Bestrebungen dieser Ver einigung ist ein Artikel in dem von dem Senator de Iouvenel herausgegebenen amtlichen Organ der fran zösischen Kriegsgeneration. Mit lächerlichen Argumen ten glaubt der Artikelschreiber nachweisen zu können, daß das Saargebiet französisches Land ist und es auch > äußerlich wäre, wenn nicht 1815 „die Preußen gewalt sam den Charakter des Landes verwikckt hätten". Nnes, > erstaunlicher ist, dah der Verfasser das Saarregime als den ersten begrüßenswerten Versuch einer intereuro- j päischen Regierung feiert und zum Schluß sogar das j Selbstbestimmung-recht der Völker verzerrt. Heißt es doch in dieser Auslassung, wenn eS im Saargebiet ! auch nur hundert Einwohner oder einige wenige Dörfer gebe, die den Wunsch hätten, französisch zu ' werden, dann bestehe kein Grund, das Saargebiet vom ! Selbstbestimmung-recht auszunehmen. , Derartige Auslassungen sollten in Deutschland ! nicht übersehen werden, sie zeigen, daß die französische ! Schwerindustrie politische Bedenken nicht kennt, wenn i eS sich darum handelt, Märkte zu behaupten. Aber ' wenn französische Kreise, nur um jährlich für zwei Mil- Harden Franken Waren im Saargebiet absetzen zu kön ¬ nen, die Zerreißung des Saargcbietes befürworten, dann ist das keine „Verteidigung wirtschaftlicher In teressen" mehr, sondern ein Unfug, dem deutscherseits durch geeignete Maßnahmen baldigst em Ende ge macht werden sollte! Gewaltstreich in Kattowitz. Der ostoberschlesische Sejm aufgelöst. — Der deutsche Abgeordnete Ulitz unter fal scher Beschuldigung verhaftet. Aus Antrag der polnischen Regierung hat der Staatspräsident in Warschau den ostoberschlesischen Sejm tLandtag) aufgelöst. Mit der «uflösungs.Berordnung war auch die Immunität der Abgeordneten erloschen, so daß der seit längerer Zeit gegen den Abgeordneten Mitz, den Führer des Deutschen BolkSbundes in Katto witz, erlassene Haftbefehl wirksam geworden war. Auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft wnrde Abgeord neter Mitz wenige Stunden «ach der Bekanntgabe »er AuflösnngS-Berordnnng in Haft genommen und in das Gefängnis eingeliefert. Die Auflösung des ostoberschlesischen Sejm und die Verhaftung des Führers des Deutschen BolkSbundes hat überall größtes Aufsehen erregt. Der Haftbefehl stützt sich auf die Beschuldigung, Abgeordneter Ulitz habe polnischen Militärdienstpflichtigen deutscher Na tionalität zur Flucht nach Deutschland verhalfen und sich damit des Landesverrats schuldig gemacht. Lie Zeugen der Polizei sind übel beleumdete Individuen, und so hatte denn auch der ostoberschlesische Sejm, als die Staatsanwaltschaft die Auslieferung des Ab geordneten beantragte, den Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Prüfung der Unterlagen der Staats anwaltschaft lasse mit großer Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer FälschuNg der Unterlagen vermuten. ES ist ««zunehmen, »aß die Auflösung des ostober schlesischen SejmS deshalb erfolgte, weil daS Parlament den Abgeordneten Mitz nicht ausliefern wollte «nd die Polizei den Führer des Deutschen BolkSbnndeS somit nur über die Auflösung des Sejms in Gewalt be kommen konnte. In Warschau wird die Auflösung des ostober schlesischen Sejms damit begründet, daß der Landtag zu „produktiver Arbeit unfähig gewesen sei" und seine Legislaturperiode nach den Bestimmungen der polni schen Verfassung und denen des Statuts für Ostober schlesien seit einem halben Jahre abgelaufen sei. Ein neu« Wahltermin könne noch nicht festgesetzt werden, weil die neue Wahlordnung für den schlesischen Sejm von der Regierung noch nicht bestätigt sei. ' Was sagt der Völkerbund dazu? Das Vorgehen des polnischen StaateS gegen den Führer des Deutschen Volksbundes zeigt, wie es in Wirklichkeit mit dem Schutz der Minderheiten in Polen bestellt ist. Man entsinnt sich ferner der tendenziösen Angriffe, die der polnische Außenminister Zaleski in Lugano gegen die Organisation der Minderheiten gerichtet hat und die zu emer scharfen Erwiderung des deutschen Außenministers führten. Soll nun die Ver- haftung der Abgeordneten Ulitz den Auftakt für die große Minderheiten-Debatte im März bilden, und ver spricht sich Polen von der Verhaftung des deutschen Führers etwa eine Entkräftung der Anklagen der deut schen Minderheiten? ES ist nur dringend zu wünschen, dah dem Abgeordneten Ulitz bald der Prozeß gemacht wird, damit aller Welt deutlich wird, daß die An klagen gegen den Abgeordneten unbegründet sind und er nur deshalb Verfolgungen ausgesetzt war, weil « die Rechte mutig wahrgenommen hat, die interna tionale Verträge den Minderheiten in Polen gewähren. Die Fehler im Dawesplan. Eindrucksvolle Darlegungen Dr. Schachts. — Die Sach verständigen prüfen die deutsch« Steuerlast. Im weiteren Verlauf der Sachverständigen-Kon- ferenz im Hotel Georg V. in Paris nahm Reichsbank präsident Dr. Schacht zu eingehenden Darlegungen das Wort. Wie verlautet, gab Dr. Schacht einen Ueber- blick über die wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands, wie sie sich seit dem Inkrafttreten des Dawesplancs entwickelt haben. Reichsbankpräsident Dr- Schacht soll ausführlich die Frage behandelt haben, ob Deutsch land seine Reparationszahlungen aus Ersparnissen oder Ausländsanleihen beglichen hat «nd sich bemüht haben, seinen Kollegen die gknndlegenden Unterschiede zwischen der scheinbaren Wirtschaftsblüte und der Wirklichkeit des schwer belasteten und in vielen Beziehungen not leidenden dentschen Wirtschaftslebens verständlich zn - —»W > Denkt an dl« Leicho-llnfalloerhittungo-jvochK -«ist Aafäst« »orhüte»! ch», »n «s,- »» »km V-Mchan, PI Wir warten auf Wärme. Die Kälte in Deutschland. — Polarschnee über Berlin, — Sin leichter Umschwung -« erwarten? D« Eismeer-Winter ist hartnäckig; er steht immer noch üb« ganz Deutschland, in dem Schlesien mit Temperaturen um 27 Grad unter Null das kälteste Ge biet ist. In Berlin hielt sich das Thermometer unver ändert auf 18—20 Grad unter Null. Dort und in verschiedenen Gegenden Norddeutschlands war eine eigenartige Naturerscheinung zu beobachten. Bet sternenklarem Himmel schneite e» fast die ganze Nacht hindurch. Ein feiner Staubschnee fall war es, dessen Möglichkeit auf Vorgänge in ganzs Hohen Luftschichten zurückzuführen sein dürfte. Dieser staubartige Polarschnee im Zusammenhang mit dem schneidenden Ostwind machte den Aufenthalt auf de» Straßen äußerst ungemütlich. Der Boden überzog sich mit einer ganz dünnen Schicht von Eiskristallen, wo durch verschiedene, glücklicherweise leichtere, Unfälle ber- vorgerufen wurden. Kommt der Umschwung? F« der Wetterlage scheint sich jetzt nach »er An sicht »er Berliner Wetterdienststelle ein leichter Um schwung anzubahnen. Im Süden des Erdteils ist ei» sehr starkes Tiefdruckgebiet ausgetreten, das sich allem Anschein nach vom Mittelmeer weiter nach Nordosten ausdehnen wird. Infolgedessen wird bald etwas stärkere Bewölkung erwartet, die infolge der »adurch verhinder ten starken Wärmeausstrahlung eine leichte Milderung der Temperatur, hauptsächlich in den Nachtstunden, bringen wird. Fm Zusammenhang damit werden auch Schneefälle einsetzen, die jedoch nicht sehr stark ansfallen dürfte». Ostafrika-Debatte in Genf? Die englische Regierung überreicht dem Völkerbund den Hilton-Noung-Bericht. Die englische Regierung hat heute dem Bölker- bundsekretariat den von der Hilton-Noung-Kommission verfaßten Bericht, der Pläne über eine engere Ver bindung der Verwaltung englischer Besitzungen und englischer Mandatsgebiete in Zentral- und Ostafrika enthält, zur Kenntnisnahme überreicht. Den Mit gliedern der Mandatskommission hat die englische Re gierung eine Abschrift des Berichts zukommen lassen. Wahrscheinlich wird der Bericht in der nächsten Sitzung des Mandatsausschusses, die im Juni stattfindet, zur Verhandlung kommen. Dann wird der Völkerbund Gelegenheit haben zum Ausdruck zu bringen, wie er üb« die englischen Absichten auf die Annexion Deutsch- Ostafrikas denkt. Die Berhanvlungen »er Bölkerbunbsgesellschaste«. — Brüssel, 14. Februar. Der MinderheitenauS. schuß der internationalen Vereinigung der Völkerbunds- mach«». Dr. Schacht dürste dabei auch »ie Fehler und Aehlschätznnge» »es DawesplaneS zur Sprache gebracht Die Amerikaner und die übrigen Delegierten sollen die Rede des Reichsbankpräsidenten als außerordentlich aufschlußreich bezeichnet haben. Nach den Ausführun gen Dr. Schachts trat ein längeres und eindrucksvolles Schweigen ein. Aus Anregung des Vorsitzenden trat man sodann in die Aussprache ein. Es erwies sich als nicht ganz einfach, die Frage der Wirkungsweise des DawesplaneS aus Deutschland zum Ausgangspunkt der Sachverständigenverhandlungen zu wählen. Es kam ein Beschluß zustande, mit »er Behandlung folgende»! zwei Fragen zu beginnen: Die Steuerlasten Deutsch land» im Vergleich z« de« der Ententestaaten und da« Realeinkommen der Arbeiter «nd die durch dieses Ein kommen bedingte Kaufkraft. Erschwert dürften die Untersuchungen dadurch wer den, daß die statistische Wissenschaft heute noch nicht in der Lage ist, auch nur mit einiger Genauigkeit Ver gleiche aufzustellen, die für praktische Zwecke brauchbar sind. Es ist zwar leicht, die Gesamtziffer der Steuer last eines Landes durch die Ziffer seiner Bevölkerung zu dividieren und so die Steuersumme auf den Kops festzustellen, aber es erfordert die Hinzuziehung un zähliger, zum großen Teil nicht feststellbarer Faktoren, um auszudrücken, wie schwer ein.bestimmt« Steuers betrag auf den Bürgern zweier verschiedener Staa ten lastet. .. ,» Fürs erste werde« sich die Arbeite« auf das von de» Sachverständige« »ach Paris mitge«omme«e Ma terial «nd die vo« ih«en selbst abzugebende« Gutachten beschränken, doch rechnet «an bereit» jetzt mit de, Möglichkeit, daß es in allernächster Zett notwendig wird, weitere deutsche Sachverständige «ach Pari» z» berufen, wodurch sich Verzögerung«« ««» Vertagung« in der Konferenz ergebe» könnte«. Schachts Echo im Ausland. Wie die deutsche, schenkt auch die ausländische Presse der Rede des deutschen ReichSbankpräsidenten in Paris große Beachtung. Der „Petit Parisien" meint, Dr. Schacht habe durch seine Ausführungen das Problem der deutschen Zahlungsfähigkeit wied« ausgerollt. „Journal" spricht von einem „Tag des armen Deutschlands". Die amerikanische Presse be gnügt sich größtenteils mit der Feststellung, die Dar legungen des ReichSbankpräsidenten klängen weit weni ger hoffnungsvoll, als der Jahresbericht Parker Gil bert», der Anfang Januar so große» Aufsehen «reats.