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20 Lutz trat jetzt aus seiner Mutter Haus und trat auf sie zu. Frau Wenninger zog sich zurück. Sie fand, daß Lutz im Hause schlecht aussah, jetzt lachte er plötzlich und zeigte seine weißen Zähne. »Dein Mann ist Wohl noch immer ein Kurmacher l" sagte Frau Wenninger nachher zu ihrer Tochter. »Läuft er wieder mit dieser Helga herum?" »Heißt sie so? Es ist die Person, die wir bet deiner Schwiegermutter gesehen haben. Sie sieht ja ganz gut aus!" Hilde antwortete nicht. In ihrer Tasche knisterte der Zettel, den ihr der Botenjunge zugestcckt hatte. Feldern wollte nicht mehr nach dem Lörrachhof gehen. Das konnte er nicht mehr unbemerkt machen. Hilde sollte in die Nähe des Kirchhofes, und zwar nachmittags gegen drei Uhr kommen. Dann wäre es dort ganz einsam. Die Fritzen- Hagener schliefen zu Mittag und man wäre ungestört. Er bäte dringend, wenigstens hundert Mark oder den entsprechenden Wert mitzubringen; er wäre in großer Verlegenheit! An diesem Tage ging Hilde nicht. Sie wollte sich nicht von diesem entsetzlichen Menschen kommandieren lassen, mochte er sehen, wie er seine feinen Röcke, seine Schlipse bezahlte! Aber am nächsten Tage erhielt sie wieder einen Zettel. Er enthielt dieselbe Aufforderung. Hilde zitterte vor Zorn. Wäre Feldern hier gewesen, sie würde ihn ge schlagen haben. Er verdarb ihr das Leben, er war ein Vampyr, der ihr das Blut aussaugte. In diesen Tagen war es sehr heiß. Sehr gut für die Heuernte, die im vollen Gange war. Zum Lörrachhof ge hörten zwei große Wiesen, die herrliches Heu lieferten: Lutz hoffte, es hereinzubringen und gut verkaufen zu können. Aber es mußte scharf gearbeitet werden; ein Ge witter stand schon gestern am Himmel, es konnte plötzlich kommen, also mutzten alle Kräfte angespannt werden. Leontine Baumann konnte die Hitze nicht wohl ver tragen, sie blieb im Hause, während Florinde aus ihren lustigen Sitz in der Ulme ftteg. Es wehte ein leiser Wind, sie wollte hier ungestört arbeiten. Auch Frau Wenninger konnte die Hitze nicht aushatten. Sie litt an Beklemmungen und lag still in ihrem ver dunkelten Zimmer. Zum Mittagessen erschien sie aller dings und aß mit gutem Appetit, war auch ganz unter- hallend. Die Herrlich war am gestrigen Tage in Fritzenhagen gewesen und hatte gehört, daß in einem Nachbardorf ein Radler überfallen und vom Rade geworfen worden wäre. Der Bandit hatte sich des Rades bemächtigt und hatte den Radler liegen lassen, der verschiedene Rippen gebrochen hatte. Es kamen in die Gegend fremde Arbeiter, Polacken und andere Völker; man durfte nicht mehr allein über die Felder gehen. Lutz aß sehr eilfertig und hörte kaum auf Mutter Wen ningers Bericht. Er warf besorgte Blicke zum Himmel und fuhr mit einem leeren Wagen auf die Wiese, um tüchtig zu helfen. Fräulein Herrlich mußte für gutes Vesperbrot sorgen, für Dünnbier; in dieser Hitze mußten die Arbeiter viel zu trinken haben. »Er ist wirklich fleißig!" sagte Frau Wenninger wohl wollend, während sie schwerfällig aufstand. »Na, meine Mine, ich lege mich still hin. Kaffee brauche ich erst um fünf. Diese Nacht habe ich schlecht geschlafen. Ich will es nachholen!" Ein voller Heuwagen fuhr auf den Hof, eUtg wurde er abgeladen, die Pferde getränkt, dann jagte der Kutscher wieder davon. Still lag das Haus. Hilde stand in ihrem Zimmer und las den Zettel, der ihr heute morgen wieder zugesteckt worden war. Da stand nur darauf: «Mahnung Rr. 3!" Sie nahm den Revolver, den sie Lutz genommen hatte, aus ihrer Lade, steckte ihn in die Tasche ihres weißen, dünnen Mamels, warf ein weißes Tuch über den Kopf und ging in den flimmernden Sonnenschein. Still war der Garten, den sie durch die Seitenpforte verließ, still die Landstraße. Kein Blatt rührte sich, die Vögel waren ver- stummt, nur einige Hummeln summten träge. »Ich will ihn bange machen!" dachte Hilde. »Ich hab« nichts mehr für ihn! Was denkt er sich? Ich hasse ihn» ah, wie ich ihn hasse!" * * * Florinde war eingefchlafen. Sie hatte an ihrer Arbeit nichts mehr tun können, ihre Hände zitterten. Es war besser, die Augen zu schließen und auf ein leises Summen zu hören, das vielleicht vom Bienenstand kam, der irgendwo in der Nähe war. Diesen Bienenstand hatte sie allerdings nie gesehen, oder waren es menschliche Stim men, die miteinander flüsterten? Ein Liebespaar? In dieser Hitze? „Ich habe nichts, ganz gewiß nichts, ich schwöre es!" „Aber liebes Minchen, Sie werden Ihren alten Ver ehrer nicht im Stich lassen? Soll ich der Welt hier be richten, daß Wie? Eine Waffe? Liebes Minchen» was fällt Ihnen ein?" Florinde fuhr aus einem Halbschlaf auf. War das ein Schuß gewesen? Mechanisch schob sie die Zweige ihrer Ulme auseinander, sah in ein weiß umwickeltes, blasses Gesicht und in entsetzte Augen. Es klang wie ein Stöhnen, und dann war alles still. Nur in der Ferne grollte der Donner. Florinde wußte kaum, was sie tat. Ohne einen Blick um sich zu tun, stieg sie von ihrem Baume und ging dem Hause zu. Noch flimmerte die Lust, aber sie begann un heimlich zu rauschen. Als Florinde das Haus Friedheim betrat, zuckte ein sahler Blitz über den Himmel, eine kohlschwarze Wolk« zog mit Windeseile heran, und Leontine griff nach der Hand der Schwester. „Gottlob, daß du da bist. Es gibt ein entsetzliches Wetter!" . Es zog heran, alle Fenster wurden geschloffen. Frau von Lörrach und ihre Kathrine liefen im Hause herum, Leontine half. Florinde konnte in ihr Zimmer treten und sich aufs Bett lögen. Sie war so verstört, daß sie ihre Ge danken nicht sammeln konnte. Hatte sie geträumt oder war es Wirklichkeit? Das Wetter kam. Hagel, Blitze, langanhaltender > Donner, endlich ein Sturzregen, der Kathrine Tränen ent lockte. Wußte sie doch, daß die halbe Heuernte vernichtet war. „Armer Lutz!" sagte sie mehrmals, und seine Mutter wiederholte die Worte: „Armer Lutz!" Von dem Unwetter, das über Klein- und Grotz-Fritzen- hagen niederging, stand nachher in den Zeitungen zu lesen. Der Blitz hatte einige Male eingeschlagen, hatte Dächer abgedeckt, mehrmals gezündet. Der prasselnde Regen löschte, von den Bäumen waren Blätter und Zweige ab geschlagen; als allmählich die Sonne aus den Zweigen hervorlugte, beschien sie eine Stätte der Verwüstung. In verschiedene Keller war das Wasser eingedrungen, beim Krugwirt war ein junger Baum niedergestürzt und ver sperrte die Straße, daß kein Wagen vorbeifahren konnte. Am Pastorat und an der Kirche waren Ziegel abgeworsen, im Haus Friedheim war gleichfalls Schaden angerichtet, so daß jedermann mit sich beschäftigt war und man erst allmählich dazu kam, sich um andere zu bekümmern. Auch Florindes Ulme hatte große Zweige verloren, die den Weg versperrten. Als hier nach einigen Stunden von rasch zusammen getrommelten Arbeitern der Weg gesäubert wurde, ent deckten diese, daß ein Toter hier lag. Ein Toter, dem Rock und Weste sowie die Schuhe genommen waren. Pastor Elwers, der eilig herbeigerufen war, stand ent setzt vor einer Leiche, in der er sofort Harald Feldern er kannte. Er war durch einen Schuß in die Schläfe, dicht neben dem Auge getroffen, und wahrscheinlich gleich tot gewesen. (Fortsetzung folgt.)